Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1927


Das Bauerndorf im Kreise Herzogtum Lauenburg.

[Mit 17 Bildern nach Bauplänen und photographischen Aufnahmen]

Von Dr. JOHANN FOLKERS zu Rostock.

IV. Das lauenburgische Bauernhaus. *)

Gibt es überhaupt ein lauenburgisches Bauernhaus? Im strengen Sinne allerdings: Nein! Das Herzogtum Lauenburg hat keine Art des Wohnbaues aufzuweisen, die ihm allein eigentümlich wäre. Denn das Einheitshaus, das gleichzeitig Menschen, Vieh und Ernte unter seinem mächtigen Dache gegen die Unbilden des norddeutschen Klimas schützt, mit der hohen Mittellängsdiele, die ganz oder doch größtenteils die Länge des Hauses durchzieht - das hat Lauenburg mit allen umliegenden Gebieten gemein. Geht man über die Grenzen des Kreises hinaus: nach Hamburg zu oder über Lübeck hinaus in Holstein hinein, über die Elbe ins Lüneburgische oder bis über Schwerin ostwärts ins Mecklenburger Land - überall wird man dasselbe Einheitshaus mit dem hohen Dach und der Mittellängsdiele finden. Es ist das niedersächsische Bauernhaus, das nach Westen bis an die Zuydersee in den Niederlanden und nach Osten in einem freilich immer schmäler zulaufenden Streifen bis nach Kolberg in Hinterpommern vorherrscht.

Seine wichtigsten Kennzeichen erwähnte ich schon: sie beruhen auf der besonderen Raumverteilung, die man als Dreischiffigkeit bezeichnen kann (Abb. 1). Der längelang durch das Haus durchlaufende hohe Dielenraum - hoch genug für ein vollgeladenes Fuder - als "Hauptschiff" wird rechts und links begleitet von je einem sehr viel niedrigeren "Seitenschiff", der "Afsid", die in Büchern nach einem Worte der Osnabrücker Gegend meistenteils als "Kübbung" bezeichnet wird. Das Ganze ist der Raumverteilung unserer großen mittelalterlichen Kirchen, wie in Lübeck oder Ratzeburg, so ähnlich, daß man sogar auf den Gedanken verfallen ist, die niedersächsischen Bauern hätten ihren Wohnbau bewußt der christlichen Kirche nachgebildet. Das ist nun freilich nicht gut möglich, schon deshalb nicht, weil die Dorfkirchen gar nicht dreischiffig zu sein pflegen.

Am besten lernen wir das niedersächsische Bauernhaus, zu dessen Herrschaftsgebiet somit das Herzogtum Lauenburg gehört, kennen, wenn wir es aus seinen einzelnen Bauteilen entstehen sehen. **) Da fangen wir an mit den großen eichenen Ständern, die rechts und links in langer Reihe die Diele begleiten. "Dei Stenners, dat is de Anfang van dat Hus." Auf ihnen ruht die Hauptlast des Daches. Darum heißen sie auch "Höftstenners". Je ein Paar dieser "Höftstenners" ist oben quer über die Diele hinweg miteinander durch "Balken"

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*) Schluß der Aufsätze in der Januar- und April-Nummer der "Lauenburgischen Heimat." Die Schriftleitung.
**) Unter denjenigen, die mich bei der Bereisung des Kreises im Herbst 1926 bereitwilligst durch wertvolle Auskünfte unterstützten, danke ich an dieser Stelle vor allen den Herren Altenteiler Klein zu Kollow, Zimmermann Groth zu Roseburg und Zimmermann Mirow zu Sterley, früher Kl. Zecher.

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zu einer Art Brückenjoch oder Galgen verbunden. Der Abstand von einem Ständerpaar bis zum nächsten heißt "Fack" und mag nach altem Brauch ungefähr zwölf Fuß betragen haben, so daß ein richtiges "Buernhus" aus dem Süden des Kreises, das seine "acht Fack, und darunter zwei von 13 und 14 Fuß, aufzuweisen hatte, an 100 Fuß lang war. Der Plan des Halbhufnerhauses Perthun-Dalldorf von 1806 (Abb. 5) gibt der Stellengröße entsprechend etwas weniger, 76 Fuß Länge bei 40 Fuß Breite an. Die Balken sind eichen, in jüngerer Zeit und im Süden wohl überhaupt meist "Dannen Holt". In der Längsrichtung stehen die "Höftstenners" im Verband durch die "Plat", auch "Höftplat" genannt. Im allgemeinen wurde der Verband zwischen "Höftstenners", "Balken" und "Höftplat" in der Weise hergestellt, daß die "Höftstenners" mit ihren Köpfen in die "Höftplat" "intappt" und dann die Balken "up de Höftplat upkämmt" waren, d. h. mit ihrer Unterseite in Vertiefungen der Oberseite der "Höftplat" eingelassen waren, ihrerseits aber wiederum mittels einer Vertiefung an ihrer Unterseite ein Widerlager an einem stehen gebliebenen Kamm in der Vertiefung auf der "Höftplat" fanden. So stellte mir vor allem der 80jährige Herr Vagt, Zimmermann in Kasseburg, die Sache klar. Dann wird dieses Grundgerüst durch "Koppbänn" versteift. Auf den Enden der Balken stehen paarweise die "Sporen". Jedes "Spann Sporen" ist in großer Höhe wieder verbunden und versteift durch einen wagerechten Balken. "De Bur seggt: Hahnbalken, de Timmermann awerst seggt: Kehlbalken." Um dieses Hauptgerüst herum ist inzwischen auch das hölzerne Gerippe der vier Außenwände fertig geworden: "De Ring, de steiht." "Lägen", "Stenners", "Riegel" nud "Plat" bilden den "Ring". Zuerst sind "de Lägen streckt". Sie liegen wagerecht auf dem Feldsteinfundament. Oben schließt die "Plat" oder "Murplat" wagerecht die Wandhöhe ab. Zwischen "Lägen" und "Plat" in der Mitte sind ebenso wagerecht die Riegel eingefügt. "Stenners" und "Riegel" sind "intappt". Zur Versteifuug der Außenwand dienen die schrägen "Stormbänn", "in jeder Sied twei, in en langes Gebu vier, un in jeden Gewel twei." Der Aufriß von 1806 (Abb. 5) zeigt die vier "Stormbänn" der Seitenwand deutlich. In den Vordergiebeln pflegen die "Stormbänn" zu jenen eigentümlichen Figuren geordnet zu sein, wie sie etwa die Abbildungen aus Krüzen (Abb. 9), Sandesneben (Abb. 6 und 8) und Gr. Grönau (Abb. 3 und 4) zeigen und gerade für das lauenburgische Bauernhaus so überaus bezeichnend sind. Wenn man freilich in diesen Balkenfügungen, bei denen wohl der "ganze Mann" (Haus Stamers-Sandesneben, Abb. 6 u. a.) vom "halben Mann" (Pfarrhaus Sandesneben, Abb. 8) unterschieden wird, germanische Runenzeichen oder sonst geheimnisvolle Zeichen hat erblicken wollen, so ist dies ein Spiel müßiger Phantasie, da wir garnichts davon wissen, daß bei den Zimmerleuten unserer Dörfer Kenntnis und Gebrauch germanischer Runen sich in so späte Zeiten fortgeerbt hätten. Außerdem: die technische Notwendigkeit der "Stormbänn" mid das in fester Tradition verwurzelte Schönheitsempfinden des alten Dorfhandwerkers genügen vollauf zur Erklärung dieser An-

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ordnung, die allerdings das Auge erfreut, weil sie das rechteckige Schema von "Riegel" und "Stenner" von der Langeweile des rein Schematischen erlöst.

"Ring" und Hauptgerüst des Hauses werden nun fest miteinander verbunden durch den wagerechten "Intog", der am "Höftstenner" rechtwinklig mit dem in gleicher Hohe die "Höftstenners" in der Längsrichtung des Hauses miteinander verbindenden, gleichfalls wagerechten "Höftriegel" zusammenstößt. "Intog" und "Höftriegel" liegen also ebenso wie die "Plat" der Außenwand in Höhe der "Hill", des Bodens über den Kübbungen. Von besonderem Interesse aber ist die Art, wie für das Dach über den Afsiden die nötigen Unterlagen geschaffen werden. Das ganz alte Verfahren zeigt Abb. 1. Das Haus Engelbrecht in Gr. Grönau gehört ja nicht bloß zu den besterhaltenen, schönsten und stattlichsten Bauernhäusern des Herzogtums Lauenburg, sondern auch zu den ältesten. "Hinrich Engelbrecht, Anno 1716" steht am Giebel dieses geradezu prachtvollen Hauses, von dem ich eben deshalb auch nicht weniger als vier Zeichnungen und Abbildungen bringe. Ganz nach alter Bausitte sind die unteren Sparrenenden auf die Enden der Dielenbalken aufgesetzt, die ihrerseits nicht mit dem äußersten Ende auf den "Höftstenners" aufliegen, sondern ein Stück über die Ständerreihen hinaus vorragen, so daß der Hebeldruck der auf den Sparren lastenden Dachmasse die mächtige Spannung der Balken über der Dielenbreite möglichst aufhebt und ein Durchbiegen der Balken über der Diele verhindert. Übrigens zeigt schon solche technische Nebensache, wie wenig diejenigen im Rechte sind, die das Sachsenhaus für "primitiv" erklären. In Wirklichkeit ist das niedersächsische Bauernhaus nichts weniger als primitiv, sondern eine bereits fein durchdachte und wohl abgewogene Lösung des Problems, Menschen, Vieh und Ernte mit dem geringsten Aufwand an Baustoffen vor Wind und Wetter zu schützen.

