Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1928



Eine Reise durch das Herzogtum Lauenburg im Jahre 1686.

Von Gymnasialdirektor Dr. FRIEDRICH LAMMERT.

In seinem Aufsatze "Die Sudetendeutschen und die gemeindeutsche Bildung" hat vor einiger Zeit Josef Nagler in der Monatsschrift "Volk und Reich" II (1926) auf die Bedeutung der Abwanderung des protestantischen Bürgertums aus Böhmen nach der Schlacht am Weißen Berge hingewiesen. Die große, an Opfern so reiche Verfolgung der Evangelischen trieb eine ganz bedeutende Zahl tüchtiger Leute in die protestantischen Nachbarländer. Sie fanden dort gewöhnlich nicht nur eine neue Heimat, sondern sie brachten es zumeist auch, losgelöst von ihrer Vergangenheit und auf sich selbst gestellt und deshalb unternehmend wie alle Auswanderer, zu Wohlstand und Ansehn. Die Lebensbeschreibung eines dieser evangelischen Flüchtlinge liegt mir in Abschrift vor.

Christoph Rinck war 1635 in dem böhmischen Städtchen Bensen an der Pulsnitz nahe der Elbe geboren als Sohn des ehrenfesten und geliebten Herrn Christoph Rinck, Bürgers und Ratsverwandten, auch Oberältesten des Schneiderhandwerks zu Bensen. Er erlebte in seiner Heimat die letzten Zuckungen des dreißigjährigen Krieges, zum Schluß den Zug Königsmarcks gegen Prag. Anschaulich berichtet er seine Erinnerungen an den großen Krieg wie an die gewaltsame Wiederbekehrung der Evangelischen. Als Schneidergeselle zog er 1653 in die Welt, zunächst nach Sachsen und Thüringen, schließlich aber über

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Hamburg nach England, Holland und endlich nach Paris. Überall sah er sich offenen Auges um, und er weiß fesselnd von seinen Erlebnissen zu berichten. Insbesondere beschreibt er die Städte recht genau und vergleicht sie meistens mit Ortschaften in Sachsen, seiner späteren zweiten Heimat. Zu Paris arbeitete er zunächst ein halbes Jahr, erkrankte aber und mußte lange im Krankenhause liegen; den Betrieb dieses Krankenhauses hat er in seiner anschaulichen derben Weise bis ins einzelne beschrieben. 1661, nachdem er sich noch den pomphaften Einzug der französischen Königin am 27. August 1660 betrachtet hatte, über den er auch genau berichtet, aber auch um seinen Lohn größtenteils betrogen worden war, kehrte er durch die Niederlande und nach einer Fahrt über die friesischen Watten nach Hamburg zurück. Schließlich trat er zu Dresden in den Dienst der Kurfürstin von Sachsen, verheiratete sich 1667 und wurde ein angesehener Meister seines Handwerks. Der Rat bestellte ihn zum Viertelsmeister, er tat Dienst als Führer bei den Bürgerschützen sowie als Viertelsmeister bei Bränden und wurde Kirchvater der Kirche zum heiligen Kreuz. Als solcher hatte er zum Bau des Waisenhauses zu sammeln. Im Mai 1686 wurde er zusammen mit Barthel Hunger vom Rat ausgesandt, um Geld zur Erbauung der Alt-Dresdner Kirche zu sammeln. Dergleichen Unternehmungen waren damals und überhaupt vor Aufkommen der Feuerversicherungen mchts Seltenes. So wurde zu jener Zeit die große Stadtkirche Magdeburgs, St. Johannis, die von der furchtbaren Zerstörung der Stadt durch Tillys Heer im Jahre 1631 her noch wüste lag, durch weither gesammelte Beiträge wieder errichtet: die Berichte der damals Ausgesandten liegen noch heute in St. Johannis und stellen eine wertvolle kulturgeschichtliche Quelle für jene Zeit dar.

