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plünderte ihn vollständig aus. Der adlige Straßenräuber mußte die
Tat allerdings mit dem Tode auf dem Schaffotte büßen.
Der Landesherr selbst war gegen all diese Räubereien ziemlich
machtlos. Seine Maßregeln gegen die "Landläufer, herrenlosen und
gartenden Knechte, sowie die Planetenleser und dergleichen
Gesindlein" hatten nicht viel Wirkung, weil der Wechsel des
Kriegsglücks immer andere Heerhaufen ins Land führte. So war es das
Klügste, durch Vorbeugungsmaßregeln wenigstens die Städte gegen das
Gesindel zu schützen.
Ratzeburg war durch seine Lage in dieser Beziehung besonders
begünstigt. Immerhin konnten, wie der Ueberfall Franz Karls zeigte,
kühne Abenteurer bei Nacht oder Nebel auch hier Erfolge erringen.
Und so wurde in diesen Kriegesläuften die alte Bestimmung Herzog
Franz' II. besonders streng durchgeführt, die besagte:
"Da auch
jemand, wann die Brücken geschlossen, es wäre bey Tag oder Nacht,
hinüber begehrte, soll doch niemanden die Brücke eröffnet werden, Es
wäre dann Sache, daß Unsere Räthe und ansehnliche Diener oder Raths
Persohnen, die nothwendig aus und ein müssen, hinein oder heraus
wollen."
Diese strenge Absperrung der Stadt, besonders zur Nachtzeit, hatte
für die reisenden Kaufleute und Handwerker natürlich allerlei
Beschwernisse im Gefolge. Wenn sie sich nur ein wenig verspätet
hatten, so mußten sie sich bei den Bauern der Umgegend ein Quartier
zu verschaffen suchen oder gar, wenn dieses - was in den unsicheren
Zeiten gewiß oft geschah - aus allerlei Bedenken versagt wurde, im
Freien übernachten.
Diesem Uebelstande suchte Herzog August durch die Errichtung einer
Herberge in St. Georgsberg abzuhelfen. Die Gelegenheit dazu war
günstig. Der fürstlichen Hofkammer, wie wir sie heute nennen würden,
gehörte ein Grundstück, das seit langem "wüst" lag und der
SECKENHOF hieß. Es war vermutlich ein Anwesen, dessen Gebäude in
einem früheren Kriege zerstört waren und das infolgedessen von
seinem Besitzer verlassen und dadurch der Hofkammer anheimgefallen
war. Dieser Seckenhof, der hinter der St. Georgsberger Kirche lag,
war für die geplante Herberge sehr passend. Das Beste aber war, daß
sich auch ein geeigneter und unternehmender Mann fand, der bereit
war, dort auf eigene Kosten ein Gasthaus zu errichten.
Eine alte Urkunde vom Jahre 1629 erzählt von dem Unternehmen
ausführlich. Ihr Anfang lautet:
"Von Gottes Gnaden Wir Augustus, Hertzog zu Sachsen Engern undt
Westphalen, hiermit vor Unß, Unsere Erben undt nachkommen, thuen
kundt und bekennen, Alß bey diesen vorgewesenen Kriegs Wesen, wier
offtermahl erfahren, daß der Reißende Man, wie auch Unsere eigene
Untertanen, so sie sich etwaß verspättet undt Unsere Veste nicht
haet mögen gefahrs halber wieder eröffenet werden, Keinen ohrt haben
finden können, da sie benachtigen undt vor ihre bahre Zahlung essen
oder trinken haben könten, undt deswegen hochnötig ist angesehen
worden, daß ein hauß vor diese Unsere Vestung, in welchen der
Wandersmann oder Unterthanen einkehreten, undt benach-
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tigten, gesetzet undt aufferbawet würde, haben wier durch unsere
Beamte Unserm Leibknecht Hanß Adam Heuseler, diesen Vorschlag thun
lassen, so verne er gemeinet, ein hauß auf seine eigene Unkoestung
auf die hinter Sct. Georgen Kirchen belegene Stelle der Seckenhoeff
genandt aufzuerbawen, wir den Ohrt sambt Beumen, garthen undt
pletzen, auß gnaden wegen seiner getreuen undt viele Järigen
Dienste, ihm und den seinigen, verehren undt Schenken wolten."