Doch zurück zum alten System der Sparren. Auf die Hauptsparren aufgeschoben sind Nebensparren, "Afsidsporen" oder "lütt Sporen", auch "Stallsporen" genannt, die unten auf dem "Ring" fest sind und nur die "Afsiden" zu überbrücken haben. Hier haben wir übrigens den vollgültigen technischen Beweis für die späte Entstehung der Kübbungen, die erst nachträgliche Erungenschaften [sic!] des niedersächsischen Hauses sind, als man das Bedürfnis empfand, dem Vieh wenigstens für die Nacht und den Winter ein Dach über dem Kopfe zu errichten. Es ist auch eine ganz ansprechende Vermutung, daß die "Afsiden" aus bloß behelfsmäßig "angeklappten" Notdächern entstanden seien, die man über den Köpfen und Rücken des für die Nacht an die Außenwand des Hauses - die damals also noch durch die Reihen der "Höftstenners" dargestellt wurde - angebundenen Viehes errichtet hatte. Auf die Entstehung des niedersächsischen Hauses komme ich unten noch zurück. Es ist nun bezeichnend, daß die von mir befragten Zimmerleute diese Art des Aufschiebens der "Afsidsporen" auf die Hauptsparren in deren halber oder Drittelhöhe, wie das Haus Engelbrecht dies noch zeigt, nicht mehr kennen wollten. Die 70jährigen Meister kannten nur noch Sparren, die entweder ganz in einem Stück

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durchgehen oder bei denen die "Afsidsporen" an das untere Ende, also in Höhe der Balkenlage angestückt sind, wie letzteres etwa der deutlich sichtbare Knick im Dache des Pfarrhauses zu Sandesneben (Abb. 8) zu verraten scheint. Dieselben drei Arten der Sparrenkonstruktion stehen auch in den übrigen Gebieten des niedersächsischen Bauernhauses neben einander, und daß die Bauweise mit ganz durchlaufenden Sparren tatsächlich die jüngere sein muß, wird mir bestätigt durch die Freundlichkeit des Herrn Geheimen Oberbaurats Vries in Schwerin, der mir für Mecklenburg mitteilt, daß die älteren Bauweisen mit Haupt- und Abseitensparren in den 1850er Jahren durch die damalige Großherzogliche Kammer zu Schwerin verboten worden sei eben wegen des dabei entstehenden Dachknicks. Und damals baute die Großherzogliche Kammer auch noch ihre Bauernhäuser selber.

Wir wenden uns zur Herstellung des Daches. Auf den Sparren sind die Latten befestigt, in neuerer Zeit "mit Smänagels nagelt", früher "mit widen Wäden fastwrödelt". Die "Wäden" konnten statt von "Wiecheln" auch von Birken oder Eichen genommen werden. Auf den Latten wird das Strohdach mit dem eingelegten "Dackschächt" in ähnlicher Weise befestigt. Als Dach dient nach alter Sitte Roggenstroh, im Notfall Weizenstroh. Herr Klein in Kollow schilderte mir höchst anschaulich, wie in alter Zeit aus den Vierlanden, die damals noch eine kornbauende Marsch - nicht der Gemüsegarten von Hamburg, wie heutzutage - waren, das nötige zum Dachdecken geeignete Langstroh (Schoos, Dackstroh) nach Gewicht angekauft und angefahren wurde. Die Verwendung von Reth sei modern. Im Osten des Kreises hat neben dem Weizenstroh das Reth des Schaalsees eine Rolle gespielt. "De Kapp" (der First) wurde oft "mit Heid tomakt, wegen den Adebar, de sick girn wat rut treckt" (Kollow). Die mächtige Dachfläche, die natürlich in unserem windigen norddeutschen Flachlande gewaltigem Wind-, auch Schneedruck zu widerstehen hat, wird noch versteift durch die an der Binnenseite des Daches schräg von unten nach oben verlaufenden "Swepen" oder "Stormswepen"; dazu kommen noch "Stormsporen", etwa "drei Stück in en Buernhus von good hunnert Foot" (Klein-Kollow). Diese "Storm-" oder "Windsporen" stützen das Dach, indem sie, leicht nach außen geneigt, vom Kopf eines "Höftstenners" in die Höhe bis an die Innenseite des Daches reichen. Steilgiebel sind im Lauenburgischen auch heute noch selten. Das Walmdach reicht am Giebel heute auf beiden Enden aber auch nicht bis auf die Balkenlage hinab, sondern läßt uber der Einfahrtstür - die ja bis an die Balkenlage hinaufreicht - noch ein Stück Wandfläche frei, wie die Abbildungen 6 bis 9 usw. zeigen. Aber ob das immer so war? Im Süden soll nach alter Bausitte am "Veih-Enn地" das Dach bis auf die Balkenlage hinabgereicht haben, aber nicht am "Stuben-Enn地", damit hier mehr Bodenraum herauskam. Im ganzen Lande sind noch zahlreiche, namentlich kleinere Häuser zu finden, bei denen das Dach namentlich am Vordergiebel, dem "Veih-Enn地", so tief hinabreicht wie an dem Singelmannschen Hause in Hornbek (Abb. 10), so daß ein Einschnitt in das Dach gemacht

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werden mußte, um die nötige Höhe für die "Grotdör"herauszubekommen. Dann spricht man von "Vörschuer" oder "Vörbu" oder "Vörschupp". Der so gewonnene Raum dient meist als Schaf- oder Schweinestall. Ausdrücklich wurde mir von sachverständiger Seite gesagt, daß "de Vörschuren" die beiden Räume unter dem tief herabgehenden Dache rechts und links der Einfahrt seien, nicht etwa - wie anderswo - der Raum vor der Einfahrt selbst. Im allgemeinen hat früher wohl das Dach vorn und hinten tiefer herabgereicht als heute - wurde mir doch gelegentlich erzählt, daß erst in Zeiten, deren Erinnerung noch lebendig ist, der Walm höher hinaufgeschoben worden sei. Ganz neuerdings erst erscheinen dann Häuser "mit地 sturen Gäwel". Vom Rande des Daches leckt das Regenwasser hernieder. Um die Außenwand möglichst zu schützen, läßt man den Rand des Strohdaches ein Stückchen vorragen. Da die "Afsidsporen" aber unten auf dem "Ring" fest aufsitzen, so wird der untere Dachrand getragen von besonderen Verlängerungsstücken, die auf den "Afsidsporen" sitzen. Das sind die "Opschelln" (Mirow-Kl. Zecher) oder "Upschifter" (Groth-Roseburg). die dem Dach "so地 beten Swung gewen". Am unteren Rande des Strohdaches findet sich dann noch zur Abhaltung des Tropfenfalls ("Oesel") "dat Oeselbrett".

Außen- und Zwischenwände wurden ursprünglich in "Klevstaken" ausgeführt. "Upschächt wand" ist der gewöhnlichste Ausdruck für diese Bauweise. In die offenen vierecke des Ringes zwischen "Lägen", "Plat", "Stenner" und "Riegel" werden aufrecht "hasseln", "böken" oder "widen", im Süden auch "dannen Stöck", "Schächt" hineingestellt. Damit sie oben und unten Halt haben, muß der Zimmermann in die obere Seite der "Lägen" oder "Riegel" "ne Rill" oder "ne Karr mit地 Ext inhangen" oder "ne Falz mit地 Deißel maken"; in die untere Seite aber muß er "Löcher mit地 Querext inhangen", damit die oberen Enden der "Schächt" darin feststehen. Freilich: "ne Karr (Kerbe) baben geiht ok!" Zwischen diese aufrechten "Stöck" wird dann in wagerechter Richtung "intühnt mit Buschholt" oder Strohfeilen. Die so entstandene Flechtwand aber wird "mit弾 Hand ansmeten, mit弾 Hand glatt makt un denn allens witt"t". Der Stoff aber "zum "Ansmiten" wird so hergestellt, daß Lehm mit Wasser angemacht, mit Kaff und Stroh, das mit dem Beil auf einen halben Finger bis eine Handbreit Länge zurechtgehauen ist, vermengt und durchgeknetet wird. Beim Neubau wurde der Haufen mit Pferden durchgeritten. Das Holzwerk in den Außenwänden wurde mit "Ossenbloot" oder grüner Farbe gestrichen.

