Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1935


Griffe und Kniffe in der Familienforschung.

Von HANS TRENKLE, Illenau.
 

Viele Volksgenossen stürzen sich heute mit ehrlicher Begeisterung und den besten Absichten auf Familienforschung, lassen jedoch, sobald sie auf die ersten Hindernisse stoßen, den Mut sinken und geben die mit soviel Eifer begonnene Nachforschung wieder auf - für immer. Das ist im Interesse der guten Sache sehr bedauerlich. Als alter
Familienforscher möchte ich daher im folgenden ein paar praktische Winke geben, die den Anfänger vor den ersten schweren Enttäuschungen bewahren können.

1. Mit archivalischen Nachforschungen bei Standesämtern, Pfarrämtern und Archiven sollte man erst dann beginnen, wenn man alle mündlichen Quellen nach Möglichkeit erschöpft, d. h. alle erreichbaren Verwandten gründlich ausgefragt und ausgehorcht hat. Man macht sonst sich selbst und den Behörden viel unnötige Arbeit. Ich kenne
einen Fall, wo jemand an alle möglichen Pfarrämter schrieb und schließlich erfuhr, daß einer seiner Vettern die gleichen Forschungen schon vor Jahren durchgeführt hatte und den gesuchten Stammbaum bis weit zurück schon längst besaß.

2. Man mache sich den Unterschied zwischen Stammbaum und Ahnentafel klar, damit man nicht planlos in der Familiengeschichte herumfährt, sondern ein bestimmtes Ziel verfolgt 1).

3. Anfragen an die Pfarrämter müssen nach Namen, Ort und Datum scharf umrissen und unmißverständlich sein; zu weit gehende oder zu allgemein gehaltene Fragen sind völlig zwecklos. Denn eine Verpflichtung zu archivalischen Auskünften besteht für die Pfarrämter nur bei genau umrissenen Anfragen, während sie eine mühsame und
zeitraubende Sucharbeit ohne genauere Angaben jederzeit ablehnen können.

Man schreibe also nicht: "Bitte, schicken Sie mir meinen Stammbaum", oder "Schreiben Sie mir meine arische Großmutter heraus", oder "Mein Großvater Müller soll in ihrer Gemeinde gestorben sein; bitte um seine Abstammung". Sondern: "Meine Urgroßmutter Eva Regina Holst geborene Debus ist in Dechow im März 1830 gestorben und begraben. Bitte um Abschrift des Sterbeeintrags und wenn möglich auch noch um Feststellung ihres Geburtstags und der Eltern; sie soll 80 Jahre alt geworden sein." Das Sterberegister gibt meistens auch das Alter der Verstorbenen an, so daß der Pfarrer unschwer feststellen kann, ob der Verstorbene am gleichen Ort geboren ist, wann
und von welchen Eltern. Angenommen, das Geburtsdatum der Eva Regina Holst hat sich an ihrem Sterbeort nicht gefunden. Was dann? Sie ist gestorben am 12. März 1830 im Alter von 79 Jahren und 2 Monaten, folglich geboren am 12. Januar 1751. Aber wo? Da können uns die Taufpaten ihrer Kinder den Weg zeigen. Man läßt sie sich herausschreiben und findet, daß einige von ihnen den Namen Debus
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1) Vgl. die "Familienforschung". Von S. Schellbach. Lauenburgische Heimat, 7. Jahrg. 1931, Seite 127 ff.

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tragen, also offenbar Geschwister oder Verwandte der Eva Regina sind, und zwar aus dem Nachbarort Ziethen. Eine Anfrage beim dortigen Pfarramt ergibt, daß sich das gesuchte Geburtsdatum der Eva Regina Holst tatsächlich im Kirchenbuch findet, und damit zugleich natürlich auch die Namen ihrer Eltern. Auch ihr Traudatum läßt sich nun (aus der Differenz zwischen dem Geburtstag der Mutter und dem ihres ersten Kindes) annähernd festlegen und kann im Trauregister des Geburtsortes gefunden werden. So muß man sich logisch denkend und rechnend Schritt für Schritt rückwärts tasten.

4. Selbstverständlich sind alle Anfragen in verbindlichem Ton zu halten und mit Rückporto zu versehen. Für eine erhaltene Antwort bedankt man sich, - schon weil man dabei Gelegenheit hat, weitere Fragen zu stellen, aber natürlich auch wieder mit genauer Angabe aller schon bekannten Daten, damit der Pfarrer sofort weiß, wo und was er zu suchen hat.

5. Erhält man trotz genauer Angaben keine Antwort, so wiederholt man nach einiger Zeit seine Anfrage in höflicher Form. Viele Pfarrämter sind heute mit genealogischen Anfragen sehr überlastet und kommen neben ihren eigentlichen Dienstverpflichtungen unmöglich zu langwierigen Nachforschungen in den Kirchenbüchern. Auf bösen Willen oder Faulheit zu schließen, wäre in den meisten Fällen sehr verkehrt und ungerecht. Nur ganz wenige Pfarrer werden genealogische Anfragen grundsätzlich ablehnen.

