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Damals war die Stadt sehr klein. Sie reichte vom Ostertor bei der
heutigen Post bis zur Neustadt, wo sich in alter Zeit am Westertore
die Fähre befand. Dicht hinter der Kirche stand das Norder- oder
Kuhtor. Alles andere war Vorstadt und nicht der städtischen
Verwaltung, sondern der herzoglichen Behörde unterstellt. Grund und
Boden war aber durch den Berg und die Elbe in der eigentlichen Stadt
so beschränkt wie in den Vorstädten, abgesehen von „Babenbrügg", der
heutigen Oberstadt, wo man zwar Platz, aber nur wenig Trinkwasser
hatte. In Lauenburg herrscht deshalb das Giebelhaus vor, es nutzt
die schmalen und tiefen Grundstücke, die durch die Enge des Platzes
entstanden, am besten aus. Langhäuser aus älterer Zeit sind in der
eigentlichen Stadt auf die wenig tiefen Grundstücke um den
Kirchplatz und unterm Schloßberg beschränkt. Den Raumbedürfnissen
des Bewohners - er wollte Wohnung, Werkstatt und Lager- oder
Verkaufsraum - entsprach das Haus, indem es grundsätzlich die
allgemeine Einteilung des ländlichen Niedersachsenhauses beibehielt.
Nach wie vor ist die große Diele der bedeutendste Raum. Wo der Bauer
das Beste seines Vermögens, sein Vieh, stehen hatte, stellt der
Städter seine Waren und die Erzeugnisse seines Fleißes zur Schau.
Dort finden auch die Prunkstücke seines Hausgeräts, Truhen und
Schränke, ihren Platz. Und wie der Bauer am einen Ende der Diele die
Dönzen abteilt, so zieht auch der Bürger Wände - in Lauenburg immer
an einer Langseite des Hauses - schafft auf diese Weise Zimmer und
dazwischen eine fast abgeschlossene Küche. Der Hausherr übte seinen
Beruf ja im Hause selbst aus; da brauchte die Frau nicht von ihrem
Platz am Herde aus den ganzen „Innendienst" zu leiten wie auf dem
Lande.
Die Höhe des Untergeschossen bis zur ersten durchgehenden Balkenlage
ist ziemlich beträchtlich, bis zu 4 und 5 Meter, ursprunglich, um
dem hochbeladenen Erntewagen die Einfahrt zu gestatten. Das wird
sich in Lauenburg allerdings kaum noch unmittelbar geltend gemacht
haben, denn nirgends ist in einem alten Hause noch eine große Tür
oder auch nur ein Hinweis darauf erhalten. Dennoch bleibt der
überlieferungstreue Niedersachse bei der großen Höhe. Um sie
auszunutzen, baut er zwei Zimmer übereinander. Man erkennt das bei
älteren Häusern an den zwei Fensterreihen unter dem ersten
überkragenden Stockwerk. Als Beispiel mögen die Häuser Elbstraße
18
(Lütje) und Elbstraße 61 (Elbdrogerie) genannt sein.
Bei der Bemessung der Zimmerhöhen wird das Erdgeschoß wegen seiner
bequemen Zugänglichkeit bevorzugt. Ihm gibt man 2 1/2 -
3 Meter
Höhe, während das Zwischengeschoß nur eben mannshoch wird. Nach
außen zeigt sich das deutlich an der verschiedenen Größe der
Fenster. Die Treppe zu den Obergeschossen wird irgendwo seitwärts
hinaufgeführt, bisweilen auch mitten aus der Diele heraus.
Abb. 1. Grundriß des Hauses Elbstraße
79.
Besser als viele Worte erläutert die erste Abbildung die innere
Gestaltung des alt-lauenburgischen Hauses. Die Skizze stellt den
Grundriß des Hauses Elbstraße 79 dar, das nach den spärlichen Resten
von Schnitzerei am Gebälk aus der Zeit des verklingenden 16.
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Jahrhunderts stammt. In diesem Hause wurde seit
seiner Erbauung das Böttcherhandwerk von den Gliedern der gleichen
Familie ausgeübt. Diesem Umstände ist es wohl zu verdanken, daß
seine ursprüngliche Gestaltung beinahe unverändert erhalten blieb.
