Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1939


Die Bauernlegung auf der Römnitz 1285.

Von Kreisschulrat i. R . HEINRICH SCHEELE.

(Fortsetzung und Schluß.)

Die Rechtsfrage.

Die Bauern hatten 'lange Zeit' die Äcker der Dorfflur bebaut; im Grunde war der kulturelle Zustand das Werk ihrer Hände. Da mußte die Kündigung sie schmerzlich treffen und wirtschaftlich bedrücken. Es war diese Aufkündigung einer gesamten Dorfschaft auch ein ungewöhnlicher Vorgang; doch wird unter den ernsten Kennern des Bauernrechts jener Zeit nicht daran gezweifelt, daß alles Rechtens geschah. Das Domkapitel stand zudem in hohem Ansehen. Zucht und heiliger Lebenswandel der Brüder waren so streng, daß man damals im Volk wohl von dem Kloster als von einem Ordensgefängnis sprach, und der Eid des Konvents am Altar in Gegenwart des Herzogs genügte, um dem Kapitel 1289 hohe Rechte zuzusprechen 11). Da wäre kaum anzunehmen, daß das Kapitel unmittelbar vor seiner Tür einen offenen Rechtsbruch hätte durchsetzen wollen. Um vollends ihre Rechtlichkeit in diesem weltlichen Handel darzutun, haben die Domherren ihn durch den Vogt und den Rat der Stadt Ratzeburg gerichtlich bekunden lassen. Die Erledigung von Grundstückswechseln u. ä. geschah im Mittelalter üblicherweise in einem Gerichtsakt. Das Besondere in unserm Fall lag darin, daß nicht der Propst des Stiftes selbst die Handlung vornahm, obwohl er sonst als Träger der Grundherrschaft die Belehnung mit domkapitularem Gut, die Auflassung der Pachthöfe u. dgl. in eigener Person vollzog 12). Die Sorgfalt des Kapitels in der Römnitzer Sache beruhte doch wohl auf innern Bedenken.

Die Vergebung von Land an Siedler geschah im Wege der Grundleihe, die Setzung erfolgte durch den Grundherrn. Der Besitz war nicht erblich, eine Entsetzung also nicht ausgeschlossen. Darin brauchten die Bauern zunächst keine Gefahr zu sehen, da ihre Kraft überall begehrt war. Zudem konnte ihr Grundherr keinerlei Anlaß haben, sie aufzukündigen, wenn sie nur ihre Pflichten erledigten und ihre Abgaben zahlten. So lebte denn Geschlecht um Geschlecht getreulich auf dem angestammten Gehöft, und es begann sich gewohnheitsmäßig doch das Erbrecht zunächst als Erbsitte herauszubilden. Die Erbsitte entsprach auch dem Grundsatz der Treue, die den sittlichen Kern des ganzen Lehnszustandes ausmachte und das persönliche Band zwischen Grundherrn und Landsassen schuf. War die Erblichkeit auch nicht rechtlich erzwingbar, so sollte sie dennoch statthaben, und es sollte nicht das persönliche, sittliche Verhältnis durch ein rein dingliches ersetzt werden. Mochte das Kapitel noch so zwingende Gründe haben, es war sich gewiß bewußt, gegen das allgemeine Volksempfinden zu
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11) Das Kapitel beschwor, daß der Ratzeburger Kirche das obere Gericht in Römnitz zustände und zugleich das Eigentum in dem nahegelegenen Walde, dem Seebruch, dergestalt, daß niemand darin Holz hauen oder Gras schneiden dürfe. Nach geschehenem Eide bestätigte der Herzog die beanspruchten Gerechtsame.
12) Nach Bernhöft: Das Prämonstratenser Domstift Ratzeburg im Mittelalter. Ratzeburg 1932. S. 13. Dort schon für 1261 nachgewiesen.

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handeln. Daher die Sorgfalt des Verfahrens und die Umsicht, sich bestätigen zu lassen, daß die Bauern keine Klage oder Vorwurf hätten,
noch sich auflehnen wollten.

Die Schätzung.

