Der 1. Juli bringt uns eine
Fünfzigjahrfeier, bringt uns den Tag, an dem vor einem halben
Jahrhundert unsre Heimat als Kreis Herzogtum Lauenburg in die
preußische Monarchie einverleibt wurde. Verbietet auch die Not
der Zeit, diesen Gedenktag festlich zu begehen, so soll doch ein
schlichtes Wort der Erinnerung an diesem bedeutsamen Tage nicht
fehlen.
Es war am 21. Oktober 1864, noch
bevor der Wiener Frieden den dänischen Krieg beendigte, da
beschloß die Lauenburgische Ritter- und Landschaft fast
einstimmig, „daß sie sich in Anbetracht der Lage des Landes an
Preußen anzuschließen wünsche, unter Wahrung des Landes als
eines eigenen deutschen Herzogtums und der Landesverfassung." Am
7. November reiste eine Deputation zu Bismarck und
erhielt günstigen Bescheid. Auch König Wilhelm erklärte, den
Wünschen Lauenburgs willfahren zu wollen.
Doch es mußte noch mancher Tropfen Wasser den Berg hinabfließen,
bis der Wunsch der Ritter- und Landschaft zur Wirklichkeit
wurde. Die Verhandlungen zwischen Preußen und Oesterreich
führten zunächst zum Gasteiner Vertrag, in dem Oesterreich seine
Rechte an Lauenburg dem König von Preußen gegen eine Summe von
2 1/2 Millionen dänischer Taler überließ. Dann
erst - am 1. September 1865
- ergriff König Wilhelm förmlich von Lauenburg Besitz.
Und erst am 26. September fand in der Stadtkirche
zu Ratzeburg in Gegenwart des Königs und des zum Minister für
Lauenburg ernannten Grafen Bismarck die Erbhuldigung der Ritter-
und Landschaft statt. Das Herzogtum Lauenburg war nun erst durch
Personalunion mit Preußen verbunden.
Die Landesvertretung und die Organisation der Behörden blieben
damals fast unverändert. Aber eine lange Reihe gesetzgeberischer
Reformen bewirkte langsam einen immer enger werdenden
Zusammenschluß der beiden Länder, bis erst nach etwa zehn Jahren
die Verhältnisse für ein Aufgehen Lauenburgs in Preußen reif
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Es ist außerordentlich interessant, dieses
langsame Reifen zu beobachten. Bismarck, der Mann der schnellen
Tat, war hier, wo er der Frucht sicher war, der kluge Gärtner,
der zu warten versteht. Zwar sandte er schon 1867
den Staatskommissar von Ompteda nach Lauenburg mit dem
ausdrücklichen Befehl, die Einverleibung durch Verhandlungen
anzubahnen. Als dieser aber 1869 mit leeren Händen
zurückkam, ward der große Staatsmann nicht ungeduldig und
erklärte, die Einverleibung nicht durch Ausübung eines Drucks
erzwingen zu wollen. Er wußte, die oben genannten Reformen
würden ihre Wirkung nicht verfehlen.
Und so geschah es denn auch, Besonders auch dadurch, daß
Lauenburg in militärischer Beziehung in Preußen aufging, daß die
Gesetzgebung des Zollvereins, das Allgemeine deutsche
Handelsgesetzbuch und die deutsche Wechselordnung in Lauenburg
eingeführt und daß das Post- und Münzwesen im preußischen Sinne
geregelt wurden, bahnten sich so enge Beziehungen zwischen den
beiden Ländern an, daß in Lauenburg der Wunsch nach
vollständiger Einverleibung immer lebendiger wurde. Andrerseits
freilich konnten die Gegner Preußens es diesem nicht vergessen,
daß man dem kleinen Lauenburg die Abtragung der österreichischen
2 1/2 Millionenschuld aufgebürdet und die
Aufhebung der Elbzölle, die dem Herzogtum jährlich 45000
Taler gebracht hatten, ungerechter Weise ohne jede Entschädigung
Lauenburgs durchführte. Bismarck - so beklagte man sich
- habe nur zu sehr Recht gehabt, wenn er der
unverständigen Opposition des preußischen Abgeordnetenhauses das
Wort entgegenhielt. "Jeder Schritt zu uns hat von Lauenburg
durch eigene Opfer erkauft werden müssen."