Wann ist nun diese alte Form der "Schächtwand" durch das Backsteinfachwerk verdrängt worden? Das älteste datierbare Bauernhaus des Kreises Herzogtum Lauenburg ist das alte Berlingsche Haus in Siebeneichen. Außer frommen Sprüchen weist es im Türbalken die Inschrift auf: "Eggerdt Berling Anno 1688 den 16. May". Offenbar war damals schon die Verwendung des Backsteins wenigstens im Vorder- und Hintergiebel allgemein verbreitet, aber NICHT in den Traufseitenwänden. Nun war nach dem Eindruck, den ich bei der Bereisung des Fürstentums Ratze-


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burg erhielt, die wirtschaftliche Lage des ratzeburgischen Bauern wie seine Baugewohnheit bis auf gewisse noch zu erwähnende, aber nebensächliche Erscheinungen den entsprechenden Verhältnissen im Lauenburgischen gleich. Im Fürstentum Ratzeburg aber haben wir das prächtige ehemalige Schulzenhaus von Bechelgdorf, von dem ich aus bestimmten Gründen annehmen zu müssen glaube, daß es 1615 erbaut ist. *) An diesem höchst interessanten Gebäude sind nun auch Vorder - und Hintergiebel noch in Lehmfachwerk ausgeführt. Wenn ein so gewichtiger und sicher wohlhabender Mann wie der Schulze von Bechelsdorf, der die bischöflichen und später fürstlichen Beamten zu bewirten hatte, wenn sie vor seinem Hause dem Landgericht für die umliegenden Dörfer beiwohnten, noch um 1615 ein neues Haus mit Klehmstakengiebeln baute - und das in unmittelbarer Nähe von Lübeck, wo sicher ein Ausstrahlungszentrum der damals "neumodischen" Backsteinverwendung war -, dann wird auch im Herzogtum Lauenburg damals das Füllmaterial der Fachwerkgiebel an den Bauernhäusern schwerlich schon Bäckstein gewesen sein. Der Backsteinbau muß sich hier also im Laufe des 17. Jahrhunderts durchgesetzt haben.

Diese Betrachtung führt uns zur Frage der Entstehung und Bedeutung der im Backsteinmauerwerk nicht selten anftretenden Figuren, insbesondere des sog. Donnerbesens und der Windmühle. Als Beispiel bringe ich nach einer Zeichnung des Herrn Lehrers Siemers-Linau einen Donnerbesen vom Wohngiebel der Kate des Halbhufners Carstens zu Linau (Abb. 11). Auch am Prunkgiebel von Stamer-Sandesneben (Abb. 6) erkennt man mehrere Gebilde derselben Art, und das Pfarrhaus in Sandesneben zeigt an seinem - übrigens ganz neuem - Giebel Donnerbesen und Mühle nebeneinander. Der Donnerbesen ist auch sonst nicht selten. Ich erwähne die drei Donnerbesen am Steffensschen Giebel in Havekost, die nicht wie das Beispiel aus Linau einem Baume, der nach oben spitz zuläuft, sondern einer mit gespreizten Fingern emporgereckten Hand gleichen. Ebenso sieht der Donnerbesen am Hintergiebel des Bauernhauses Klühn in Wentorf A.H. bei Bergedorf aus, während die beiden Donnerbesen rechts und links der Grotdör bei Peters-Gr. Klinkrade (1767) wieder mehr einem Tannenbaum ähnlich spitz zulaufen. Ein Donnerbesen aus Hohenhorn ist abgebildet im Lauenburgischen Haushaltungskalender Jahrg. 1909, S. 59. In Sahms und Groß-Pampau weist je ein Haus zwei Donnerbesen auf. Bemerkenswert ist, daß auch der Giebel des ältesten Bauernhauses im Lauenburgischen, des schon erwähnten Berlingschen Hauses von 1688 in Siebeneichen einen Donnerbesen zeigt, und zwar in der obersten der beiden Gefachreihen über der Balkenlage unmittelbar unter dem Walmdach ganz links (Abb. 11a). Nicht gefunden habe ich im Lauenburgischen eine Abart des

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*) Vgl. die Abbildungen und Ausführungen in den Mitteilungen des Altertumsvereins für das Fürstentum Ratzeburg I. Jahrg. 1919, Augustheft und in dem von mir herausgegebenen Heft "Das Bauerndorf im Lande Ratzeburg" (Quellen der Heimat, herausgegeben vom Heimatbund für das Fürstentum Ratzeburg), Reihe F Heft 2, Schönberg 1925.

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Donnerbesens, die zum vollentfalteten halbkreisförmigen Fächer weiter entwickelt ist. Gerade diese Abart ist aber im Fürstentnm Ratzeburg besonders beliebt und kommt z. B. schon in Kl. Molzahn und Schlagsresdorf nordöstlich der Stadt Ratzeburg vor. *)

Wirklich lebendige Volksüberlieferung über das Wesen des Donnerbesens, auch eine wirklich volkstümliche Bezeichnung für das heutzutage seitens der Bewohner selbst meist wenig beachtete, ja oft kaum bemerkte Gebilde scheint es heute im Lauenburgischen nicht mehr zu geben. Wir müssen daher auch die Nachbargebiete zur Deutung heranziehen. Das ist unbedenklich, weil dort dasselbe Volkstum herrscht wie im Lauenburgischen. Auch der Donnerbesen kommt ja keineswegs allein in Lauenburg vor. Allerdings im Mecklenburgischen habe ich - vom Fürstentum Ratzeburg, wo er häufig ist, abgesehen - den Donnerbesen nur einmal an einem in Fachwerk errichteten älteren Gebäude auf all meinen Wanderfahrten kreuz und quer durchs ganze Land gefunden. Das war in Lübbendorf bei Lübtheen, wo ich vier Donnerbesen am Giebel einer Büdnerei sah. An städtischen Häusern sollen in Hagenow Donnerbesen vorhanden sein. Dieses fast völlige Fehlen des Donnerbesens in Mecklenburg ist nicht schwer zu erklären. Wer vom Ratzeburgischen oder Lauenburgischen her die Grenze des Schweriner Landes überschreitet, kann feststellen, daß sofort die Backsteingiebel an den alten Bauernhäusern aufhören. Auch auf den Erbpachtgehöften (Vollhufnerstellen) sind die alten Giebel in Klehmstaken (upschächt Wand) ausgeführt ohne die damals noch luxuriöse Backsteinverwendung. In Klehmstakenwänden aber lassen sich keine Donnerbesen anbringen. Damit erhalten wir ein wichtiges Datum: in DIESER Form kann der Donnerbesen nicht älter sein als die Sitte der Backsteinverwendung, er kann nicht weit hinter das Jahr 1700 zurückreichen. Damals war er wohl schon nur noch ein Zierrat ohne tiefere Bedeutung, aber es muß eine Zeit gegeben haben, wo es solchen tieferen Sinn noch gab, wo der "Gewitterquast", wie man im Ratzeburgischen sagt, wirklich dem Volksglanben nach als ein wirksamer Schutz gegen die furchtbarste, unberechenbarste und jäheste Gefahr galt, die den Landmann und seine Habe unterm Strohdach bedroht, den zündenden Strahl des Gewitters. Im Mecklenburgischen, wo manche alte Tradition sich besser erhalten hat als anderswo, gibt es noch eine Sitte, die den Ursprung des Donnerbesens aufzuklären geeignet erscheint. Es handelt sich um den "Maibusch", jenen in der Volkskunde wohlbekannten lebenspendenden und lebenbeschützenden Abkömmling der "Lebensrute", der in ganz Deutschland zu Pfingsten eine so große Rolle spielt. In Grabow z. B. bleibt dieser Maibusch vielfach von Pfingsten bis zum nächsten Pfingsten stecken, und zwar vorzugsweise an Gebäuden, in denen Tiere untergebracht sind, meist über der Einfahrts- oder Eingangstür, wohl auch seitlich davon. Angebracht wird der Maibusch meist mit den Zweigen nach oben, dem Stammende nach unten, - wie in der freien Natur.

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*) Abbildungen aus beiden Dörfern in dem oben erwähnten Heft "Das Bauerndorf im Lande Ratzeburg", Schönberg 1925, S. 10 und 11.
 

