Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1925


Alte Bürgerhäuser in Lauenburg a. d. Elbe.

Von Diplom-Ingenieur WILHELM HADELER, Berlin.

I.

Berühmte Prachtbauten sind's nicht, die in der ehemaligen Residenz der Herzöge zu Sachsen, Engern und Westfalen ein Stück Vergangenheit in unsere Tage retteten. Und sie können es auch schwerlich sein, denn Quellen des Reichtums wie die lüneburger Saline oder der lübische Handel flossen dem Lauenburger Bürger nicht. Er war Handwerker und Schiffer und als solcher auch ein bißchen Kaufmann. Der ortsansässige Zimmermeister baute ihm sein Haus, indem er nach den Sätzen und Regeln des Handwerks anwandte, was er als zünftig in seinen Lehr- und Wanderjahren gesehen und gelernt hatte.

Es ist das Ziel dieses Aufsatzes, im Umriß das zu schildern, was als Werk längst verschollener ehrsamer Handwerker von der Kultur und dem bescheidenen Wohlstande unserer Vorfahren zeugt, und er möchte dazu anregen, daß wir Heutigen einmal einen Vergleich ziehen zwischen dem Einst und der Gegenwart. Das könnte einen Schritt auf dem Wege zur Erkenntnis und zum Verständnis unserer Zeit voranführen. Ehe aber eine Bewertung des Alten an Hand einer eingehenden Betrachtung der alten Häuser möglich ist, gilt es, die Bedingungen anzugeben, unter denen man vor 350 Jahren in Lauenburg a. E. städtische Häuser errichtete.

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Damals war die Stadt sehr klein. Sie reichte vom Ostertor bei der heutigen Post bis zur Neustadt, wo sich in alter Zeit am Westertore die Fähre befand. Dicht hinter der Kirche stand das Norder- oder Kuhtor. Alles andere war Vorstadt und nicht der städtischen Verwaltung, sondern der herzoglichen Behörde unterstellt. Grund und Boden war aber durch den Berg und die Elbe in der eigentlichen Stadt so beschränkt wie in den Vorstädten, abgesehen von „Babenbrügg", der heutigen Oberstadt, wo man zwar Platz, aber nur wenig Trinkwasser hatte. In Lauenburg herrscht deshalb das Giebelhaus vor, es nutzt die schmalen und tiefen Grundstücke, die durch die Enge des Platzes entstanden, am besten aus. Langhäuser aus älterer Zeit sind in der eigentlichen Stadt auf die wenig tiefen Grundstücke um den Kirchplatz und unterm Schloßberg beschränkt. Den Raumbedürfnissen des Bewohners - er wollte Wohnung, Werkstatt und Lager- oder Verkaufsraum - entsprach das Haus, indem es grundsätzlich die allgemeine Einteilung des ländlichen Niedersachsenhauses beibehielt.

Nach wie vor ist die große Diele der bedeutendste Raum. Wo der Bauer das Beste seines Vermögens, sein Vieh, stehen hatte, stellt der Städter seine Waren und die Erzeugnisse seines Fleißes zur Schau. Dort finden auch die Prunkstücke seines Hausgeräts, Truhen und Schränke, ihren Platz. Und wie der Bauer am einen Ende der Diele die Dönzen abteilt, so zieht auch der Bürger Wände - in Lauenburg immer an einer Langseite des Hauses - schafft auf diese Weise Zimmer und dazwischen eine fast abgeschlossene Küche. Der Hausherr übte seinen Beruf ja im Hause selbst aus; da brauchte die Frau nicht von ihrem Platz am Herde aus den ganzen „Innendienst" zu leiten wie auf dem Lande.

Die Höhe des Untergeschossen bis zur ersten durchgehenden Balkenlage ist ziemlich beträchtlich, bis zu 4 und 5 Meter, ursprunglich, um dem hochbeladenen Erntewagen die Einfahrt zu gestatten. Das wird sich in Lauenburg allerdings kaum noch unmittelbar geltend gemacht haben, denn nirgends ist in einem alten Hause noch eine große Tür oder auch nur ein Hinweis darauf erhalten. Dennoch bleibt der überlieferungstreue Niedersachse bei der großen Höhe. Um sie auszunutzen, baut er zwei Zimmer übereinander. Man erkennt das bei älteren Häusern an den zwei Fensterreihen unter dem ersten überkragenden Stockwerk. Als Beispiel mögen die Häuser Elbstraße 18 (Lütje) und Elbstraße 61 (Elbdrogerie) genannt sein.