Zur wirtschaftlichen Auseinandersetzung wurden von jeder Seite drei Taxatoren erwählt. Man kann noch schwach erkennen, wie beide
Parteien sorgsam Leute ihres Vertrauens mit der Abschätzung bedachten. Konrad von Buchholz hatte den halben Zehnten in seinem Dorf besessen. Der Bischof hatte das 1277 als widerrechtlich erklärt, und 1285 wurde der Zehnt denn auch vom Bischof dem Kapitel tatsächlich zugeteilt. Der Herzog bestätigte das Recht des Bischofs dazu: niemand könne sagen, er habe den halben Zehnt vom Herzog zu Lehen, da er dem Bischof gehöre. Konrad galt daher sicherlich nicht als Freund des Kapitels. Jakob Nudahasta, d. h. 'Jakob mit dem bloßen Speer', wird ein Einspenner gewesen sein, die ohne Helm und Schild, nur im weißen Mantel mit einer Lanze als leichte Reiter dienten und wie die Bauern sie gruppweise stellen und unterhalten mußten (im Stift je 6 Bauern einen). Ein solcher Einspenner konnte ein Mann des Vertrauens für die Bauern sein. Über Bernhard von Pogez ist nichts bekannt. Auf der Kapitelsseite erscheint zuerst der Vogt Bertold, wohl der bischöfliche Vogt, der als Bischofsvertreter sonst dem Kapitel in den Landgerichten zugeordnet war. Weiter wird Thimmo von Utecht genannt. Eben, es war 1284, hatte der Bischof aus Wohlwollen dem Kapitel den Zehnten von 6 Hufen in dem lübschen Klosterdorf Utecht tauschweise überlassen. Bei dieser Gelegenheit mochte sich Thimmo dem Kapitel dienlich erwiesen haben. Und endlich der Klostermeier, er war selbstverständlich seinen Herren als Sachverständiger und Kenner des Dorfs ein brauchbarer Mann. Das Ergebnis der Schätzung wird in der Tabelle gezeigt. Wäre der Wert der Auszahlung nur ungefähr als Maß der Betriebe zu nehmen, dann dürfte man schließen, daß in dem kleinen Dorf, dessen Flur auch heute höchstens 5 Hufen entspricht, vielleicht 1 Vollhufner (Nr. 1), 6 Halbhufner (Nr. 2-7), 5 Großkätner und 3 Kätner (ohne Land) saßen. Die Geldsumme ist, um heutigen Kaufwert festzustellen, wohl auf das 300 fache zu setzen. Dann hätte der beste Besitz 4800 M., die kleinste Kate 225 M. als Entschädigung erhalten, und das Dorf wäre mit 18600 M. abgefunden gewesen.


RÖMNITZ 1285
 
Name   Empfänger   Auszahlung
in
M. u. Sch.

1. Conrad, Bauervogt

  Söhne: Nikolaus, Berthold,
Johannes, Hinrich, Eckehard
  16. -

2. Söhne der Hildegund

  Hildegund u. Kinder: Johannes,
Werner, Sophie, Hildegund
  7. -
3. Hermann   H., gen. Blanke   5. -
4. Lutbert   Lubbe   5. -
5. Steding   Steding   5. -

6. Olyvas Schwester

 

Olyva u. Schwester

  4. -


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Name   Empfänger   Auszahlung
in
M. u. Sch.

7. Wwe. Rikeca

  Ww. Riksit u. Schwester und Sohn Johannes, der Graf   4. -

8. Friedrich, der Klostermeier

  Friedrich   3. 4
9. Nikolaus   N., gen. Nyebur   3. -
10. Johannes, Conrads Sohn   Johann, Conrads Sohn   2. 4
11. Richard   Richard   2. -
12. Meynard   Metteke, Meinekes Frau   2. -
13. Albert, der Fischer   Albert   1. 8
14. Johannes, Rolands Bruder   Bonde Roland   1. 4
15. Roland, der Bunte   Rodolf   -. 12


