In zwei Jahren sind es dreihundert Jahre her, daß
der Große Krieg, der damals unser Vaterland verwüstete, sich zuerst
den Grenzen unserer Heimat näherte.
Wir können es kaum ausdenken, was es damals hieß, den Krieg im
eigenen Lande zu haben, welch großes Maß voll Leid unsern Vorfahren
zugeteilt war. Aecker wurden verwüstet, Kirchen verbrannt, Städte
und Dörfer zerstört. Was mag das für eine Zeit gewesen sein, wo kein
Ende all der Not abzusehen war, wo die Menschen stündlich um Leben
und Gut zittern mußten, wo viele, von dem Ihrigen vertrieben, wie
scheues Wild umherirrten oder wie tolle Bestien ihre Peiniger aus
dem Hinterhalt überfielen?
Jetzt ist das alles Geschichte geworden. Die große Heerstraße, die
damals so oft widerhallte von den Flüchen der Troßknechte und den
Liedern der Reiter, ist still geworden, und wo etwa die Knicks, die
sie beiderseits umsäumten, ausgerodet sind, geht der Pflug des
Bauern über sie hin. Hochwald steht, wo damals ein Dorf am Hang des
Sees lag, und nur Dichterohren vermögen längst verklungene
Geschichten aus dem Rauschen der Buchen und dem Wehen des Windes zu
hören, der über den See streicht. Drei Jahrhunderte sind eine lange
Zeit. Da wird fast alles. was sich damals ereignet hat, im
Gedächtais der Nachkommen verwischt.
Und doch reden unsere Vorfahren, die diese Zeit durchlebten und
durchlitten, noch deutlich genug zu uns. Zwar wurde damals seltener
geschrieben als in unsern Tagen, wenn auch ein Brief des
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17., 18. und noch des
19. Jahrhunderts zumeist
sehr viel mehr zu sagen hat als heute.
Aber ein Brief ist zu kurzlebig, um drei Jahrhunderte zu überdauern. Und doch
ist Geschriebenes auch aus dieser Zeit nicht gar so selten. Denn in den meisten
unserer lauenburgischen Gemeinden finden sich alte Kirchenbücher auch des 17.
Jahrhunderts. Und wem es einmal vergönnt gewesen ist, in Muße diese vergilbten
Blätter zu studieren, der kommt nur schwer wieder von der Zeit los, die ihm aus
den alten Schriftzügen entgegenleuchtet. Wie lebendig werden uns da diese
Menschen, deren irdische Reste längst vermodert sind. Da tauchen vor unserm
geistigen Auge diese alten ehrenfesten Pastoren der lutherischen Orthodoxie auf,
die oft schwer genug mit den Nöten des täglichen Lebens zu ringen hatten Da
dürfen wir in gläubige Herzen schauen, die in Gott getrost bleiben, auch wenn
seine Hand schwer auf ihnen lastet und ein liebes Kind nach dem andern auf den
Friedhof getragen wird. -
Die Tauf- and Begräbnisregister, die Kirchenrechnungen, die Verträge und
Rechenschaften sind ja viel mehr als bloße Urkunden. Wir müssen an sie einen
ganz andern Maßstab legen als an heutige rechtliche Dokumente und Statistiken.
Da mag es vorkommen, daß sich in einem Taufregister eine Lücke von vier Jahren
findet. Vielleicht gelang es dem Pastor, der offenbar summarisch eintrng, nicht
mehr, alle Taufen eines Jahres genau zu ermitteln, und er verlor dann gleich für
mehrere Jahre die Lust zur Weiterführung des Registers. Was schadet's, wenn sich
dann eine Eintragung in so treu herzigen Worten findet, daß "Dom: Jucia
1) eine
Bettlersfrau auß Turau ihr kleines Tochterlein hat tauffen laßen", oder wenn
Gottes Geist für ein eigenes liebes Kindlein in warmen Worten erfleht wird.
