König Friedrich Wilhelm I. von
Preußen, der Vater des großen Friedrich, hatte bekanntlich eine
Leidenschaft für Grenadiere von schlankem Wuchs und ungewöhnlicher
Größe. Und diese Leidenschaft verführte ihn dazu, seine
Werbeoffiziere nicht nur in alle Teile der eigenen Monarchie,
sondern auch in alle übrigen Länder Europas zu entsenden und dort
mit sanfter Gewalt alles aufgreifen zu lassen, was Hosen trug und
gut gewachsen, arglos und mehr als sechs Fuß lang war. Ruhige,
verheiratete Männer wurden ihren Familien entrissen und nach Potsdam
geschleppt. Der König aber glaubte aus innerster Überzeugung, ein
Recht auf diesen Menschenraub zu haben, da die übrigen Fürsten diese
prächtigen Gestalten nicht nach Gebühr zu schätzen wüßten.
Unter diesen Werbungen hatten naturgemäß besonders die
Nachbarstaaten Preußens zu leiden. Und so war es kein Wunder, daß
aus diesen Gewaltsamkeiten unzählige Streitigkeiten entstanden. Aber
alle Vorstellungen und Beschwerden beim Berliner Hofe halfen nichts.
Der König bekam es nicht über sich, seiner Leidenschaft zu entsagen.
Der schärfste Konflikt aber brach zwischen Preußen und dem
Kurfürstentum Hannover aus, dem damals bekanntlich auch unser
Herzogtum Lauenburg durch Personalunion angegliedert war. Obgleich
König Friedrich Wilhelm und Kurfürst Georg blutsverwandt, gemeinsam
erzogen und verschwägert waren, hatten sie doch eine derartige
Abneigung gegeneinander gefaßt, daß sie vor gegenseitigen schweren
Beleidigungen nicht zurückscheuten. Als nun Grenzstreitigkeiten und
die oben geschilderten Übergriffe preußischer Werber hinzukamen, da
steigerte sich die Gereiztheit auf beiden Seiten bis zu Siedehitze,
und beide Fürsten bereiteten sich auf einen Waffengang vor. Kurfürst
Georg, der zugleich König von Großbritannien war, eilte 1729
von London nach Hannover, um persönlich die Kriegsrüstungen zu
überwachen. Friedrich Wilhelm aber sammelte seine Streitkräfte bei
Magdeburg. So wäre es auf ein Haar schon damals, wie 27
Jahre später, zu einem europäischen Kriege gekommen, wenn nicht in
letzter Stunde der Kaiser und andere deutsche Fürsten vermittelt und
die meisten schwebenden Streitpunkte durch einen besonderen Ausschuß
aus der Welt geschafft hatten.
Trotzdem hatte aber der Unfug der preußischen Werbungen noch zwei
bemerkenswerte Nachspiele. Die Erbitterung der beiden Schwäger war
so groß, daß eine Herausforderung zum Zweikampf erfolgte, und dieser
wäre wirklich und wahrhaftig im Lustschloß zu Salzdahlum bei
Wolfenbüttel ausgefochten worden, wenn es die Vorstellungen des
Herzogs August Wilhelm von Braunschweig und des preußischen
Gesandten nicht noch zu guterletzt erreicht hätten, der
spottlustigen Welt dies seltsame Schauspiel zu ersparen.