Bei ihrem Abzüge konnten die Bauern das Vieh, die landwirtschaftlichen Geräte und die eingeworbene Ernte mitnehmen. Für die Häuser und die Gärten, es handelte sich im besondern um Bauholz und Zäune 13), erhielten sie die Entschädigung. Es wäre an sich auch angängig gewesen, daß man ihnen erklärt hätte, sie könnten Häuser und Zäune als ihr Eigentum abbrechen und mitnehmen 14). Auf diese Möglichkeit bezieht sich die Antwort der Bauern, sie wollten keine Klage oder Vorwurf erheben, WOFERN SIE NUR ihre Häuser und die Arbeiten an ihren Gärten IN BAREM GELDE ERSTATTET bekämen. Daß sie lieber das Geld als ihre Häuser nehmen wollten, zeigt vielleicht, daß sie nicht mit einer Neusiedlung an einem andern Ort rechnen konnten, sondern höchstens mit der Einsetzung in eine verlassene Stelle. Nach dem Namen der Beistände im Gericht kamen wohl einige in Salem oder Gießensdorf unter.

Bauernrechtliche Verhältnisse.

Es ist noch von Wert, festzustellen, was man aus der Urkunde an bauernrechtlichen Zuständen ablesen kann oder über sie vermuten darf. Dabei wird ein vergleichender Blick auf die Verhältnisse in Lauenburg bedeutungsvoll sein.

"Die meierrechtlichen Verhältnisse [in Lauenburg] werden, bei der Unvollständigkeit der ausdrücklichen Gesetze, größtenteils nach dem Herkommen und nach den Gebräuchen der benachbarten Provinzen beurteilt. Man richtet sich jedoch dabei nicht nach [den Landschaften], wo die Leibeigenschaft gilt [wie in Mecklenburg]; vielmehr nimmt man in zweifelhaften Fällen DAS HERKOMMEN derjenigen benachbarten Provinzen, wo es keine Leibeigenschaft gibt, als z. B. DES STIFTES RATZEBURG und Fürstentums Eutin, ZUR NORM. Dies Prinzip ist VON DER RITTERSCHAFT IMMER BEHAUPTET und von der Regierung gebilligt."

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13) Die Zäune und ihre Unterhaltung waren im Mittelalter sehr wichtig. Sie waren oft aus schwerem Holzwerk gebaut und wurden sorgfältig gebessert und erneuert. Sie durften hoch 'wie ein Reiter auf seinem Roß' gebaut werden. Später wurden Zäune aus 'eitel Eichenholz' in Lauenburg verboten.
14) Das war durchaus möglich. In den Vierlanden war das Verfahren allerdings durch Ausfuhrverbote der lauenburgischen Herzöge unmöglich gemacht. Herzog Erich hat es jedoch einmal zugunsten eines Klosters gestattet, um ihm die Barausgabe zu ersparen. Das war in Scharnebeck 1318. (Kellinghusen in d. Zeitschr. d. V. f. Hamburg. Geschichte' [sic!] VIII, S. 201.)

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So sagt der Landdrost Graf v. Kielmannsegge 1784 in seinem großen, sachlichen und sehr angesehenen Gutachten über das Meierrecht in Lauenburg 15). Was sagt nun die Urkunde?

1. DIE BAUERN SIND FREIE MÄNNER. Ihre Abhängigkeit ist keine persönliche, nur eine dingliche, und als mit vollkommen rechtsfähigen Personen wird mit ihnen verhandelt. Auch in Lauenburg waren die Bauern immer freie Leute, niemals leibeigen.

2. 'LAND UND SAND GEHÖRT DER GRUNDHERRSCHAFT'. Dieser Grundsatz blieb im Stift bestehen. Er bezeichnet auch das Herkommen und den Endzustand in Lauenburg. Natürlich ist die Entwicklung nicht so gradlinig verlaufen. Es hat Zeiten gegeben, wo das
Obereigentum des Grundherrn eine mehr 'idealische Eigenschaft' zu sein schien, wo auch die Bauern ihren Besitz freier in Teilung und
Verkauf handhabten. Aber es sind dann Zeiten gekommen (um 1600), wo Staatsmannschaft der Landesherren, um Zersplitterung der bäuerlichen Grundlage des Staatswesens und damit Zerstörung der Wohlfahrt zu hindern, das Heft wieder fester in die Hand nahm. Das ist
hier nicht im einzelnen auszuführen, sondern nur festzustellen, daß die Bewahrung des Hufenstandes der Bauern dem Staat bloß unter
Behauptung seiner Eigenschaft 'als ohnstreitiger Eigentümer' von Grund und Boden möglich geworden ist. Damals - wie heute wieder unter dem Reichserbhofgesetz.