Bei der Bemessung der Zimmerhöhen wird das Erdgeschoß wegen seiner bequemen Zugänglichkeit bevorzugt. Ihm gibt man 2 1/2 - 3 Meter Höhe, während das Zwischengeschoß nur eben mannshoch wird. Nach außen zeigt sich das deutlich an der verschiedenen Größe der Fenster. Die Treppe zu den Obergeschossen wird irgendwo seitwärts hinaufgeführt, bisweilen auch mitten aus der Diele heraus.




Abb. 1. Grundriß des Hauses Elbstraße 79.
 

Besser als viele Worte erläutert die erste Abbildung die innere Gestaltung des alt-lauenburgischen Hauses. Die Skizze stellt den Grundriß des Hauses Elbstraße 79 dar, das nach den spärlichen Resten von Schnitzerei am Gebälk aus der Zeit des verklingenden 16.

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Jahrhunderts stammt. In diesem Hause wurde seit seiner Erbauung das Böttcherhandwerk von den Gliedern der gleichen Familie ausgeübt. Diesem Umstände ist es wohl zu verdanken, daß seine ursprüngliche Gestaltung beinahe unverändert erhalten blieb.

Der Baustoff der Altvordern war, was das Land ringsum willig bot, Holz und Lehm, aus dem man Ziegel brannte, dazu Feldsteine für die Grundmauern. Eichenholz war das Beste und darum im Verhältnis am meisten benutzt. Daraus hieb man die mächtigen Balken für Wand und Decke zurecht, und aus dem gleichen Holz schnitt man die Bohlen, die zugleich Decke der Abb. 1. Grundriß des Hauses Elbstraße 79. Diele und Fußboden des Obergeschosses sind. Das Füllmauerwerk der dem Wetter ausgesetzten Wände war im 16. Jahrhundert schon seit langem von roten Backsteinen, die man an der Schauseite des Hauses gern in verschiedenen bunten Mustern anordnete. Die Fächer der durch Nachbarhäuser geschützten Seitenmauern füllte man dagegen um 1600 meistens noch mit lehmbeworfenem Flechtwerk, später mit lufttrockenen Lehmziegeln. Die letzteren blieben bis ins 19. Jahrhundert hinein wegen ihres geringen Preises ein bevorzugter Baustoff für Innenwände.

Der technische Aufbau - die „statische Gestaltung" möchte ich dafür sagen - bleibt sich durch Jahrhunderte im Grunde gleich, es sei denn, daß die Größenverhältnisse der Räume untereinander langsam unsern Anschauungen entgegen wachsen. Die Formensprache des Schmuckwerks dagegen zeigt schon in den Jahren 1550-1700 zwei zwar verwandte, aber doch unterschiedene Ausdrucksweisen. Die Bauten aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (aus der ersten sind keine einwandfrei nachweisbar) bis etwa zum Tode des Herzogs Franz d. J. (1619) sind ihrem Wesen nach noch unzweifelhaft gotisch, wenn die Formen auch äußerlich ein wenig an Renaissance erinnern. Diese Häuser verraten einen Willen zu Schmuck und Zierrat, der unserer Zeit des rechnenden Verstandes ganz fremd und unverständlich ist. Nur ein Jahrhundert, das aus den Tiefen der Volksseele die Reformation werden ließ, durfte seinen Ueberfluß an schöpferischer Kraft so königlich selbst an Dingen des Alltags verschwenden, daß wir Modernen auch in einem Städtchen wie Lauenburg in ehrfürchtigem Staunen vor seinen handwerklichen Leistungen stehen. Sie haben etwas Holzschnittartiges, diese alten Bauwerke, die durch 350 Jahre Regen und Schnee, Sturm und Stille über sich ergehen ließen; so einfach wahr, ein bißchen unbeholfen und doch

