Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1930


Die steinzeitliche Besiedlung des Schaalseegebietes.

Von A. G. von ZASTROW.
 

Wie aus den zurückliegenden Veröffentlichungen über die steinzeitlichen Funde des Schaalseegebietes *) schon bekannt ist, ist bei Vergleich der verschiedenen Fundstellen hier die überraschende Tatsache bemerkenswert, daß die festgestellten Steinwerkzeuge und zum Gebrauch hergerichteten Abschläge aus Feuerstein augenscheinlich nach ihrem Vorkommen auf jeweiliger Lagerstätte auseinandergehalten werden können und so AUF GRUND GEOLOGISCHER LAGERUNG deutlich erkennbar einmal einer technisch vollendeteren und andererseits einer sehr primitiven Steinkultur angehören.

Für die Sandflächen, den Vorsandern der Endmoränen des Gebietes, ist das Vorkommen neolithischer bis jungpaläolithischer Werkformen charakteristisch, während die altpaläolithisch aussehenden Formen sich ausschließlich auf der Grundmoräne finden, die dem Seedorfer Sander südlich vorgelagert ist. Vereinzelt altpaläolithisch aussehende
Stücke finden sich auch im Geschiebelehm der nördlich vorgelegten Endmoränenstaffel Dargow.

Die offenbar jüngeren Stücke auf den Sandflächen zeichnen sich im wesentlichen durch eine elegantere, ja bisweilen "schöne" Formgebung aus: gerade, lange Klingen, schöne und sorgfältige Randretouche. (Tafel 1: Nr. 1-8.) An einigen Stellen das Vorkommen von Mikrotechnik.

Die Fundstücke von der Grundmoräne dagegen wirken in ihrer Primitivität wie Reste einer sehr beträchtlich älteren Kulturepoche. Sie sind größtenteils roh vom Feuersteinknollen abgeschlagene Scherben, die neben Gebranchsspnren primitive Abnutzungs- oder Schutzretouchen zeigen. (Tafel 1: Nr. 9-19; Tafel 2: Nr. 20-36.)

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*) Schmantes: Festschrift z. 50. Iubil. d. Hamburg. Museums f. Völkerkunde. - Müller-Brauel: Zeitschr. Germanien. Niederdeutsche Heimatbl., Heft 12, 6. Jahrg. - Range: Zeitschr. d. Deutschen Geolog. Gesellschaft, Heft 1, Band 82.
 

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Einige schönere Stücke nur ragen durch ihre Formgebung aus dieser primitiven Fundmasse heraus. - Es sind dies die Bogen- (Nr. 9, 10) und Rund-Schaber (Nr. 27, 28), sowie "schöne" Spitzen (Nr. 19, 34) und Doppelspitzen von Typform Weimar-Ehringsdorf-La Quina-Nord (Nr. 13, 14). Hierher sind auch die ausgezogenen Bohrspitzen, die große Ähnlichkeit mit den sogenannten Micoque-Spitzen zeigen, zu rechnen.



 

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"Faustkeil"-Formen, die den bekannten Moustierformen ähneln, geben der Fundmasse gleichfalls ein, von dem Fundinventar der neueren Steinzeit abstechendes, sonst nur dem bisher bekannten Alt-Paläolithicum eigentümliches, Aussehen. (Nr. 15, 16.)

Es ist nun weiterhin außerordentlich interessant, daß bei näherer und längerer Kenntnis der verschiedenen Fundorte für verschiedene der-



 

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selben sich ortseigentümliche Merkmale, sei es der Formgebung, der Bearbeitung, sei es auch bisweilen des verwandten Materials, feststellen lassen.

Auf einigen Stationen scheint eine Aberlagerung durch jüngere, aber immer noch paläolithische Kulturen stattgefunden zu haben. An mehreren Stellen lassen sich
augenscheinlich drei verschiedene Kulturen durchfühlen.

Für die Werkzeuge mit primitivstem Habitus, also die scheinbar älteste Stufe, ist m. E. auch der durchschnittliche Erhaltungszustand des Materials zur Bewertung charakteristisch. Die scheinbar älteren Formen machen m. E. einen meistens greisenhafteren Eindruck durch Oberflächenpolitur, Rollung, Schrammung usw. Dem Erhaltungszustand nach neuartiger aussehende Stücke kommen unter den Stücken der primitiven Stufe zwar vor, nicht aber sind auf den Stationen mit neuerer paläolithischer Technik Stücke von jenem "greisenhaften" Aussehen zu finden.

