Unser Lauenburgisches Heimatmuseum läßt
erfreulicher Weise keine Gelegenheit vorüber, wo aus unsres
Landes Vergangenheit Reste und Zeugnisse zu sammeln und zu
retten sind. So hat es von Privaten und von Antiquariaten schon
eine ansehnliche Sammlung geographischer Karten - um die
geologischen, wirtschaftlichen, geschichtlichen hier zu
übergehen - angelegt: 22 zum Teil recht wertvolle
und selten gewordene Stücke, von den Kindheitstagen
kartographischer Wissenschaft und Technik bis in deren
Reifezeit; Karten, nach denen es bereits möglich ist, einen
Überblick zu gewinnen über die Entwicklung jener Wissenschaft
und Technik überhaupt.
Natürlich spielen darin die Geographen unseres Ländchens selbst
keine aktive Rolle; es war dazu immer zu klein, lag zu sehr "im
Winkel", hat nie einen größern städtischen Mittelpunkt
hervorbringen und innerhalb seiner engen Grenzen ein regeres,
schöpferisches wissenschaftlich-technisch-künstlerisches Leben
entfalten können. Aber man darf hier wohl auch verallgemeinern
dahin, daß von der Früh- bis in eine späte Neuzeit hinein das
gesamte nördliche Deutschland, zwischen Maas und Memel, sich
kartographisch nie hervorgetan hat, - mit EINER gleich zu
erwähnenden glänzenden Ausnahme, die nur dort nicht zu suchen
ist, wo man sie hätte erwarten sollen, nämlich nicht in Lübeck
oder Hamburg. Selbstverständlich, ohne Interesse für
erdkundliche Dinge und Aufzeichnungen haben auch die Hansen
niemals sein können; sie waren ja Brennpunkte der Schiffahrt und
des Welthandels und haben es demgemäß schon früh sich angelegen
sein lassen, Segelanweisungen für Ost- und Nordsee, auch für die
atlantische Norwegsküste (Bergen und Drontheim) zu beschaffen
und evident zu halten. Aber für Weltkarten, selbst für General-
oder Spezialkarten ihrer nächsten Nachbargebiete, haben sie
nichts übrig gehabt; die wissenschaftliche Kartographie ward
Domäne der Südeuropäer, bald auch der
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großen süddeutschen Emporien und vor allem
der Niederländer, zu denen um den Beginn der Neuzeit, des sog.
Frühkapitalismus im 16. Jahrhundert, wir
Nordelbische in die engsten wirtschaftlichen,
wissenschaftlichen, künstlerischen Beziehungen, man darf
geradezu sagen, in allen diesen Punkten in Abhängigkeit
gerieten.
So stammt gleich das älteste Kartenblatt unsres Heimatmuseums
Abb. 1 Ausschnitt aus der Karte von
Mercator vom Jahre 1588.
[Unpaginiert, nach S. 18]
(Abb. 1) SAXONIA INFERIOR ET MEKLENBORG DUC.,
von einem niederländischen Geographen, dem berühmten Gerhard
Mercator (von dem auch die Mercatorsprojektion herrührt), etwa
vom Jahre 1588; zweifellos, obschon die
Kolorierung nicht mit der von F. Geerz, Geschichte der
Vermessungen und der Landkarten Nordalbingiens, angegebenen
stimmt, ein Abdruck der Originalplatte; es wurden ja damals die
Stiche erst nachträglich mit der Hand koloriert, bald so, bald
anders. Und dieses Blatt, von denen, die unser Lauenburg
überhaupt mitdarstellen, eins der allerältesten, ist für uns aus
mannigfachen Gründen von hohem Interesse. Es lehrt, wie selbst
eine Zeit so gewaltigen wissenschaftlichen, reformatorischen und
künstlerischen Aufschwungs den Darstellungen erdkundlicher
Dinge, selbst der eignen Heimat, noch kindlich-genügsam
gegenüberstand, sobald dieselben sich nicht auf Wirtschaftliches
bezogen wie Katastervermessungen, Küstenuntiefen, Betonnungen
etc. Wer aber nach Karten, wie unsrer Mercatorschen, etwa einen
Reiseplan sich hätte zusammenstellen wollen, hätte damit nicht
viel geschafft; es ist schier unbegreiflich, daß eine
Handelsstadt vom Range Lübecks, des Vorortes sämtlicher, auch
der weit im Binnenland gelegenen Hansestädte, schon innerhalb
eines Tagemarsches von ihren Toren an Gegenden stieß, die einem
gewissenhaften Kartenzeichner von rechtswegen ein "weißer Fleck"
hätten bleiben müssen. Wir sehen, daß selbst Mercator, der
namhafteste Kartograph des 16. Jahrhunderts, über ein
Weltverkehrsgebiet wie das Dreieck Lübeck-Hamburg-Lüneburg nur
die allerdürftigsten Nachrichten, gedruckte oder
handschriftliche, besessen hat. Von dem Steckenitzkanal, einem
der ältesten des mittelalterlichen Europa, der schon rund zwei
Jahrhunderte dem wichtigen Salzhandel
Lüneburg-Lübeck-Skandinavien gedient hatte, hat er nichts
gewußt; ebenso nicht von Ratzeburg, seinem See und dem
Schaalsee. Wovon er gehört hatte, war da allein die Wakenitz,
nicht zwar als Ausfluß eines stehenden Gewässers, sondern als in
der Umgegend von Dömitz entspringender bedeutender Fluß!