Das andere Nachspiel aber war nicht mehr zu verhindern. Die durch
die preußischen Übergriffe geschädigten Staaten - Kursachsen,
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Hessen-Kassel, Sachsen-Gotha, Köln, Münster und
selbst die Generalstaaten der vereinigten Niederlande - taten sich unter der
Führung Hannovers zusammen und richteten äußerst scharfe Erlasse gegen die
preußischen Werber und ihre Gewalttätigkeiten. So heißt es in dem Edikt der
Hannoverschen Regierung vom 14. Dezember 1731, das
natürlich auch für Lauenburg Geltung hatte:
Wir Georg der Andere, etc. Fügen hiermit zu wissen: Nachdem Wir höchst mißfällig
vernommen, daß Unsere getreue Untertanen, zumahl an denen Grentzen, von
auswärtigen Werbern, die sich insgemein für Preußische ausgeben, sehr
beunruhiget und nicht allein mit List über die Grenze gelocket und alsdann zu
Annehmung fremder Krieges-Dienste gegezwungen [sic!],
sondern auch, in Unserem Territorio in ihren Häusern durch gewaltsame Einfälle
oder gar mit gewaffneter Hand überfallen, weggeschleppet und enrolliret,
dergleichen grobe Tätlichkeiten auch wol gegen Personen, die in Unseren
wirklichen Krieges-Diensten stehen, gantz ungescheuet ausgeübet werden ... Als
setzen und ordnen Wir, und wollen ernstlich, das ... selbige Werbere, wann sie
sich in Unsern Landen betreten lassen, ... ohne Ansehen der Person so fort
arrestiret und, da sie sich in starker Anzahl einfinden sollen, durch Läutung
der Sturm-Klocken verfolgt werden, auch zu derselben Anhaltung, wann es nöthig,
Unsere ... Militz ... behülfflich seyn soll. ... Solche Königl. Preußische
Werbere, sie mögen in flagranti oder nachhero betreten werden,
welche einige Gewalt in Unsern Landen ausgeübet oder auch nur tentiret, sollen
als Straßen- und Menschen-Räubere, Stöhrer der allgemeinen Ruhe und des
Land-Friedens, auch Verletzer Unserer Hobelt tractiret und ohne alles Ansehen
der Person und Qualität, so bald sie schuldig befunden worden, am Leben ...
bestraffet werden. Sollte ein Königl. Preußischer gewaltsamer Werber ... sich
unterstehen, ... sich mit Gewalt zu widersetzen, So können Unsere Unterthanen
Gewalt mit Gewalt vertreiben, solche sich widersetzende gewaltsame Werbere ...
todtschlagen oder niederschießen, und wollen Wir solchenfalls demjenigen nicht
allein, welcher einen Königl. Preußischen gewaltsamen Werber todt oder lebendig
liefert, sondern wer auch sonst einen davon zur Hafft bringen wird, aus Unserer
Krieges-Casse jedesmahr Funffzig Thaler reichen lassen. ...
Trotz dieses wahrhaft drakonischen Erlasses nahmen die preußischen Werbungen in
unserm Lande kein Ende. Dafür finden wir äußerst interessante Beweise in einigen
Schriftstücken, die unser Landesarchiv gerade in den letzten Wochen erwerben
konnte.
In dem ersten Stück richtet die Regierung an die „Beambte zu Ratztburg" unter
dem 22. Februar 1736 folgende Verfügung:
"Euch wird ohne Zweifel bekannt seyn, was gestalt für wenig Tagen ein
Kupferschläger auff der Beeke durch frembde, vermutlich Königl. Preußische
Werber bey 40 an der Zahl des nachts mit Ge-
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walt von Bette geholet und entführet worden; Ihr
wisset nun, wie scharff dergleichen gewalttätigen frembde Werbungen verboten
worden, und da dergleichen Gewalt an den Grentzen dieses Hertzogthumbs verübet
worden und zu befürchten stehet, es mögte dieselbe auch an Sr. Königl. Majestät
unsers allergnädigsten Herrn Unterthanen ausgeübet werden, So habet Ihr
gesambten Untertanen des Euch anvertrauten Ambts ohne Zeitverlust anzubefehlen,
daß Sie wohl auf ihrer Hut seyn und bey Unternehmung einiger Gewalt von frembden
Werbern nach Vorschrifft des in anno 1731 publicirten edicts
verfahren sollen, und werdet Ihr an Orthen und Enden, wo Ihr es nöhtig findet,
sonderlich an der Grentze gegen Mecklenburg annoch einige exemplaria zur
affixion senden, gestalt, damit es daran nicht fehle, 6 Stück
hiebey erfolgen, und verbleiben Ench zu willfahren geneigt."