Wir erfahren aus der alten Urkunde ferner, daß der Herzog Augustus
seinem getreuen Leibknecht nicht nur den Platz hinter der St.
Georgsberger Kirche, den Seckenhof schenkt, sondern ihm auch das
Privilegium zum Herbergsbetrieb, Bierausschank und zur "Hoekerei"
zuwendet, "auf daß mehr gedachter Unser Leibknecht undt dessen Erben
seiner Unß erwiesener Unterthänigen getrewen Dienste genießen, undt
der gegebenen freyheit fehig werden möge; Alles trewlich ohne
gefehrde."
Der gnädige Landesherr aber tat noch mehr. Schon nach zwei Jahren
überließ er dem Heuseler, da er keine Grasnutzung für seine Kühe
hatte, eine Stelle im Vorwerksholze, dem Hesterkamp, mit der
Erlaubnis, sie abzuholzen und sie in Weideland zu verwandeln.
So entstand also auf dem Platze, auf dem heute das Landratsamt
steht, zunächst eine HERBERGE, und sie hat vermutlich volle
63 Jahre
bestanden. Aber schon Hans Adam Heuseler gab dem Hause einen andern
Charakter. Der tüchtige und vertrauenswürdige Mann wurde nämlich zum
Amtmann erhoben und erledigte als solcher zweifellos einen großen
Teil seiner Amtsgeschäfte nicht drunten im Ratzeburger Schloß, wo er
sicher, ebenso wie seine Nachfolger, ein Amtszimmer besaß, sondern
droben in seiner Herberge, wo seine Anwesenheit kaum entbehrt werden
konnte. Und so geschah es wohl, daß sich für den Seckenhof die
Bezeichnung AMTSHAUS einbürgerte.
Aber die Enkel hielten nicht, was die Väter versprochen. Hans Adam
Heuseler glaubte, mit dem Privilegium seinen Nachkommen eine sichere
und ausreichende Einnahmequelle geschaffen zu haben. Und in der Tat
rüttelten auch die beiden Nachfolger des Herzogs August nicht an den
Privilegien, sondern bestätigten sie zu wiederholten Malen, wie der
kaiserliche Notar Johannes Premsell noch 1680 mit Unterschrift und
Siegel ausdrücklich festlegt. Aber ob die Zeiten ungünstiger
geworden, ob Unglück über die Familie gekommen oder die Nachfahren
leichtsinniger dahinlebten als die Väter: im Jahre 1688 mußte Otto
Andreas Heuseler eine Hypothek von 400 Talern auf sein Haus
aufnehmen. Und da er die 20 Taler jährlicher Zinsen nicht bezahlen
konnte, wurde es am 22. Februar 1692 öffentlich meistbietend
versteigert. Und weil kein anderes Gebot gemacht wurde, erstanden es
die Hypothekengläubiger selbst, die Kirchenjuraten von St. Georg.
Und so wurde das Amtshaus, die ursprüngliche Herberge, zum
"KIRCHENHAUS".
Aber die Herren Kirchenältesten, die das Haus im Jahre 1692
scheinbar noch als Wohnung des Amtmanns vermietet hatten, sollten
nicht viel Freude an ihrem Besitz haben. Kaum fünfviertel Jahre
vergingen, da überzog der Dänenkönig das Herzogtum mit Krieg. Der
neue Lauenburger Herr, Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-
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Lüneburg, hatte in falschem Ehrgeiz aus dem Städtlein Ratzeburg eine
stolze Festung gemacht, und das war dem dänischen Nachbar ein Dorn
im Auge. So zog alsbald eine starke dänische Truppenmacht herbei.