Man kann ferner feststellen, daß die eigentlichen Fundstellen jeweils begrenzt sind, wenn auch auf dem dazwischen liegenden sterilen Gebiet hin und wieder Stücke gefunden werden. Meistens sind dies eben Stücke der scheinbar älteren Stufe.

Gestärkt wird die auf diese Beobachtung gegründete Anschauung von dem Bestehen unterscheidbarer und wohl auch zeitlich auseinander liegender Kulturen auf den Fundstellen der Grundmoräne durch die Feststellung, daß sich auf bestimmten Fundstellen Werkstücke von den Stationen eigentümlicher Formgebung erkennen lassen (also zugehörige "Typen"). So z. B. zeigt das Material von der Station 16 ein Vorkommen von ein- oder zweiseitig bearbeiteten flachen Stücken (Abb. Nr. 20, 21, 22, 23). Diese Wcrkform fehlt auf den meisten anderen Stationen. (Nur noch auf 3 Stationen vereinzelt festgestellt.) Das Material von 9 führt auch deutliche Klingen, die auf anderen Stationen fehlen und nur vereinzelt, dann aber als sogenannte Levallois-Klinge (breiter, dicker Klingenabschlag) "verstreut" auf anderen Stationen auftreten (25, 36, 30, 33). Das Material von Station 60 zeichnet sich durch Vorwiegen einer hochrückigen Technik aus. Das Material von Station 42 zeigt in der Gesamtheit ausgeprägt primitivere, klobigere und größere Werkformen als die anderen Stationen. Zu bemerken ist, daß natürlich hin und wieder mal auf Fundstellen offensichtlich anderer Stationen vereinzelte Stücke auftauchen, die von dem Kenner des Stationsmaterials als der Station fremd und als "Streufunde" erkannt worden.

In dieser Weise kann man, wenn man das gesamte Material durchgeht, verschiedene Eigentümlichkeiten mehrerer Stationen erkennen. Hier sollen nur ganz deutliche Beispiele durch die beifolgenden Abbildungen gegeben werden.


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Da diese Siedlungen der Steinzeitbewohner offenbar durch geologische Veränderungen wenig beeinflußt worden sind - höchstens sind durch Abtragung einige Stücke von den Höhen in die Senken befördert-, ist es nicht wahrscheinlich (immer vorausgesetzt, es handelt sich bei den Funden um ECHTES Paläolithicum), daß der letzte Vorstoß der eiszeitlichen Gletscher das Siedlungsgebiet erreicht hat. Das vordringende Eis würde andernfalls wohl die Werkzeuge der steinzeitlichen Siedlungen vermischt, auf die gesamte Grundmoräne verteilt oder aufgearbeitet haben.



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Neben dem ausgesprochen "schärferen Gesicht" *) der nördlicher gelegenen Moränen im Gegensatz zu dem ausgeglicheneren "greisenhafteren" Landschaftsbild der Grundmoräne Seedorf spricht nun möglicherweise DER Umstand für eine zwischeneiszeitliche Besiedlung, daß sich auf einigen Fundstellen des GRENZgebietes Sander-Grundmoräne im Verlaufe der Bearbeitung öfters verstreute Flintabschläge und scheinbar bearbeitete Splitter mit erkennbaren Gletscherspuren (Schrammen, Patina) fanden.

Verdanken diese Feuersteinstücke ihre Gestalt menschlicher Einwirkung? Mir scheint bei vielen derselben eine Entstehung durch Eisdruck unwahrscheinlich, schon wegen mancher scheinbarer Feinheiten der Bearbeitung. Der Gletscher ist aber, dies zeigt sich durch die Kritzung, Schrammung, über diese Steine hinweggegangen. **)

Im Rahmen dieser Darlegungen ist es natürlich unmöglich, zu diesen Funden eine Deutung der möglichen geologischen Vorgänge versuchen zu wollen. Eine größere Ausstellung der Seedorfer Funde im Heimatmuseum ist in Aussicht genommen. Darin sollen auch Stücke gezeigt werden, die vermutlich von Menschenhand verfertigt und durch Gletscherdruck geschrammt worden sind.

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*) Vergl. Range. Zeitschr. d. Deutschen Geolog. Gesellschaft. "Das Alter der Schaalsee-Zivilisation". Heft 1, Bd. 82.
**) In eine Wiedergabe durch Zeichnung läßt sich leicht - AD DEMONSTRANDUM - Gewolltes hineinbringen, und eine photographische Aufnahme gibt die feinen Gletscherschrammen usw. nicht erkennbar wieder. Hier muß daher eine Wiedergabe solcher Stücke unterbleiben.




 


 

 

 

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