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Aus Parchim erzählte mir ein befreundeter Kollege, daß sein HausWirt, der ebenso wie seine Frau aus der Goldberger Gegend stammte, den Maibusch das ganze Jahr in der Stube aufbewahrte, ebenso im Keller den Weihnachtsbaum als Blitzschutz - und der Volkskundler weiß, daß unser Tannenbaum zu Weihnachten wiederum ein naher Verwandter der "Lebensrute" ist. Von einer bekannten Dame erfuhr ich, das; selbst in Rostock eine Frau Professor Fr., die mit ihr in demselben Hause wohnte, den Maibusch das ganze Jahr über der Etagentür stecken ließ.

Hier haben wir anscheinend die älteste Form des Donnerbesens vor uns. *) Vielleicht regen diese Zeilen jemanden, der noch mehr vom alten Volksglauben in diesen Dingen weiß, dazu an, dem Heimatbund (Herrn Landesarchivar Dr. Gerhard) sein Wissen darüber mitzuteilen und so das Rätsel des Donnerbesens vollends lösen zu helfen.

Bei der Mühle als Steinsetzung, wie sie z. B. neben dem Donnerbesen das Klühnsche Haus in Wentorf bei Bergedorf aufweist, fehlen volkskundliche Erklärungen und Nachweise dagegen so gut wie völlig. Von einem Gewerbszeichen ist keine Rede - sonst müßte die Mühle sich nur an Müllerhäusern oder Bäckerhäusern finden. Wahrscheinlich ist die "in die Schere gestellte" Mühle nichts weiter als eine nach dem Schwinden des Volksglaubens an die Blitzabwehr spielerisch ausgeartete Abart des Donnerbesens. Denn die Unterschiede der Backsteinsetzung sind nicht groß.

Bei den sonstigen Steinsetzungen und Backsteinmustern in Giebelfachwerk, wie namentlich dem nicht seltenen Zickzackmuster mit diagonal gestellten Backsteinen, ist von vornherein die Absicht der Schmuckwirkung vorauszusetzen. Besonders reich entwickelt zeigt dieses Schmuckwerk (zum großen Teil in glasierten Ziegeln ausgeführt) der Stamer-

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*) Zu einem ähnlichen Ergebnis ist im südlich benachbarten Bezirk jenseits der Elbe auch Baurat SCHLÖBKE gelangt, der im II. Bande des LÜNEBURGER HEIMATBUCHES (herausqegeben von O. und Th. Benecke, Bremen 1914) auf S. 91 vom Donnerbesen schreibt: "Wäre er ein Merkzeichen für Müllerei oder für Bäckerhåuser, wo mit dem Besen das Brot gegasselt wird, so könnte der Donnerbesen sich unmöglich am Sakristeianbau der Kirche in Blumlage (Celle) finden, wo umgekehrt doch auch um 1750 nicht mehr an den Donnerer gedacht wurde. Am siehersten geht man wohl, das Zeichen für den auf Steintechnik übertragenen und dadurch dauerhaft gemachten Weihebusch anzusehen, der das Haus vor Blitz und Unglück schützen sollte. Dies wird schon seiner allgemeinen Verbreitung wegen anzunehmen sein (Konau a. d. Elbe und überall im Bezirk zerstreut)." Konau liegt schon rechts des Stromes bei Neuhaus. - Über Donnerbesen, Mühlen und dergleichen im nördlich anschließenden lübischen Landgebiet und den eingestreuten lübischen Enklaven ist zum Vergleich nachzulesen: Hugo NAHTGENS. "Das Bild der Ortschaften des Landgebietes" im LÜBECKER HEIMATBUCH (Lübeck 1926, S. 254-290), H. LENZ, "Die altsächsischen Häuser in der Umgegend Lübecks" (Zeitschrift des Vereins für lüb. Geschichte und Altertumskunde, Bd. VII 1898, S. 262 ff.), Wilhelm HAASE-LAMPE, "Das Landgebiet des Freistaates Lübeck" in "Von Lübecks Türmen" (Unterhaltungsblatt des Lübecker General-Anzeigers, 7. Dezember 1912, 22. Jahrgang, S. 388 ff.). Besonders die beiden letzteren Veröffentlichungen enthalten lehrreiche Zeichnungen.

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sche Giebel in Sandesneben (Abb. 6), der wohl das reichste Beispiel eines bäuerlichen Prunkgiebels im Herzogtum darstellt und in seiner Schmuckfreude ebenso wie durch den im südlichen Teil des Herzogtums verbreiteten lebhaft wirkenden weißen Anstrich des Fachwerks bereits stark an das Bauernhaus der Elbmarschen um Hamburg, der Vierlande und des Alten Landes, erinnert. Das Datum der Hausinschrift lautet: "Den 8. Junius Anno 1803." Trotz der reichen Fülle des Schmuckes wirkt der Giebel keineswegs überladen. Ein betrübliches Gegenbeispiel zu dieser schönen Leistung des dörflichen Bauhandwerkers von 1803 ist ein Giebel von 1859 (Abb. 7), der das erschreckende Dahinschwinden des sicheren Geschmacks im Bauhandwerk des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluß dieser auf dem Gebiete des Stiles so völlig steuerlos gewordenen Epoche der Massenfabrikation und des Kitsches vor Augen führt. Was konnte allerdings der Maurermeister schließlich dafür, daß er glaubte, bauliche Schönheit sei durch äußerliche "Verzierungen" und allerlei Kinkerlitzchen zu erreichen, wenn auch die berufenen Führer nichts mehr davon wußten und fühlten, daß bauliche Schönheit organisch aus dem Zusammenklang von Zweckform und Baustoff erwachsen muß? Noch ist 1859 die Grundform des altsächsischen Hauses mit dem mächtigen Strohdach so gut wie unerschüttert, aber die mit vollendeter Sinnlosigkeit "angebackten" und daher den Eindruck völliger Hilflosigkeit erzeugenden "Zierden" (wie man im Dorfe sagt) über der Balkenlage werfen doch ein recht trübes Licht auf den bedauerlichen Niedergang handwerklichen Könnens in dieser Zeit.

Damit vergleiche man den 1925 bei der Verkürzung der Scheune des Pfarrhauses zu Sandesneben neu errichteten Giebel (Abb. 8), der ganz ohne solche aus dem Rahmen des Bauganzen herausfallende "Verzierungen", nur aus dem schlichten Baustoff des weißgefugten Backsteins heraus die Doppelreihe der Gefache über der "Grotdör" zu wirklich lebendiger Gestaltung bringt.

Von den Steinsetzungen gelangen wir zum Holzwerk der Giebel. Über den sogen. "halben" und "ganzen Mann" sprach ich schon oben. Die auffälligste Figur des Giebelfachwerks ist jene eigenartige Balkenverschränkung, wie sie das schon oft genannte Engelbrechtsche Haus in Gr. Grönau über der Grotdör am "Veih-Enn地" (Abb. 3) aufweist. Einer der größten und vielseitigsten Gelehrten Deutschlands, Rudolf Virchow, hat dies eigenartige Gebilde entdeckt, und zwar im Dorfe Schönkirchen bei Kiel. Seit ihm ist dafür der Name "Bauerntanz" im Umlauf. Dieser Name ist mir nirgendwo als volkläufig bekannt, im Fürstentum Ratzeburg hörte ich "Hauskreuz". in Mustin im Lauenburgischen "Ruten-Dus", eine Bezeichnung, die angesichts der Ähnlichkeit mit dem Karo-As im Kartenspiel allerdings naheliegt. Das Verbreitungsgebiet des "Bauerntanzes" ist noch nicht genau abgegrenzt. Nach Norden reicht es über die Kieler Förde hinüber jedenfalls bis nach Klausdorf und Scharnhagen in den Dänischen Wohld hinein, nach Westen scheint es die alte deutsch-slawische Siedelungsgrenze nicht zu überschreiten, nach Süden reicht es bis in die Mitte des Herzogtums Lauenburg, wo Gudow und die lübische Enklave

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Ritzerau *) die letzten Ausläufer sind. Im Fürstentum Ratzeburg sind die Bauerntänze zahlreich, aber nirgendwo hab ich auf all meinen Wanderfahrten kreuz und quer durch Mecklenburg-Schwerin einen solchen Bauerntanz gesehen. Im Herzogtum Lauenburg nimmt begreiflicherweise die Häufigkeit des Bauerntanzes von Norden bis zur Linie Ritzerau -Gudow allmählich ab. Auffallend ist es, wenn ein Haus zwei Bauerntänze nebeneinander aufweist, wie das 1834 erbaute Haus des Kätners Burmester zu Mustin, wo der erwähnte Name "Ruten-Dus" seit alter Zeit geläufig ist. Die beiden Balkenverschränkungen sitzen zwischen Balkenlage und unterem Rand des Walmdaches rechts und links oberhalb der Grotdör. "In der Regel sitzt der Bauerntanz genau unter dem First und reicht vom Torbalken bis zum Dachansatz" (W. Stier). Bauerntänze sind mir noch aufgefallen in Gr. Sarau, Krummesse (an dem noch zu erwåhnenden Weidemannschen Hause) und der lübischen Enklave Sirksrade (Gasthaus Steen). Stier betont, daß die Herstellung der vielen Durchkreuzungen eine ziemlich schwierige Aufgabe für den Zimmermann darstellte. Und gerade das scheint mir der Sinn dieses ganzen Gebildes zu sein, daß es sich um ein Paradestück der Zimmermannskunst handelt, das dem Meister Gelegenheit bot zu zeigen, ob er sein Handwerk beherrschte.