6. Erfolgt trotz allem keine Antwort, so versucht man, auf dem Umweg über Bekannte ans Ziel zu kommen. Vielleicht übernimmt ein guter Bekannter aus dem betreffenden Ort den Auftrag, einmal persönlich beim Pfarramt vorzusprechen, oder vielleicht kann man einen befreundeten Pfarrer um Vermittlung angehen. Einem Gemeindeglied oder Kollegen wird ein sonst unzugänglicher Pfarrer bereitwilliger antworten, als einem Unbekannten.

7. Bei größeren Auszügen, etwa der Aufstellung eines ganzen Stammbaumes, einigt man sich vorher mit dem Pfarramt über die Höhe der Gebühr oder man seht einen Geldbetrag fest, bis zu welchem man gehen will.

Gebührenfrei sind nur Anfragen auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zum Nachweis der arischen Abstammung (also bis zu den Großeltern einschließlich). Für alle darüber hinausgehenden Auskünfte darf der Geistliche bestimmte, behördlich festgesetzte Gebühren fordern. Diese betragen in der evangelischen Kirche: für einen einmaligen Auszug aus dem Kirchenbuch 1 RM., für größere Nachforschungen für die Arbeitsstunde 3 RM., für Einsichtnahme und Abschrift des Privatbenützers pro Tag 3 RM. Für die erzbischöflichen Pfarrämter betragen die Gebühren m. W.: für einmalige Auskunft (über die Großeltern hinaus) 3 RM. und bei größeren Auszügen für die Arbeitsstunde 1 RM.

 Von dem Recht auf diese Gebühren machen übrigens nach meinen Beobachtungen die meisten Pfarrämter nur selten Gebrauch.

8. Versagen die Kirchenbücher, so versucht man, mit einer Anfrage oder Anzeige in einem familiengeschichtlichen Such- und Anzeigeblatt


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weiterzukommen. Oft meldet sich dann aus irgendeiner Ecke des Vaterlandes ein unbekannter Vetter, der schon viel Material beisammen hat. Bei seltener vorkommenden Namen kann man auch einmal unmittelbar bei den betreffenden Namensträgern anfragen, ob sie etwas über ihre Ahnen wissen und ob wohl zwischen den beiderseitigen
Familien Zusammenhänge bestehen. Ich habe auf diese Weise die Vorfahren eines Urgroßvaters mütterlicherseits kennen gelernt: der von mir auf Grund seines Namens nach seinen Vorfahren Gefragte schickte mir "mit vetterlichem Gruß" seinen Stammbaum, der tatsächlich die von mir gesuchten Ahnen in lückenloser Reihenfolge enthielt.

9. Manchmal empfiehlt sich auch eine persönliche Einsicht in die Kirchenbücher, etwa in Verbindung mit einer Ferienreise oder einem Besuch in der Heimat. Doch kommt dies nur für Personen in Frage, die in archivalijchen Arbeiten schon etwas erfahren sind, alte Handschriften lesen können und Aussicht haben, daß ihnen vom Pfarramt
die Benutzung der Kirchenbücher an Ort und Stelle zugestanden wird. Jedenfalls ist ein solcher Besuch mit dem Pfarramt vorher genau zu vereinbaren und zu Hause gründlich vorzubereiten.

10. Bei Beobachtung dieser Griffe und Kniffe wird der beginnende Familieuforscher schon recht erfreuliche Erfolge erzielen. Freilich ohne viel Geduld und Ausdauer, ohne etwas Scharfsinn und Diplomatie und ohne einige finanzielle Opfer geht es nicht. Für alles Weitere sei auf das "Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung von Fr. Wecken" und auf die andern Veröffentlichungen des familiengeschichtlichen Verlags von Degner & Cie. in Leipzig, den Verlag für Sippenforschung und Wappenkunde C. A. Starke, Görlitz, und die sehr guten Stamm- und Ahnentafel-Formblätter unseres Lauenburgischen Heimatverlages verwiesen, die alle in Betracht kommenden technischen, methodischen, archivalischen, geschichtlichen, biologischen und anderen Fragen eingehend behandeln.

Familienforschung ist eine ernste und tief ins Leben eingreifende Wissenschaft. Niemand sollte sie nur als Mode- oder Sportsache treiben. Wer nur forschen will, weil es so "interessant" ist oder weil man dann mit seinen Ahnen renommieren kann, der lasse lieber die Finger davon. Der schönste Stammbaum ist nur totes Material, wenn er nicht ausgewertet wird für das Leben. Die Familienforschung schaut wohl rückwärts in die Vergangenheit, aber sie weist zugleich auch vorwärts in die Zukunft und will fruchtbar gemacht werden für die Gegenwart. Dies geschieht durch ihre Anwendung auf die Erziehung und Gattenwahl der Kinder, durch Pflege des Familiensinnes, des Ahnenstolzes und Sippengefühls, durch Belebung des Verantwortungsbewußtseins aller Glieder gegen das Volksganze und durch Weckung des Verständnisses für biologische, soziale, geschichtliche und wirtschaftliche Zusammenhänge. Erst so wird die Familienforschung aus einer "toten Wissenschaft" zu einem wertvollen Dienst an den
gesunden Kräften unseres Volkes.
 



 


 

 


 

 

 

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