Von astronomischen Ortsbestimmungen, trigonometrischen und
Gradmessungen natürlich gar nicht zu reden.
Und dabei ist zweifellos, daß schon damals, und viel früher, in
den Händen der Handels- und Speditionshäuser sich mancherlei und
ins einzelne gehendes topographisches Material befunden hat.
Reisende von Skandinavien nach Deutschland, Italien etc., oder
die Abgeordneten von Berlin-Kölln, Braunschweig und den andern
Hansestädten des Binnenlandes, die sich zu Tagungen nach Lübeck
begaben, haben stets und überall ausreichende Gelegenheit
gehabt, sich über die Routen und die Transportmittel Auskunft zu
verschaffen. Da bleibt denn nichts übrig als der Schluß, daß
jene Reeder- und Trans-
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portfirmen die für ihren Betrieb
erforderlichen Unterlagen, Auszeichnungen, handschriftlichen
Kartenskizzen als Geschäftsgeheimnis betrachtet und sich gehütet
haben, sie der wissenschaftlichen Bearbeitung zugänglich zu
machen.
Hier dürfte auch der Ort sein für eine Anmerkung verwandter
Natur: Von Mercators Zeiten bis unerhörterweise ins 19.
Jahrhundert hinein haben die Kartographen, und die
verlässigsten, wissenschaftlichsten immer am meisten, sich die
schwere Anklage des Landesverrats gefallen lassen müssen. So
auch Kaspar Danckwerth, Newe Landesbeschreibung der zwey
Herzogtümer Schleswich und Holstein, 1652, und
sein Kartograph Johann Meyer, - eben jene EINE glänzende
Ausnahme von der kartographischen Unfruchtbarkeit des
nachmittelalterlichen nördlichen Deutschlands! Sie und die von
ihnen veröffentlichten 37 General- und
Spezialkarten sollten es den Soldaten ermöglicht haben (1658),
übers ganze Land hin ihre Plünderungen auszudehnen; und noch
1730 freut sich ein dänischer Autor, daß Danckwerth und
Meyer nicht auch die vom König ihnen in Auftrag gegebene
Beschreibung Dänemarks hätten zustandebringen können, weil
selbige ja doch "den Feinden mehr zur Nachricht als den
Einwohnern zum Dienst" gewesen sein würde! Und um nicht
Verdächtigungen und Maßregelungen ausgesetzt zu sein, trägt eine
Generalkarte von Holstein etc., 1798, nur die Initiale B; auch
später noch werden Karten veröffentlicht vorsichtigerweise ohne
Angabe der Verfasser und Verleger.
Das also war auf lange hinaus nicht eine Atmosphäre, in der die
Kartographie hätte gedeihen und sich entwickeln können. Und wenn
ich aus der Sammlung des Landesarchivs ein zweites Blatt
herausgreife: DUCATUS HOLSATIAE NOVA TABULA, AMSTELODAMI,
GUILJELMUS BLAEUW EXCUDIT, ohne Jahreszahl (das Todesjahr von
Wilh. Blaeuw ist 1638), so besteht, was das
Lauenburger Land angeht, der Fortschritt nur darin, daß an dem
beibehaltenen großen Flusse Wakenitz der Stadtname "Ratzeburg"
begegnet, dazu eine Andeutung des Schaalsees, aber noch kein
Ratzeburger See, kein Steckenitz-Kanal.
Wirklichen Fortschritt bedeuten erst die Karten des vorgenannten
Husumer Geometers und Kartographen Johann Meyer: an der
Steckenitz sind bereits "alle Schleusen namhaft gemacht"
(Geerz); die Gegend östlich des Kanals aber bleibt noch bis ins
18. Jahrhundert eine TERRA INCOGNITA, in die jeder
Pfuscher und Charlatan hineinzeichnet, wozu er Lust hat -
vergleichbar dem "weißen Fleck" von Zentralafrika und den
Nilquellen noch im 19. Jahrhundert! - Die
Meyerschen Karten bilden auf lange hinaus einfach die Grundlage
aller ferneren kartographischen Darstellungen, auch der
niederländischen.
Abb. 2 Ausschnitt der Elbkarte von
Janssonius vom Jahre 1633.