Aber die Frucht kam dennoch zur Reife. Die Justizreform
beseitigte den alten Behördenorganismus in Lauenburg, indem sie
das Hofgericht aufhob und dem Konsistorium, den Aemtern und den
Adligen Gütern die Gerichtsbarkeit nahm. Eine neue
Steuergesetzgebung glich die Verhältnisse Lauenburgs denen in
Preußen an. Vor allem aber kam der Krieg 1870/71
und mit ihm ein tieferes Verständnis für die Größe Preußens und
Bismarcks. So wurden denn die Verhandlungen im Frühjahr
1871 mit Energie wieder aufgenommen. Man ging daran -
wohl im Hinblick auf beabsichtigte Bismarck-Ehrung -, die
Domänenfrage schon vor der Einverleibung zu behandeln und schloß
am 1. Juni den bekannten Staatsvertrag von
1871, der den Sachsenwald als freies Eigentum des Königs
aus dem Domanium herausnahm, den Rest aber zum freien Eigentum
des Herzogtums Lauenburg erklärte. Schon zwei Tage darauf
genehmigte König Wilhelm den Vertrag, der zur wichtigsten
Grundlage der Lauenburgischen Sonderrechte werden sollte. Und
bereits am 24. Juni wurde der Sachsenwald dem
Fürsten Bismarck "in Anerkennung seiner Verdienste als eine
Dotation zum Eigentum übereignet."
Mit der Regelung der Domänenfrage war der erste und wichtigste
Schritt zur Einverleibung Lauenburgs in Preußen getan. Aber bis
zum Abschluß des Processes sollten noch fünf weitere Jahre ver-
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gehen. Zunächst traten finanzielle
Schwierigkeiten ein. Für das verlorene halbe Einkommen aus dem
Domanialbesitz mußte Ersatz geschaffen werden, und die
Neuverteilung der Staatsausgaben erforderte eine weitere
Erhöhung der Staatssteuern. So wurden denn Gesetze über die
Erhebung von Stempel-, Grund- und Gewerbesteuern und über eine
Eisenbahnabgabe erlassen. Dann aber wurde lange darüber
verhandelt, welche Lasten dem neuzubildenden
Landeskommunalverbande als Gegenleistung für die Ueberlassung
des Domänenbesitzes aufzulegen seien. Und da kam es endlich zu
den Festsetzungen, die in dem Gesetz vom 7.
Dezember 1872 niedergelegt sind. Der Landesverband
übernahm danach vornehmlich die Tilgung und Verzinsung der
Schuld von 1866, ferner die Unterhaltung der
Chausseen und der Lauenburgischen Gelehrtenschule, die Pflege
des Armenwesens und die Unterstützung und Errichtung von
Landes-Anstalten, die der Landesgeschichte sowie der Förderung
der Wissenschaft und Kunst im allgemeinen dienen.
Mit diesem neuen für Lauenburgs Sonderrechte bedeutsamen
Grundgesetze war der zweite wichtige Schritt zur Einverleibung
getan. Der Weg war jetzt frei, zumal inzwischen auch das
Polizeiwesen neu geregelt, die Selbstverwaltung der Städte und
Landgemeinden eingeführt und der Bauernstand durch die Aufhebung
der Meier-, Erbzins- und Erbpachtverhältnisse zum unbeschränkten
Herrn über seinen Besitz gemacht worden war. Am 1.
Januar 1873 wurden die altlauenburgischen
Behörden, Regierung und Aemter, aufgelöst, und ein preußischer
Landrat und Landvögte nach preußischem Muster nahmen ihre Stelle
ein.
Nun blieb nur noch der letzte Schritt zu tun. Er wurde gegen
Ende des Jahres 1874 vorbereitet durch neue
Verhandlungen zwischen der Lauenburgischen und Preußischen
Regierung, zu denen als Beauftragter der Landesvertretung der
Erblandmarschall von Bülow hinzugezogen wurde. Diesem aber wurde
eine von der Ritter- und Landschaft gewählte Kommission zur
Seite gestellt, die ihn in allen wichtigen Fragen beraten
sollte.