Das gleiche gilt von den Aufzeichnungen, die Christoph Rinck in seiner Lebensbeschreibung über seine Reise hinterlassen hat. Die beiden Abgesandten fuhren nach Magdeburg, durchzogen dann die braunschweigischen Lande und Westfalen, wo sie den Großen Kurfürsten sahen und zu Wesel von ihm 100 Taler erhielten, und gingen
den Rhein abwärts in die Niederlande. Durch Friesland, wo er sich in Aurich den Upstalsboom zeigen ließ, und Oldenburg kamen sie nach Bremen, von da nach Lüneburg und wagten sich nach einigem Zögern auch nach Hamburg hinein, das gerade einmal wieder von den Dänen beschossen wurde. Da auch noch innere Zwietracht dazu kam, so
konnten die beiden nicht viel ausrichten und entschlossen sich daher, durch das Lauenburger Land nach Lübeck zu reisen. "Sind zu Wasser", so berichtet Christoph Rinck, "wieder von hinnen gezogen und kamen gen Lauenburg, von dannen nach Mölln und dann nach Ratzeburg. Was nun Sachsen-Lauenburg betrifft, so ist solches fast jedermann bekannt, weil es an der Elbe liegt, aber Mölln ist ein besser Städtlein, wo schöner Flachs erzeuget wird, und ist berufen, weil Eulenspiegel da begraben liegt; sein Epitaphium lehnet außen an der Kirchenwand und ist ein klein Ziegeldächlein darüber gebauet, sein Bildnis gleichet einem Jüngling mit einem Narrenkleide, die Schrift ist so dunkel, daß man nichts davon erkennen kann, als das Jahr


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1353. Ein Mann sagte uns, daß sein Leichenstein, so auf dem Grabe gelegen, von den Handwerksburschen so gar wäre weggetragen worden, daß nicht das geringste davon mehr übrig wäre."

"Ratzeburg anlangend, worinnen die Lauenburgische Kanzlei ist, so lieget selbiges mitten auf einem See auf einem länglichten Hügel als einer umgestürzten Bratpfannen und hat nur eine einzige Brücke, die ziemlich lang ist. Dieser See hat keinen Zufluß, aber starken Ausfluß. Der Dom, der schön ist, gehört dem Fürsten von Schwerin. Als wir nun bei der Regierung gute Abfertigung hatten, setzten wir uns auf ein Bierschiff, fuhren von hier weg und kamen an den Lübecker Paß, das rote Haus genannt, da schließt sich dieser See zu, also, daß hinfüro nur ein Strom bleibet, also, daß kaum zwei solche Schiffe einander weichen können, und damit kamen wir endlich den 3. September gen Lübeck. Wir kehrten in den Roten Ochsen ein, als wir aber sahen, daß dies Gasthaus zu stolz vor uns war, gingen wir in Weißen Schwan gegen Rathaus über, da wir gar wohl waren, und präsentierten unsere Schriften dem Rat."

Nach dieser Schilderung sind also Meister Christoph Rinck und Herr Barthel Hunger von Hamburg die Elbe aufwärts nach Lauenburg gefahren und Anfang September über Mölln nach Ratzeburg gekommen. Offenbar sind sie über die lange Brücke gegangen, die damals schon fast ein Jahrhundert stand und 1847 durch den Langenbrücker Damm ersetzt wurde; denn Christoph Rinck erwähnt keine weitere Landverbindung der Inselstadt. Er hat die Stadt noch in ihrer alten Herrlichkeit gesehen, sieben Jahre vor ihrer Zerstörung durch die Dänen am 21. August 1693. Mit dem Vertrage der Lauenburgischen Regierung zu seiner Sammlung ist er wohl zufrieden. Mit dem Bierschiffe nach Lübeck machte er sodann die Reise auf der heute von den Motorbooten oft befahrenen Strecke über den großen See, an Rotenhusen vorüber durch die Wakenitz nach Lübeck. Den Namen Wakenitz nennt er zwar nicht, aber seine Beschreibung ist deutlich.

Von Lübeck aus ist Rinck dann durch Mecklenburg und die Mark Brandenburg nach Dresden zurückgekehrt, wo er im Oktober 1686 wieder anlangte. Am Schlusse seiner Lebensbeschreibung berechnet er, daß er in seinem Leben eine Strecke vou 1457 Meilen auf Reisen zurückgelegt habe. Sein Sohn hat hinzugefügt, daß sein Vater,
seit seiner großen Reise von Steinschmerzen geplagt, am 13. September 1688 im 53. Lebensjahre gestorben ist.




 


 

 

 

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