Der Baustoff der Altvordern war, was das Land ringsum willig bot,
Holz und Lehm, aus dem man Ziegel brannte, dazu Feldsteine für die
Grundmauern. Eichenholz war das Beste und darum im Verhältnis am
meisten benutzt. Daraus hieb man die mächtigen Balken für Wand und
Decke zurecht, und aus dem gleichen Holz schnitt man die Bohlen, die
zugleich Decke der
Abb. 1. Grundriß des Hauses Elbstraße
79. Diele und Fußboden des
Obergeschosses sind. Das Füllmauerwerk der dem Wetter ausgesetzten
Wände war im 16. Jahrhundert schon seit langem von roten
Backsteinen, die man an der Schauseite des Hauses gern in
verschiedenen bunten Mustern anordnete. Die Fächer der durch
Nachbarhäuser geschützten Seitenmauern füllte man dagegen um
1600
meistens noch mit lehmbeworfenem Flechtwerk, später mit
lufttrockenen Lehmziegeln. Die letzteren blieben bis ins 19.
Jahrhundert hinein wegen ihres geringen Preises ein bevorzugter
Baustoff für Innenwände.
Der technische Aufbau - die „statische Gestaltung" möchte ich dafür
sagen - bleibt sich durch Jahrhunderte im Grunde gleich, es sei
denn, daß die Größenverhältnisse der Räume untereinander langsam
unsern Anschauungen entgegen wachsen. Die Formensprache des
Schmuckwerks dagegen zeigt schon in den Jahren 1550-1700 zwei zwar
verwandte, aber doch unterschiedene Ausdrucksweisen. Die Bauten aus
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (aus der ersten sind keine
einwandfrei nachweisbar) bis etwa zum Tode des Herzogs Franz d. J.
(1619) sind ihrem Wesen nach noch unzweifelhaft gotisch, wenn die
Formen auch äußerlich ein wenig an Renaissance erinnern. Diese
Häuser verraten einen Willen zu Schmuck und Zierrat, der unserer
Zeit des rechnenden Verstandes ganz fremd und unverständlich ist.
Nur ein Jahrhundert, das aus den Tiefen der Volksseele die
Reformation werden ließ, durfte seinen Ueberfluß an schöpferischer
Kraft so königlich selbst an Dingen des Alltags verschwenden, daß
wir Modernen auch in einem Städtchen wie Lauenburg in ehrfürchtigem
Staunen vor seinen handwerklichen Leistungen stehen. Sie haben etwas
Holzschnittartiges, diese alten Bauwerke, die durch 350 Jahre Regen
und Schnee, Sturm und Stille über sich ergehen ließen; so einfach
wahr, ein bißchen unbeholfen und doch
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so unglaublich lebendig sind sie. Unter den
Scbmuckformen, die sie zieren, überwiegen Taustab 1) und
Halbrosette. Rein ornamental gedachte Fratzen erfcheinen nur an
einem Hause. Ganz anders dagegen, Was aus dem 17. Jahrhundert auf
uns kam! Das Ursprungliche ist überwunden, alle Formen sind sauberer
geschnitten, die Gestaltung ist edler, das Gesamtbild geschaffener
und - zurückhaltender geworden. Die zunehmende Persönlichkeitskultur
der Renaissance äußert sich eben auch im Hausbau. Die bevorzugten
Schmuckformen sind meist pflanzlichen Ursprungs und klingen zuweilen
an Antikes an. Eines aber zieht sich wie ein roter Faden durch den
Hausbau von 1550 bis tief ins 18. Jahrhundert hinein: die schöne
Sitte, einen Spruch, den Namen des Erbauers, zuweilen auch den
seiner Frau und dazu das Datum der Errichtung in das Fachwerk
einzuschnitzen. Um eine Vorstellung von dem Unterschied im Schaffen
der beiden Zeitabschnitte zu erhalten, vergleiche man nur einmal das
Fährhaus (Elbstr. 119) mit dem Freystatzkyschen Hanse (Elbstr. 65)
Abb. 4, oder das alte Pastorat (Kirchplatz 1) Abb.
3, mit dem
Jakobischen Hanse (Elbstr. 35) Abb. 6. Während das Fährhaus und
einige gleichalterige, von der gleichen Hand geschaffene Bauten
einfach schöne Renaissance-Formen zeigen, ist das Jakobische Haus
gar ein waschechter Barockbau, ein ganz fremder Vogel im Schwarm.
Bei allen Unterschieden gewahrt man dennoch in der Art des
Schnitzers, im jeweils neuen Stil zu schaffen, die ungeheure
Beharrlichkeit des Niedersachsentums. Wohl nimmt es die ihm zunächst
innerlich und äußerlich fremden Formen an, aber es dichtet sie in
seine Sprache um, ehe davon Gebrauch gemacht wird. Das Haus selbst
bleibt dabei bis in Einzelheiten so, wie es 100 und
200 Jahre vorher
schon war.