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so unglaublich lebendig sind sie. Unter den Scbmuckformen, die sie zieren, überwiegen Taustab 1) und Halbrosette. Rein ornamental gedachte Fratzen erfcheinen nur an einem Hause. Ganz anders dagegen, Was aus dem 17. Jahrhundert auf uns kam! Das Ursprungliche ist überwunden, alle Formen sind sauberer geschnitten, die Gestaltung ist edler, das Gesamtbild geschaffener und - zurückhaltender geworden. Die zunehmende Persönlichkeitskultur der Renaissance äußert sich eben auch im Hausbau. Die bevorzugten Schmuckformen sind meist pflanzlichen Ursprungs und klingen zuweilen an Antikes an. Eines aber zieht sich wie ein roter Faden durch den Hausbau von 1550 bis tief ins 18. Jahrhundert hinein: die schöne Sitte, einen Spruch, den Namen des Erbauers, zuweilen auch den seiner Frau und dazu das Datum der Errichtung in das Fachwerk einzuschnitzen. Um eine Vorstellung von dem Unterschied im Schaffen der beiden Zeitabschnitte zu erhalten, vergleiche man nur einmal das Fährhaus (Elbstr. 119) mit dem Freystatzkyschen Hanse (Elbstr. 65) Abb. 4, oder das alte Pastorat (Kirchplatz 1) Abb. 3, mit dem Jakobischen Hanse (Elbstr. 35) Abb. 6. Während das Fährhaus und einige gleichalterige, von der gleichen Hand geschaffene Bauten einfach schöne Renaissance-Formen zeigen, ist das Jakobische Haus gar ein waschechter Barockbau, ein ganz fremder Vogel im Schwarm. Bei allen Unterschieden gewahrt man dennoch in der Art des Schnitzers, im jeweils neuen Stil zu schaffen, die ungeheure Beharrlichkeit des Niedersachsentums. Wohl nimmt es die ihm zunächst innerlich und äußerlich fremden Formen an, aber es dichtet sie in seine Sprache um, ehe davon Gebrauch gemacht wird. Das Haus selbst bleibt dabei bis in Einzelheiten so, wie es 100 und 200 Jahre vorher schon war.

Auf die technische Seite des Fachwerkbaus, der heute eine so gut wie verschollene Kunst ist, kann hier nicht näher eingegangen werden. Die am Schlusse genannte Literatur bringt Einiges darüber. Doch soll hier noch auf eine Eigentümlichkeit vieler alt-lauenburgischer Hänser hingewiesen werden, auf die AUSLUCHT. Das ist ein in jedem Falle nachträglich angefügter Ausbau, der ein Zimmer des Erdgeschosses um ungefähr 1 Meter in die Straße hinein verlängert. In seinen freiliegenden Seiten sind Fenster, um, wie schon der Name sagt, die Straße bequem überschauen zu können. Eine köstliche Unbefangenheit setzt die Auslucht ohne die geringste Rücksicht auf die architektonische Gestaltung des Hanses dorthin, wo man ihn braucht. So ist z. B. die Rückseite des alten Pastorats auf diese Weise zur Hälfte berdeckt. Im Gegensatz zu andern Orten ist in Lauenburg die Auslucht überall eingeschossig und unverziert. Sie schließt in der Höhe der Decke des Erdgeschosses mit einem kleinen nach vorn abfallenden Dach aus roten „holländischen" Pfannen ab. Trotz ihrer Einfachheit wirkt sie im Straßenbilde als willkommene Belebung, denn sie durchbricht die glatte, flächenhafte Straßenwand und schafft Ruhepunkte für das Auge.
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1) Schnitzerei an einer freien Balkenkante, die in der einfachen Form ein Hanftau nachzuahmen versucht, aber schon früh in vielfältigen, zuweilen sehr schönen und kunstreichen Abwandlungen auftritt.

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II.

Um die allgemeinen Ausführungen des ersten Teils etwas zu beleben und klarerer zu gestalten, sollen die in Teilen oder als Ganzes am besten erhaltenen Häuser einzeln besprochen werden. Das sind aus der gotischen Zeit: das Mensingsche Haus am Markt, das alte Pastorat, Kirchplatz 1, die Elbdrogerie, Elbstraße 61, und das Freystatzkysche Haus, Elbstraße 65. Als Zeuge der Renaissance mag das Fährhaus dienen und als letztes soll das Haus des Herrn Jakobi, Elbstraße 35, genauer betrachtet werden.




Abb. 2. Das Mensingsche Haus (am Markt).

