Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1929



Die Ritterrüstung im Dom zu Ratzeburg.

Von v. Notz.
 

Die Dombibliothek zu Ratzeburg bewahrte bisher jahrzehntelang eine alte Ritterrüstung. Zernagt vom Zahn der Zeit und dem Eisenfresser Rost war ihr Zustand gar kläglich. Die lohgaren Lederbänder, von denen sie ehedem zusammengehalten wurde, waren brüchig und vielfach zerrissen; nur notdürftig hielten Drähte die einzelnen Stücke zusammen. Traurig ließ der eiserne Geselle seinen Dickkopf hängen.

Nach Angaben des Domküsters d'Ottilie, dessen Vater und Großvater bereits desselben Amtes gewaltet haben, hat die Rüstung früher im Dom gehangen, und zwar hochoben am ersten südlichen Pfeiler des Chores.*) Und in der Tat befindet sich heute noch im Mauerwerk dieses Pfeilers ein mächtiger Eisenhaken, der sehr wohl geeignet ist, eine solche Rüstung zu tragen. Von ihm wird sie abgefallen oder herabgenommen worden sein, als sie zu Bruche ging.

Sagenumwoben kündet sie dem Forscher Geschichte. Es ist ein vielteiliges, gewichtiges Stück, das aus wenigstens 120 einzelnen Teilen zusammengefügt ist. Der Helm, ein Spangenhelm mit Klappvisier, wiegt mit der Halsberge allein 10 Pfund. Der sehr dicke Küraß wiegt 29 Pfund. Die Armschienen mit den eisernen Handschuhen, deren Finger Eisenschuppen tragen, die Bauch- und Beinschienen bis zum Knie wiegen zusammen mit den breiten Kreuzschienen 38 Pfund, i. S. ca. 77 Pfund, denen eine nicht unbeträchtliche Gewichtsverminderung durch Verrostung zugerechnet werden muß. Die Unterschenkelschienen und die Eisenschuhe fehlen. Wahrscheinlich sind sie gar nicht mehr an der Rüstung gewesen, als diese dem Dom gestiftet wurde. Ihr letzter Träger wird bereits statt ihrer hohe lederne Reiterstiefel getragen haben, wie die uns überkommenen Bilder aus der Zeit des 30jährigen Krieges zeigen. Das war der Anfang vom Ende der alten Ritterrüstungen. Pulver und Blei, die fortschreitende Entwickelung der Feuerwaffen rissen ein Stück nach dem anderen herunter vom stolzen äußeren Glanz des Rittertums; bald gab es nur noch den Eisenhelm und den Küraß, den Brustharnisch, bei einigen wenigen Kürassier-Regimentern, die sich darob stolz "Panzerreiter" nannten. Schließlich waren auch diese letzten "mittelalterlichen" Reste nur noch der Schönheit wegen bei Paraden im Gebrauch, bis der Weltkrieg dem Krieger wieder einen Stahlhelm, den jeder Träger lieb gewann, bescherte. -

Staunend prüfen wir unsere Kräfte, indem wir die Last, die einst der Mensch an seinem Leibe trug, anheben. Und doch ist das noch nicht alles. Es fehlen die Handwagen, Degen mit Wehrgehänge, oder der Streitkolben, die Lanze.

Man muß die Körperkräfte derer bewundern, die noch mit solchen "Beschwerden" zu kämpfen vermochten, schwerfällig wie eine Schildkröte. Welche Zentnergewichte mußten nun gar die armen Gäule schleppen! Außer dem Reitersmann mit seinen Gewichten waren sie bepackt und behängt mit dem eisenbeschlagenen klotzigen Zaum- und Sattelzeug und vielem mehr; lange trugen sie sogar noch eine eigene schwere Eisenrüstung.

An dem Küraß fällt auf, daß auch das Rückenstück so dick und schwer ist wie das Bruststück. In späterer Zeit wurde bei ersterem an Gewicht gespart; es war ganz dünn und war eigentlich nur noch "für's Auge". Die Kürassiere Friedrichs des Großen kannten sogar nur noch den Vorderpanzer. Der Soldat sollte eben dem Feinde stets nur die Brust zeigen. Dennoch täten wir dem alten Rittersmann Unrecht, wenn wir annehmen wollten, er

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*) Die Rüstung erscheint als Detail in einer Handzeichnung. (Friedrich) Ernst Wolperding: Treppenaufgang zum Chor im Ratzeburger Dom. Feder und Blei, partiell laviert. 1858/1862. Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel (SHLB), Landesgeschichtliche Sammlung: Wolperding, Skizzenbuch Nr. 29, Blatt 3. Reproduziert in: Horst Otto Müller: Ratzeburger Dom. Fotografische Facetten, Ratzeburg: Weber, 2016, Abb 23, S. 33.