Auf die technische Seite des Fachwerkbaus, der heute eine so gut wie
verschollene Kunst ist, kann hier nicht näher eingegangen werden.
Die am Schlusse genannte Literatur bringt Einiges darüber. Doch soll
hier noch auf eine Eigentümlichkeit vieler alt-lauenburgischer
Hänser hingewiesen werden, auf die AUSLUCHT. Das ist ein in jedem
Falle nachträglich angefügter Ausbau, der ein Zimmer des Erdgeschosses um ungefähr
1 Meter in die Straße hinein
verlängert. In
seinen freiliegenden Seiten sind Fenster, um, wie schon der Name
sagt, die Straße bequem überschauen zu können. Eine köstliche Unbefangenheit
setzt die Auslucht ohne die geringste Rücksicht auf die
architektonische Gestaltung des Hanses dorthin, wo man ihn braucht.
So ist z. B. die Rückseite des alten Pastorats auf diese Weise zur
Hälfte berdeckt. Im Gegensatz zu andern Orten ist in Lauenburg die
Auslucht überall eingeschossig und unverziert. Sie schließt in der
Höhe der Decke des Erdgeschosses mit einem kleinen nach vorn
abfallenden Dach aus roten „holländischen" Pfannen ab. Trotz ihrer
Einfachheit wirkt sie im Straßenbilde als willkommene Belebung, denn
sie durchbricht die glatte, flächenhafte Straßenwand und schafft
Ruhepunkte für das Auge.
____________________
1) Schnitzerei an einer freien Balkenkante, die in der einfachen
Form ein Hanftau nachzuahmen versucht, aber schon früh in
vielfältigen, zuweilen sehr schönen und kunstreichen Abwandlungen
auftritt.
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II.
Um die allgemeinen Ausführungen des ersten Teils
etwas zu beleben und klarerer zu gestalten, sollen die in Teilen
oder als Ganzes am besten erhaltenen Häuser einzeln besprochen
werden. Das sind aus der gotischen Zeit: das Mensingsche Haus am
Markt, das alte Pastorat, Kirchplatz 1, die Elbdrogerie, Elbstraße
61, und das Freystatzkysche Haus, Elbstraße
65. Als Zeuge der
Renaissance mag das Fährhaus dienen und als letztes soll das Haus
des Herrn Jakobi, Elbstraße 35, genauer betrachtet werden.
Abb. 2. Das Mensingsche Haus (am Markt).
Das MENSINGSCHE HAUS am Markt (Abbildung
2) ist
heute ein Wahrzeichen der Stadt Lauenburg, das mit gutem Recht neben
den Amtsturm gestellt wird. Doch so ehrwürdig der Giebel aussieht,
am ganzen Hause ist nicht viel Altes mehr daran. Brandschaden und
Umbauten haben es so verändert, daß dem Kundigen die Erhaltung des
Giebels beinahe erstaunlich scheint. Sein Fachwerk ist, wie für das
16. Jahrhundert selbstverständlich, von schwerem Eichenholz gefügt.
Die Stockwerke kragen recht weit über, besonders das erste, das fast
1 Meter vorspringt, so daß es durch Streben, nicht wie sonst durch
Knaggen gestützt werden muß. Die freien Kanten der Saumschwellen
2)
und Füllhölzer 3) sind durch kunstvoll stilisierte Taustäbe
gebrochen, die man in sehr ähnlicher oder gar gleicher Ausführung
auch an der Elbdrogerie, dem Freystatzkyschen Hause, am Hause
Elbstraße 79 u. a. m. findet. Die Streben der Ständer
4)
sind im
ersten Stockwerk als volle Dreiecke ausgebildet. Sie tragen als
Schmuck eine Halbrosette, die vielleicht als auf- oder untergehende
Sonne gedeutet werden darf. Dann wäre dieses Muster, dem man in
Lauenburg noch mehrfach begegnet, möglicherweise ein spätes Glied
der Reihe von heiligen Zeichen, die das Volk in den unerschöpflichen
____________________
2) Saumschwelle ist der untere, querüberlaufende Balken eines jeden
Stockwerks, auf dem die Wand aufgebaut ist.
3) Füllholz ist ein Balken, zuweilen auch Brett zwischen den
Deckbalken bzw. Knaggen unter der Saumschwelle.
