Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1926


Aus einem alten Kirchenbuch.

Von Johannes NÖLTING-Mustin.

In zwei Jahren sind es dreihundert Jahre her, daß der Große Krieg, der damals unser Vaterland verwüstete, sich zuerst den Grenzen unserer Heimat näherte.

Wir können es kaum ausdenken, was es damals hieß, den Krieg im eigenen Lande zu haben, welch großes Maß voll Leid unsern Vorfahren zugeteilt war. Aecker wurden verwüstet, Kirchen verbrannt, Städte und Dörfer zerstört. Was mag das für eine Zeit gewesen sein, wo kein Ende all der Not abzusehen war, wo die Menschen stündlich um Leben und Gut zittern mußten, wo viele, von dem Ihrigen vertrieben, wie scheues Wild umherirrten oder wie tolle Bestien ihre Peiniger aus dem Hinterhalt überfielen?
 
Jetzt ist das alles Geschichte geworden. Die große Heerstraße, die damals so oft widerhallte von den Flüchen der Troßknechte und den Liedern der Reiter, ist still geworden, und wo etwa die Knicks, die sie beiderseits umsäumten, ausgerodet sind, geht der Pflug des Bauern über sie hin. Hochwald steht, wo damals ein Dorf am Hang des Sees lag, und nur Dichterohren vermögen längst verklungene Geschichten aus dem Rauschen der Buchen und dem Wehen des Windes zu hören, der über den See streicht. Drei Jahrhunderte sind eine lange Zeit. Da wird fast alles. was sich damals ereignet hat, im Gedächtais der Nachkommen verwischt.

Und doch reden unsere Vorfahren, die diese Zeit durchlebten und durchlitten, noch deutlich genug zu uns. Zwar wurde damals seltener geschrieben als in unsern Tagen, wenn auch ein Brief des

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17., 18. und noch des 19. Jahrhunderts zumeist sehr viel mehr zu sagen hat als heute. Aber ein Brief ist zu kurzlebig, um drei Jahrhunderte zu überdauern. Und doch ist Geschriebenes auch aus dieser Zeit nicht gar so selten. Denn in den meisten unserer lauenburgischen Gemeinden finden sich alte Kirchenbücher auch des 17. Jahrhunderts. Und wem es einmal vergönnt gewesen ist, in Muße diese vergilbten Blätter zu studieren, der kommt nur schwer wieder von der Zeit los, die ihm aus den alten Schriftzügen entgegenleuchtet. Wie lebendig werden uns da diese Menschen, deren irdische Reste längst vermodert sind. Da tauchen vor unserm geistigen Auge diese alten ehrenfesten Pastoren der lutherischen Orthodoxie auf, die oft schwer genug mit den Nöten des täglichen Lebens zu ringen hatten Da dürfen wir in gläubige Herzen schauen, die in Gott getrost bleiben, auch wenn seine Hand schwer auf ihnen lastet und ein liebes Kind nach dem andern auf den Friedhof getragen wird. -

Die Tauf- and Begräbnisregister, die Kirchenrechnungen, die Verträge und Rechenschaften sind ja viel mehr als bloße Urkunden. Wir müssen an sie einen ganz andern Maßstab legen als an heutige rechtliche Dokumente und Statistiken. Da mag es vorkommen, daß sich in einem Taufregister eine Lücke von vier Jahren findet. Vielleicht gelang es dem Pastor, der offenbar summarisch eintrng, nicht mehr, alle Taufen eines Jahres genau zu ermitteln, und er verlor dann gleich für mehrere Jahre die Lust zur Weiterführung des Registers. Was schadet's, wenn sich dann eine Eintragung in so treu herzigen Worten findet, daß "Dom: Jucia 1) eine Bettlersfrau auß Turau ihr kleines Tochterlein hat tauffen laßen", oder wenn Gottes Geist für ein eigenes liebes Kindlein in warmen Worten erfleht wird.

