Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1934


Das Backhaus.

Ein Stück Heimatgeschichte von WILH. MÖLLER.
 

So ein altes Backhaus kann man mit einer Großmutter vergleichen. Hohe und tief herabreichende Dachform, das Angesicht, die Vorderseite, durchfurcht und abgebröckelt, die Tür schief, so ähnelt es einer alten Frau, die die Spuren der Zeit und der Arbeit an sich trägt. Und wie so eine Großmutter noch oft und gern ihren Platz in der Hauswirtschaft behauptet, so ist auch das alte Backhaus noch imstande, die Bewohner eines ganzen Gehöftes und alles, was daran hängt, mit dem täglichen Brot zu versorgen. Und wie eine Großmutter in ihren Schränken, Kisten und Kasten allerhand Schätze aus ihrer Jugendzeit und von ihren Vorfahren her aufbewahrt, so ist auch das alte Backhaus oft eine historische

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Schatzkammer: Spinnrad, Haspel und Spulknecht, Brake, Schwingbock und Hechel, Schafscheren und Wollkratze, hölzerne Pflüge, Eggen und Walzen, ein Hut und ein P aar Schuhe mit Zinnschnalle (oder ist sie aus Silber?) von Urgroßvaters Zeiten her, die Steine einer Handmühle, ein kupferner Kessel, solche und ähnliche Dinge birgt das Backhaus. Gerümpel nennt man es, aber manches Stück davon ist wieder zu Ehren gekommen im Museum.




Alter freistehender Backofen zu Hornbek.

Dieses alte Backhaus hat seine Ahnen. Das fleißige Mädchen und das faule Mädchen, sie kamen auf ihrem Wege zu Frau Holle nicht an einem BackHAUSE, sondern an einem BackOFEN vorüber, der war voll Brot, und das Brot rief: "Zieh mich raus!, zieh mich raus!, sonst verbrenne ich, ich bin schon längst ausgebacken!" Dieser Backofen im Freien auf der Wiese oder in einer Gartenecke gehört einer Zeit an, als es noch kein Backhaus gab. Hin und wieder findet man noch heute einen solchen Backofen. Aus meiner Kindheit erinnere ich, daß ein Backofen außerhalb des Dorfes hinter einem Sandberge stand, gebraucht wurde er nicht mehr; als ich kürzlich wieder vorüberging, war er zu einem Steinhaufen zusammengefallen. An der Bahnstrecke Hamburg­Berlin war im Sachsenwalde in der Nähe von Wohltorf ein solcher Backofen zu sehen, auch der ist vor einem Jahre zusammengefallen und abgetragen. Bei dem Dorfe Ferch in der Nähe von Potsdam gab es vor einigen Jahren noch mehrere Backöfen, wahrscheinlich stehen sie noch heute; bald wird man Backöfen nur noch aus dem Märchen kennen. Wie sahen sie aus? Sehr einfach: ein mit Steinen gepflasterter Grund, eine Halbkugel aus Stein und Lehm darüber, an einer Seite das Ofenloch zum Einschieben und Herausholen der Brote, der ganze Ofen mit einer dicken Schicht Erde zugedeckt. Und doch ist dieser einfache Backofen einmal eine fortschrittliche Erfindung gewesen gegenüber der offenen Feuerstelle.

Die OFFENE FEUERSTELLE ist die Urahne des Backhauses, nur Hirtenknaben, Waldarbeiter und wilde Völkerschaften kennen sie noch. Dieses offene,


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lodernde Feuer war immer und ist noch heute eine Quelle der Freude, eine Quelle der Wärme, eine Gelegenheit zum Braten von Obst, Wurzeln, Fischen und Fleisch. Als man dahin gelangte, Halmfrüchte anzubauen und die Körner zu mahlen, da wurde auch der Brotteig zwischen die heißen Steine der offenen Feuerstelle gelegt, mit heißer Asche und Kohlen bedeckt und auf diese Weise gebacken. Einige Jahrtausende hat es gedauert, bis man von dieser offenen Feuerstelle über den Backofen zum Backhause gelangte.

Die Großmutter Backhaus hat aber nicht nur ihre Ahnen, sondern sie hat auch ihre Nachkommen. Sie hat zwei Söhne, den BÄCKER und den KONDITOR, und der Bäcker hat schon wieder eine Tochter, das ist die BROTFABRIK. Die Bäckerei ist Jahrhunderte all, die Brotfabrik erst einige Jahrzehnte. Es lohnt sich, ein wenig in diesem Buche der Heimatgeschichte zu blättern; Backofen und Backhaus, Hausfrauen und Bäcker erzählen uns ebensoviel von unsern Vorfahren, wie der Römer Tacitus und alte Runensteine und Handschriften.