Das MENSINGSCHE HAUS am Markt (Abbildung 2) ist heute ein Wahrzeichen der Stadt Lauenburg, das mit gutem Recht neben den Amtsturm gestellt wird. Doch so ehrwürdig der Giebel aussieht, am ganzen Hause ist nicht viel Altes mehr daran. Brandschaden und Umbauten haben es so verändert, daß dem Kundigen die Erhaltung des Giebels beinahe erstaunlich scheint. Sein Fachwerk ist, wie für das 16. Jahrhundert selbstverständlich, von schwerem Eichenholz gefügt. Die Stockwerke kragen recht weit über, besonders das erste, das fast 1 Meter vorspringt, so daß es durch Streben, nicht wie sonst durch Knaggen gestützt werden muß. Die freien Kanten der Saumschwellen 2) und Füllhölzer 3) sind durch kunstvoll stilisierte Taustäbe gebrochen, die man in sehr ähnlicher oder gar gleicher Ausführung auch an der Elbdrogerie, dem Freystatzkyschen Hause, am Hause Elbstraße 79 u. a. m. findet. Die Streben der Ständer 4) sind im ersten Stockwerk als volle Dreiecke ausgebildet. Sie tragen als Schmuck eine Halbrosette, die vielleicht als auf- oder untergehende Sonne gedeutet werden darf. Dann wäre dieses Muster, dem man in Lauenburg noch mehrfach begegnet, möglicherweise ein spätes Glied der Reihe von heiligen Zeichen, die das Volk in den unerschöpflichen
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2) Saumschwelle ist der untere, querüberlaufende Balken eines jeden Stockwerks, auf dem die Wand aufgebaut ist.
3) Füllholz ist ein Balken, zuweilen auch Brett zwischen den Deckbalken bzw. Knaggen unter der Saumschwelle.
4) Die lotrechten Balken in der Wand.


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Tiefen seiner Seele schuf und durch Jahrtausende bewahrte, und an deren Anfang irgendwo die Sonnenrune, das Hakenkreuz und die Wolfsangel stehen. Ein Teil der Streben in der oberen Hälfte des Giebeldreiecks ist geschweift, aber, was immerhin wundernimmt, sehr unsicher und ungleichmäßig in der Form. Man muß schon annehmen, daß die Umrißlinien ohne Benutzung einer Schablone aus dem vollen Holz herausgehauen sind.

Den feinsten und am meisten fesselnden Schmuck tragen von allen Balken die Saumschwellen. Die obere zeigt in sauberer Schnitzerei zwei miteinander verschlungene Bänder, ein Muster, das sich durch das ganze deutsche Mittelalter neben dem Taustab großer Beliebtheit erfreute, die untere eine Inschrift: 15 JOHAN 3 CAP ALSO HAT GOT DE WELT GELIEBET DAs ER SEINEN EINIGEN SON GAB AVF DAS ALLE SO AN IN 13.

An diesen Worten gibt es einiges zu rätseln. Wie kommt es, daß der Spruch mitten im Text abreißt? Wie erklärt sich die seltsame Anordnung der Jahreszahl, die wir sonst nirgends so finden? Vor allem aber: Wie konnte es geschehen, daß ein Lauenburger Bürger 4 Jahre, bevor Luther das Werk der Reformation überhaupt vor der Welt begann, und 18 Jahre vor der Einführung der „reinen Lehre" in Lauenburg einen DEUTSCHEN Bibelspruch an sein Haus schreiben ließ? Eine Erörterung dieser Fragen würde hier zu weit führen, nur zum letzten Punkt soll gesagt werden, daß die Jahreszahr wahrscheinlich entstellt ist. Die 13 ist heute aus dünnen Holz- oder Metallstreifen aufgenagelt, und man muß wohl statt der 1 eine 7 lesen; dann stammte der Bau aus dem Jahre 1573. Die Annahme gewinnt sehr an Wahrscheinlichkeit, wenn wir die schon berührte Aehnlichkeit einzelner Teile der Schnitzerei mit entsprechenden Stücken von zeitlich einwandfrei bestimmbaren Häusern beachten. Die Ausführung der Schnitzarbeit ist durchweg gut, Wenn heute auch manches durch Verwitterung und besonders durch den häufigen Anstrich mit Oelfarbe arg gelitten hat. Besonders die Schrift ist in Form und Anordnung so ausgezeichnet aus dem Holz herausgearbeitet, daß die geringen oder ganz fehlenden Wortabständc kaum stören. Alles Schnitzwerk verrät eben den tüchtigen Handwerker, nur das Zierwerk der Knaggen sieht roh und ungeschickt aus, vielleicht stellte die Anbringung bon Flachrelief auf gewölbten Flächen zu hohe Anforderungen an die räumliche Gestaltungskraft? Dieser Mangel vermag den Wert des Giebels als Ganzes aber nicht im geringsten zu beeinträchtigen.