4) Die lotrechten Balken in der Wand.
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Tiefen seiner Seele schuf und durch Jahrtausende
bewahrte, und an deren Anfang irgendwo die Sonnenrune, das
Hakenkreuz und die Wolfsangel stehen. Ein Teil der Streben in der
oberen Hälfte des Giebeldreiecks ist geschweift, aber, was immerhin
wundernimmt, sehr unsicher und ungleichmäßig in der Form. Man muß
schon annehmen, daß die Umrißlinien ohne Benutzung einer Schablone
aus dem vollen Holz herausgehauen sind.
Den feinsten und am meisten fesselnden Schmuck tragen von allen
Balken die Saumschwellen. Die obere zeigt in sauberer Schnitzerei
zwei miteinander verschlungene Bänder, ein Muster, das sich durch
das ganze deutsche Mittelalter neben dem Taustab großer Beliebtheit
erfreute, die untere eine Inschrift: 15 JOHAN 3 CAP ALSO HAT GOT DE
WELT GELIEBET DAs ER SEINEN EINIGEN SON GAB AVF DAS ALLE SO AN IN
13.
An diesen Worten gibt es einiges zu rätseln. Wie kommt es, daß der
Spruch mitten im Text abreißt? Wie erklärt sich die seltsame
Anordnung der Jahreszahl, die wir sonst nirgends so finden? Vor
allem aber: Wie konnte es geschehen, daß ein Lauenburger Bürger
4
Jahre, bevor Luther das Werk der Reformation überhaupt vor der Welt
begann, und 18 Jahre vor der Einführung der „reinen Lehre" in
Lauenburg einen DEUTSCHEN Bibelspruch an sein Haus schreiben ließ?
Eine Erörterung dieser Fragen würde hier zu weit führen, nur zum
letzten Punkt soll gesagt werden, daß die Jahreszahr wahrscheinlich
entstellt ist. Die 13 ist heute aus dünnen Holz- oder Metallstreifen
aufgenagelt, und man muß wohl statt der 1 eine
7 lesen; dann stammte
der Bau aus dem Jahre 1573. Die Annahme gewinnt sehr an
Wahrscheinlichkeit, wenn wir die schon berührte Aehnlichkeit
einzelner Teile der Schnitzerei mit entsprechenden Stücken von
zeitlich einwandfrei bestimmbaren Häusern beachten. Die Ausführung
der Schnitzarbeit ist durchweg gut, Wenn heute auch manches durch
Verwitterung und besonders durch den häufigen Anstrich mit Oelfarbe
arg gelitten hat. Besonders die Schrift ist in Form und Anordnung so
ausgezeichnet aus dem Holz herausgearbeitet, daß die geringen oder
ganz fehlenden Wortabständc kaum stören. Alles Schnitzwerk
verrät
eben den tüchtigen Handwerker, nur das Zierwerk der Knaggen sieht
roh und ungeschickt aus, vielleicht stellte die Anbringung bon
Flachrelief auf gewölbten Flächen zu hohe Anforderungen an die
räumliche Gestaltungskraft? Dieser Mangel vermag den Wert des
Giebels als Ganzes aber nicht im geringsten zu beeinträchtigen.
Das am besten erhaltene Haus aus der gothischen Zeit der Stadt
Lauenburg ist ohne Zweifel DAS ALTE PASTORAT, Abbildung 3, ein
typisches Langhaus. Es hat, das sei hier nebenbei bemerkt, keinerlei
Hofplatz und zeugt so recht sinnfällig für die Enge des alten
Lauenburg. Die Inschrift in der Saumschwelle an der Vorderseite ist
lateinisch, denn das Haus mußte nach den Anschauungen seiner
Entstehungszeit ja unmißverständlich kund tun, daß es die Wohnung
eines studierten Herrn war. Sie lautet: DEO • NONDANTE • NON IVVAT •
LABOR • DEO VERO • DANTE • NON IVVAT • INVIDIA • NAZIANZENVS HAE
EXSTRVCTAE SVNT AEDES
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DIACONALES M IOAN RVPERTI SVPERIN. Das heißt auf