Vorsichtige Zurückhaltung ist am Platze bei der Beurteilung des vielberufenen Giebelschmuckes: Pferdeköpfe und Wendenknüppel. Hierüber ist viel behauptet worden, was sich nicht durch wirkliche Beweise stützen läßt. Ich möchte mich auf die Feststellung beschränken, daß HEUTZUTAGE im Lauenburgischen wie im Fürstentum Ratzeburg nach innen blickende Pferdeköpfe als Giebelschmuck Mode sind. Ob das immer so war, wissen wir aus Mangel an sicher mit naturalistischer Treue gezeichneten Abbildungen nicht. Die Firstbretter gehören - im Gegensatz etwa zum Stånderwerk - zu den allervergänglichsten und am häufigsten erneuerungsbedürftigen Teilen des ganzen Bauernhauses. Daher sind gerade in diesem Punkte die Schlüsse der Hausforschung so unsicher. Es ist eine wirklich überaus gewagte Vermutung, wenn Wilhelm Haase-Lampe (in dem erwähnten Aufsatz) "den Giebelspieß als eines der letzten Charakteristika des wendischen Hausbaues" betrachtet und es für sehr wahrscheinlich halten möchte, "daß Giebelspieße die polabische, Pferdeköpfe die sächsische Einzelsiedelung kennzeichneten." Das ist sehr viel mehr behauptet, als wir wissen können. Sind wir doch nicht einmal über die Herkunft der Pferdeköpfe im klaren. Jedenfalls NICHT in Betracht kommt die Ableitung vom "Sachsenroß" als niedersächsischem Stammeszeichen. Denn das springende Pferd im Wappen von Braunschweig und Han-

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*) Der im Vergleich zu der gewöhnlichen Form (wie bei Engelbrecht-Gr. Grönau) etwas komplizierter gestaltete Bauerntanz in Ritzerau - ebenso ist der am Giebel von Rehr in Gudow gestaltet - ist abgebildet bei dem Aufsatz von W. STIER, Vom Schmuck unserer Bauernhäuser (mit 11 Abb. von Bauerntänzen) in den "Heimatblättern" (Mitteilungen des Vereins für Heimatschutz), Lübeck 1926, Nr. 28 und 29. Auch die gelegentlich der Steinsetzungen schon erwähnte Arbeit von Lenz und mein "Bauerndorf im Lande Ratzeburg" bringen Abbildungen.


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nover ist erst nach der Mitte des 14. Jahrhunderts, lange nach der Auflösung des alten Stammesherzogtums Sachsen und auch lange nach der niedersächsischen Einwanderung östlich der Elbe an die Stelle des alten sächsischen Wappentieres, des Löwen oder Leoparden, getreten. An Deutungsmöglichkeiten für die Pferdeköpfe bleiben dann noch drei:

1) Das Pferd war bei den Sachsen ein geheiligtes Tier und spielte als Opfertier eine wichtige Rolle. Daher hängte der Sachse als Abwehrzauber Pferdeschädel an seinem Hause auf und ging hiervon später zur Anbringung hölzerner Pferdeköpfe über.

2) Die Pferdeköpfe sind eigentlich gar keine Pferdeköpfe, sondern Köpfe von irgendwelchen wehrhaften Tieren. Wölfen, Hunden oder dergleichen, welche - ebenfalls als Abwehrzauber - das Haus vor bösen Geistern schützen sollen (wie die Sphinxe den ägyptischen Tempel).

3) Die Pferdeköpfe sind ein Zimmermannskunststück, eine Spielerei, wozu der Zimmermann herausgefordert wurde durch die überstehenden Enden der Windbretter. Denn die Windbretter wurden an den zusammenstoßenden Enden miteinander verpflockt und durften hier nicht allzu kurz abgesägt werden, weil sonst gerade diese schwache Stelle unter dem zermürbenden Einfluß von Wind und Wetter schnell und leicht herausriß. Die überstehenden Brettenden lockten zur spielerischen Ausgestaltung in Tierköpfe oder dergleichen.

Ich neige der dritten Möglichkeit zu, zumal da die Pferdeköpfe keineswegs überall in Niedersachsen gleichmäßig auftreten. Zwischen der Weser und Osnabrück z. B. herrscht der Giebelpfahl, den man im Lauenburgischen wohl "Wendenknüppel" nennt. Eine sichere Entscheidung der ganzen Frage ist unmöglich. *)

Vom Giebel, der Schauseite des Hauses, wenden wir uns zur inneren Raumverteilung. Grundlegend ist hier die Tatsache, daß das Herzogtum Lauenburg, wie es auch ganz seiner Lage längs der alten deutsch-slawischen Siedelungsgrenze entspricht, ein Mischgebiet zweier Haustypen ist, wovon, kurz gesagt, der eine Typus "altniedersächsisch", der andere "neuniedersächsisch", d. h. auf später sächsisch kolonisiertem Boden zu Hause ist. Der altniedersächsische Typus, das sog. Flettdielenhaus, wird hier durch den Grundriß des Perthunschen Hauses in Dalldorf von 1806, der neuniedersächsische, das Durchgangsdielenhaus, durch den Grundriß des Engelbrechtschen Hauses in GR. GRÖNAU vertreten. Das heißt nun aber nicht etwa, daß der Süden des Kreises Flettdiele - wie jenseits der Elbe -, der Norden Durchgangsdiele bevorzuge! Auf den ersten Blick" könnte es scheinen, als ob ganz allgemein der Flettdielentypus (Abb. 5) im ganzen Kreise vorherrsche. Aber bei näherem Zusehen stellt sich heraus, daß manche Bauernhäuser, die heute keine freie Durchfahrt für den vollen oder wenigstens den leeren bespannten Wagen längelang durch das ganze Haus mehr gestatten, dies früher getan haben. Meisteus ist dann

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*) Über den ganzen Wirrwarr in der Frage der Giebelzierden, auch über Steinsetzungen, lese man nach, was Wilhelm PESZLER in seiner schönen "Niedersächsischen Volkskunde", Hannover 1922, S. 94 ff. schreibt.

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die vermauerte Durchfahrt im rückwärtigen Giebel noch deutlich erkennbar, selbst wenn die Hausbewohner nichts mehr von ihrem Vorhandensein wissen. Solche verbaute Durchfahrt hat z. B. das schöne Bauernhaus Schumacher in KRÜZEN (Abb. 9), das die Inschrift trägt: "Frans Casten Schaumager, Catrina Hedewig Schaumagers, Anno 1777." Hier hatte die Durchfahrt nur die für den unbeladenen Wagen notwendige Höhe, wie dies auch der rückwärtige Giebel des Eggertschen Hauses in DARGOW (Abb. 12) zeigt. Dagegen zeigt der Giebel des Stubenendes an dem schönen Engelbrechtschen Hause in GR. GRÖNAU (Abb. 12) volle Fuderhöhe der Durchfahrt. Auch bei Schmaljohann (jetzt Lüneburg) in BASEDOW, in zwei Bauernhäusern zu BRUNSTORF (nach Erinnerung von Herrn Altenteiler Klein in Kollow), an zwei Bauernhäusern in KASSEBURG (nach Mitteilung des Herrn Zimmermeisters Vagt in Kasseburg), in BREITENFELDE, wo Durchfahrtsdiele nach den Feststellungen des Herrn Lehrers Drohm früher in mehreren Häusern vorhanden war, heute aber nur noch an der vermauerten Grotdör im Hintergiebel des Eggeschen Bauernhauses sichtbar ist, im Münchhausenschen Bauernhause zu BUCHHOLZ hatte die rückwärtige Ausfahrt volle Fuderhöhe. Freie Durchfahrt durch das ganze Haus konnte ich ferner feststellen für KITTLITZ (Burmeister) und das benachbarte ROSENHAGEN (Husfeldt) nördlich des Schaalsees auf Grund von Zeichnungen, die Von den Besitzerskindern mit Hilfe ihrer Großeltern aus Veranlassung des Herrn Lehrers Ruschmeyer angefertigt waren. Auch für das benachbarte DECHOW (Hufner Perls und Jenckel) im äußersten Winkel des Kreises am Röggeliner See, GRINAU (drei jetzt umgebaute Häuser), KL. THUROW (Hufner Joachim Timm, erbaut um 1800) ist freie Längsdurchfahrt bezeugt. Bezeichnend lautet die Auskunft aus LANKAU-GRETENBERGE: "So sollen die älteren Häuser alle gewesen sein; jetzt ist überall das Stubenende abgeteilt." Im allgemeinen liegt oder lag die "Grotdör" des "Stuben-Enn地" nicht genau unter dem First, also nicht in der Mittellinie des Gebäudes, sondern - wenn auch innerhalb der Breite des Mittelschiffs - seitlich bis hart an eine der beiden Ständerreihen heran nach links oder rechts verschoben, damit für die Fenster der "Döns", der Wohnstube, die andere Hälfte der Dielenbreite im Hintergiebel frei wird. (So bei Eggert in Dargow auf Abb. 12.) Seitliche Lage der Ausfahrt deutet also NICHT etwa auf seitliche Verschiebung der Diele überhaupt. *) Die Lage der Wohnräume ist durch die durchlaufende Diele in der Hauptsache festgelegt. Der Hauptherd wandert bei durchlaufender Diele in einen Raum des Seitenschiffes, der "Afsid", ab, schon wegen der Gefahr des Funkenfluges als Folge des Durchzuges, wie ich von fachmännischer Seite belehrt wurde. Nicht selten tritt an die Stelle der befahrbaren Durchgangsdiele ein im hinteren Ende nur für