Das am besten erhaltene Haus aus der gothischen Zeit der Stadt Lauenburg ist ohne Zweifel DAS ALTE PASTORAT, Abbildung 3, ein typisches Langhaus. Es hat, das sei hier nebenbei bemerkt, keinerlei Hofplatz und zeugt so recht sinnfällig für die Enge des alten Lauenburg. Die Inschrift in der Saumschwelle an der Vorderseite ist lateinisch, denn das Haus mußte nach den Anschauungen seiner Entstehungszeit ja unmißverständlich kund tun, daß es die Wohnung eines studierten Herrn war. Sie lautet: DEO • NONDANTE • NON IVVAT • LABOR • DEO VERO • DANTE • NON IVVAT • INVIDIA • NAZIANZENVS HAE EXSTRVCTAE SVNT AEDES

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DIACONALES M IOAN RVPERTI SVPERIN. Das heißt auf deutsch: Wo Gott nicht segnet, da hilft keine Arbeit, wo Gott aber segnet, da sehadet kein Neid. (Nazianzenus soll der Verfasser des Spruches sein.) Dies Diakonatshaus ist erbaut worden, als Magister Johann Rupertus Superintendent war. (R. war von 1592 -1605 Pastor in Lauenburg und der oberste Geistliche im Herzogtum Niedersachsen.) Es ist sehr bezeichnend für die vollständig antike Einstellung der Gelehrten jener Zeit, an Stelle einer Jahreszahl den Namen des Geistlichen zu nennen, dessen Dienstwohnung das Haus war. Die Rückseite nach dem Graben zeigt einen deutschen Bibelspruch: (Psal)M 127 WO GOTT DER HERRE DAS HAVS NICHT BAVET SO ARBEITEN VMSVNST . . den Rest verdeckt eine Auslucht. Die ganze Schnitzerei dieses Hauses macht einen rohen,




Abb. 3. Das alte Pastorat (Kirchplatz 1).

unbeholfenen Eindruck. Die Taustäbe versuchen, in beinahe derber Wirklichkeitstreue eine dicke Hanftrosse wiedergeben, und die Schrift, erhaben geschnittene Antiqua, ist nur mäßig geformt, die Wortabstände sehr willkürlich und selten. Das letztere mag daher kommen, daß der Schnitzer natürlich kein Latein konnte, also nur für ihn sinnlose Buchstaben wiedergab. Ein Vorwurf ist ihm aber daraus zu machen, daß er mit dem Raum zu kurz kommt, denn selbst unter Beachtung der derzeit üblichen weitgehenden Abkürzungen fehlen etwa 5-8 Buchstaben. Die Verzierung der Knaggen paßt zum Uebrigen, ein kindlich roh wiedergegebenes Kastanienblatt und eine einfache über Eck verlaufene Perlschnurmusterung. Der Wert des Gebäudes liegt in seiner ausgezeichneten Erhaltung. Fehlt doch nur seit etwa 22 Jahren der Beschlag - Klinke und Klopfer - der Haustür, die noch zweifellos echt ist! Mit kurzen Worten: die einstige Dienstwohnung des

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Pastors Rupertus ist als einfaches, klar gegliedertes Langhaus ein unersetzliches Vorbild für unsere Zeit.