deutsch: Wo Gott nicht segnet, da hilft keine Arbeit, wo Gott aber
segnet, da sehadet kein Neid. (Nazianzenus soll der Verfasser des
Spruches sein.) Dies Diakonatshaus ist erbaut worden, als Magister
Johann Rupertus Superintendent war. (R. war von 1592 -1605 Pastor in
Lauenburg und der oberste Geistliche im Herzogtum Niedersachsen.) Es
ist sehr bezeichnend für die vollständig antike Einstellung der
Gelehrten jener Zeit, an Stelle einer Jahreszahl den Namen des
Geistlichen zu nennen, dessen Dienstwohnung das Haus war. Die
Rückseite nach dem Graben zeigt einen deutschen Bibelspruch: (Psal)M
127 WO GOTT DER HERRE DAS HAVS NICHT BAVET SO ARBEITEN VMSVNST . .
den Rest verdeckt eine Auslucht. Die ganze Schnitzerei dieses Hauses
macht einen rohen,
Abb. 3. Das alte Pastorat (Kirchplatz 1).
unbeholfenen Eindruck. Die Taustäbe versuchen, in beinahe derber
Wirklichkeitstreue eine dicke Hanftrosse wiedergeben, und die
Schrift, erhaben geschnittene Antiqua, ist nur mäßig geformt, die
Wortabstände sehr willkürlich und selten. Das letztere mag daher
kommen, daß der Schnitzer natürlich kein Latein konnte, also nur für
ihn sinnlose Buchstaben wiedergab. Ein Vorwurf ist ihm aber daraus
zu machen, daß er mit dem Raum zu kurz kommt, denn selbst unter
Beachtung der derzeit üblichen weitgehenden Abkürzungen fehlen etwa
5-8 Buchstaben. Die Verzierung der Knaggen paßt zum Uebrigen, ein
kindlich roh wiedergegebenes Kastanienblatt und eine einfache über
Eck verlaufene Perlschnurmusterung. Der Wert des Gebäudes liegt in
seiner ausgezeichneten Erhaltung. Fehlt doch nur seit etwa 22 Jahren
der Beschlag - Klinke und Klopfer - der Haustür, die noch zweifellos echt ist! Mit kurzen Worten: die einstige Dienstwohnung des
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Pastors Rupertus ist als einfaches, klar
gegliedertes Langhaus ein unersetzliches Vorbild für unsere Zeit.
Ein glückliches (oder unglückliches) Schicksal hat von dem
wertvollsten und reichsten alter gotischen Häuser in Lauenburg, von
der heutigen ELBDROGERIE, nur gerade soviel zugänglich erhalten, daß
wir uns noch eine Vorstellung von der Formensprache seines Zierrats machen können. Auch ein Langhaus, nimmt es etwa
2/3 der
Südseite des Kirchplatzes ein, mit der Rückseite gegen die
Elbstraße. Die Nordfront ist heute durch eine vorgebaute Erweiterung
berdeckt. Man hat, wahrscheinlich um 1750 herum, die geringe Tiefe
des Hauses einfach dadurch vergrößert, daß man etwa
2 1/2 Meter
vor der alten Außenwand eine neue bis zum Dach hochzog und dieses dann
an die neue Mauer führte. Was verschlug es jener Zeit, daß der
Giebel schief, d. h. unsymmetrisch wurde? Wer weiß heute noch, was
der damalige Besitzer mit den schmalen, für heutige Begriffe fast
unbrauchbaren Räumen wollte? Er ließ die alte Außenwand tünchen und
das überkragende Gebälk des ersten Stockwerks mit Mörtel und Gips
verkleiden. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt. Der
Westgiebel des Hauses zeigt einfach, aber sehr schön gearbeitete
Knaggen, die, in Lauenburg einzig dastehend, als Schmuck Fratzen von
asiatischem Typus tragen. Letzteres ist vermutlich Zufall, denn
gegen das Ende des 16. Jahrhunderts kannte man den ostasiatischen
Gesichtsschnitt in Deutschland kaum und verwandte ihn sicher nicht
als Zierrat eines Hauses. Oder soll man in diesen Gesichtern, die
teils von vorn, teils von der Seite gesehen sind, naive
Porträtierungsversuche sehen? Es ist nicht anzunehmen, aber doch
nicht ganz ausgeschlossen; zumal nicht in Hinblick auf die
Schnitzerei des Brusttuches in Goslar. Andererseits ist durch eine
zufällige Freilegung eines Teiles der Verzierungen an der Nordseite
des Hauses erwiesen, daß menschliche Gesichter bewußt als Zierform
benutzt sind; die Saumschwelle des ersten Stockwerks zeigt dort
nämlich statt der einfachen Abrundung mit punktartiger
Kerbschnittverzierung auf der Seite liegende Gesichter mit langen
Bärten, die sich mit ihren Spitzen in der Mitte der Teilung
berühren. Von den Gesichtern abgesehen zeigt die ganze andere
Schnitzerei des Gebäudes einen ausgesprochenen Kerbschnittcharakter
(wie mehr oder weniger alle gotischen Bauten Lauenburgs außer dem
Pastorat). Auch die Schrift ist eingekerbt, und zwar in leichten,
sehr sicheren Formen. Der Text der Inschrift der Südseite ist
PLATTDEUTSCH und wegen des langen Balkens, der zur Verfügung stand,
recht umfangreich. „Wol Got vortruwet, de heet (verschrieben aus
HEFT) wol gebuwet. Wo Got der Here dat Hus nicht buwet, so arbeiden
vorgewes alle de daran buwen. De Segen des Heren maket rike ane
Moye Anno Domini 1583". Es ist ein bißchen auffällig, daß dieses
Haus, ebenso wie großenteils das Mensingsche und das weiter unten zu
beschreibende Elbstraße 65 aus dem Jahre 1579, so saubere
Schnitzarbeit trägt, während das bestimmt gleichalterige Pastorat,
ein städtischer oder gar herzoglicher Bau, nur rohe, fast
dilettantenhafte Ausführung zeigt. Waren damals die behördlichen
Bauleute weniger tüchtig als ihre freien Zunftbrüder?