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*) Dazu vergleiche man in der erwähnten Abhandlung von H. LENZ die Grundrisse Nr. 5: Hufner Benecke-GR. SCHRETSTAKEN und Nr. 6: Hufner Wenck-HORNBEK i. Lauenburg sowie den Längsdurchblick durch das Vollhufnerhaus Oldenburg zu WAHLSDORF im Fürstentum Ratzeburg, wo ja auch die Durchfahrtsdiele herrscht (Abb. 2 in meinem "Bauerndorf im Lande Ratzeburg").
 

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Fußgänger ausreichender Längskorridor, der zur Gewinnung von Stubenraum immer schmaler bemessen wird. Eine Art Übergangstypus haben wir im Bruseschen Hause zu GR. SARAU. Hier geht die Diele in voller Breite und Höhe längelang durch das Wohnhaus, hat aber keine Grotdör in der dem Garten zugekehrten Rückwand des Hauses. Statt der Ausfahrt schließt in der linken Hälfte der Dielenbreite eine - aber noch immer zweiflügelige - Fußgängertür mit Oberlicht und rechts daneben ein bleiverglastes Doppelfenster von 2 X 3 X 3 Scheiben im Hintergiebel die Diele ab. Neben diesem Fenster befindet sich in der rechten hinteren Ecke der Diele der große Herd mit dem Swibbogen - Durchzug und Funkenflug sind ja mit der Durchfahrt zusammen fortgefallen -, der sich mit seiner Rückseite an die in der Richtung der Höftstenner-Reihe verlaufende Wand lehnt und durch diese hindurch den Bileggerofen in der Stube heizt, die den hinteren Teil der rechten Afsid einnimmt. In stark modernisierter Form zeigt diesen Längskorridor mit Flügeltür im Hintergiebel z. B. das außerordentlich stattliche Haus des Hufners Fr. Brüggmann zu KUDDEWÖRDE.

Sehr viel primitiver ist der Typus der Durchgangsdiele in unseren Katen gestaltet. Die Kate ist ja die einfachere und daher jedenfalls altertümlichere Ausgabe des niedersächsischen Bauernhauses. Auch in den Giebeln herrscht bei der Kate meist noch die "upschächt Wand". Der Walm geht hier noch gerne - im Gegensatz zum Bauernhaus der letzten Jahrhunderte - rechts und links der Einfahrt tief herunter und umschließt auf beiden oder auch nur auf einer Seite ein "Vörschuer". Gewöhnlich umfaßte die Kate zwei Wohnungen (wie übrigens auch das Hufnerhaus neben der Wohnung des Hufners eine für den Altenteiler zu enthalten pflegt). Dann hat jede Wohnung die Räume einer Kübbung für sich: meist Döns, Kammer und Stall; die Diele liegt als nentrales, gemeinsam benutztes Gebiet, als der "Marktplatz" des kleinen Gemeinwesens dazwischen. Auf der Diele hart am Ausgange, der die Diele im Hintergiebel in den Hausgarten münden läßt, liegen die beiden Herde unter ihren Swibbögen einander gegenüber, jeder an die Wand einer Döns gelehnt, die von ihm die Wärme ihres Bileggerofens bezieht, Diese Bilegger sind manchmal noch sehr altertümlich. In der Kate des Hufners Johs. Wulf zu Gr. Berkenthin steht einer, in Klinkern ausgeführt und mit Lehm und Kaff übergeschmiert, auf drei Beinen aus Eichenholz. Heute sind, bei gestiegenen Raumansprüchen, die zwei Wohnungen einer Kate meist in eine zusammengelegt, und die Bewohner erklären kopfschüttelnd: "Dat kann地 sik gor nich mehr denken, dat hier mal twei Familien in wahnt hebben."

Das Durchgangsdielenhaus ist also sicherlich im Herzogtum Lauenburg heimatberechtigt und bodenständig. Vielleicht noch älter als das laut Inschrift 1716 erbaute Engelbrechtsche Haus in Gr. Grönau ist das Ficksche Haus in Franzhagen, an dem eine anscheinend vorhandene Inschrift nicht mehr lesbar ist. Hier liegen die Wohnräume nach vorn, zur Dorfstraße, neben der Grotdör, die ganz auf die rechte Seite der Dielenbreite verschoben ist, während die Fenster der Döns

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die linke Hälfte einnehmen. Im Hintergiebel führt eine einfache Fußgängertür mit Oberlicht - eingeschnitten in das rechts und links der Tür tief herabgehende Walmdach - von der Diele ins Freie. Die modernste, schon halbstädtische Weiterbildung des Durchgangsdielenhauses ist aber das Weidemannsche Haus am Stecknitz-Kanal in Krummesse (Abb. 13) mit der Inschrift: "Franz Jürgen Hinrichsen Anno 1805." Eigentlich steht dies mehrgeschossige Haus dem Lübecker Bürgerhaus schon näher als dem Bauernhaus. Früher ist Bäckerei, Brennerei und Gastwirtschaft darin betrieben worden. Im Obergeschoß ist ein niedriger, aber geräumiger Saal. "Dor hebben fröher de Stecknitz-Schippers in danzt." Es ist ein ausgesprochener Übergangstypus.

Kürzer kann ich mich bei dem altniedersächsischen Flettdielenhaus fassen. Das Haus Perthun-Dalldorf ist ein ganz typisches Beispiel (Abb. 5). Noch kennt man im Lauenburgischen den Ausdruck "Flett" für den quer durch das Haus vor dem Stubenteil ("Kamerfack") entlanglaufenden, mit kleinen Feldsteinem z. T. auch mit roten Backsteinen in bestimmten Mustern gepflasterten Gang, auf dem die beiden Herde unter ihren Swibbögen (Abb. 14) stehen und von dem auf der rechten und linken Traufseite je eine einfache in obere und untere Hälfte geteilte Tür (Sidendör, Blangdör) ins Freie führt. Die spätere Entwicklung ist dann gewöhnlich so verlaufen, daß das "Flett" - ich hörte das Wort in Hohenhorn, Siebeneichen, Schiphorst - durch eine Wand, meist mit Flügeltür, von der Diele abgetrennt und dann die eine Hälfte (der eine "Arm") des ehemaligen Fletts Küche, die andere Eingangsflur geworden ist. Daß das Stubenende, dessen lichte Höhe wesentlich geringer ist, als die der Diele, eine späte Errungenschaft des niedersächsischen Hauses sein muß, beweist nicht bloß dieser Höhenunterschied von Stubenboden und Balkenlage; es ist sogar, wenigstens bei einem Hause, unmittelbar nachweisbar, daß ihm das "Kamerfack" nachträglich angefügt sein muß. Das ist die Bruhnssche Kate in Linau, deren heutige Herdwand, hinter der noch das Stubenende liegt, einmal hinterer Hausgiebel gewesen sein muß; denn auf der jetzt im dämmerigen Lichte des Bodenraumes über den Stuben liegenden Rückseite des in der Herdwand in Dielenhdhe liegenden Balkens zeigte mir Herr Lehrer Siemers im Lichte der elektrischen Taschenlampe die Inschrift: H. I. B. ANNO 1765. Sein Schluß, daß hier früher das Haus zu Ende gewesen sein müsse, erscheint angesichts der sonst in dem Hauptbalken des Vorder- wie des Hintergiebels üblichen Inschriften zwingend. Vorher wird der Herd nicht an dieser Wand gelegen haben, sondern die Diele ganz durchgegangen sein. So sind anscheinend nicht selten ehemalige Durchgangsdielen in Flettdielen umgewandelt worden. Herr Lehrer Ruschmeyer-Kittlitz weist hin auf die dort bei drei Häusern ihm aufgefallene Besonderheit, daß die Traufseitenwände am Stubenende beträchtlich höher sind als in der übrigen Länge des Hauses: "Sie ist entstanden, als an das ursprüngliche Bauernhaus das Stubenende angebaut wurde. Vordem konnte der Erntewagen durch das Haus hindurchfahren. Begonnen wurde anscheinend frühestens mit dem Anbau des Stubenendes im Orte ab 1870, bis