Die Regierung weist also zunächst mit allem Nachdruek auf die strenge Verordnung
von 1731 hin. Dann aber stellt sie energische Nachforschungen an.
In einem Schreiben an den Amtmann Ebell und den Amtsschreiber Oldenburg zu
Ratzeburg vom 24. Februar 1731 fordert sie
sofortigen Bericht darüber, ob die vorher genannten 40 preußischen
Werber, die am 19. oder 20. Februar Mustin passiert
hätten, sämtlich bewaffnet waren, ob sie zu Fuß der beritten erschienen seien
und ob und wie lange sie sich in Mustin oder in dessen Nähe aufgehalten und wie
sie sich dort betragen hätten. Leider ist von den Akten dieses Falles nicht mehr
als die beiden erwähnten Stücke übrig geblieben.
Ein zweiter Fall dagegen ist weit besser aufgeklärt. Doch da handelt es sich um
einen Übergriff preußischer Werber, der schon unter der Regierung Friedrichs des
Großen geschah und gwiß nicht auf die Einbringung eines besonders ,,langen
Kerls", sondern auf die Rekrutierung für das durch die ersten schlesischen
Kriege geschwächte preußische Heer abzielte. Immerhin lag auch hier ein grober
Gewaltstreich vor, und wir verstehen die Entrüstung und die Strenge der
kurfürstlichen Regierung, wenn sie unter dem 5. November
1751 an das Amt in Ratzeburg schreibt:
"Als ohnlängst ein Schäffer-Knecht Nahmens Jürs von den Adelichen Kögelschen
Felde durch den in Lübeck auf Werbung liegenden Preußischen Lieutenant Ruskowsky
mit Gewalt weggenommen worden, So begehren Nahmens Sr. Königl. Majestät und
Churfürstl. Durchl. Unseres Allergnädigsten Herrn Wir hiemit an Euch, von dessen
Persohn mit aller Geheimniß und Vorsicht genaue Erkundigung einzuziehen, damit
in der Persohn nicht geirret werde, und, fals er sich in hiesigen Amte betreten
lassen solte; denselben zu arretieren und mittelst einer sicheren Bauer Wache in
civiler Bewahrung zu behalten, mithin davon anhero alsofort zu berichten, damit
er sodann mit einen Commando von hier abgehohlet werden könne."
Der arme Schäfer ist erst viele Jahre später nach schweren Erlebnissen in seine
Heimat zurückgekehrt. Er ist dann in Hollenbek ansässig geworden, und man hat
ihm, dem altgedienten Soldaten, sogar
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das Amt des Bauernvogtes übertragen. Die
kurfürstliche Regierung aber hatte das Vorkommnis von 1751
nicht vergessen und beantragte abermals das Amt in Ratzeburg, den Jürs über die
damalige Entführung und die Schicksale, die er inzwischen gehabt hatte, zu
vernehmen. Die Aussage des Schäfers lautet nach der jetzt vom Landesarchiv
erworbenen Akte folgendermaßen.