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Das FREYSTATZKYSCHE HAUS, Elbstraße 65, Abbildung
4, gleicht der Art
seines Schmuckwerks nach in allen Zügen den vorher beschriebenen
Bauten. Zu erwähnen ist allerdings, daß im zweiten Stockwerk, auf
der Grundlinie des Giebeldreiecks, die Strebenhölzer nicht mit
Rosetten geziert sind, sondern in Halbkreisen aus Perlstäben ein
seltsames (palmenartiges?) Blattmuster tragen. Die Inschrift ist das
schon einmal genannte: „Wol Got vortruwet usw." Dazu das Baudatum
und der Name des Besitzers. Der Gesamteindruck des Hauses leidet
heute sehr unter dem grau- und gelb-braunen Anstrich und vor allem
darunter, daß das ganze Untergeschoß von den riesigen Schaufenstern
eingenommen wird. Dadurch scheint der massige alte Giebel wie auf
Stelzen hoch in die Luft gehoben. Die Langseite des Hauses ist nur
wenig verziert und offensichtlich nicht als Schauseite gedacht.
Abb. 4. Das Freystatzkysche Haus (Elbstr. 65).
Es ließe sich noch manches Haus aus der Zeit des Herzogs Franz des
Jüngeren im Anschluß an die obigen vier schildern. Allein der Umfang
der Arbeit heischt gebieterisch Beschränkung. Zudem sind die
andern Bauten der Zeit, in erster Linie Elbstraße 79, nicht entfernt
so gut erhalten wie die mit Wort und Bild beschriebenen. Eines aber
ist auch schon aus den
bisherigen Ausführungen klar zu erkennen: Um die Wende des
16.
Jahrhunderts gab es in der Stadt Lauenburg allerlei Arbeit für die
Bauhandwerker, und die Bürger nahmen die Gelegenheit wahr, durch den
Schmuck ihrer neu erbauten Häuser ihren Wohlstand zu zeigen. Dieser
ersten Blütezcit der Stadt wurde ein Ziel gesetzt vom
dreißigjährigen Kriege. Er hat auch auf ihrem Leben lähmend
gelastet, doch scheint sie vom Schlimmsten verschont geblieben zu
sein. Gegen das Ende der Notzeit muß es dort sogar recht still und
ruhig gewesen sein, denn schon in den vierziger Jahren des 17.
Jahrhunderts beginnt ein neuer Abschnitt lebhafter Bautätigkeit,
dessen Zeugen zu den schönsten Häusern Alt-Lauenburgs gehören.
Waren die Leute, die sich ANNO DOMINI 1646, 1648 oder
1649 neue
Häuser bauen ließen, Kriegsgewinnler oder Schieber der Art, die
unsere Zeit wild wachsen ließ? Oder ließ nur stolzer Bürgermut neu
erstehen, Was die zuchtlose Soldateska in Schutt und
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Trümmer legte? Die Fragen mag bei Chronist
beantworten, hier gilt es das hinterlassene Werk!