Man fuhr auf den hohen Seeufern Batterien auf und schoß das
Städtlein in drei Tagen vollkommen zusammen. Die Batterie aber, die
auf der Höhe von St. Georgsberg aufgestellt wurde, fand keinen
besseren Platz als den, auf dem der alte Seckenhof gestanden
hatte. Und so wurde die alte Herberge, die man auch Amts- oder
Kirchenhaus genannt hatte, heruntergerissen, und quer durch den
Garten wurden Verschanzungen angelegt.
Der Seckenhof (das frühere Amtshaus) zu St. Georgsberg.
Als aber die Dänen abgezogen waren, da scheinen die Herren
Kirchenjuraten von St. Georgsberg in gar arger Bedrängnis gewesen zu
sein. Vermutlich war bei dem Bombardement wohl auch das Pfarrhaus
und gar die Kirche beschädigt worden. Jedenfalls sah sich die
fürstliche Regierung genötigt, der Kirche 156 Taler und
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Schillinge vorzustrecken.
Das war damals eine harte Last, und man war wohl kaum im Stande, sie
abzuwälzen. Andererseits aber erkannte wohl die Regierung die
Verpflichtung an, die Gemeinde für den Verlust des "Kirchenhauses"
zu entschädigen. Jedenfalls kam es zu einer Einigung. Die Regierung
erstattete der Kirche den früher an Otto Andreas Heuseler gezahlten
Betrag von 450 Reichstalern zurück, natürlich abzüglich der
vorgestreckten Summe, und erhielt dafür den alten Seckenhof mit
allen Pertinentien. 1)
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1) Zu dem Kirchenhause gehörten damals, wie die Akten ergeben:
1. Die Hauß Stedte nebst den Garten, worinnen die Dänen eine Schanze
angeleget undt Dannenhero sehr verdorben.
2. Ein Garten gegen der Hauß Stedte über.
3. Eine kleine Koppel, worin des Fischers Wohnung stehet.
4. Ein klein Stückgen Acker, in der Grundt ohne weidt (unweit) des
Burgvoigts vormahligen Haußes belegen.
5. Eine Koppell zur Linken Handt am Lübschen Wege, welche mit Wucher
Blumen sehr verwachßen.
6. Ein kleiner hengigter Berg, unten am See, worin der Kalckstein
(?) lieget.
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Und nun konnte das Grundstück, das so viele Wandlungen erlebt hatte,
wieder den Zwecken dienstbar gemacht werden, denen es schon unter
Hans Adam Heuseler nebenbei gedient hatte. Serenissimus Herzog Georg
Wilhelm genehmigte am 2. März 1695 den Plan seiner Regierung, daß
auf der alten Stätte ein neues AMTSHAUS errichtet würde. Das
Gebäude, wenn auch sonst mit größter Sparsamkeit erbaut, erhielt
eine stattliche Größe. Es war 72 Fuß lang und
40 Fuß breit. Es
hatte 2 Stockwerke und, wenn die Berechnung stimmt, etwa
20 Räume.
Die Haustür wurde mit einem "Frantzen Spieß" - einem Frontispice -
versehen.
Von diesem Amtshaus, das bis in unsere Tage gestanden hat, hat sich
bisher keine gute Abbildung gefunden. Die nebenstehende Wiedergabe
einer recht mangelhaften Steinzeichnung gibt uns nur einen
ungenügenden Eindruck. Vielleicht tragen diese Zeilen dazu bei, ein
besseres Bild des alten Gebäudes ausfindig zu machen. Alte Leute,
die das Haus noch gesehen haben, schildern es als einen unschönen
Fachwerkbau, der nicht verdiente, der Nachwelt erhalten zu bleiben.
Nun, in diesem häßlichen alten Hause ist immerhin 165 Jahre lang ein
reges Leben gewesen. Tüchtige Amtsleute, deren Namen bis auf den
heutigen Tag von gutem Klange sind, haben darin gewohnt und
gewaltet. Erst im Jahre 1862 wurde es niedergelegt und mußte dem
Neubau des heutigen Landratsamtes weichen.
So schließt die wechselvolle Geschichte des alten Seckenhofs.
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