Es sind die Frauen, in deren Händen von alters her die Kunst des Brotbackens gelegen hat; und diese Kunst hatte zugleich ihre Wissenschaft. "Drei Dinge lernt der Mensch nie aus, die sind Buttern, Brauen und Backen", lautet ein alter Frauenspruch. Es gehörte sicherlich allerlei Kennen und Können dazu, mit so einfachen Mitteln aus Körnern Brot zu backen. Das Mahlen der Körner auf dem Mahlsteine oder mit der Handmühle war eine schwere Arbeit. Das "Säuern", das Anrühren des Mehles mit warmem Wasser und Sauerteig, war eine Arbeit, bei der die Frau ein "Fingerspitzengefühl" haben mußte, damit der Teig die richtige Wärme, Gleichmäßigkeit und Festigkeit erhielt. War der Teig nach zehn bis zwölf Stunden locker aufgegangen, dann galt es, ihn durchzukneten und zu Broten zu formen; gleichzeitig wurde im Ofen ein mächtiges Feuer unterhalten, um die richtige "Backhitze" zu erzeugen. Während das Feuer noch als durchgebrannte Glut im Ofen lag, wurde in der Mitte des Ofens ein Streifen freigemacht, und die geformten Brote wurden auf ein paar langen Brettern hineingeschoben. Waren sie nach wenigen Minuten gebräunt, so zog man sie wieder heraus, kehrte sie um, damit auch die Unterseite braun und trocken wurde. Das nannte man "Gaffeln". Erst wenn dies gemacht war, holte man die glühenden Kohlen mit der Krücke heraus, reinigte mit einem Reisbesen an langem Stiel den Ofen auch von Asche, und dann wurde das Brot mit dem Schieber zum Backen in den Ofen geschoben. Nach drei Stunden holte man wieder mit dem Schieber die schönen, großen, duftenden, wohlgeformten Brote heraus. Klopfte man mit der Hand auf die Unterseite und es klang schön hohl, dann war man sicher, daß das Brot gut aufgegangen, d. h. locker gebacken war. Lockeres und angenehm säuerlich schmeckendes Brot zu backen, das erreichte man durch Anwendung des Sauerteiges.

Im SAUERTEIGE liegt das Geheimnis des Backens. Bei jedem Backen werden von der Teigmenge einige Pfund genommen und in einem Gefäße an einem kühlen, aber frostfreien Orte für das nächste Backen aufbewahrt. So hat der Sauerteig eine ununterbrochene Kette von Backlag zu Backtag durch die Jahre, Jahrhunderte, ja, durch die Jahrtausende gezogen. Schon aus der Geschichte von dem Auszuge der Kinder Israel aus Ägypten wissen wir, daß sie ausnahmsweise einmal ungesäuertes Brot gebacken haben. Jesus erzählt das Gleichnis vom Sauerteig, "den ein Weib nahm, und mengte ihn unter drei Scheffel Mehl". Man möchte wohl wissen, ob die Verwendung des Sauerteiges sich von Ägypten her in den Jahrtausenden über alle Länder der Erde verbreitet hat oder ob zu andern Zeiten und in andern Ländern dieselbe Erfindung gemacht worden ist? Die Hefe, der Gest, ist ein jüngerer Bruder des Sauerteigs, und das Backpulver ist erst ein Erzeugnis der modernen Chemie. Bei allen ihren sonstigen großen Erfolgen hat die Chemie noch nicht vermocht, den Sauerteig aus seiner weltbeherrschenden Stellung zu verdrängen.

Ein Backtag war immer ein Ereignis für Haus und Dorf. Schon die Arbeitszeit war ungewöhnlich, denn es wurde in der Nacht zwischen ein und vier Uhr gebacken. Das geschah, um diese Arbeit, die keine Unterbrechung ertrug, ungestört von anderer Hausarbeit vollenden zu können. In dem Raum des Backhauses verbreitete das lodernde Feuer des Ofens Licht und Wärme. In dieser ungewöhnlichen Umgebung und Beleuchtung und zu dieser ungewöhnlichen Zeit hantierte nicht nur die Bauerfrau mit ihren Mägden im Backhause, es
 

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kamen noch dazu einige Tagelöhnerfrauen und die Frauen von Handwerkern, die keinen eigenen Backofen hatten. Diese Zusammensetzung der Backgemeinschaft aus lauter "Frauensleuten", das Arbeiten Hand in Hand war eine günstige Gelegenheit, alle Vorgänge und Vorkommnisse des Dorfes mitzuteilen und auszutauschen. Und das geschah auch. Und wenn die Backhausgeschichten einmal geschrieben werden sollten, so werden sie nicht minder fesselnd sein, als die alten "Spinnstubengeschichten". Am andern Morgen ging es dann von Mund zu Mund durchs Dorf: "Beim Backen ist erzählt worden ...."