Aus jener Zeit stammt das FÄHRHAUS, Elbstraße 119. Wie schon früher
gesagt, fällt der Unterschied der Ausführung und der stilistischen
Ausdrucksweise gegen die der 50 bis 70 Jahre älteren Bauten sehr in
die Augen. Zwar blieb der grundsätzliche, formale Aufbau - nur das
Untergeschoß ist nicht mehr so hoch wie ehedem; aber aller Schmuck
ist sparsamer angebracht. Früher wies jede freie Kante einen Taustab
oder eine andere Bearbeitung auf; am Fährhaus sind nur die Kanten
der Saumschwellen durch eine Hohlkehle mit Schuppen gebrochen, die
über den ganzen Giebel gleichartig ist. Die Rosetten fehlen
überhaupt; als Streben dienen einfache, glatte Balken. Dafür ist
dann die Schrift um so schöner. Reich und vollkommen sicher geformte
Buchstaben in regelmäßig und richtig angeordneten Wortbildern ziehen
sich über die Länge des Schriftbandes. Eine kleine Probe davon ist
auf dem linken Teile der Abbildung 5 wieder-
Abb. 5. Knaggen am Fährhaus (Elbstr. 111).
gegeben. Die Knaggen, denen die Abbildungen eigentlich gelten,
sind
sehr tüchtige Leistungen. Man hat kennzeichnende Muster der
Frührenaissance hinein- oder herausgearbeitet. Glaubt man nicht
heute noch an der feinen, sauberen Ausführung den segensreichen,
wertsteigernden Einfluß der Aufsicht durch die Zunftoberen zu
spüren?
Wenn im ersten Teile des Aufsatzes die Bauten der gotischen
Zeit mit einem Holzschnitt verglichen worden sind, so darf man bei den
Häusern der Renaissance-Periode wegen ihrer sauberen Geschlossenheit
wohl von einem Kupferstich reden, auch dann noch, wenn sie im
Verhältnis viel einfacher scheinen. Es wird schon zutreffen, daß das
niederdeutsche Leben auf dem Lande und in der Kleinstadt bis zum
dreißigjährigen Kriege in erster Linie Gemeinschaftsleben
war,
nachher aber die Persönlichkeitskultur mehr und mehr ins
Vordertreffen geriet. Der Mensch der erstgenannten Lebensrichtung
war mitteilsam; er legte den besten Schmuck seines Hauses nach
außen.
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Nach dem großen Kriege aber strebt man in
umgekehrter Richtung - das Haus soll innen am schönsten sein. Für
den Norden des niedersächsischen Landes gilt das ganz bestimmt und
am meisten für Land und Kleinstadt, wo solche Strömungen unbewußter
und darum ungehemmter wirken konnten als in den Brennpunkten des
Lebens. Erst das Barock macht dem ein Ende. War die Gotik
wurzelecht, die Renaissance ein Edelreis, so ist das Barock
Ueberzüchtung, beginnende Verflachung, Verfall. An die Stelle der
natürlichen, im tiefsten Kern immer noch zweckhaften
Schmuckfreudigkeit der beiden ersten tritt eine rasch nach außen
verflachende, in Baustoff und Wesen unwahre Putzsucht, die
schließlich in der Scheinwelt des Rokoko versinkt. Natürlich tritt
das in Lauenburg nicht kraß in Erscheinung; aber wer einmal ganz
offenen Auges das HAUS des Herrn JAKOBI (Elbstraße 35),
Abbildung 6,
Abb. 6. Das Jakobische Haus (Elbstr. 35).