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Bildertafeln zu DR. FOLKERS, Das lauenburgische Bauernhaus

Die Pläne des Engelbrechtschen Hauses (Abb. 1-3) sind von den Herren RIEMANN und WIEDERMANN-Ratzeburg hergestellt worden. Die interessanten Aufahmen Nr. 4, 10, 14 und 17 wurden von Herrn THEODOR MÖLLER in Kiel, Nr. 15 von Herrn Lehrer KAHNS in Krummesse gütigst zur Verfügung gestellt. Die Zeichnung der Donnerbesen stammt von der Hand der Herren Lehrer SIEMERS in Linau und SOLTAU in Siebeneichen.

Allen genannten Herren sei auch hier noch einmal herzlich gedankt.
 





Abb. 1. Querschnitt des Hufnerhauses Engelbrecht in Gr. Grönau.

1. Höftstenner. 2. Balken (Höftplat nicht sichtbar). 3. Sporen (Hauptsparren).
4. Kehlbalken, Hahnbalken. 5. Afsidsporen, lütt Sporen. 6. Koppband. 7. Murplat.
8. Höftriegel. 9. Intog mit Hill. 10. Oesel, Oeselbrett. 11. Kapp (First).
12. Lägen. 13. Riegel.


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Abb. 2. Grundriß des Engelbrechtschen Hauses in Gr. Grönau (Durchfahrtsdiele).


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Abb. 3. Südgiebel (Veih-Enn'n) des Engelbrechtschen Hauses in Gr. Grönau mit sog. Bauerntanz.


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Abb. 4. Nordgeibel (Stuben-Enn地) des Engelbrechtschen Hauses in Gr. Grönau mit Durchfahrt in Fuderhöhe.


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Abb. 5. Flettdielenhaus.

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Abb. 6. Haus Stamer, früher Scharffenberg in Sandesneben vom Jahre 1803.

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Abb. 7. Lauenburgisches Bauernhaus vom Jahre 1859.

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Abb. 8. Pfarrhaus in Sandesneben. Neuer Giebel von 1925.

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Abb. 9. Haus Schumacher in Krützen vom Jahre 1777.

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Abb. 10. Haus Singelmann zu Hornbek mit Heckschauer.

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Abb. 11. Donnerbesen an der Kate des Halbhufners Carstens in Linau.

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Abb. 11a. Donnerbesen am Berlingschen Hauses in Siebeneichen.

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Abb. 12. Giebel am Stubenende des Hauses Eggert in Dargow mit seitwärts verschobener Ausfahrt für leere Wagen.

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Abb. 13. Stubenende des Weidemannschen Hauses am Stecknitz-Kanal in Krummesse mit Längskorridor und Flügeltür.

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Abb. 14. Flett mit Herd unter dem Swibbogen im Singelmannschen Hauses zu Hornbek.

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Abb. 15. Alte Scheune zu Rondeshagen.

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Abb. 16. Gutes neues niedersächsisches Gehöft (Hofbesitzer Dassau in Dassendorf).

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Abb. 17. Alter freistehender Backofen zu Hornbek.
 

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im Jahre 1906 (die späteste Zahl, die ich erfahren konnte) überall der Anbau durchgeführt war. Ich lasse die Zahlen für die mir bekannten Gehöfte folgen: Burmeister 1870, Kasch 1879, Scharnweber 1883, Möller in Rosenhagen 1906."

Das verfeinerte Wohnbedürfnis wird es gewesen sein, das dem Flettdielenhaus Mittelholsteins und Lüneburgs den Sieg über das Durchfahrtsdielenhaus verschafft hat - Bedürfnis nach Vermehrung der Wohnräume und stärkerer Abschließung vom Schmutz und Staub der Wirtschaftsräume. Aber es ist doch bezeichnend, daß J. J. H. Lütgens, Direktor der höheren Volksschule in Rendsburg, als er 1847 "auf Kosten des Vorstandes der XI. Versammlung deutscher Land- und Forstwirte in Kiel" eine wertvolle "Kurzgefaßte Charakteristik der Bauernwirthschaften in den Herzogthümern Schleswig und Holstein nebst Grund- und Aufrissen einzelner Gehöfte verschiedener Landestheile" herausgab, für die Ämter Reinfeld und Traventhal zwei Grundrisse "alter Bauart" mit Durchfahrtsdiele und einen Grundriß "neuer Bauart" mit Längskorridor bringt. Flettdiele kennt der gut unterrichtete Verfasser hier noch, gar nicht, wohl aber in Mittelholstein. Das Herzogtum Lauenburg behandelt er leider nicht mit.

Für das lauenburgische Flettdielenhaus ist der beigegebene Grundriß von 1806 (Abb. 5) so charakteristisch, *) daß er sich ohne weitere Worte selbst erklärt, wenn man ihn mit dem Grundriß des Engelbrechtschen Hauses vergleicht. Zu bemerken ist nur, daß Abb. 5 NICHT den Grundriß des heute noch in prachtvoller rein niedersächsischer Flettdielenform erhaltenen Bauernhauses des Herrn Perthun in Dalldorf darstellt. Das ergibt schon die Inschrift am Balken des heutigen Hauses Perthun: "Anno 1810 den 6. Juni) haat Johann Hinerrich Porthun und Margretha Elisabett Porthun dieses Haus bauen lassen. Ohrra et Laborra [lateinischer Spruch: ORA ET LABORA - Bete und arbeite]. Die Arbeit thut es nicht allein, des Herren Seegen muß da sein, Darum ruff Gott an zu deinen Werrck, Gebeet geht über Witz und Sterck." Dies Haus, ein Prachtexemplar von niedersächsischem Hause, stand also 1806 noch nicht. Dazu teilt Herr Lehrer Hahn-Dalldorf mit: "Das Haus von Perthun ist 1809 nach der Verkoppelung abgerissen und an der jetzigen Stelle genau so (mit denselben Balken) wieder aufgebaut, wie es vordem war." Gewisse Unterschiede sind gegenüber der alten Zeichnung vorhanden. Es ist daher nicht ganz klar, wie Zeichnung uud wirklich vorhandenes Gebäude sich zu einander verhalten und inwiefern sich Schlüsse auf die Einrichtung des früheren Gebäudes ziehen lassen, auch nicht, wie alt dieses frühere Bauernhaus vor der Auseinandersetzung zwischen Gntsländereien [sic!] und Bauernland gewesen ist.

Ein paar Einzelheiten des alten Hausbaues sind noch zu erwähnen. Zunächst die Schlafgelegenheiten. Sie waren wandschrank-

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*) Man vergleiche hierzu noch den Grundriß des Hufnerhauses Singelmann zu TRAMM bei H. LENZ in der angeführten Abhandlung (Zeitschrift des Vereins für lüb. Geschichte und Altertumkunde VII, 1898, Abb. 4), wo nur im Vergleich zu Perthun-Dalldorf der Wohnteil etwas reicher, zu zwei Dönsen und zwei Kammern entwickelt ist.

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artig in die Stuben eingebaut. Man unterscheidet "Kuhs" oder "Butz", die nur das Bett enthielten, "mit Schüwers dorvör" von den "Alkoven", die noch für einen Stuhl oder dergleichen Platz hatten. Mit Vorliebe ist das Wandbett des bäuerlichen Ehepaares so eingebaut, daß man von ihm aus durch ein Wandfenster die Diele übersehen kann. - Eine feste Regel, auf welcher Seite die Kühe und auf welcher die Pferde stehen, gibt es im Lauenburgischen nicht. Bei der Grotdör ist eine Seite, und zwar meist die linke, wagerecht geteilt. Manchmal sind auch beide Türflügel geteilt (z. B. Meyer, früher Kiehn, Hohenhorn). Der Verschluß der Grotdör erfolgt mittels des senkrecht in Türmitte eingesetzten "Dössel" ("Dördrüssel"), der unten in der "Dörenswell", oben im "Dörensprang" seinen Halt hat. Neuer ist der Verschluß mittels "Wrendel" (Vorreiber) oder "Hewel un Knaggen" oben, "hölten Schott un hölten Klink" unten. - Herd und Flett zeigt in typischer Form die Innenaufnahme im Hause Singelmann-Hornbek (Abb. 14).