Das Backen im Backofen und im Backhause war Frauenarbeit, HAUSfrauenarbeit; mit dem Emporkommen der Städte wurde aus dieser Hausarbeit ein HANDWERK. Der BÄCKERMEISTR übernahm die Kunst und Kenntnis der Frau und führte sie weiter. Die Bereitung von Feinbrot und Süßbrot verdanken wir im wesentlichen der Kunst des Bäckers, und zwar sind dabei die einzelnen Bäcker und die Bäcker einzelner Städte nach eigener Erfindung tätig gewesen. Lübecker Eierkringel, Möllnische Zwiebacke, Salzwedeler Baumkuchen, Berliner Pfannkuchen, Nürnberger Lebkuchen. Kopenhagener Gebäck sind ein paar Beispiele für örtliche Leistungen der Backkunst. Jeder wird weitere nennen können.

Gewerbsmäßig betrieben wurde seit der Einführung des Rohrzuckers auch die ZUCKERBÄCKEREI, und aus der Vermählung der Mehlbäckerei mit der Zuckerbäckerei ist die moderne KONDITOREI mit dem KAFFEEHAUSE hervorgegangen. Diese freundliche und gastfreie Dame erinnert sich kaum noch daran, daß sie eine Enkelin der Großmutter Backhaus ist, und ihre Gäste tun dies noch weniger. Gedenken wir ihrer einmal! Die Torten der Enkelin schmecken um so besser.

Und treten wir nun in eine Brotfabrik, so sehen wir nicht mehr Menschen, sondern nur noch Maschinen in Tätigkeit. Maschinen transportieren die Mehlsäcke, Maschinen rühren den Teig an, Maschinen kneten ihn und teilen ihn ab zu Broten und Brötchen, Maschinen führen die Brote in den Ofen, durch den Ofen, aus dem Ofen, sie verpacken auch das Gebäck, keine Menschenhand hat es berührt. Nur hier und dort steht noch ein Mann, um die Maschinen ein- und auszuschalten, bald werden auch diese entbehrlich sein, die Betriebsuhr wird die Hebel auslösen, und das nach Uhrenart gewissenhaft und pünktlich. -

Die Entwickelung des Brotbackens von der häuslichen Frauenarbeit über die handwerksmäßige Bäckerei zum Fabrikbetriebe ist ein gesetzmäßiger Vorgang; auch andere Berufsarten haben denselben Gang durchgemacht. Zum Unterschied von andern Berufen hat aber keine Vernichtung der älteren Weise durch die neuere stattgefunden. Noch heute wird auf dem Lande im Backhause gebacken. Noch heute bäckt die Frau und Mutter in der Stadt für die Familie, aber aus der schweren Arbeit im Backhause ist eine angenehme Arbeit vor dem Gasherde geworden, die Frau macht sich das VERGNÜGEN, für die Festtage eigenhändig Kuchen zu backen. Auch das Bäckerhandwerk ist nicht durch die Brotfabrik ruiniert worden, es hat sich etwas mehr auf die Feinbäckerei und das Süßbrot eingestellt, und die Kundschaft ist dieser Umstellung gern gefolgt. Es ist von keiner Krise im Bäckerhandwerk die Rede gewesen; im Gegenteil, das Wort Behäbigkeit läßt sich heute wie früher auf das Bäckerhandwerk anwenden, und der Bäckermeister ist sich solcher Behäbigkeit wohl bewußt.

In Schrifttum und Dichtung hat die Bäckerei nicht die gleiche Beachtung gefunden, wie z. B. die Müllerei, aber Theodor Storm hat der Bäckertochter Lena Wies und dem kleinen Bäckereibetriebe ihres Hauses ein schönes Denkmal gesetzt. Als er ihr in dankbarer Erinnerung an seine Knabenzeit seine ersten Novellen überreichte, sagte sie zu ihm: "Das Erzählen haben Sie von mir gelernt, Herr Doktor." Und schon dem Schoßkinde singt die Mutter vor:

"Backe, backe Kuchen,
Der Bäcker hat gerufen:
"Wer[sic!] will schöne Kuchen backen,
Der muß haben sieben Sachen,
Eier und Salz,
Zucker und Schmalz,
Milch und Mehl,
Safran macht den Kuchen gehl."


Und wieviel Poesie und Musik wird im Kaffeehause zu den Kuchen und Torten serviert!

Die Großmutter Backhaus kann stolz sein auf ihre Kinder und Enkel.


 

 

 

 

 

 

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