ansieht und es mit den andern vergleicht, der wird schon merken, was
der Satz sagen will. Es ist reich geschnitzt und vereint die Fülle
des Schmuckes gotischer Bauten mit der handwerklichen Vollendung der
Renaissance, aber die ganze Art des Hauses weicht sehr von dem sonst
in Lauenburg lieblichen ab. Am schwächsten ist zweifellos die
Schrift; sie fällt um so mehr auf, als sonst allem Zierwerk eine
außerordentlich flüssige Formengebung eigen ist. Die Buchstaben
scheinen steif und nachgezeichnet und sind z. B. mit denen vom
Fährhause nicht zu vergleichen. Nur die Ziffern der Jahreszahl haben den Schwung, der zum
Gesamtbilde gehört. Das untere Schriftband zeigt die Namen des
Erbauers und seiner Frau, sowie das Baujahr 1647; das obere enthält
einen in bezug auf die Entstehungszeit sehr feinsinnig gewählten
Spruch, der ein besonderes Erlebnis des Hinrich Rodtmann in den
wilden Zeitläufen vermuten läßt. Bei dem übrigen Schmuck des Hauses
fehlt die volle Einheitlichkeit. Die Streben der Ständer, weder
volle Dreiecke wie um 1600, noch glatte Balken, wie etwa beim
Fährhause, sind jede einzeln mit einem in sich geschlossenen Muster
„im Bretzelstil" in flacher Schnitzarbeit verziert. Die Ständer
selbst weisen abwechselnd die verschiedenen Zierformen auf, eine
Schuppen- oder Blattreihe, ein Gebilde, das Aehnlichkeit mit einer
Traube und darunter befindlichem Glase hat, und eine Ranke. Mit
diesem Schnitzwerk war aber nur das untere Ende bis zu den
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Fenstern verziert, wie heute noch im Giebeldreieck
zu sehen ist. Im ersten Stockwerk hat eine spätere Vergrößerung und
Hinausschiebung der Fenster etwa 2/5 der Schnitzerei auf den
Ständern verdeckt oder zerstört, wie überhaupt der ganze Giebel
unter den Arbeiten der späteren Jahrhunderte sehr gelitten hat . Die
(auf der Abbildung deutlich erkennbare) Vergrößerung des Hauses
durch „Anstücke" ist dabei nicht so schlimm wie das immer
wiederholte Verschmieren mit grauer Oelfarbe. Der Vergrößerung der
Fenster sind auch die Knaggen unter der Saumschwelle des
Giebeldreiecks zum Opfer gefallen, und das ist sehr bedauerlich.
Denn an diesem Hause sind die Knaggen hervorragend tüchtige
Bildhauerarbeit. Ihre Aufgabe, die Deckenbalken und die
Saumschwellen zu stützen, tritt freilich schon stark hinter dem
bloßen Schmuckwert zurück. Sie zeigen teils einen Engel, teils ein
Fruchtstück (Apfel im Laub), unter dem obersten Geschoß Blattwerk.
Was davon erhalten blieb, leidet sehr unter dem allzuoft
wiederholten Oelfarbenanstrich. Der Gesamteindruck des Hanses ist
trotz der reichen Schnitzerei nicht so geschlossen wie der anderer
alter Häuser; ihm fehlt dass unnennbare Etwas, das Haus und
Schmuckwerk zur Einheit gestaltet. Vielleicht paßt das Gewand des
Barock überhaupt nicht auf das niedersächsische Fachwerkhaus;
vielleicht lehnte das innerlich noch gesunde und unverderbte
Niedersachsentum, die Verflachung, den Verfall unbewußt empfindend,
damals noch überhaupt das Barock ab. Auffällig bleibt für jeden
Fall, das gleichzeitig mit diesem Hause der Renaissance-Bau des
Fährhauses entsteht; ja, daß 15 Jahre später immer noch der Stil des
letzteren regiert. Wenn man nicht die zufällige Anwesenheit eines
Zimmermannes, der die „neue Mode" schon kannte, als Erklärung gelten
lassen will, wird es schwerlich möglich sein, diese seltsame
Gleichzeitigkeit zu deuten.
Wir könnten jetzt das Haus des lauenburgischen Bürgers weiter durch
den Lauf der Jahre verfolgen. Wir würden sehen, wie es immer weniger
den Stempel einer großen Lebenseinstellung, wie einstmals in den
Tagen vor und nach dem Großen Kriege, aufweist; wie aus der
deutschen Kultur der Vergangenheit die deutsche „Kultur" der
Gegenwart erwächst. Davon vielleicht einmal später!
„Ehrnhaft, rumlich, auch christlich
ist,
Daß man zu keiner Zeit vergißt
Der lieben alten Vorfahrn,
Die vor uns in dem Leben warn." |
Damit mag dieser Aufsatz schließen. Wenn er ein
wenig im Sinne der alten Verse gewirkt hat. ist sein Zweck erfüllt.
____________________
Literatur:
Lauenburg a. d. Elbe, Stadt und Landschaft. Herausgegeben und
verlegt von Adolf Saal, Lauenburg a. d. Elbe, S. 18. Das Erbe der
Vergangenheit.
Dr. Richard Haupt und Friedrich Weysser, Die Bau- und
Kunstdenkmäler im Kreise Herzogtum Lauenburg. Ratzeburg
1890.
S. 103-106. Die Stadt Lauenburg.
Gustav Wolf, Die schöne deutsche Stadt. Bd. Norddeutschland. München,
R. Piper Co. Verlag. S. 93 ff. Fachwerkbau.
|