Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1927


Wilhelm Heiligs Werke im Kreise Herzogtum Lauenburg.

Von Dr. WILHELM HADELER, Berlin.


I. Kriegerehrungen.

Irgend ein Werk dieses schwäbischen Architekten wird wohl die Mehrzahl der Leser dieser Zeitschrift kennen, wenn auch vielleicht sein Name dabei nicht gegenwärtig ist; aber wenige nur wissen, wie viele Zeugen von dem Können Wilhelm Heiligs sich überhaupt in unserem Kreise finden. Meist sind es Zeichen der Erinnerung an die Toten des großen Krieges, aber auch als Architekt im engeren Sinne war er hier tätig. Von ihm stammen die Denkmäler von Groß-Grönau, Kasseburg, St. Georgsberg, Lütau und die Gedenkstätten zu Ratzeburg und Lauenburg a. d. Elbe, dazu einige kleinere Arbeiten. Wie nun die Kriegerehrung, allgemein gesprochen, nicht nur eine menschlich-persönliche Angelegenheit ist, sondern als Teil unserer Ausdruckskultur sehr wesentlich in die Bereiche des Heimatschutzes und der Heimatpflege hineingehört, so mag hier ein Querschnitt der Art gegeben werden, in welcher

1927/2 - 57


1927/2 - 58

der Schwabe die ihm in Niedersachsen gestellte Aufgabe zu lösen versuchte. Niemand, der unvoreingenommen herantritt, bleibt gleichgültig vor diesem Schaffen; je nach Veranlagung muß er Stellung nehmen.

Es ist wegen des beschränkten Raumes nicht möglich, ALLE Denkmäler in Wort und Bild zu schildern. Deshalb wird an einzelnen Beispielen das Kennzeichnende dargelegt werden; überdies sind die meisten der Gedenkzeichen noch zu neu, um heute schon die Vorstellung von dem zu geben, was dem Schöpfer vorschwebte. Das GEFALLENDENKMAL ZU ST. GEORGSBERG (Abb. 1). Neben der




Abb. 1. Denkmal für die Gefallenen zu St. Georgsberg.

Straße vom Bahnhof Ratzeburg nach St. Georgsberg ragt im Buchenhochwald ein steinernes Kreuz, gedrungen und kräftig geformt, wie der Baustoff es erfordert. Die drei Felder, die Schaft und Balken bilden, werden ausgefüllt von sinnbildlichen Darstellungen des Erlebnisses "Weltkrieg", deren Gestaltung, an sich ganz modern, dennoch unmittelbar an die handwerkliche Gebundenheit frühmttelalterlicher Steinbilder anschließt. Oben am Schaft sieht man den Reichsadler mit einem pfeilgespickten Schilde, dabei die stolzen Worte "Viel Feind, viel

1927/2 - 58


1927/2 - 59

Ehr", zur Linken eine von Kugeln zerfetzte Sturmfahne "Haltet aus im Sturmgebraus", rechts Gräber im Felde mit dem erschütternd
einfachen: "Ich hatt’ einen Kameraden." Im Mittelfelde, das Schaft und Balken gemeinsam ist, stehen die Jahreszahlen und in den Schaft ist in deutschen Buchstaben eine Inschrift eingehauen, deren wundervoll in den Raum gestellte Zeichen sagen: "Kämpfend für Recht und  Freiheit, für Heim und Herd fielen 71 unserer Besten. Der Du, Wanderer, diese Stätte betrittst, gedenke der Toten in Ehrfurcht und Treue!" In dieser eindringlichen Gestalt steht das Zeichens der Er-




Abb. 2. Denkmal für die Gefallenen zu Kasseburg.

innerung am Rande des Alltags, den Vorübergehenden immer gegenwärtig und damit dem Vergessen sicher entrückt. Ist es in dieser Form nicht unendlich viel mehr als ein Bauwerk aus Findlingen mit einer Tafel etwa aus Bronze oder gar aus schwarzem Glase, das in künftigen Jahrzehnten und Jahrhunderten der Zeit seiner Erbauung immer etwas steinzeitlich Primitives anzudichten scheint? Ist ein Mal wie das St. Georgsberger nicht unendlich viel eindringlicher und wahrer, als ein Gebilde aus Kunststein oder Bronze,

1927/2 - 59


1927/2 - 60

das in genau gleicher Ausführung auch an so und so viel anderen Orten steht? - Dem geschilderten Gedächtniszeichen ähnlich ist das
KASSEBURGER (Abb. 2). Bei ihm ist die Steinsäule die herrschende Form und als einziges Bildwerk der Stahlhelm Symbol der Notzeit.

