Seit mehreren Jahren hat ein lauenburgischer
Privat-Forscher, Herr ALEXANDER V. ZASTROW in Seedorf, die
Gegend des Schaalsees nach Überresten der frühen Steinzeit
durchsucht. Nach manchen Enttäuschungen ist endlich sein Mühen
belohnt worden. Er hat eine große Menge von Steinwerkzeugen
zusammengebracht, die der bekannte Archäologe des
Völkerkunde-Museums in Hamburg, Dr. Schwantes, als unzweifelhaft
echt erkannt hat. Und zwar handelt es sich nach den
Feststellungen dieses Gelehrten um Werkzeuge, die an die
allerältesten Funde dieser Art erinnern, wie sie in den letzten
Jahrzehnten etwa in den Höhlen Südfrankreichs gefunden sind.
Aber die Schaalsee-Stücke geben den Forschern bisher noch
ungelöste Rätsel auf. Diese Werkzeuge KÖNNEN gar nicht so alt
sein wie die in Südfrankreich, deren Entstehung etwa
50 000 Jahre zurückliegt. Sie müssen vielmehr nach
dem geologischen Befunde aus einer Zeit stammen, in der in
unserm Lande, z. B. in der Gegend von Ahrensburg, schon auch
andere, viel höher kultivierte Menschen gewohnt haben.
Dr. Schwantes nimmt im "Hamburger Fremdenblatt" vom 25.
Februar Stellung zu dieser Frage in einem Aufsatz, den
er betitelt "Aus der ältesten Vorgeschichte Norddeutschlands."
Der Forscher berichtet darin zunächst von AHRENSBURG, dem
ältesten Wohnplatz des Nordens, der sogar noch weiter
zurückreicht als die Stätte von Duvensee. In der Gegend um
Ahrensburg haben, wie aus zahlreichen Funden hervorgeht,
Menschen bereits zu einer Zeit gewohnt, als dort noch
unwirtliche Tundra war und dort das Renntier und der
Riesenhirsch gejagt wurde. Dann aber geht Dr. Schwantes zu den
Schaalseefunden Alexanders v. Zastrow über, indem er schreibt:
"Beim SCHAALSEE gelang es dem unermüdlichen Spürsinn eines dort
ansässigen Forschers in Gemeinschaft mit dem Museum für
Völkerkunde, die
1928/2 - 62
1928/2 - 63
mannigfachen Überreste einer Zivilisation zu entdecken, die wir
SCHAALSEE-ZIVILISATION nennen. Selbst der erfahrene Fachmann
betrachtet sie zunächst nur mit einer gewissen Verblüffung; was
am Schaalsee zutage kam, hat nichts mit den zwar uralten, aber
doch schon auf raffinierter Höhe der Schlagtechnik stehenden
Zeugnissen der Steinarbeit der alten Ahrensburger zu tun, die
einem Stamme der Jungpaläolithiker" angehört haben, also einer
dem heutigen Europäer im Körperbau und sicher auch im Geiste
schon sehr nahestehenden Menschheit. Was am Schaalsee entdeckt
wurde, steht weit unter den Leistungen der Jäger von Ahrensburg.
Die dort gefundenen Feuersteingeräte sehen denen, die von jener
vielbesprochenen ausgestorbenen älter-eiszeitlichen
Neandertalrasse gefertigt wurden, so ähnlich, daß einer der
besten Kenner der Geräte des eiszeitlichen Menschen und Besitzer
des größten privaten Museums in Deutschland, den ich unlängst
ohne Vorbereitung an unsere Sammlung heranführte, sofort
erklärte: "Paläolithisch, aber sehr früh!" Nun, sehr früh können
diese Dinge nicht sein, da sie auf Ablagerungen aus der jüngsten
Eiszeit liegen, aber die Ähnlichkeit mit jenen
altpaläolithischen Geräten ist schlagend, oft sind die Formen
sogar identisch. Wer hat dort in einer verhältnismäßig späten,
nach unseren Begriffen immer noch sehr frühen Zeit gewohnt und
noch immer so plumpe Scherben von Feuersteinknollen
heruntergeschlagen wie der Neandertaler wohl 50 000
Jahre vor ihm? Diese Frage wird uns noch lange beschäftigen;
heute vermögen wir die Antwort noch nicht einmal andeutungsweise
zu geben. Hat tatsächlich der Mensch der älteren Steinzeit hier
noch gehaust, nachdem er vor 50 000 Jahren seine
Jagdgebiete im mittleren und südlichen Europa vor einer höher
begabten Rasse räumte? War dies eins seiner Rückzugsgebiete? Man
kommt nicht umhin, von so roher Technik in verhältnismäßig so
später Zeit auch auf eine ganz andere Geistesbeschaffenheit zu
schließen, eben auf eine alt-paläolithische. Die Funde von
Ahrensburg sehen neben denen vom Schaalsee geradezu vollendet
aus, und doch sind letztere, wenn nicht unsere ganze heutige
Auffassung der Eiszeit-Biologie uns trügt, NICHT VIEL ÄLTER ALS
AHRENSBURG - möglicherweise sogar jünger. Es ist wie das
plötzliche Auftauchen einer uns bisher ganz entgangenen Welt,
wie das unerwartete Aufblitzen einer Erkenntnismöglichkeit aus
einem bisher dunklen Felde.
Was die Bewohner des Moränengeländes vom Schalsee aus ihren
plumpen Feuersteinscherben fertigten, kam über diese nicht sehr
wesentlich hinaus. Immerhin gelangen ihnen ganz gute sogenannte
Handspitzen (wie aus der Zeit der Neandertaler von Le Moustier),
Bohrer, Schaber (wieder den plumpen Moustierschabern zum
Verwechseln ähnlich) und anderes Kleingerät, wie es eben der
Alt-Paläolithiker fertigte. Ihre Handfertigkeit steht unserem
Empfinden unendlich viel ferner als die der eiszeitlichen
Ahrensburger; es ist, als ob sich hier Äußerungen einer noch
sehr tierhaften Seele kundtun. Der Mensch von Ahrensburg wird
als Jung-Paläolithiker dem heutigen Europäer irgendwie
blutsverwandt gewesen sein: der rätselhafte Verfertiger der
Schaalsee-Geräte aber erscheint als Nachzügler einer so weit
entschwundenen Vorwelt, daß unsere Phantasie erlahmt, wenn sie
ein Bild von seinem Leben und Treiben entwerfen möchte."
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