Das MUSTINER KIRCHENBUCH, von dem im besonderen die Rede sein soll, beginnt mit
dem Jahre 1608 und wird das erste dieser Gemeinde sein. Denn im allgemeinen
wurden erst damals besondere "Kirchenbücher" angelegt. Wie aus der
Niedersächsischen Kirchenordnung von 1585 hervorgeht, drang EINERSEITS die
Kirchenregierung darauf, Verzeichnisse anzulegen über die der Kirche durch die
Heilige Taufe einverleibten Glieder. So entstanden die Taufregister mit dem
Datum der Taufe, oft auch der Geburt, und den Namen der Taufzeugen und weiterhin
die Kopulationsregister, um auch über die Eltern des Täuflings im klaren zu
sein. Jedoch konnte einem Taufregister auch rechtliche Bedeutung zukommen. Wenn
die Eltern eines Täuflings gestorben waren, so war zunächst einer der Paten,
welche die geistliche Vaterschaft am Kinde übernommen hatten, verpflichtet, auch
für sein leibliches Wohl zu sorgen. Das geht aus losen Zettetn im Mustiner
Kirchenbnch aus der Zeit um 1700 ganz deutlich hervor.
ANDERERSEITS war oft das Bedürfnis vorhanden, die Urkunden über die kirchlichen
Liegenschaften und Einkünfte zu sammeln und durch Abschreiben in einem
besonderen Buche zu vereinigen. Es lag dann
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1) Dominica Judica = am Sonntag Judica.
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nahe, auch die Kirchenrechnung über laufende
Einnahmen und Ausgaben in diesem Buche zu führen. Da nun die Einnahmen zu einem
guten Teil aus Beerdigungsgebühren bestanden, kam man schließlich zu besonderen
Begräbnisregistern. Diese wurden nun zusammen mit den Tauf- und
Kopulationsregistern geführt.
Aus diesem zweiten Grund heraus ist auch das Mustiner Kirchenbuch entstanden.
Sein Titel lautet:
Kirchen Buch
Zu Mustin, darinnen alle der kirchen
pertinentia,
beyde beweglich Vnd Vn-
beweglich, verfaßet sein.
angefangen Anno 1608 im Decembri
A
Pastore licet indigno
Davide Tausentschönio
Rastenbergensi
Thuringo
Deus tuetur Rectos 2) |
Es beginnt mit der Abschrift eines Schuldbriefes in
niederdeutscher Sprache. Nachher folgt eine Inventaraufnahme des Kirchengerätes
und Verzeichnisse von Stiftungen, die der Kirche während der Amtszeit Pastor
Tausentschöns gemacht wurden. Ein Taufregister führt er noch nicht.
Dies fehlt bei seinen Nachfolgern nie - manchmal ist es sogar im Kirchenbuche
das einzige, was sie weiterführen, tritt aber oft gegenüber den
Kirchenrechnungen stark zurück. In diesen ist noch in den sechziger und
siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts die Nachwirkung des Großen Krieges
vielfach spürbar. Da lindert ein Pastor durch kleinere Gaben die Not armer
Lente, die um ihres Glaubens willen vertrieben sind, armer Studenten und
abgedankter Soldaten. Da finden wir Beträge verzeichnet an "abgebrante Leute",
die, wie es damals üblich war, mit "Brandbriefen" durch das Land zogen, um
Unterstützung zu erheischen. Oftmals kamen sie von weither, aus Mecklenburg,
Pommern und Sachsen. Da kamen Leute, um für Verwandte, "so in der Türkey
gefangen", Lösegeld zu sammeln ... Man hat den Eindruck, als ob damals viel mehr
Leben durch einen solchen kleinen Ort flutete als heute im Zeitalter des
Verkehrs.
Da konnte es denn nicht ausbleiben , daß von den Durchziehenden Seuchen
eingeschleust wurden, die in der durch Krieg und Hunger erschöpften Gemeinde
erschreckend viel Opfer forderten. So wurden im August 1638 25 Beerdigungen
vollzogen, am 12. August allein vier. Besonders groß war ja dazumal die
Kindersterblichkeit. 1643 wurden in zehn Monaten vierzehn Kinder begraben, und
noch 1725 waren über die Hälfte aller Beerdigungen Kinderleichen.