Das wirkliche Gesicht dieser steinernen Zeugen schweren Erlebens wird man freilich erst erkennen, wenn sie ganz in ihrer Umwelt
aufgegangen sind. Die äußerliche Einpassung vollzieht die Natur durch Witterung und Pflanzenwuchs ohne menschliches Zutun; das
ihr Sinn im Volke wurzelt, ist selbstverständlich, aber das Wesentliche, was der Künstler dazu tat, die Gestaltung, muß zu Land und
Leuten passen, wenn es ein wahres Kunstwerk sein soll. Und hier ist die Formung so klar und eindeutig, daß sie niedersächsischem Denken und Fühlen ohne Schwierigkeit eingeht. Es ist eine sehr kennzeichnende Eigenart Heiligscher Kunst, den Zusammenhang mit dem Heute dem zum Gestern und beide dem zum Morgen nachzuordnen. "Ich lasse nur das von meinen Werken gelten, was man nach 200 Jahren noch als wertvoll anerkennt, nur das, was frei vom Persönlichen des Schöpfers und frei von den kleinen Zufälligkeiten von Art und Zeit seinen Wert trägt im werkgerechten Ausdruck der Kultur meines Volkes." Das ist der Kern vieler Gespräche, die der Verfasser dieser Arbeit mit dem Künstler über das Wesen seines Schaffens führen durfte. Vor solchem Streben bedeuten die Jahre nichts, die seit der Entstehung der hier beschriebenen und noch zu schildernden Denkmäler vergangen sind, und es will kaum etwas besagen, wenn der Streit der Meinungen um ihren Wert oder Unwert zuweilen noch einmal wieder auflebt.

Um so glücklicher darf sich die STADT LAUENBURG schätzen, wenn ihr Kriegerehrenmal jetzt schon das vom Künstler erstrebte Aussehen zeigt, heute schon aussieht, wie es in 50 und 100 Jahren aussehen wird. (Abb. 3.) Auf dem Hasenberge, der höchsten Bodenerhebung auf viele Kilometer in der Runde, erhebt sich eine bewachsene vierseitige Pyramide aus Erde, von einem schwer geformten Steinkreuz bekrönt. In der Südwest-Böschung steht eine in einfachster Form gehaltene mannshohe, altarartige Tafel aus weißgrauem Stein. Darauf die Worte:

Ihren Söhnen, die im Kampfe für Deutschland unbesiegt auf fremder Erde fielen,
schuf dies Denkmal die dankbare Stadt Lauenburg.
1914-1918.
Wanderer gedenke dieser Toten in Ehrfurcht.


Kein Name, keine Zahl der Gebliebenen, obgleich Lauenburg über 200 beklagt! Zweimal drei, der formschönen Antiqua gemäß, ganz in runenartige Form abgewandelte Seitengewehre sind außer den Worten der einzige Schmuck. Die Gedenkstätte liegt außerhalb der Stadt, abseits der Wege, die der Strom der Sonntagsspaziergänger liebt, und dennoch durch die herrliche Fernsicht es aufs deutlichste zeigend: "Mitten in der Heimat". - In diesem schlichten Bauwerk fand ein Gedanke der Totenehrung seine Verwirklichung, wie er schöner nicht erfunden werden konnte. Wenn auch die Steinmetz- und die Maurer-

1927/2 - 60


1927/2 - 61



Abb. 3. Das Ehrenmal der Stadt Lauenburg.