Das MUSTINER KIRCHENBUCH, von dem im besonderen die Rede sein soll, beginnt mit dem Jahre 1608 und wird das erste dieser Gemeinde sein. Denn im allgemeinen wurden erst damals besondere "Kirchenbücher" angelegt. Wie aus der Niedersächsischen Kirchenordnung von 1585 hervorgeht, drang EINERSEITS die Kirchenregierung darauf, Verzeichnisse anzulegen über die der Kirche durch die Heilige Taufe einverleibten Glieder. So entstanden die Taufregister mit dem Datum der Taufe, oft auch der Geburt, und den Namen der Taufzeugen und weiterhin die Kopulationsregister, um auch über die Eltern des Täuflings im klaren zu sein. Jedoch konnte einem Taufregister auch rechtliche Bedeutung zukommen. Wenn die Eltern eines Täuflings gestorben waren, so war zunächst einer der Paten, welche die geistliche Vaterschaft am Kinde übernommen hatten, verpflichtet, auch für sein leibliches Wohl zu sorgen. Das geht aus losen Zettetn im Mustiner Kirchenbnch aus der Zeit um 1700 ganz deutlich hervor.

ANDERERSEITS war oft das Bedürfnis vorhanden, die Urkunden über die kirchlichen Liegenschaften und Einkünfte zu sammeln und durch Abschreiben in einem besonderen Buche zu vereinigen. Es lag dann
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1) Dominica Judica = am Sonntag Judica.

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nahe, auch die Kirchenrechnung über laufende Einnahmen und Ausgaben in diesem Buche zu führen. Da nun die Einnahmen zu einem guten Teil aus Beerdigungsgebühren bestanden, kam man schließlich zu besonderen Begräbnisregistern. Diese wurden nun zusammen mit den Tauf- und Kopulationsregistern geführt.

Aus diesem zweiten Grund heraus ist auch das Mustiner Kirchenbuch entstanden. Sein Titel lautet:

Kirchen Buch
Zu Mustin, darinnen alle der kirchen
pertinentia
, beyde beweglich Vnd Vn-
beweglich, verfaßet sein.
angefangen Anno 1608 im Decembri
A
Pastore licet indigno
Davide Tausentschönio
Rastenbergensi
Thuringo
Deus tuetur Rectos
2)

Es beginnt mit der Abschrift eines Schuldbriefes in niederdeutscher Sprache. Nachher folgt eine Inventaraufnahme des Kirchengerätes und Verzeichnisse von Stiftungen, die der Kirche während der Amtszeit Pastor Tausentschöns gemacht wurden. Ein Taufregister führt er noch nicht.

Dies fehlt bei seinen Nachfolgern nie - manchmal ist es sogar im Kirchenbuche das einzige, was sie weiterführen, tritt aber oft gegenüber den Kirchenrechnungen stark zurück. In diesen ist noch in den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts die Nachwirkung des Großen Krieges vielfach spürbar. Da lindert ein Pastor durch kleinere Gaben die Not armer Lente, die um ihres Glaubens willen vertrieben sind, armer Studenten und abgedankter Soldaten. Da finden wir Beträge verzeichnet an "abgebrante Leute", die, wie es damals üblich war, mit "Brandbriefen" durch das Land zogen, um Unterstützung zu erheischen. Oftmals kamen sie von weither, aus Mecklenburg, Pommern und Sachsen. Da kamen Leute, um für Verwandte, "so in der Türkey gefangen", Lösegeld zu sammeln ... Man hat den Eindruck, als ob damals viel mehr Leben durch einen solchen kleinen Ort flutete als heute im Zeitalter des Verkehrs.

Da konnte es denn nicht ausbleiben , daß von den Durchziehenden Seuchen eingeschleust wurden, die in der durch Krieg und Hunger erschöpften Gemeinde erschreckend viel Opfer forderten. So wurden im August 1638 25 Beerdigungen vollzogen, am 12. August allein vier. Besonders groß war ja dazumal die Kindersterblichkeit. 1643 wurden in zehn Monaten vierzehn Kinder begraben, und noch 1725 waren über die Hälfte aller Beerdigungen Kinderleichen.