3. HAUS UND HOFWEHR SIND IN EIGENTUM DES BAUERN, sind, wie man später sagte, sein Allod. Zeiten der Not, der Fürsorge,
so lehren zahllose Hergänge, haben dazu geführt, daß in Lauenburg von dem Grundherrn Bauholz, Achs- und Radeholz und manches Inventar dem Bauern bei Übernahme einer Wüstung, bei Seuchen und in Krankheit, bei neuen Niederlassungen u. ähnl. Fällen gegeben wurde, und danach richtete sich dann im einzelnen Fall die engere oder weitere Fassung dessen, was zum Allod gehörte. Die Grundsätze über den Umfang und auch die Trennung des Allods sind jedoch bis zuletzt stets umstritten gewesen. Alle Streitigkeiten darüber sind immer wieder nur durch Vergleich beendet worden, ohne genauere Bestimmung des Allods - auch die bekanntesten Fälle 16).

4. Es scheint auch ein JÜNGSTENRECHT (MINORAT)( IN DER ANERBENSCHAFT ZU BESTEHEN. Der älteste Sohn des Bauervogts Konrad (Nr. 10) ist schon aus der väterlichen Stelle geschieden und hat seine eigene Stelle. Er muß wohl aus dem trennbaren Allod abgefunden sein, wenn er überhaupt schon abgefunden war. Bei der letzten Entschädigung - der Vater war wohl inzwischen gestorben - nimmt er wieder teil (Nr. 1), da nun das gesamte Allod zur verhältnismäßigen Teilung kommen muß unter Einigung der Söhne untereinander. Im Erbfalle wäre wohl der jüngste Sohn der Anerbe geworden. In Lauenburg galt allgemein das Ältestenrecht. Dem Vater
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15) Das wichtige Gutachten ist bis heute noch nicht durch Druck veröffentlicht.
16) Wie im Falle Burt > Loß-Hamwarde (um 1760), der lange umkämpft war, oder wie im Erbstreit Borchers-Schwarzenbek (um 1800), der auch verglichen wurde.

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stand aber (mit Genehmigung) die Wahl unter den Söhnen frei. Auch diese Frage ist nie grundsätzlich gelöst worden. In den verschiedenen Gutachten wurde das Herkommen immer wieder als nicht einförmig festgestellt; selbst die Beamten wechselten im Laufe ihrer Amtszeit ihre Ansicht darüber, was vielfache Irrungen hervorgerufen hat. Zumeist aber folgte der älteste Sohn als Anerbe, bei welchem Zustand, wie man sagt, die Wiege nie vom Hofe kommt. Daß es aber auch Minoratsfälle gab, zeigt sich darin, daß auf manchem Hof nur selten der Besitzer wechselte, der Vater solange wie möglich blieb und dann der Jüngste zu ebenso langer Bewirtschaftung folgte.

5. AUCH EINE TOCHTER KANN ANERBIN SEIN. So ist Olyvas Schwester auf dem Besitz.

6. DIE WITWE BLEIBT AUF DEM HOFE. Die Witwe Hildegund sitzt mit ihren vier Kindern auf der Stelle. Wenn es sich nicht um eine Gemeinschaftshausung, eine Gemeinderschaft handelt, bei der keine Erbteilung stattgefunden hat. so wird es in Übereinstimmung mit dem Brauch so sein, daß die Mutter bis zur Mündigkeit des Anerben die Wirtschaft führte. Erst bei seiner Mündigkeit würde Auseinandersetzung, Altenteilsstiftung und Regelung der Heimzuflucht und der späteren Ausstattung erfolgt sein. Ähnlich mag der Fall Nr. 7 liegen, wo außer dem Sohn noch die Schwester der Bäuerin am Hofe Anteil hat. Sie war also noch nicht abgefunden. Möglicherweise
war sie 'an die Stelle geschrieben'. - Eine Abweichung gegen Lauenburg ist nicht zu erkennen.

Überblickt man alles, so liegt die Annahme nahe, das lauenburgische Bauernrecht, das später als Meierrecht charakterisiert wird, habe sich schon in der Frühzeit der Besiedlung wesentlich ausgebildet.