arbeiten, wie es recht und billig ist, fachkundigen Handwerkern zufielen, am Bau des Denkmals selbst nahm die Bevölkerung der ganzen Stadt tätigen Anteil. Vereine und Schulklassen haben die Schaufeln gerührt, bis endlich der Hügel war, wie er sich heute dem
Blick darbietet. So konnte das Wort der Inschrift seinen ursprünglichen Sinn wiedergewinnen "... schuf dieses Mal die dankbare Stadt Lauenburg", in Einem Totenehrung und Bekenntnis zur Gemeinschaft, zum Volke. - Zu dem in Art und Entstehung einzigartigen Denkmal paßte die Feier der Weihe. In den Abendstunden des 27. Oktober 1920 zogen die Lauenburger beim Geläute der Kirchenglocken unter Trauermusik hinaus, umflorte Fahnen und Fackeln an der Spitze. In die vier Winde geblasen klang dem Zuge der Choral des Zapfenstreichs entgegen: "Ich bete an die Macht der Liebe", dann sprach eine klare Männerstimme C. F. Meyers "Chor der Toten", mit diesen Versen die Stunde ganz vom Zufall des Augenblicklichen lösend. Und indes das Flackerlicht der qualmenden Fackeln die im leisen Abendwind wehenden Fahnen umlohte, die Menschen als schwarze Schattenrisse vor rote Helle zeichnend, übergab Senator Meyer dem Schoße der Erde eine Urne, die in bleierne Tafeln geritzt die Namen der gefallenen Lauenburger enthielt. Dabei sprach er die Worte der Weihe: "Heimaterde! Dir übergeben wir dieses Gefäß, überliefere du es Enkeln und Urenkeln. In ihm finden spätere Zeiten die Namen der Toten, die wir in Ehrfurcht die Unseren nennen. Sie gaben das Letzte, das Äußerste, was Menschen zu geben vermögen, ihr Leben. Die irdische Hülle der Gefallenen liegt in fremder Erde. Keine liebende Hand

1927/2 - 61


1927/2 - 62

pflegt die Stätte der Toten - Vergessenheit weht über ihren Gräbern. Wir wollen Euch nicht vergessen! Daß die Nachwelt Eurer gedenke, schufen wir alle in Eintracht dieses Mal, so unvergänglich als Menschenhände vermögen. MUTTER ERDE, BEWAHRE DIE URNE IN DEINEM SCHOSZE, SEI ALS HÜGEL FERNSTEN GESCHLECHTERN ZEUGE DER TREUE DEINER BESTEN SÖHNE! Einen Augenblick lag tiefes Schweigen über den Hunderten und aber Hunderten, die um ihre Brüder trauerten. Dann klang halb verweht aus der Ferne das Lied vom guten Kameraden, und man ging heim, indes die Fackeln noch eine Weile in die Oktobernacht hinausleuchteten. - Diese Feier entsprang in allen Teilen Wilhelm Heiligs Initiative, sie machte einen so starken Eindruck auf alle Beteiligten, daß man seither in jedem Jahre den Tag der Denkmalsweihe in ähnlicher Weise beging.

Das Ehrenmal der Stadt RATZEBURG ist in vielen Zügen dem Lauenburger verwandt. Es schließt allerdings mehr an die Grundgedanken der germanischen Kultstätte an, während dieses etwas von der Art des Hünengrabes, der heiligen Grabstätte eines Helden darstellt. Auch in Ratzeburg hat man einen Erdhügel geschüttet, aber oben flach, und Bäume darauf gepflanzt. Die Namen der Gefallenen eines jeden Kriegsjahres sind auf einer Steintafel verzeichnet, und diese gleichmäßig um den Hügel verteilt, der Form des Ganzen Gliederung und Halt gebend. Der vom Künstler gewollte Eindruck wird heute freilich noch nicht ganz erreicht, denn dazu müssen aus den dünnen Stämmchen erst breit ausladende starke Bäume geworden sein. In dieser erzwungenen Abkehr vom Heute liegt ein wundervoller Ausdruck dessen, daß die, welche den großen Krieg selbst erlebten, ja keines Denkmals als Zeichen der Erinnerung bedürfen, sondern daß sie in dieser Stätte den späteren Geschlechtern ein Zeugnis von dem Leben und Sterben der feldgrauen Brüder geben wollen. In der Nacht der Sonnenwende 1921 wurde das Ehrenmal geweiht. Auch hier eine Feier, die einen tiefen Eindruck machte, zumal sie, die in Lauenburg gewonnenen Erfahrungen benutzend, als Ganzes und im einzelnen etwas ausgeglichener war.

Genug der Schilderungen. In unserem Heimatkreise befinden sich noch mehr von den Kriegerehrungen des Künstlers, allerdings meist als private Denkzeichen, die einzelnen Gefallenen von ihren Angehörigen errichtet wurden, z. B. der Stein für die beiden Söhne des Herrn Michelsen in Mölln oder die Hahn’sche Grabplatte auf dem Friedhof in St. Georgsberg. Die Beschränkung des Raumes verbietet, davon zu berichten. Der Kreis Herzogtum Lauenburg darf stolz sein, daß ein Mann wie Wilhelm Heilig bei der Frage der Kriegerehrung ihm soviel raten und schaffen konnte, denn dieser Bereich gehört zu den schwersten unter den Aufgaben des gestaltenden Künstlers. Wie viele von den Denkzeichen, die heute im Kreise vorhanden sind, werden wohl der Kritik des Heimatwerte suchenden Enkels und Urenkels standhalten? Ob in Westfalen oder in Lauenburg, Wilhelm Heilig kennt die verborgenen Kräfte und Bindungen der heimischen Scholle und läßt sich durch sie bei seinen Arbeiten leiten. Was er schuf, wird bestehen!