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hätte von vornherein an den Schutz seines Buckels auf der Flucht gedacht. Die Schwere des Rückenpanzers mußte das Gegengewicht bilden für die Riesenlast, die der Mann vorne hängen hatte.

Wem gehörte nun unsere Rüstung, und wie kam sie in den Dom? Kein Buch, keine Urkunde gibt uns darüber Auskunft. Zweifelsohne ist sie ein Votivgeschenk gewesen zur Erinnerung an einen Mann, der im Leben oder Sterben innig mit dem Dom verbunden war.

Die Sage schreibt sie Heinrich dem Löwen, dem Stifter und Erbauer des Domes, zu. Das ist leider nicht gut möglich, denn mit Sicherheit läßt sich sagen, daß sie der Epoche des dreißigjährigen Krieges angehört.

Mündlicher Überlieferung zufolge sollen nun die drei alten Fräulein von Falkenberg, die in Ratzeburg lebten und um 1793 starben, auch im Dom begraben liegen, behauptet haben, die Rüstung rühre von einem ihrer Ahnen her.

Das ist sehr wohl möglich: Am 8. August 1678 starb in Ratzeburg der Major Christian Wilhelm Sa[?? im Original unleserlich]ort v. Falkenberg, Kommandant der Festung und des Schlosses Ratzeburg; am 8. September 1678 wurde er im Dom, vor der Treppe zum Chor, also unfern des Pfeilers, an dem die Rüstung hing, beigesetzt.*)

Damit ist aber über die wahrscheinliche Herkunft der Rüstung nicht alles gesagt.

Unfern des Pfeilers, der die Rüstung trug, an der Südwand des Hohen Chors erhebt sich das prachtvolle Barock-Grabdenkmal des Herzogs August von Sachsen-Lauenburg, der 1654 starb. Und dicht vor dem Pfeiler mit der Rüstung ist der Eingang zu des Herzogs Gruftgewölbe!

Vor dem großen mittleren Reliefbilde des Epitaphs, das die Kreuzigung Christi darstellt, knien die Gestalten des Herzogs und seiner Gemahlin. Der Herzog trägt die damals allgemein getragene Rüstung; der Ritterhelm mit wallendem Federbusch und die Eisenhandschuhe liegen vor ihm.

Das Überraschende ist nun, daß die Rüstung auf dem Marmorbilde des Herzogs fast genau übereinstimmt mit unserem eisernen Manne. Selbst die Zahlen der Buckelknöpfe der Eisenniete sind vielfach die gleichen. Es will so scheinen, als ob der Künstler, der das Denkmal schuf, Gebhard Georg Tidge aus Rotenburg, die Eisenrüstung zum Vorbild genommen hätte. Dann aber ist es auch die Rüstung des HERZOGS gewesen. Tidge hat, als er das Werk 1646-48 schuf, längere Zeit in Ratzeburg auf dem Domhof gelebt und gewirkt.

Unsere Mutmaßung wird bestärkt durch die Abmessungen der Rüstung. Eine solche ließ sich anno dazumal noch schwerer verpassen als später ein guter Waffenrock zur Kompanie-Besichtigung; jedenfalls war ihr Eisen nicht dehnbar wie Tuch. Sie mußte gar sorgfältig zugeschnitten sein auf ihren Mann. Das darf man jedenfalls von einer herzoglichen Rüstung annehmen. Unsere Rüstung ist für einen sehr schlankgewachsenen und sehr großen Mann geschaffen, der mindestens 1,90 Meter maß! Der Brustharnisch ist ziemlich schmal und eng; die Beinschienen weisen auf große Körperlänge hin. Beides trifft auf Herzog August zu; ob auch auf den Kommandanten von Falkenberg, lägt sich nicht feststellen, weil Falkenbergs Gruft und Sarg bei einer späteren Restauration des Domes zugeschüttet worden sind. Daß der Herzog schlank war, beweist sein Marmorbild; daß er sehr groß war. die Länge seines Sarges in der Herzogsgruft; dieser mißt 2,10 Meter!