Schon mehrfach war Anlaß gegeben, auf die lange Entwicklungsgeschichte des niedersächsischen Hauses hinzuweisen, dessen Lebenszähigkeit - heute noch in ganz Niedersachsen unerschüttert - im Grunde auf seiner starken Anpassungsfähigkeit beruht. Um es noch einmal zu sagen: Das Niedersachsenhaus ist ganz und gar nicht primitiv, sondern eine hohe handwerkliche Leistung im technisch-wirtschaftlichen wie im künstlerischen Sinne. Die lange Entwicklungsgeschichte dieses Hauses westlich der Elbe hat sich bei uns, im Koloniallande, noch einmal vollzogen, und zwar - nach kolonialer Art - in schnellerem Tempo, "in gedrängter Kürze". In der alten Scheune zu Rondeshagen (Abb. 15) sehen wir so etwas wie das Anfangsstadium, die Urzelle, in einem Gehöft wie dem ganz modernen des Herrn Dassau zu Dassendorf (Abb. 16) das vorläufige Endergebnis dieser Entwickelung. Es ist kein Zweifel, daß - so sonderbar es klingt - das Sachsenhaus ursprünglich nur einen Raum hatte: den heutigen Dachboden "up den Balken". Nur daß der heutige "Boden" "up den Balken" damals noch der Erdboden war, auf dem das Herdfeuer brannte. So sehen germanische Grabhäuser aus. So sehen die Schafställe der Lüneburger Heide und so ungefähr sieht auch noch die Rondeshagener Scheune aus. Der erste große Schritt weiter ist die Aufständerung dieses Raumes. Damit ist unter dem Dachboden die Diele als der einzige Hausraum gegeben. So mögen germanische Hallen ausgesehen haben. Der zweite Schritt bringt dann das "Anklappen" der "Afsiden" als Ställe für das Vieh, das bis dahin dem Wind und Wetter getrotzt hatte. Dann werden in diesen Einraum Wohnräume eingebaut oder an ihn angebaut. Ersteres führt zum Durchfahrtsdielenhaus, letzteres - wie wir z. B. in Kittlitz feststellten, noch im 19. Jahrhundert im Herzogtum Lauenburg geübt - zum Flettdielenhause mit dem Kamerfack. Wendischer Baueinfluß ist in keiner Spur mehr nachweisbar. Wahrscheinlich war der wendische Hausbau so primitiv wie die gesamte Kultur des Wendentums. Ein sächsisches Haus erschien dem Wenden so erstrebenswert wie die ganze niedersächsische Kultur. Der Wende hatte damals

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keinen Nationalstolz, weil er keinen nationalen Kulturbesitz hatte, der als Grundlage nationalen Selbstgefühls Voraussetzung ist. So ging der Wende widerstandslos im Deutschtum auf. Freilich muß man sich die von den Kolonisten mitgebrachte Kultur - in allen Dingen, auch im Hausbau - wesentlich primitiver denken als zur selben Zeit im Mutterlande Westelbien. Das ist bei jeder Kolonisation so. Daß das Bauernhaus östlich der Elbe noch lange Einraum gewesen ist und besonderer Wohnräume entbehrt hat, dafür hat die Bauernhausforschung in Mecklenburg deutliche Anhaltspunkte ergeben. *) So wäre es auch möglich, die Entwicklung zum Durchfahrtsdielenhause im Kolonialland im Gegensatz zum westelbischen Flettdielenhause aus dem Einraum zu erklären, mit dem die Kolonisten von vorne wiederanfangen und von dem aus sie eine Hausform nach ihrem Geschmack erst wieder von neuem entwickeln mußten. Also wäre das Durchfahrtsdielenhaus erst hier von ihnen neu geschaffen.

Aber warum ging diese Entwicklung im ostdeutschen Kolonialland gerade zum Durchfahrtsdielenhause? Geht es an, sich da einfach auf den Zufall zu berufen? Oder sollte es nicht näherliegen, hier ein Zeichen der Herkunft jener deutschen Kolonisten zu suchen? Dann gingen sie zum Durchfahrtsdielenhause vielleicht eben deshalb über, weil dies ihrer Tradition so entsprach? Die Durchgangsdiele ist nämlich in bestimmten Gebieten des niedersächsischen Mutterlandes vorherrschend: in einem breiten Streifen dnrch Südwestfalen bis ins südliche Hannover, der sich von der rheinisch-westfälischen Grenze bei Hagen, Lüdenscheid und Olpe bis an die Leine auf der Strecke Kreiensen -Göttingen erstreckt. Die Südgrenze dieses Durchgangsdielengebietes, das Wilhelm Peßler festgestellt hat, läuft von Olpe etwa über Winterberg am Kahlen Ästen, Sachsenhausen in Waldeck
und Hannöversch-Münden nach Göttingen, die Nordgrenze etwa längs der wichtigen Schnellzugsstrecke Dortmund-Hamm-Bielefeld-Herford, wo die Grenze nach rechts abbiegt über Rinteln und Hameln nach Kreiensen. Aus Westfalen aber sollen nach Helmolds Slavenchronik (Kap. 91) die Kolonisten gekommen sein, denen Heinrich, Graf zu Ratzeburg, im Lande der Polaben Grund und Boden nach herkömmlichem Maße zuteilte. Zur Stützung der Ansicht, daß der Hausbau im Koloniallande Traditionen der alten Heimat fortzusetzen pflege, müssen hier einige Tatsachen aus Nachbargebieten herangezogen werden. In einem bestimmten Teile des Durchgangsdieletnhausgebietes kommt eine Besonderheit des Aufrisses vor, das sog. Dreiständerhaus, dessen eine Traufseitenwand bis zur Höhe der Balkenlage hochgeführt ist. Dies kommt im Herzogtum Lauenburg nirgends vor, denn bloße Scheunen mit einer hochgezogenen Traufseiterkwand zählen nicht mit. Aber das Fürstentum Ratzeburg hat solche Dreiständer-Wohnhäuser in großer Zahl, und ebenso das Klostergebiet von Doberan, und gerade hier glauben wir mit ziemlicher Gewißheit

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*) Nachzulesen in meinen "Beiträgen zur Bauernhausforschung in Mecklenburg", Zeitschrift des Heimatbundes Mecklenburg, XX. Jahrgang 1925, S. 122 ff.

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eine alte Bautradition aus den Weserlanden zu erkennen, wo Doberans Mutterkloster Amelungsborn liegt.*)

So ist das lauenburgische Bauerndorf ein Denkmal deutscher Kulturarbeit im kulturarmen Wendenlande. Es trägt das Gepräge deutschen Volkstums und deutscher Leistung. Aber das Bauerndorf ist kein Altertumsmuseum, das konserviert werden dürfte, wie es nun einmal ist, weil es mit Gegenwart und vollends Zukunft nichts zu schaffen hätte. Das deutsche Bauerndorf hat noch Zukunftsaufgaben. Darunter aber ist noch wichtiger als die Versorgung des deutschen Volkes mit Brotkorn und Fleisch, wovon ja genügend in allen Zeitungen zu lesen steht, die Versorgung Deutschlands mit Menschen von unverbrauchter Nervenkraft, festem, erdhaftem Heimatsgefühl und starkem Gemeinschaftsempfinden. Solche Menschen wachsen weder in den großen Städten noch auf den großen Gütern. Solche Menschen wachsen aber auch im Bauerndorf nur, so lange es eine "Heimat" ist. Daher dreht sich aller echte "Heimatschutz" NICHT darum, das Dorf zum Museum zu machen, sondern einer Fortentwicklung die Bahn frei zu machen, in der die Belange des Geldbeutels nicht mehr ohne Not die Belange des deutschen Volkstums und seiner Zukunft rücksichtslos beiseite drücken dürfen. Wer mit Trauer gesehen hat, welche Werte der Heimatlichkeit gerade in Schleswig-Holstein die innerlich wirren Zeiten des 19. Jahrhunderts verwüstet haben, muß mit Freude feststellen, daß das Herzogtum Lauenburg schon im Dorfbild eine weit gesündere Entwicklung genommen hat, und muß von Herzen wünschen, daß es den eingeschlagenen Weg verfolge, damit auch in Zukunft auf unsern Dörfern der Blick ihrer Bewohner mit Freude, Stolz und Anhänglichkeit ruhen könne.


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