1927/2 - 62


1927/2 - 63
 

II. Der Bebauungsplan für den Röhrenkamp
und die Dienstwohnung des Bürgermeisters in Lauenburg an der Elbe.

Außer den Kriegerehrungen hatte Wilhelm Heilig zwei Arbeiten im Kreise Herzogtum Lauenburg auszuführen, deren Bedeutung im Sinne der Heimatpflege das in Teill dieser Arbeit Behandelte vielleicht noch überragt, nämlich den Bebauungsplan für den Röhrenkamp und den Entwurf für die Dienstwohnung des Bürgermeisters, beide in der Stadt Lauenburg. Der Bebauungsplan entstand im Jahre 1924, als die Schaffung einer Siedlungsmöglichkeit unabweisbar notwendig geworden war. Der Röhrenkamp 1), ein Teil der Kreisdomäne Vorwerk, liegt nördlich der Stadt Lauenburg zwischen der Büchener und Lütauer Landstraße. Die Ausarbeitung eines solchen Siedlungsentwurfes gehört zu dem Schwierigsten, was von einem Künstler gefordert werden kann. Wollen doch bei der Lösung so einer Aufgabe Einflüsse beachtet werden, die einmal überhaupt kaum klar zu erfassen sind, zum andern abseits der Bereiche des Künstlerischen zu liegen scheinen. Man denke z. B an den Anschluß des neuen Ortsteils an den vorhandenen Strom des Verkehrs, an die mögliche Verschiebung desselben und die damit verbundene Wertänderung der  Grundstücke. Man beachte weiterhin die mehr künstlerische Frage des Zusammenklingens des alten mit dem neuen Ortsbilde. Eine Siedlung anlegen, heißt Politik auf lange Sieht betreiben, und niemand weiß, ob das erstrebte Ziel des künstlerischen Bearbeiters ebenso wie das der Gemeinde je erreicht werden wird. Zum Letzten: die Siedlung bedeutet praktische Heimatgestaltung. Erwachsene Menschen sollen dort ihr Heim, werdende ihre Heimat finden! Wäre alles andere nicht, das allein erforderte im höchsten Maße künstlerische Formung. Nicht etwa eine Spitzenleistung großartiger Hausbaukunst, dazu reichen weder Umfang noch Mittel der Einzelaufgabe, sondern ein ausgeglichenes, bodenständiges und heimatwahres Gesamtbild muß entstehen; mit andern Worten, es kommt auf das Straßenbild, auf das Ortsbild an. Und dem ist schwer eine befriedigende Form zu schaffen, wenn alle Häuser ganz oder doch beinahe gleich sind. Da muß ALLES aus der wohlabgewogenen Linienführung der Straßen, aus der bis ins letzte gehenden Ausnutzung durch das leicht wellige Gelände gebotener Möglichkeiten gewonnen werden! Auf dem Röhrenkamp ist keine linealgerade Straße, keine Anhäufung von rechteckigen einander gleichen ndstücken! Mit seinem Gefühl sind die Bindungen des Lebens, die bei der Grundstückbildung unmerklich wirksam sind, vorweg empfunden, ist etwas geschaffen, das, einst zu Wirklichkeit erwachsen, immer seine Maße in sich tragen wird.

Als der Entwurf s. Zt. in Lauenburg ausgestellt war, sind seine letzten Feinheiten kaum richtig erfaßt. Die Kritik haftete an wenig wichtigen, dabei noch z. T. mißverstandenen Einzelheiten. Um den
_______________

1) Der Name rührt von der alten Wasserleitungsanlage für das Schloß her, deren Brunnen dort noch heute vorhanden sind.