Der wirtschaftliche Hintergrund.

Was mochte nun die zwingende Veranlassung zu der Umwandlung auf der Römnitz sein? Man muß sich schon den Gesamtzustand des Stifts vor Augen halten, um eine Antwort versuchen zu können, die Wahrscheinlichkeit für sich hat.

Das Bistum war damals in voller Frühblüte. Eben war der Dombau unter Ulrich von Blücher durch die Hand Dietrichs von Büchen vollendet worden. Symbol alles überweltlichen Strebsns und zugleich der Erdenhoheit der geistlichen Hirten, ragte er empor. Die sakralen Formen des frommen Dienstes im heiligen Bau wirkten noch mit der vollen Gewalt des urchristlicheu Gehalts auf Sinne und Herz der Gläubigen. Das zuchtvolle Leben der Brüder bei 'gemeinsamem Tisch' in den würdevollen Räumen des Klosters ward von der Welt mit Andacht bestaunt, und mit dem Reiz himmlischen Geheimnisses umwob die Legende vergoldend Person und Werk. Der hohen Würde des Bischofs gesellte sich noch seine Stellung als Reichsfürst und seit der Erwerbung der Gerichtshoheit sogar alle Macht eines Landesherrn. Doch diese weltliche Eigenschaft führte die Bischöfe immer weiter in die Politik hinein. Sie sahen ihr Ziel darin, ihr kleines Territorium (Boitin) durch Tausch und Kauf abzurunden und zu ver-

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größern. Unter verwegenem Einsatz ihrer Mittel gingen sie in diesem Streben erfolgreich vor. Die daraus entspringende wirtschaftliche Zerrüttung späterer Zeit war vorerst noch nicht sichtbar.

Den Spuren des Bischofs folgten die Mitglieder des Kapitels, der Propst und die Domherren. Sie hatten den Erwerb der Gerichtsherrlichkeit im Lande Boitin 1262 mit Beifall begleitet und an den Lasten mitgetragen. Sie unterstützten auch sonst das Streben des Bischofs, indem sie durch Ankauf von Besitzungen sein Gebiet vergrößern halfen. Andrerseits hatte das Kapitel auch seine eigene Zielsetzung. Sein Anteil am Lande Boitin stand unter der Landesherrlichkeit des Bischofs. Nun suchte es seine in der Grafschaft Ratzeburg
liegenden Güter ebenfalls abzurunden und zu vergrößern. Das gelang weiterhin durch Tausch und durch Kauf von Gütern der adligen Geschlechter, sodaß sich ein zweites Kapitelsgebiet um Schlagsdorf bildete. Daneben erstrebten die Prälaten größte Selbständigkeit durch
den Erwerb von Hoheitsrechten in beiden Gebieten, einmal gegenüber dem Bischof in den Kapitelsdörfern von Boitin, dann aber auch im
Land Ratzeburg gegenüber dem Herzog - obwohl Landesherrlichkeit ihnen niemals zuteil wurde. - Mit dem Erwerb der Kapitelsgüter
wurde noch ein weiteres ermöglicht. Das 'gemeinsame Leben' der geistlichen Brüder blieb einerseits nicht inneres Ideal, andrerseits führte es sicher zu Schwierigkeiten wirtschaftlicher Art. Daher erstrebten die Domherren die Trennung. So haben nacheinander der Propst und
der Prior auswärts Wirtschaftshöfe als Pfründe erhalten, und schließlich haben die übrigen sich in eine Kurie auf dem Domhof zurückgezogen: die Verweltlichung war vollends eingetreten. - Alle diese Ziele waren im Jahr 1285 erst Planbildungen; sie ließen sich nur
verwirklichen, wenn alle wirtschaftlichen Mittel straff zusammengefaßt wurden. Die Steigerung der Einkünfte aus den landwirtschaftlichen
Betrieben sah man in der Bildung eigener Wirtschaftshöfe, von denen man später 9 hatte, für das kleine Gebiet eine große Zahl.

