In seinem Aufsatze "Die Sudetendeutschen und
die gemeindeutsche Bildung" hat vor einiger Zeit Josef Nagler in
der Monatsschrift "Volk und Reich" II (1926)
auf die Bedeutung der Abwanderung des protestantischen
Bürgertums aus Böhmen nach der Schlacht am Weißen Berge
hingewiesen. Die große, an Opfern so reiche Verfolgung der
Evangelischen trieb eine ganz bedeutende Zahl tüchtiger Leute in
die protestantischen Nachbarländer. Sie fanden dort gewöhnlich
nicht nur eine neue Heimat, sondern sie brachten es zumeist
auch, losgelöst von ihrer Vergangenheit und auf sich selbst
gestellt und deshalb unternehmend wie alle Auswanderer, zu
Wohlstand und Ansehn. Die Lebensbeschreibung eines dieser
evangelischen Flüchtlinge liegt mir in Abschrift vor.
Christoph Rinck war 1635 in dem böhmischen
Städtchen Bensen an der Pulsnitz nahe der Elbe geboren als Sohn
des ehrenfesten und geliebten Herrn Christoph Rinck, Bürgers und
Ratsverwandten, auch Oberältesten des Schneiderhandwerks zu
Bensen. Er erlebte in seiner Heimat die letzten Zuckungen des
dreißigjährigen Krieges, zum Schluß den Zug Königsmarcks gegen
Prag. Anschaulich berichtet er seine Erinnerungen an den großen
Krieg wie an die gewaltsame Wiederbekehrung der Evangelischen.
Als Schneidergeselle zog er 1653 in die Welt,
zunächst nach Sachsen und Thüringen, schließlich aber über
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Hamburg nach England, Holland und endlich
nach Paris. Überall sah er sich offenen Auges um, und er weiß fesselnd von
seinen Erlebnissen zu berichten. Insbesondere beschreibt er die Städte recht
genau und vergleicht sie meistens mit Ortschaften in Sachsen, seiner späteren
zweiten Heimat. Zu Paris arbeitete er zunächst ein halbes Jahr, erkrankte aber
und mußte lange im Krankenhause liegen; den Betrieb dieses Krankenhauses hat er
in seiner anschaulichen derben Weise bis ins einzelne beschrieben. 1661,
nachdem er sich noch den pomphaften Einzug der französischen Königin am 27.
August 1660 betrachtet hatte, über den er auch genau berichtet,
aber auch um seinen Lohn größtenteils betrogen worden war, kehrte er durch die
Niederlande und nach einer Fahrt über die friesischen Watten nach Hamburg
zurück. Schließlich trat er zu Dresden in den Dienst der Kurfürstin von Sachsen,
verheiratete sich 1667 und wurde ein angesehener Meister seines
Handwerks. Der Rat bestellte ihn zum Viertelsmeister, er tat Dienst als Führer
bei den Bürgerschützen sowie als Viertelsmeister bei Bränden und wurde
Kirchvater der Kirche zum heiligen Kreuz. Als solcher hatte er zum Bau des
Waisenhauses zu sammeln. Im Mai 1686 wurde er zusammen mit Barthel
Hunger vom Rat ausgesandt, um Geld zur Erbauung der Alt-Dresdner Kirche zu
sammeln. Dergleichen Unternehmungen waren damals und überhaupt vor Aufkommen der
Feuerversicherungen mchts Seltenes. So wurde zu jener Zeit die große Stadtkirche
Magdeburgs, St. Johannis, die von der furchtbaren Zerstörung der Stadt durch
Tillys Heer im Jahre 1631 her noch wüste lag, durch weither
gesammelte Beiträge wieder errichtet: die Berichte der damals Ausgesandten
liegen noch heute in St. Johannis und stellen eine wertvolle
kulturgeschichtliche Quelle für jene Zeit dar.