1927/2 - 63


1927/2 - 64

daraus erwachsenden Angriffen die Spitze abzubrechen, legte Heilig seinen Entwurf der Preußischen Akademie des Bauwesens vor, die als höchste Stelle gewiß sachlich urteilen konnte. Ihre Entscheidung ist uneingeschränkte Anerkennung. - Bei hinreichend unpersönlicher Betrachtung scheinen auch gar nicht sachliche Einwände den Widerstand geweckt zu haben, als vielmehr die gekränkte Eigenliebe Einzelner, die ihre Sonderwünsche und Sondererfahrungen (so berechtigt sie im Einzelfall sein können) nicht dem ausgleichenden modernen Begriff der Siedlung unterzuordnen vermochten. - Läßt man die nun einmal gegebene Eigenart des Stadt-Lauenburgers gelten, so ist es sehr anzuerkennen, daß man jetzt, da die Siedlung vom Plan zur Wirklichkeit reift, trotz aller Kritik wenigstens die Grundlinien, die Straßen, des Heiligschen Plans innehält. Das ist um so wertvoller, als sonst das Stadtbild in allen Teilen, die jünger sind als 1890, unter einer bedauernswerten Planlosigkeit leidet.




Abb. 4. Die Bürgermeisterwohnung in Lauenburg a. E.

Lag und liegt die Erfüllung der künstlerischen Absicht bei der Siedlung nach der Natur der Sache außerhalb der Reichweite des Künstlers, so ist der Entwurf der Bürgermeisterwohnung unberechtigter Weise durch das Eingreifen Dritter beeinträchtigt worden. Die an sich sehr einfache Aufgabe sollte von höherer Warte her in städtebaulichem Rahmen gelöst werden - ein für die Kleinstadt seltener, für Lauenburg vollkommen neuer Gedanke. Um in die wenig befriedigende Bebauung der Ostseite des Weingartens 2) noch etwas Gliederung zu bringen, sollte nach Heiligs Willen ein dreigliedriger Baublock, ein Giebelhaus mit rechts und links anstoßenden Langhäusern, das
_______________

2) Von N. nach S.: 3 Villen aus der Zeit um 1900, Lücke, Turnhalle (zurückliegend), Bürgerschule (Langhaus um 1890), geschlossener Block von zwei 2stöckigen Häusern.


1927/2 - 64


1927/2 - 65

Gegengewicht zu dem langgestreckten Bau der Bürgerschule bilden. Ein Teil, die gewünschte Wohnung, sollte jetzt, das Übrige in
wirtschaftlich besseren Zeiten errichtet werden. Dieser Plan griff weit, vielleicht reichlich weit für Lauenburgs Möglichkeiten. Dennoch begann der Bau des nördlichen Langhauses nach den vorgelegten Plänen. In seinem Verlauf sind wider Wissen und Willen des Architekten Fenster in den als Brandmauer gedachten Südgiebel gebrochen worden, um den größeren Plan des Architekten zugunsten privater Pläne zu durchkreuzen. Das war bewußte Sabotage und rächte sich sogleich, denn, um beim Einzug die Möbel stellen zu können, mußte man die Fenster der Südseite von innen verhängen. Die Schuld daran hat vor den Leuten natürlich Herr Heilig .......

Genug davon! Das Haus ist in Grundriß wie in kubischer Gestaltung ein einfaches Langhaus (Abb. 4). Weil es nichts anderes sein will als das, was es wirklich ist, steht es in starkem Gegensatz zu seinen Nachbarn, die den Stempel ihrer Entstehungszeit, 1890-1905, allzudeutlich zur Schau tragen. Einige Einzelheiten mögen die Architektur erläutern. Die Schauseite ist in der Wagerechten nur durch 2 Reihen hochkant gestellter Steine gegliedert, welche die Zimmerhöhen außen sichtbar abzeichnen. Eine Teilung oder Unterstreichung einer lotrechten Linie ist überhaupt nicht vorhanden, es sei denn, mau rechnet die Wiederholung des Umrisses durch die Fallrohre der Dachrinne in diesem Sinne. Die streng symmetrisch angeordneten




Abb 5. Schlußstein über der Tür der Bürgermeisterwohnung in Lauenburg a. E.

Fenster 3) haben, altem Brauche folgend, einen scheitrechten Sturz. Weiß gestrichenes Sprossenwerk läßt die anheimelnde Wirkung der kleinen Scheiben klar heraustreten. Da sie außerdem als Zargenfenster in der Flucht der Außenwand liegen, so bleiben sie Fläche in der Fläche, und schaffen Luft und Licht in das Innere des Hauses, ohne Löcher in die Wand zu reißen, wie zurückliegende großscheibige Fenster es tun. Die Tür ist der Kern der Schauseite. Sie
_______________

3) Vgl. Schleswig-Holsteinischer Baukatechismus S. 43, Bild Nr. 87 und 88.