Und der erste Hof ward nun der Römnitzer. Was konnte man sich von ihm versprechen? Dachte vielleicht der Propst daran, sich schon hier einen eigenen Hof für seine Person ausscheiden zu lassen? Das ist kaum anzunehmen, ist jedenfalls nie Wirklichkeit geworden. Der erste Sitz des Propstes war ein Menschenalter später die NOVA CURIA, das heutige Neuhof. Näher lag es anzunehmen, daß der Römnitzer Hof die Mittel zu dem 'gemeinsamen Tisch' im Kloster liefern werde. Zweifellos hat er auch sein Teil dazu beigetragen, aber insgesamt war er doch nicht groß genug. Er ist offenbar in der kultivierten Fläche auch nicht wesentlich vergrößert worden, da er selbst später nur 4-5 Hufen faßt (850 Morgen); ebensowenig ward der Römnitz ein Dorf mit Dienstpflichten zugewiesen. Vielmehr haben zum gemeinsamen Tisch andere, entfernter liegende Güter Naturallieferungen ans Kloster zu leisten gehabt, und schließlich ist ja der gemeinsame Tisch überhaupt nicht zu ermöglichen gewesen. So wird man doch zu der Annahme geführt, daß von dieser Hofbildung wesentlich nur eine Steigerung der wirtschaftlichen Kraft erwartet wurde.

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Eine Haupteinnahme des Kapitels bestand in dem Zehnten, und man weiß, daß das Kapitel sehr lange bei der Zehntlieferung in natura stehen geblieben ist. Wie geschah nun die Bewirtschaftung des Zehntkorns?

Damals wurde der Zehnte 'auf dem Felde' erhoben. Die Wagen des Kapitels fuhren in der Erntezeit über Land und holten die 'gestickten' Garben in die Zehntscheunen. In diesen sogen. Granarien wurde das Korn unter einem Scheunenmeister gedroschen 17). Daß es auch im Ratzeburger Stift solche Scheunen gab, zeigt sich in einer hübschen Legende. Sie erzählt von dem frommen und sehr armenfreundlichen Bischof Ulrich von Blücher (1257-1284) folgendes:

"Einstmals hatte der Bischof seinen Kornboden a), der voll Getreide und Mehl war, ganz in die Hände der Armen geleert und nichts für sich und die Seinen behalten. Da kamen die Armen und baten um Almosen; er rief seinen Schaffner b) und befahl, ihnen zu geben, was noch vorhanden sei. Es war aber eine große Teurung und Hungersnot auf Erden. Der Schaffner wußte, daß alle Vorräte erschöpft waren c), und sagte, es sei nichts mehr da und alles zu diesem Zwecke verwendet. Voller Glauben sagte ihm der Bischof: "Geh und sieh, ob vielleicht noch ein Scheffel da sei, daß die Armen nicht leer weggehen, geh im Namen des Herrn und gib ihnen!" Und als er das Vorratshaus a) öffnete, da war alles voller Mehl und Korn, und er gab reichlich den Armen. Als aber der Bischof es erfuhr, zerfloß er in Tränen und dankte Gott, dem Geber alles Guten 18)."

a) GRANARIUM, b) PROCURATOR, c) GRANARIUM EVACUATNM. [sic!]

Mag es mit dem Inhalt der Legende bestellt sein, wie es will, so zeigt sich doch, daß es im Bistum solche Dreschscheunen gab. Ebenso
hatte das Kapitel derartige Granarien 19), vermutlich eine (oder mehr) auf der Römnitz. Dort fand sich 1285 neben dem Bauervogt Konrad noch der Klostermeier Friedrich, und kaum etwas anderes konnte seine Aufgabe sein, als mit den von den Bauern gestellten Kräften das Zehntgetreide zu bearbeiten, ähnlich wie es noch im 17. Jahrhundert auf den herzoglichen Borwerken geschah. Alle andere Aufsicht in der Römnitz besorgte ja der Bauermeister.