"Er (Hans Jürs) hätte auf einen Sonntag Vormittag auf'm Kogelschen Felde die
Schafe gehütet, als ihrer 3, nämlich 2 in grüner
Kleidung, der 3.te aber mit einem braunen Überrock, sich zu ihm
genahet und welcher letzterer, wie Er nachher erfahren, der Preußische
Werb-Lieutnant gewesen. Worauf sie ihn gefraget, ob der dortige Förster zu
Hause. und Er erwiedert, er wüßte es nicht eingentl., indem Er wol gesehen, daß
der Förster ins Holz gegangen, doch könnte es wohl sein, da es jetzt Mittag
wäre. Die 3 Werbers hätten zu erkenen gegeben, wie sie den Förster
gerne sprechen möchten. Gleich darauf wäre Er von ihnen befragt, ob er Feuer
machen könnte, welches er mit ja beantwortet, wäre aber beim Hinreichen des
Feuers von einem vorne an der Hand angefaßet und von den andern rückwärts
gehalten und gebunden, worauf sie gefraget, ob er nicht der mittelste von seinen
Brüdern sey und Franz hieße, welches Er mit ja beantwortet. Der Lientnant,
welcher ein Pferd bey sich gehabt, wäre darauf nach dem im Holze gehaltenen
Wagen geritten, worauf solcher herbeygefahren und von denen Werbers Er, Jürs -
die Hände auf den Rücken gebunden - darauf gelegt worden. Sle wären bis Mechow
ohne Behinderung gefahren. An diesem Ohrt aber hatte Er über Hilfe gerufen,
welches die Werbers aber damit abzuwenden gesucht, da sie beständig als
betrunkene Lente geschrien, ferner dem Jürrs den Mund zugehalten und den Wagen
in vollen Sprüngen jagen lassen. Wie sie soweit mit ihm gekommen wären, daß sie
geglaubt, sie hätten nunmehr nichts mehr zu befürchten, hätte ihn der Lieutnant
gefraget, ob er Gust Meyer und seine Tochter in Lübeck wol kennete. Jürrs hätte
erwiedert: Ja. Ferner hätte der Lieutnant gesaget, die Jungfer auf dem Hofe zu
Kogel bey dem Verwalter Pipenpalm wäre seine Muhme, worauf Jürrs dem
Lieutnant zu erwidern gegeben, wie Er nunmehro längst einsehen könnte, wer ihn
angegeben. Der Lieutnant hätte erwiedert, es wäre schon lange mit seinem, des
Jürrs, Verwalter (Pipenpalm) ausgemachet, daß sie ihn abholen könnten. Der
Fuhrmann, welcher aus Lübeck wäre und Cordes hieße, hätte Sie bis Parchim
gefahren, alwo Er mit den Werbers wieder zurückgefahren. Er, Jürrs. aber den
Preußischen Husaren daselbst übergeben worden, welche ihn nachher von einer
Garnison zur andern bis Königsberg transportiert. Das Hand-Geld und capitulation
hatte ihm der Lieutnant wieder Willen aufgedrungen, auch hätte Er wieder seinen
Willen einen Brief nach Haus schreiben müssen, daß er von der Preußischen
Werbung wol zufrieden und Er 50 R.Th. Handgeld frey willig
genommen hätte, welches letztere zwar an dem, Er hätte aber das Geld gezwungen
nehmen müssen.
Von Königsberg wäre er das folgende Jahr nach Potsdam gelanget und wäre als
Grenadier unter das 3te Bataillon Gaarde
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gegeben. gegeben. Wie sie hiernach ins Geld
gegangen, sey Er bey Hochkirchen von den Oesterreichern gefangen genommen
worden, aus welcher Gefangenschaft Er zu entkommen dadurch Gelegenheit gehabt,
weil Er sich gegen die Oesterreicher obligirt, künftig keine Preußischen Dienste
wieder zu nehmen. Hierauf habe Er sich unter das hiese Jäger-Corps begeben
wollen, wäre aber wegen einer gehabten Blessur nicht annehmlich befunden, Wie
solches der ihm ertheilte Paß des Lieutnants vom Stockhauseschen Corps bezeugte.
Da nun diese Anzeige dem Jürrs vorgelesen worden, solche von ihm genehmigt
worden, so ist dieses Protocoll damit geschlossen, und comparente wurde
dimittirt."
Soweit die neuerworbenen Akten des Landesarchivs! Die Gegenwart aber hat keine
Ursache, über derartige Zustände die Nase zu rümpfen, so lange eine
"Kulturnation", wie die französische, es mit den Werbungen für die Fremdenlegion
in den europäischen Landen ebenso schlimm, wenn nicht noch schlimmer treibt.
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