Ein glückliches (oder unglückliches) Schicksal hat von dem wertvollsten und reichsten alter gotischen Häuser in Lauenburg, von der heutigen ELBDROGERIE, nur gerade soviel zugänglich erhalten, daß wir uns noch eine Vorstellung von der Formensprache seines Zierrats machen können. Auch ein Langhaus, nimmt es etwa 2/3 der Südseite des Kirchplatzes ein, mit der Rückseite gegen die Elbstraße. Die Nordfront ist heute durch eine vorgebaute Erweiterung berdeckt. Man hat, wahrscheinlich um 1750 herum, die geringe Tiefe des Hauses einfach dadurch vergrößert, daß man etwa 2 1/2 Meter vor der alten Außenwand eine neue bis zum Dach hochzog und dieses dann an die neue Mauer führte. Was verschlug es jener Zeit, daß der Giebel schief, d. h. unsymmetrisch wurde? Wer weiß heute noch, was der damalige Besitzer mit den schmalen, für heutige Begriffe fast unbrauchbaren Räumen wollte? Er ließ die alte Außenwand tünchen und das überkragende Gebälk des ersten Stockwerks mit Mörtel und Gips verkleiden. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt. Der Westgiebel des Hauses zeigt einfach, aber sehr schön gearbeitete Knaggen, die, in Lauenburg einzig dastehend, als Schmuck Fratzen von asiatischem Typus tragen. Letzteres ist vermutlich Zufall, denn gegen das Ende des 16. Jahrhunderts kannte man den ostasiatischen Gesichtsschnitt in Deutschland kaum und verwandte ihn sicher nicht als Zierrat eines Hauses. Oder soll man in diesen Gesichtern, die teils von vorn, teils von der Seite gesehen sind, naive Porträtierungsversuche sehen? Es ist nicht anzunehmen, aber doch nicht ganz ausgeschlossen; zumal nicht in Hinblick auf die Schnitzerei des Brusttuches in Goslar. Andererseits ist durch eine zufällige Freilegung eines Teiles der Verzierungen an der Nordseite des Hauses erwiesen, daß menschliche Gesichter bewußt als Zierform benutzt sind; die Saumschwelle des ersten Stockwerks zeigt dort nämlich statt der einfachen Abrundung mit punktartiger Kerbschnittverzierung auf der Seite liegende Gesichter mit langen Bärten, die sich mit ihren Spitzen in der Mitte der Teilung berühren. Von den Gesichtern abgesehen zeigt die ganze andere Schnitzerei des Gebäudes einen ausgesprochenen Kerbschnittcharakter (wie mehr oder weniger alle gotischen Bauten Lauenburgs außer dem Pastorat). Auch die Schrift ist eingekerbt, und zwar in leichten, sehr sicheren Formen. Der Text der Inschrift der Südseite ist PLATTDEUTSCH und wegen des langen Balkens, der zur Verfügung stand, recht umfangreich. „Wol Got vortruwet, de heet (verschrieben aus HEFT) wol gebuwet. Wo Got der Here dat Hus nicht buwet, so arbeiden vorgewes alle de daran buwen. De Segen des Heren maket rike ane Moye Anno Domini 1583". Es ist ein bißchen auffällig, daß dieses Haus, ebenso wie großenteils das Mensingsche und das weiter unten zu beschreibende Elbstraße 65 aus dem Jahre 1579, so saubere Schnitzarbeit trägt, während das bestimmt gleichalterige Pastorat, ein städtischer oder gar herzoglicher Bau, nur rohe, fast dilettantenhafte Ausführung zeigt. Waren damals die behördlichen Bauleute weniger tüchtig als ihre freien Zunftbrüder?

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Das FREYSTATZKYSCHE HAUS, Elbstraße 65, Abbildung 4, gleicht der Art seines Schmuckwerks nach in allen Zügen den vorher beschriebenen Bauten. Zu erwähnen ist allerdings, daß im zweiten Stockwerk, auf der Grundlinie des Giebeldreiecks, die Strebenhölzer nicht mit Rosetten geziert sind, sondern in Halbkreisen aus Perlstäben ein seltsames (palmenartiges?) Blattmuster tragen. Die Inschrift ist das schon einmal genannte: „Wol Got vortruwet usw." Dazu das Baudatum und der Name des Besitzers. Der Gesamteindruck des Hauses leidet heute sehr unter dem grau- und gelb-braunen Anstrich und vor allem darunter, daß das ganze Untergeschoß von den riesigen Schaufenstern eingenommen wird. Dadurch scheint der massige alte Giebel wie auf Stelzen hoch in die Luft gehoben. Die Langseite des Hauses ist nur wenig verziert und offensichtlich nicht als Schauseite gedacht.




Abb. 4. Das Freystatzkysche Haus (Elbstr. 65).

Es ließe sich noch manches Haus aus der Zeit des Herzogs Franz des Jüngeren im Anschluß an die obigen vier schildern. Allein der Umfang der Arbeit heischt gebieterisch Beschränkung. Zudem sind die andern Bauten der Zeit, in erster Linie Elbstraße 79, nicht entfernt so gut erhalten wie die mit Wort und Bild beschriebenen. Eines aber ist auch schon aus den bisherigen Ausführungen klar zu erkennen: Um die Wende des 16. Jahrhunderts gab es in der Stadt Lauenburg allerlei Arbeit für die Bauhandwerker, und die Bürger nahmen die Gelegenheit wahr, durch den Schmuck ihrer neu erbauten Häuser ihren Wohlstand zu zeigen. Dieser ersten Blütezcit der Stadt wurde ein Ziel gesetzt vom dreißigjährigen Kriege. Er hat auch auf ihrem Leben lähmend gelastet, doch scheint sie vom Schlimmsten verschont geblieben zu sein. Gegen das Ende der Notzeit muß es dort sogar recht still und ruhig gewesen sein, denn schon in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts beginnt ein neuer Abschnitt lebhafter Bautätigkeit, dessen Zeugen zu den schönsten Häusern Alt-Lauenburgs gehören. Waren die Leute, die sich ANNO DOMINI 1646, 1648 oder 1649 neue Häuser bauen ließen, Kriegsgewinnler oder Schieber der Art, die unsere Zeit wild wachsen ließ? Oder ließ nur stolzer Bürgermut neu erstehen, Was die zuchtlose Soldateska in Schutt und

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Trümmer legte? Die Fragen mag bei Chronist beantworten, hier gilt es das hinterlassene Werk!