[Unpaginiert, nach S. 18]
Von Interesse ist noch ein Blatt von Janssonius aus dem Atlas
von G. Mercator und J. Hondt, Amsterdam, 1633:
NOBILIS FLUVIUS ALBIS (Abb. 2) *), das die beiden
Ufer der Niederelbe, von Geesthacht bis an die Mündung bei
Neuwerk, und auch das "Land tho Hadelen"
_______________
Auch die um fünf Jahre ältere Karte "CELEBERRIMI FLUVII ALBIS
NOVA DELINEATO AUCTORE CHRISTIANO MOLLERO, Amsterdam 1628",
die Janssonius als Vorlage gedient hat, ist kürzlich in den
Besitz des Heimatmuseums übergegangen. Die Schriftleitung.
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mit Otterndorf und der Medemmündung
darstellt; aus dem Artikel der "Lauenburgischen Heimat", Januar
27, "Abenteurer und Herzog", wird den Lesern
erinnerlich sein, daß an diese Örtlichkeit der Plan des Herzogs
Franz II. sich knüpfte, mit Hilfe eines
niederländischen Seefahrers und Entdeckers eine selbständige
lauenburgische Welthandels- und Kolonialpolitik zu treiben. Eine
Zierzeichnung desselben Blattes, zwei Männer mit Zirkel und
Wasserwaage hantierend, deutet auf die noch ferne Zukunft hin,
in der wirklich zuverlässige Vermessungen die Grundlage aller
Kartierungen bilden würden.
Von den in der Sammlung enthaltenen Homannschen Blättern
(Nürnberg) gilt, daß sie ohne eigentlichen wissenschaftlichen,
aber natürlich durchaus nicht ohne geschichtlichen,
kulturgeschichtlichen und Antiquitätswert sind.
Abb. 3 Karte des Herzogtum
Lauenburg von
Hamann d. J. vom Jahre 1729.
[Unpaginiert, nach S. 18]
Man werfe nur einen Blick auf die beigegebene Homannsche Karte
von 1729 (Abb. 3). Sie zeigt uns,
wie lässig selbst eine so angesehene geographische Offizin
umgesprungen ist mit dem, was sie zu leisten gehabt hätte und
was ihr zu leisten einfach unbeqeum [sic!]
gewesen ist: das Blatt ist, wie die Vernachlässigung der
politischen Veränderungen, Grenzziehungen usw. beweist, ein
Abdruck einer sehr viel älteren Platte; Lauenburg und das von
seiner Höhe längst herabgesunkene Lübeck lagen von Nürnberg, wie
es scheint, damals etwa so weit weg wie heute Timbuktu, - warum
also erst lange sich erkundigen nach Einzelheiten, für die doch
niemand praktisches Interesse hatte?
Abb. 4 Karte des Herzogtum
Lauenburg, bearbeitet von der
Akademie der Wissenschaften in Berlin 1771.
[Unpaginiert, nach S. 18]
Noch viel wunderbarer freilich, daß, was von
dieser Homannschen Karte, ganz ebenso von dem Blatte DUCATUS
LAUENBURGICUS ETC., AUSP. ACAD. REG. SCIENT. BEROL. A.
1771. (Abb. 4) zu sagen ist: So klar und
elegant die Karte sich gibt, so weiß sie doch nichts von den
Staatsverträgen 1736 und 46, die für
den Territorialbestand des Lauenburger Landes von abschließender
Bedeutung sind; sie setzt die Stadt Lauenburg um 51
zu weit nach Westen, 11 zu weit nach
Norden, hält das Gebiet der Stadt und das des Bistums Lübeck
nicht auseinander und vergißt u. a., daß die Pertinenzien der
Vogtei Mölln und der ehemaligen Ritzerowschen Güter von Lübeck,
die Ortschaften Gr. Pampau, Sahms und Elmenhorst von Holstein
längst an Lauenburg waren zurückgegeben worden. Und hinter
dieser Karte steht die Autorität des Heer- und Philosophenkönigs
Friedrich des Großen und seiner Akademie der Wissenschaften!
(Geerz.)
Auf die späteren Blätter der Sammlung, aus den Zeiten der
Gradmessungen und Triangulationen, einzugehen, verbietet der mir
verstattete Raum. In unsern Anforderungen an Verlässigkeit und
Wissenschaftlichkeit des von uns benutzten Kartenmaterials
zeigen wir verwöhnten Spätgeborenen, ohne uns dessen immer
bewußt zu sein, uns derart anspruchsvoll, daß es uns schwer
fällt, in die Bescheidenheit unsrer Altvordern in dieser
Hinsicht uns nur hineinzudenken. Ganz wie auch in so vielen
andern Hinsichten, z. B. in denen der Verkehrs- und
Transportmittel, -Schnelligkeit, -Sicherheit und
-Leistungsfähigkeit. Und ganz, wie in Zukunft auch unsre
Nachfahren in eben denselben Hinsichten sich nicht werden finden
können in die Rückständigkeit von uns Heutigen! ...
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