Schon nach wenigen Monaten kamen die drei Kommissare zu voller
Einigung darüber, daß neben gewissen steuerlichen Bestimmungen
der Anschluß an die Provinz Schleswig-Holstein, die Uebernahme
sämtlicher Staatsbeamten, die Aufhebung des Lauenburgischen
Konsistoriums und die Aufrechterhaltung der bisherigen
Verwaltung des Domanialvermögens die Grundlagen des
Einverleibungsgesetzes bilden müßten. Aber die Landesvertretung
Lauenburgs gab sich noch nicht zufrieden und suchte - teilweise
mit Erfolg - von Preußen noch weitere Zugeständnisse zu
erreichen. Da aber riet Bismarck in einem vertraulichen
Schreiben, den Bogen nicht zu überspannen. Und so wurde denn am
15. März 1876 der Vertrag unter
Vorbehalt der Genehmigung der beiderseitigen Regierungen und
Landesvertretungen vollzogen.
Den vorletzten Akt des Einverleibungsprozesses bildeten nun die
Verhandlungen im preußischen Abgeordnetenhause. Sie aber sind
eigentlich ein Satyrspiel, dessen groteske Scenen wir uns heute
kaum
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noch vorstellen können. Die damaligen
Liberalen, voran der als Gelehrter so hochbedeutende Rudolf
Virchow, liefen Sturm gegen die Vorlage. Man nannte Lauenburg
eine Wüste, eine ausgequetschte Zitrone, ein Land, dessen
Bevölkerung vorwiegend vom Schmuggel lebe, und wollte von der
Eingliederung überhaupt nichts wissen. Erst als Bismarck
ironisch erklärte, "er habe es sich nicht so schwierig gedacht,
dem Preußischen Staat zu vermögen, daß er ein wohlhabendes,
wohlstehendes, wohlgelegenes Herzogtum, das man ihm auf dem
Präsentierteller anbietet, annehme" - erst da kam man zur
Besinnung. Und nun endlich wurde die Vorlage in den Sitzungen
vom 2. und 3. Juni in dritter Lesung
einstimmig angenommen. Und unter dem 23. Juni
1876 ergingen die gleichlautenden preußischen und
lauenburgischen Gesetze, deren § 1 lautet. „Das
Herzogtum Lauenburg wird vom 1. Juli 1876
ab in Gemäßheit des Artikels 2 der
Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat mit der preußischen
Monarchie für immer vereinigt."
So verlor denn das Herzogtum Lauenburg vor fünfzig Jahren seine
Selbständigkeit, es wurde ein schlichter preußischer Kreis. Aber
- so dürfen wir mit Stolz sagen - unser Land hat auch in dem
neuen Verbande eine Stellung erhalten, die es aus der Zahl der
übrigen Kreise weit heraushebt. Es ist zu einem selbständigen
Landeskommnnalverband gemacht worden, und ihm sind Rechte
gegeben und Pflichten auferlegt wie keinem andern Kreise des
Preußischen Staates.
Lauenburg hat, wie es schon jenes Bismarckwort aussprach, für
seinen Anschluß an Preußen große Opfer bringen müssen, und es
hat auch nachher nicht an Zeiten gefehlt, wo die Hand der
preußischen Regierung neue Opfer an alten wohlverbrieften
Rechten forderte. Daraus aber sind wieder allerlei
Mißverständnisse entstanden, und die Verwaltung, wie die
Bevölkerung Lauenburgs haben mehr als einmal Proteste gegen
unberechtigte Forderungen Berlins erheben müssen. Heute jedoch
wollen wir an diese Vorgänge der letzten Jahre nicht länger
denken. Wir wollen uns vielmehr der Freude überlassen, daß unser
Land in den wohlgefügten Staatsorganismus Preußens angenommen
wurde und dadurch Anteil an den wirtschaftlichen und kulturellen
Gütern erhielt, die nur ein Staat von der Größe und Bedeutung
Preußens seinen Angehörigen bieten kann. Lauenburg fühlt sich
mit den Schwestern Schleswig und Holstein innig verbunden und
hält Preußen, dem Lande seiner Wahl, unverbrüchliche Treue.
Gerade in diesen Tagen hofft es mit besonderer Zuversicht, daß
sich bald auch die letzten Wolken verziehen, die den Bund
Preußen-Lauenburg heute noch beschatten.
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