Aus jener Zeit stammt das FÄHRHAUS, Elbstraße 119. Wie schon früher gesagt, fällt der Unterschied der Ausführung und der stilistischen Ausdrucksweise gegen die der 50 bis 70 Jahre älteren Bauten sehr in die Augen. Zwar blieb der grundsätzliche, formale Aufbau - nur das Untergeschoß ist nicht mehr so hoch wie ehedem; aber aller Schmuck ist sparsamer angebracht. Früher wies jede freie Kante einen Taustab oder eine andere Bearbeitung auf; am Fährhaus sind nur die Kanten der Saumschwellen durch eine Hohlkehle mit Schuppen gebrochen, die über den ganzen Giebel gleichartig ist. Die Rosetten fehlen überhaupt; als Streben dienen einfache, glatte Balken. Dafür ist dann die Schrift um so schöner. Reich und vollkommen sicher geformte Buchstaben in regelmäßig und richtig angeordneten Wortbildern ziehen sich über die Länge des Schriftbandes. Eine kleine Probe davon ist auf dem linken Teile der Abbildung 5 wieder-



Abb. 5. Knaggen am Fährhaus (Elbstr. 111).


gegeben. Die Knaggen, denen die Abbildungen eigentlich gelten, sind sehr tüchtige Leistungen. Man hat kennzeichnende Muster der Frührenaissance hinein- oder herausgearbeitet. Glaubt man nicht heute noch an der feinen, sauberen Ausführung den segensreichen, wertsteigernden Einfluß der Aufsicht durch die Zunftoberen zu spüren?

Wenn im ersten Teile des Aufsatzes die Bauten der gotischen Zeit mit einem Holzschnitt verglichen worden sind, so darf man bei den Häusern der Renaissance-Periode wegen ihrer sauberen Geschlossenheit wohl von einem Kupferstich reden, auch dann noch, wenn sie im Verhältnis viel einfacher scheinen. Es wird schon zutreffen, daß das niederdeutsche Leben auf dem Lande und in der Kleinstadt bis zum dreißigjährigen Kriege in erster Linie Gemeinschaftsleben war, nachher aber die Persönlichkeitskultur mehr und mehr ins Vordertreffen geriet. Der Mensch der erstgenannten Lebensrichtung war mitteilsam; er legte den besten Schmuck seines Hauses nach außen.

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Nach dem großen Kriege aber strebt man in umgekehrter Richtung - das Haus soll innen am schönsten sein. Für den Norden des niedersächsischen Landes gilt das ganz bestimmt und am meisten für Land und Kleinstadt, wo solche Strömungen unbewußter und darum ungehemmter wirken konnten als in den Brennpunkten des Lebens. Erst das Barock macht dem ein Ende. War die Gotik wurzelecht, die Renaissance ein Edelreis, so ist das Barock Ueberzüchtung, beginnende Verflachung, Verfall. An die Stelle der natürlichen, im tiefsten Kern immer noch zweckhaften Schmuckfreudigkeit der beiden ersten tritt eine rasch nach außen verflachende, in Baustoff und Wesen unwahre Putzsucht, die schließlich in der Scheinwelt des Rokoko versinkt. Natürlich tritt das in Lauenburg nicht kraß in Erscheinung; aber wer einmal ganz offenen Auges das HAUS des Herrn JAKOBI (Elbstraße 35), Abbildung 6,




Abb. 6. Das Jakobische Haus (Elbstr. 35).
 

ansieht und es mit den andern vergleicht, der wird schon merken, was der Satz sagen will. Es ist reich geschnitzt und vereint die Fülle des Schmuckes gotischer Bauten mit der handwerklichen Vollendung der Renaissance, aber die ganze Art des Hauses weicht sehr von dem sonst in Lauenburg lieblichen ab. Am schwächsten ist zweifellos die Schrift; sie fällt um so mehr auf, als sonst allem Zierwerk eine außerordentlich flüssige Formengebung eigen ist. Die Buchstaben scheinen steif und nachgezeichnet und sind z. B. mit denen vom Fährhause nicht zu vergleichen. Nur die Ziffern der Jahreszahl haben den Schwung, der zum Gesamtbilde gehört. Das untere Schriftband zeigt die Namen des Erbauers und seiner Frau, sowie das Baujahr 1647; das obere enthält einen in bezug auf die Entstehungszeit sehr feinsinnig gewählten Spruch, der ein besonderes Erlebnis des Hinrich Rodtmann in den wilden Zeitläufen vermuten läßt. Bei dem übrigen Schmuck des Hauses fehlt die volle Einheitlichkeit. Die Streben der Ständer, weder volle Dreiecke wie um 1600, noch glatte Balken, wie etwa beim Fährhause, sind jede einzeln mit einem in sich geschlossenen Muster „im Bretzelstil" in flacher Schnitzarbeit verziert. Die Ständer selbst weisen abwechselnd die verschiedenen Zierformen auf, eine Schuppen- oder Blattreihe, ein Gebilde, das Aehnlichkeit mit einer Traube und darunter befindlichem Glase hat, und eine Ranke. Mit diesem Schnitzwerk war aber nur das untere Ende bis zu den