Die Zehntabgabe IN NATURA wurde vom Kapitel in seinen Dörfern Jahrhunderte hindurch beibehalten - im Gegensatz zu der Erhebung in den bischöflichen Dörfern 20). Für das Landvolk war aber diese Art sehr hinderlich, da in der Ernte immer erst die Ankunft der Zehntwagen abzuwarten war. Daher mußten solche Zehntscheunen an mehreren Orten sein, um eine Beschleunigung der Ernte zu ermöglichen. Das Kapitel hatte später auch eine ganze Reihe von Höfen; im übrigen
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17) Die Drescher mußten einen 'körperlichen Eid' in ihrer Seele schwören, daß sie alle Pflichten getreulich erfüllen wollten, als 'ehrlichen Dröschern' eignet und gebührt. Eidesformeln mit der Aufzählung der einzelnen Pflichten findet man in dem 'Buch der Urfehden und Eide' des Amts Ratzeburg.
18) Fassung nach Masch, S. 170. Urspr. Text b. Schlöpken, Histor. Nachr. usw. Lübeck 1724, S. 49.
19) Nach 1350 gibt es unter den Domherren einen OFFICIALIS MAJOR, einen Beamten, der die domkapitularen Scheunen und Mühlen unter sich hatte. (Nach Bernhöft, Das Prämonstratenser Domstift Ratzeburg usw. Ratzeburg 1924. S. 16.)
20) Vgl. Bertheau i. s. ob. gen. Aufsatz.

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wurden entfernt liegende Zehnten verkauft. Römnitz eignete sich als Ort der Bearbeitung; dort lag das Korn sicher und nahe und bequem
zur Ausfuhr auf dem Wasser. Es kamen dafür an Zehntlieferung in Frage: Römnitz selbst, dann Kampow (seit 1257) und aus Dörfern, die dem Kapitel nicht gehörten, der halbe Zehnt aus Mechow (seit 1194). Eben 1284 war noch der Zehnt von 6 Hufen in Utecht, dem lübschen Klosterdorf, dem Kapitel vom Bischof im Tausch übergeben worden mit der ausdrücklichen Begründung, daß er seiner Nähe wegen dem Kapitel einträglicher sein würde. Wo anders in der Nähe konnte er besser bewirtschaftet werden als in Römnitz? Die steigende Vermehrung des Zehnten - so ist unsere Vermutung - führte zur Vergrößerung des Zehntscheunenbetriebes auf der Römnitz. Erst später, als die Pauschallieferung von reinem Korn oder Geldzahlung eintrat, wurden die Scheunen zum Anlaß einer eigentlichen Gutswirtschaft in dem neueren Sinne 21).

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Bauernlegung? Gewiß, es war so. Doch wie weit entfernt sind Motive und Durchführung von jener späteren Zeit der berüchtigten Bauernlegungen, wo ein hoher Rat 1697 an einen Adligen in französischer Sprache schreiben konnte: "Es wird Ihnen sehr wohl erlaubt
sein, nach Ihrem Gefallen und nach dem Brauch allhier, einen, zwei oder mehrere Bauern zu legen, indem man ihnen nur zahlt, was sie gebessert oder ausgegeben haben 22)." Zur Erfüllung seiner hohen Kulturaufgabe, war das Kapitel schon genötigt, alle seine Einkünfte zusammenzuhalten und zu entwickeln. Ohne diese materielle Grundlage wäre auch der Segen, der von dem geistlichen Wesen ausging, nicht denkbar gewesen.
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21) Den Dreschscheunenbetrieb kannte man auch im Bistum Lübeck. Die Dörfer lieferten das Getreide nach Eutin. In Hamburgs Kapiteldörfern wurde auch das Getreide gesammelt, dann an einzelnen Stellen aufbewahrt und schließlich nach Hamburg ins Kornhaus geliefert, wo auch das Kloster Reinbek Korn ablieferte.
22) Der betr. Briefteil lautet: "IL VOUS SERA BIEN PERMIS, SELON VOTRE BON PLAISIR, ET SELON LA PRATIQUE D'ICY,
DE CASSER UN, OU PLUSIEURS PAYSANS, EN LEUR PAYANT SEULEMENT CE QU' IL ONT MÉLIORÉ OU DÉPENSÉ, Überdem ist jetzo wie ich Vernehme ein Bauer in Colpin gestorben, der keine Kinder hat, dann ist eines Bauren stette (so die beste ist:) vor 2 Jahren erst besetzt worden, welcher desto eher zu cassiren und das Land und wise zum Hoff zu nehmen Wehre."



 

 

 

 

 

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