Steht nun die Annahme, die Rüstung sei die des Herzogs gewesen, der Überlieferung entgegen, sie habe dem Ritter von Falkenberg gehört? Keineswegs. Wir wissen, daß Falkenberg ein treuer und naher Freund des Herzogs Julius-Franz, des Neffen Herzogs August's und dessen letzter Nachfolger aus dem Geschlechte der Herzöge von Sachsen-Lauenburg, war. Falkenberg kann also sehr wohl die Rüstung geerbt oder verliehen erhalten haben.

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*) Im Dome liegen übrigens außer dem Major v. F[.] und den genannten drei alten Fräulein noch mehrere andere Familienangehörige und Nachkommen des Majors. Noch heute steht ihr Haus auf dem Domhof, ehedem das Falkenbergische genannt; es ist das Haus neben der Domapotheke. Erinnert sei hier noch an den tapferen und unglücklichen Kommandanten von Magdeburg gleichen Namens, der bei der Erstürmung der Stadt durch Tilly 1631 den Tod fand. Ein anderer Falkenberg wird genannt als derjenige, der König Gustav Adolf in der Schlacht bei Lützen erschossen hat. (Siehe "Lauenb. Leimat" Heft 4 S. 133 in U. v. Rundstedt's Aufsatz: "Die Söhne Franz' II.")


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Es liegt nichts Außergewöhnliches darin, daß Waffen in einer Kirche aufgehängt wurden. Das geschah sogar damals ganz allgemein. Im Dome zu Halberstadt hingen die Waffen des schwedischen Generals Baner; im Magdeburger Dome Helm, Kommandostab und Handschuhe Tilly's: beide aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Über der Fürstengruft im Chor der Kirche zu Lauenburg an der Elbe hingen "10 Feldzeichen", Fahnen und die "schöne Rüstung" Herzogs Franz' II. (die Gruft war 1590-1600 erbaut). Und in seinem "abenteuerlichen Simplicissimus" erzählt Grimmelshausen: "Sobald du in eine Kirche kömmst, so wirst du an den Grabsteinen und Epitaphien sehen, wie diejenigen noch prangen, die doch die Würmer schon längst gefressen; siehst du dann in die Höhe, so kommen dir mehr Schild, Helm, Waffen, Degen,. Stiefel, Sporen und dergleichen Ding ins Gesicht als in mancher Rüstkammer."

Das alte schöne Gewaffen gehört an seine frühere Stelle zurück, nachdem es durch die Kunst eines neuzeitlichen "Schwertfegers", des Meisters Becker zu Ratzeburg, wieder zusammengefügt und vor weiterem Verfall durch Rostschutzmittel bewahrt worden ist. Möge die Rüstung hoch am Dompfeiler weiter die Erinnerung wach erhalten an zwei Männer, die einst im Sturme wildester Kriegsläufte am Steuerruder ihres Heimatlandes standen.

Von dem einen, dem Herzog August, sagt der Chronist, er habe das Andenken eines wohlwollenden und weisen Fürsten hinterlassen. Manches Gute habe er vorbereitet und manches Schlechte verhindert. Ein sparsamer Haus- und Landesvater, habe er sich redlich bemüht, seinem unglücklichen Lande die ungeheuren Kriegslasten zu erleichtern. Sein Leben und Wirken fiel ja in die traurigste Zeit der deutschen Geschichte.

Auch der Kommandant v. Falkenberg ist ein tapferer, tüchtiger Mann gewesen, der seinem Fürsten und dem Lauenburger Lande lange Jahre hindurch in Treue gedient hat. Des Landes "Kriegsminister" nennt ihn eine Schrift. Doch die Streitmacht, über die sie verfügten, war nur schwach; auf den deutschen Landen lastete der Fluch der Kleinstaaterei, der Uneinigkeit, der Zerrissenheit. Diese führten zur Ohnmacht, zum Chaos.

Das Schwert, das einst zu der Rüstung gehörte, ist zerbrochen und verschollen.

Stehen wir heute nicht unter gleichem Banne?

Eisern und schwer, düster und drohend, wie der alte Harnisch, war seine Epoche; und die unsere ist es nicht minder.

Das ehrwürdige Stück am Chorpfeiler des Domes wird dadurch den lebenden wie den künftigen Geschlechtern, die zu ihm aufschauen, zu ernster Mahnung:

"Nimmer wird dies Reich zerstöret, wenn ihr einig seid und treu?"


 


 

 

 

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