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Fenstern verziert, wie heute noch im Giebeldreieck zu sehen ist. Im ersten Stockwerk hat eine spätere Vergrößerung und Hinausschiebung der Fenster etwa 2/5 der Schnitzerei auf den Ständern verdeckt oder zerstört, wie überhaupt der ganze Giebel unter den Arbeiten der späteren Jahrhunderte sehr gelitten hat . Die (auf der Abbildung deutlich erkennbare) Vergrößerung des Hauses durch „Anstücke" ist dabei nicht so schlimm wie das immer wiederholte Verschmieren mit grauer Oelfarbe. Der Vergrößerung der Fenster sind auch die Knaggen unter der Saumschwelle des Giebeldreiecks zum Opfer gefallen, und das ist sehr bedauerlich. Denn an diesem Hause sind die Knaggen hervorragend tüchtige Bildhauerarbeit. Ihre Aufgabe, die Deckenbalken und die Saumschwellen zu stützen, tritt freilich schon stark hinter dem bloßen Schmuckwert zurück. Sie zeigen teils einen Engel, teils ein Fruchtstück (Apfel im Laub), unter dem obersten Geschoß Blattwerk. Was davon erhalten blieb, leidet sehr unter dem allzuoft wiederholten Oelfarbenanstrich. Der Gesamteindruck des Hanses ist trotz der reichen Schnitzerei nicht so geschlossen wie der anderer alter Häuser; ihm fehlt dass unnennbare Etwas, das Haus und Schmuckwerk zur Einheit gestaltet. Vielleicht paßt das Gewand des Barock überhaupt nicht auf das niedersächsische Fachwerkhaus; vielleicht lehnte das innerlich noch gesunde und unverderbte Niedersachsentum, die Verflachung, den Verfall unbewußt empfindend, damals noch überhaupt das Barock ab. Auffällig bleibt für jeden Fall, das gleichzeitig mit diesem Hause der Renaissance-Bau des Fährhauses entsteht; ja, daß 15 Jahre später immer noch der Stil des letzteren regiert. Wenn man nicht die zufällige Anwesenheit eines Zimmermannes, der die „neue Mode" schon kannte, als Erklärung gelten lassen will, wird es schwerlich möglich sein, diese seltsame Gleichzeitigkeit zu deuten.

Wir könnten jetzt das Haus des lauenburgischen Bürgers weiter durch den Lauf der Jahre verfolgen. Wir würden sehen, wie es immer weniger den Stempel einer großen Lebenseinstellung, wie einstmals in den Tagen vor und nach dem Großen Kriege, aufweist; wie aus der deutschen Kultur der Vergangenheit die deutsche „Kultur" der Gegenwart erwächst. Davon vielleicht einmal später!

„Ehrnhaft, rumlich, auch christlich ist,
Daß man zu keiner Zeit vergißt
Der lieben alten Vorfahrn,
Die vor uns in dem Leben warn."

Damit mag dieser Aufsatz schließen. Wenn er ein wenig im Sinne der alten Verse gewirkt hat. ist sein Zweck erfüllt.
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Literatur:
Lauenburg a. d. Elbe, Stadt und Landschaft. Herausgegeben und verlegt von Adolf Saal, Lauenburg a. d. Elbe, S. 18. Das Erbe der Vergangenheit.

Dr. Richard Haupt und Friedrich Weysser, Die Bau- und Kunstdenkmäler im Kreise Herzogtum Lauenburg. Ratzeburg 1890.
S. 103-106. Die Stadt Lauenburg.

Gustav Wolf, Die schöne deutsche Stadt. Bd. Norddeutschland. München, R. Piper Co. Verlag. S. 93 ff. Fachwerkbau.


 

 

 

 


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