Aber eine solche bewegte Zeit wie die Mitte des 17. Jahrhnnderts schloß auch Pastor und Gemeinde enge zusammen, wie es ja jede Not-
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2) von dem - freilich unwürdigen - Pastoren David Tausentschön aus Rastenberg in Thüringen. Gott schützt die Rech[t]schaffenen.

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zeit in einer lebendigen Gemeinde tut. Das bekundete sich auch in ganz äußerlichen Dingen. So beschlossen einmal die vier Kirchenjuraten, der Tochter des Pastors das Hochzeitsmahl auszurichten, und so lesen wir:

Verzeichnis was mein tochter Anna Margareta Reinfeld
zu ihrer hochzeit empfangen hett.
 

Einen Ochsen   13 Rhtlrs
Zwo tonnen Raceburg. f. Bier   4 Rhtler
Sechs gäns   3 Rhtler
Eine Seite Specks (?)   2 Rhtler
Die butter ist verehret    
Ein halb liß Licht   Zus. 8

Dieser Eintrag ist nun so zu verstehen, daß außer der Butter alles ex aerario, d. h aus der Kirchenkasse bezahlt wurde, während die Butter ein Geschenk der Kirchenjuraten oder anderer Gemeindeglieder war. Was das Licht anbelangt, das damals gewichtweise verkauft wurde (1 Ließpfund entsprach 14 Pfund = 1/20 Schiffspfund, so handelt es sich wohl um die Kerzen, mit denen die Hochzeitstafel erleuchtet wurde.

Schon aus diesen kurzen Einblicken wird deutlich, was für ein lebendiges farbenkräftiges Bild wir von der damaligen Zeit aus solchen alten Urkunden gewinnen. Nirgends aber wird uns das im Mustiner Kirchenbuch so zuteil, wie in dem Vertrag, den Friedrich Steinfeld, Pastor Tausentschöns Nachfolger, mit der Witwe seines Vorgängers bei seiner Amtseinführung 1629 abschließt. Schon der klaren sorgfältigen Schrift merkt man es an, daß der Verfasser - wie er ja selbst schreibt - auch zu uns späten Nachkömmlingen reden und uns ein Bild jener unruhigen Tage geben will. So mögen seine Ausführungen hier unverkürzt und unverändert folgen!

Anno 1627 ist Er 3) David Tausentschön
8 Tage vor S. Martin gestorben.
Anno 1628 2. Octob bin Ich Frid. Steinfeld wieder vociret.

Verzeichnus, wie es mit mir

Friderico Steinfeld Luneburg: nach dem Ich von dem Durchlauchtigem Hochgebornen Fursten und Herrn, H. Augusto Herzogen zu Sachsen Engern und Westfalen vnwirdig bin zum Prediger zu Mußstin vocieret und berufen worden, gehalten, und was fur ein Vertrag zwischen mir und Ern David Tausent Schon S. Wittben ist aufgerichtet.

Es ist Jedermann wißend und wird unsern Nachkomlingen auch zu wißen getahn, daß Gott der Himlischer Vater gantz Teusch Land schwerlich heimgesucht, in dem die Römische Keyserliche Majestet, und der Konig von Dennemarck, wie den auch Graf Mannßfeld und der Bischof von Halber Stat, und der Bischof von Hall mit starcker Armee und Kriegesvolck zu Roß und zu Fuß kegeneinander gezogen, dadurch nicht allein Stedte und Dörfer, besondern auch alle Fursten-
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3) Er = Wohl Erwürden, bezw. Hoch Ehrwürden.