Das gleiche gilt von den Aufzeichnungen, die Christoph Rinck in seiner
Lebensbeschreibung über seine Reise hinterlassen hat. Die beiden Abgesandten
fuhren nach Magdeburg, durchzogen dann die braunschweigischen Lande und
Westfalen, wo sie den Großen Kurfürsten sahen und zu Wesel von ihm 100
Taler erhielten, und gingen
den Rhein abwärts in die Niederlande. Durch Friesland, wo er sich in Aurich den
Upstalsboom zeigen ließ, und Oldenburg kamen sie nach Bremen, von da nach
Lüneburg und wagten sich nach einigem Zögern auch nach Hamburg hinein, das
gerade einmal wieder von den Dänen beschossen wurde. Da auch noch innere
Zwietracht dazu kam, so
konnten die beiden nicht viel ausrichten und entschlossen sich daher, durch das
Lauenburger Land nach Lübeck zu reisen. "Sind zu Wasser", so berichtet Christoph
Rinck, "wieder von hinnen gezogen und kamen gen Lauenburg, von dannen nach Mölln
und dann nach Ratzeburg. Was nun Sachsen-Lauenburg betrifft, so ist solches fast
jedermann bekannt, weil es an der Elbe liegt, aber Mölln ist ein besser
Städtlein, wo schöner Flachs erzeuget wird, und ist berufen, weil Eulenspiegel
da begraben liegt; sein Epitaphium lehnet außen an der Kirchenwand und ist ein
klein Ziegeldächlein darüber gebauet, sein Bildnis gleichet einem Jüngling mit
einem Narrenkleide, die Schrift ist so dunkel, daß man nichts davon erkennen
kann, als das Jahr
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1353. Ein Mann sagte uns, daß
sein Leichenstein, so auf dem Grabe gelegen, von den Handwerksburschen so gar
wäre weggetragen worden, daß nicht das geringste davon mehr übrig wäre."
"Ratzeburg anlangend, worinnen die Lauenburgische Kanzlei ist, so lieget
selbiges mitten auf einem See auf einem länglichten Hügel als einer umgestürzten
Bratpfannen und hat nur eine einzige Brücke, die ziemlich lang ist. Dieser See
hat keinen Zufluß, aber starken Ausfluß. Der Dom, der schön ist, gehört dem
Fürsten von Schwerin. Als wir nun bei der Regierung gute Abfertigung hatten,
setzten wir uns auf ein Bierschiff, fuhren von hier weg und kamen an den
Lübecker Paß, das rote Haus genannt, da schließt sich dieser See zu, also, daß
hinfüro nur ein Strom bleibet, also, daß kaum zwei solche Schiffe einander
weichen können, und damit kamen wir endlich den 3. September gen
Lübeck. Wir kehrten in den Roten Ochsen ein, als wir aber sahen, daß dies
Gasthaus zu stolz vor uns war, gingen wir in Weißen Schwan gegen Rathaus über,
da wir gar wohl waren, und präsentierten unsere Schriften dem Rat."
Nach dieser Schilderung sind also Meister Christoph Rinck und Herr Barthel
Hunger von Hamburg die Elbe aufwärts nach Lauenburg gefahren und Anfang
September über Mölln nach Ratzeburg gekommen. Offenbar sind sie über die lange
Brücke gegangen, die damals schon fast ein Jahrhundert stand und 1847
durch den Langenbrücker Damm ersetzt wurde; denn Christoph Rinck erwähnt keine
weitere Landverbindung der Inselstadt. Er hat die Stadt noch in ihrer alten
Herrlichkeit gesehen, sieben Jahre vor ihrer Zerstörung durch die Dänen am
21. August 1693. Mit dem Vertrage der Lauenburgischen
Regierung zu seiner Sammlung ist er wohl zufrieden. Mit dem Bierschiffe nach
Lübeck machte er sodann die Reise auf der heute von den Motorbooten oft
befahrenen Strecke über den großen See, an Rotenhusen vorüber durch die Wakenitz
nach Lübeck. Den Namen Wakenitz nennt er zwar nicht, aber seine Beschreibung ist
deutlich.
Von Lübeck aus ist Rinck dann durch Mecklenburg und die Mark Brandenburg
nach Dresden zurückgekehrt, wo er im Oktober 1686 wieder anlangte.
Am Schlusse seiner Lebensbeschreibung berechnet er, daß er in seinem Leben eine
Strecke vou 1457 Meilen auf Reisen zurückgelegt habe. Sein Sohn
hat hinzugefügt, daß sein Vater,
seit seiner großen Reise von Steinschmerzen geplagt, am 13.
September 1688 im 53. Lebensjahre gestorben ist.
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