Aber eine solche bewegte Zeit wie die Mitte des 17. Jahrhnnderts schloß auch
Pastor und Gemeinde enge zusammen, wie es ja jede Not-
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2) von dem - freilich unwürdigen - Pastoren David Tausentschön
aus Rastenberg in Thüringen. Gott schützt die Rech[t]schaffenen.
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zeit in einer lebendigen Gemeinde tut. Das
bekundete sich auch in ganz äußerlichen Dingen. So beschlossen einmal die vier
Kirchenjuraten, der Tochter des Pastors das Hochzeitsmahl auszurichten, und so
lesen wir:
Verzeichnis was mein
tochter Anna Margareta Reinfeld
zu ihrer hochzeit
empfangen hett.
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Einen Ochsen |
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13 Rhtlrs |
Zwo tonnen Raceburg. f. Bier |
|
4 Rhtler |
Sechs gäns |
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3 Rhtler |
Eine Seite Specks (?) |
|
2 Rhtler |
Die butter ist verehret |
|
|
Ein halb liß
Licht |
|
Zus. 8
|
Dieser Eintrag ist nun so zu verstehen, daß außer der Butter alles
ex aerario,
d. h aus der Kirchenkasse bezahlt wurde, während die Butter ein Geschenk der
Kirchenjuraten oder anderer Gemeindeglieder war. Was das Licht anbelangt, das
damals gewichtweise verkauft wurde (1 Ließpfund entsprach 14 Pfund
= 1/20 Schiffspfund,
so handelt es sich wohl um die Kerzen, mit denen die Hochzeitstafel erleuchtet
wurde.
Schon aus diesen kurzen Einblicken wird deutlich, was für ein lebendiges
farbenkräftiges Bild wir von der damaligen Zeit aus solchen alten Urkunden
gewinnen. Nirgends aber wird uns das im Mustiner Kirchenbuch so zuteil, wie in
dem Vertrag, den Friedrich Steinfeld, Pastor Tausentschöns Nachfolger, mit der
Witwe seines Vorgängers bei seiner Amtseinführung 1629 abschließt. Schon der
klaren sorgfältigen Schrift merkt man es an, daß der Verfasser - wie er ja selbst
schreibt - auch zu uns späten Nachkömmlingen reden und uns ein Bild jener unruhigen
Tage geben will. So mögen seine Ausführungen hier unverkürzt und unverändert
folgen!
Anno 1627
ist Er 3) David Tausentschön
8 Tage vor S. Martin gestorben.
Anno 1628 2. Octob bin Ich Frid. Steinfeld
wieder vociret.
Verzeichnus, wie es mit mir |
Friderico Steinfeld Luneburg: nach dem Ich von dem Durchlauchtigem Hochgebornen
Fursten und Herrn, H. Augusto Herzogen zu Sachsen Engern und Westfalen vnwirdig bin
zum Prediger zu Mußstin vocieret und berufen worden, gehalten, und was fur ein
Vertrag zwischen mir und Ern David Tausent Schon S. Wittben ist aufgerichtet.
Es ist Jedermann wißend und wird unsern Nachkomlingen auch zu wißen getahn, daß
Gott der Himlischer Vater gantz Teusch Land schwerlich heimgesucht, in dem die
Römische Keyserliche Majestet, und der Konig von Dennemarck, wie den auch Graf
Mannßfeld und der Bischof von Halber Stat, und der Bischof von Hall mit starcker
Armee und Kriegesvolck zu Roß und zu Fuß kegeneinander gezogen, dadurch nicht
allein Stedte und Dörfer, besondern auch alle Fursten-
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3) Er = Wohl Erwürden, bezw. Hoch Ehrwürden.