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thumb im Römischen Reiche sein ausgemergelt und Land und Leute verdorben. Wie nun Romische Keyserliche Majestet Kriegesvolck und Obersten alß I. Excell: Tylli und der Furst von Friedland zu Jederzeit die Victoria fur dem Koning von Dennemarck erhalten, sein sie auch entlich über die Elbe ins Furstenthumb Meckelnburg und Nieder Sachsen gekommen die Leute anfenklich an der Elbe vertrieben und veriaget, so ist mir daßelbe mit den meinen auch also beiegnet und wiederfahren, dieweil Ich Prediger zu Buchen 4) gewesen, daselbst mir dan fast alle daß meine genommen und zu der Kirche verbrant worden. Dies ist geschehen Anno 1627 den 10 Trinit:

Wie Ich nun mit den meinen im Elend gewesen, ist gestorben auf S. Georgy Berg fur Ratzeb. Er Matthias Borstelius Hofprediger, da hat gedachter mein gnediger Furst und Herr mir unwirdigen anbefohlen S. hinterlaßenen Wittben auf dem Furstl: Hause Ratzeb: und daselbsten auf dem Berge das Gnaden Jahr 5) vber zu predigen und den Gottesdienst zuverrichten.

Nach verfloßenem Jahre hat V. G. F. und H. S. Er Matthiae Borstely hinterlaßene Eheleibliche Tochter in Gnaden angesehen und sie bey der Pfarr gelaßen, welche dan geheyrahtet und gefreyet Er Matthiam Peckelium Predigern zu Barsthorst Mich aber den 2. T. Octob alhir nach Mußstin berufen. Ob nun wol die Introduction von I. F. G. alßbald den folgenden Sontag 6) zuverrichten ist angesetzet so hat doch dieselbe nicht konnen vollendet werden weil der Pastor auf S. Georgy Berg fur Ratzeb: von dem H. Superintendenten von Lawenb 7) auf denselben Sontag ist eingefuhret worden. Meine introduction von I. F. G. befohlen ist aufgeschoben bies auf den 19. T. octob.

Ob nun wol der General Superintent: Er Johannes Burmeisterus auf ernanten Tag gerne were herubergekommen, weil er selber geschrieben und auch unkostung von mir gemacht worden, so hat er doch nicht konnen wegen des marchierenden Kriegesvolcks heruberkommen, und hat es wiederaufgeschoben auf den folgenden Sontag alß den 26. Octob.

Auf die bestimmete Zeit ist zwar der Generalis Superint: bies an Ratzeb heruberkommen, weil aber zu Sitim 8) und zu Golden See Keyserliche Kriegesvolck gelegen ist er vnverrichter Sache wiederhinweggereist und dem Speciali Superintendenten zu Ratzeb Ern Christiano Cölero anbefohlen dieselbe zuverrichten. Ob wol der Specialis nun den folgenden Sontag alß den 9. Novemb auch wol gerne were herubergekommen, so hat doch solches nicht geschehen konnen wegen der betruebte Fälle, die bey ihm entstanden weil sein liebe Haußfraw tödtlich Kranck, also auch daß sie auch Gott kurtz hernach auß diesem be-
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4) Büchen.
5) Gnadenjahr: Die Angehörigen eines verstorbenen Pastors hatten das Recht, das erste Jahr nach seinem Tode in der Pfarre zu bleiben und seine Einkünfte zu beziehen.
6) 5. X. 1628.
7) General-Superintendent Johannes Burmeister in Lauenburg.
8) Ziethen.

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trübten leben abgefordert, und in das ewige Frewdenleben versetzet. Ist sie also vorgenommen und verrichtet den ersten Sontag nach dem Newen Jahr Anno 1629. Gott wolle mir bey bestendiger Gesundheit erhalten, und mit seinem h. Geist erleuchten und regieren, damit Ich Gottes Wort muge recht lehren und predigen und viel Menschen zur Sehligkeit fuhren und bringen. Amen.

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Pastor Steinfelds Wunsch, Gott möge ihn bei beständiger Gesundheit erhalten, ging nicht in Erfüllung. Der Tod riß ihn schon nach drei Jahren aus seiner Amtstätigkeit hinweg. Er ertrank in dem jetzt abgelassenen Ziethener See, wie uns im Kirchenbuch unter seinem Namen im Pastorenverzeichnis berichtet wird:

Fridericus Steinfeld Luneb. d. 4. Jan 1629 introductus ist wie er zu Fuß von Ratzeburg nach Mustin heimkehren wollen, bei Verfehlung des rechten Weges im See bey Sytem verunglückt.

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