1927/2 - 65


1927/2 - 66

d
urchbricht bewußt die Wand, ja, betont diese Durchbrechung als Symbol des Eingangs noch durch die stark abgeschliffenen Steine der Laibung. Hier ist auch bei aller sonstigen Einfachheit des Baues ein wenig Luxus angedeutet. In reinen, aber nicht brennenden Farben gestrichenes Kiefernholz mit wundervollen, besonders für dies Haus entworfenen polierten Messing-Beschlägen 4), das halbrunde, zur Laterne ausgestaltete Oberlicht, das einfache, aber doch so handwerksehrliche Gitterwerk der zur Tür führenden Treppe, alles ist gestimmt, den Eintretenden zu grüßen und zu gewinnen. Der städtische Bau ist aufgezeigt durch den Schlußstein (Abb. 5) aus gebranntem Lauenburger Ton. Er trägt das Lauenburger Wappen und das Baujahr, dazu etliches Blattwerk und den Namen des Architekten, genau wie einst der Meister in den Hauptbalken neben den Namen des Bauherrn und das Baujahr das eigene Zeichen einschnitt. Rechts und links vom Mittelfenster des Obergeschosses haben zwei, ungefähr 70 cm im Durchmesser haltende, auch aus Lauenburger Ton gefertigte Reliefs (Abb. 6 u. 7) ihren Platz gefunden, die in humoristischer Weise die




Abb. 6 u. 7. Reliefs vom Bürgermeisterhause in Lauenburg a. E.
(Mit gütiger Genehmigung des Verlages der Tonindustrie-Zeitung entnommen.)

Baugeschichte beleuchten. Diese neue Verwendung des Lauenburger Töpfertons ist sehr zur Nachahmung zu empfehlen. - Es war ein feiner Gedanke, die Findlingseinfriedigung des früheren Küchengartens der Domäne, in dem der Neubau errichtet wurde, beizubehalten und einfach passende Tore hineinzubauen. Um so verfehlter ist dafür der Zementplattenweg zur Haustür, der entsetzlich kalt und lieblos vor dem sonst so persönlich geformten Hause liegt. Einfache Klinker wären ansprechender und billiger gewesen. - Als Ganzes vom Standpunkte des heimatgetreuen Hausbaus her gewertet, stellt die neue Dienstwohnung des Bürgermeisters in Lauenburg ein Muster dar, das jede Würdigung und Anerkennung verdient. Zum mindesten ist dem Verfasser in der Stadt Lauenburg und ihrer Umgebung kein Bau bekannt, der alle berechtigten Einzelforderungen der Heimatpflege so unbedingt erfüllt wie dieser. Beim Bau sind Fehler begangen
_______________

4) Nur der Briefkastenschlitz ist fremde, entstellende Zutat.


1927/2 - 66


1927/2 - 67

worden, das zu leugnen wäre töricht; aber sie fallen niemals dem Architekten zur Last, sondern immer anderen Stellen. Insbesondere haben sie keinen Zusammenhang mit den künstlerischen und heimatlichen Werten, die hier allein zur Rede stehen. Wenn nun der nüchterne, wesentlich ans das "Praktische" gerichtete Sinn mancher engeren Landsleute des Verfassers die ABSOLUTE Berechtigung künstlerischer Fragen in Bau- und andern Angelegenheiten des Lebens für Lauenburg bestreitet, so mögen sie sich aus der Kulturgeschichte des deutschen Volkes belehren lassen. Man betrachte sie in jedem beliebigen Zeitabschnitt von welcher Warte man will: Sobald die Notwendigkeit etwas formte, trat die Kunst heran und fügte gebundene Schönheit hinzu. Diese Vereinigung ist seit dem Anfang unseres Volkes deutsche Kultur, alles andere Yankeetum oder Kitsch.
_______________

Bemerkungen:
Welche Stellung die letztgenannte Arbeit des Herrn Heilig im Rahmen seiner Tätigkeit im Sinne des Heimatschutzes einnimmt, ist zu ersehen aus

1. Tonindustrie-Zeitung, Jahrgang 50 Nr. 36, vom 8. Mai 1926, erscheint in Berlin NW. 21, Dreysestr. 4);
2. Deutsche Bauzeitung, Jahrgang 60, Nr. 8 und Nr. 20.
(Beide Quellen geben eine Reihe Abbildungen.)

Die Druckstöcke der Bilder 5-7 sind liebenswürdigerweise von der Schriftleitung der "Tonindustrie-Zeitung" zur Verfügung gestellt worden.


* * *

 

 

 

 

 

 

 

 



*