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thumb im Römischen Reiche sein ausgemergelt und
Land und Leute verdorben. Wie nun Romische Keyserliche Majestet Kriegesvolck und
Obersten alß I. Excell: Tylli und der Furst von Friedland zu Jederzeit die
Victoria fur dem Koning von Dennemarck erhalten, sein sie auch entlich über die
Elbe ins Furstenthumb Meckelnburg und Nieder Sachsen gekommen die Leute
anfenklich an der Elbe vertrieben und veriaget, so ist mir daßelbe mit den
meinen auch also beiegnet und wiederfahren, dieweil Ich Prediger zu Buchen
4) gewesen, daselbst mir dan fast alle daß meine genommen und zu der Kirche
verbrant worden. Dies ist geschehen Anno 1627 den 10 Trinit:
Wie Ich nun mit den meinen im Elend gewesen, ist gestorben auf S. Georgy Berg fur
Ratzeb. Er Matthias Borstelius Hofprediger, da hat gedachter mein gnediger Furst
und Herr mir unwirdigen anbefohlen S. hinterlaßenen Wittben auf dem Furstl: Hause
Ratzeb: und daselbsten auf dem Berge das Gnaden Jahr 5) vber zu predigen und den
Gottesdienst zuverrichten.
Nach verfloßenem Jahre hat V. G. F. und H. S. Er Matthiae Borstely hinterlaßene
Eheleibliche Tochter in Gnaden angesehen und sie bey der Pfarr gelaßen, welche
dan geheyrahtet und gefreyet Er Matthiam Peckelium Predigern zu Barsthorst Mich
aber den 2. T. Octob alhir nach Mußstin berufen. Ob nun wol die Introduction von
I. F. G. alßbald den folgenden Sontag 6) zuverrichten ist angesetzet so hat doch
dieselbe nicht konnen vollendet werden weil der Pastor auf S. Georgy Berg fur
Ratzeb: von dem H. Superintendenten von Lawenb 7) auf denselben Sontag ist
eingefuhret worden. Meine introduction von I. F. G. befohlen ist aufgeschoben bies
auf den 19. T. octob.
Ob nun wol der General Superintent: Er Johannes Burmeisterus auf ernanten Tag
gerne were herubergekommen, weil er selber geschrieben und auch unkostung von mir
gemacht worden, so hat er doch nicht konnen wegen des marchierenden
Kriegesvolcks heruberkommen, und hat es wiederaufgeschoben auf den folgenden
Sontag alß den 26. Octob.
Auf die bestimmete Zeit ist zwar der Generalis Superint: bies an Ratzeb
heruberkommen, weil aber zu Sitim 8) und zu Golden See Keyserliche Kriegesvolck
gelegen ist er vnverrichter Sache wiederhinweggereist und dem Speciali Superintendenten zu Ratzeb Ern
Christiano Cölero anbefohlen dieselbe
zuverrichten. Ob wol der Specialis nun den folgenden Sontag alß den 9.
Novemb
auch wol gerne were herubergekommen, so hat doch solches nicht geschehen konnen
wegen der betruebte Fälle, die bey ihm entstanden weil sein liebe Haußfraw tödtlich
Kranck, also auch daß sie auch Gott kurtz hernach auß diesem be-
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4) Büchen.
5) Gnadenjahr: Die Angehörigen eines verstorbenen Pastors hatten
das Recht, das erste Jahr nach seinem Tode in der Pfarre zu bleiben und seine
Einkünfte zu beziehen.
6) 5. X. 1628.
7) General-Superintendent Johannes Burmeister in Lauenburg.
8) Ziethen.
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trübten leben abgefordert, und in das ewige Frewdenleben versetzet.
Ist sie also vorgenommen und verrichtet den ersten Sontag
nach dem Newen Jahr Anno 1629. Gott wolle mir bey bestendiger Gesundheit erhalten,
und mit seinem h. Geist erleuchten und regieren, damit Ich Gottes Wort muge recht
lehren und predigen und viel Menschen zur Sehligkeit fuhren und bringen. Amen.
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Pastor Steinfelds Wunsch, Gott möge ihn bei beständiger Gesundheit erhalten,
ging nicht in Erfüllung. Der Tod riß ihn schon nach drei Jahren aus seiner
Amtstätigkeit hinweg. Er ertrank in dem jetzt abgelassenen Ziethener See, wie uns
im Kirchenbuch unter seinem Namen im Pastorenverzeichnis berichtet wird:
Fridericus Steinfeld Luneb. d. 4. Jan 1629 introductus ist wie er zu Fuß von
Ratzeburg nach Mustin heimkehren wollen, bei Verfehlung des rechten Weges im See
bey Sytem verunglückt.
* * *
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