Auf dem Platze, wo heute die zur Zeit der
französischen Revolution gebaute St. Petrikirche steht, erhob
sich ehedem ein völlig anders gestaltetes Gotteshaus. Von diesem
soll in Folgendem die Rede sein.
Der Bau des alten "St. Peter" führt uns bis in das 12.
Jahrhundert zurück. Was heute die Musik für das Geisteslebeii
bedeutet, das vermittelte damals die Architektur. Damals war die
Geistlichkeit der "expansivste, angriffsfroheste, frischeste
Teil des Volkes, in allen wirklichen Spitzen durchaus blutvoll
und kriegerisch." Die jungen Kräfte drängten nach Gestaltung. An
dem Kirchbau vornehmlich, dessen geistiger Zweck sich über den
Nützlichkeitsbau erhob, bildete sich "die Formkraft der Nation".
In der steinernen Sprache der Dome und Kirchen "redet die ganze
frühe deutsche Welt, ihre draufgängerische Derbheit und ihre
alpdruckhaft düsteren Gefühle, ihr ungestümes Selbstbewußtsein
und ihre zeitweilige Hingabe an große Zwecke" (W. Pinder). Wer
den trutzig über den großen Ratzeburger See hinüberschauenden
Dom, das Triumphdenkmal des Sieges des Christentums, auf sich
wirken läßt, der erlebt den Frühling deutschen Bauens wieder.
Wie die Eroberung der Luft durch das moderne Flugzeug so
epochemachend war die Entdeckung der GEWÖLBEKONSTRUKTION
gewesen, die das flache Dach verdrängte. Eine ebenso
schöpferische Neuerung war in Norddeutschland der BACKSTEINBAU,
der sich aus dem Mangel an Haustein ergab. In unserer
Nachbarschaft befindet sich die Kirche, die als ältestes
derartiges Gotteshaus gilt, die zu Segeberg (1134-56),
*) an die sich der Dom zu Lübeck reihte. Ihm folgte, mit der
Anlage des Braunschweiger Doms übereinstimmend, unser Dom, "in
dem der Backsteingewölbebau der romanischen Zeit
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*) Dies wird freilich von einigen Forschern bestritten.
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seine Höhe erreichte". Dem Schema der beiden
Kathedralen schloß sich der Dom in Riga an.
Im Lauenburgischen gebührt vornehmlich Heinrich dem Löwen das Verdienst, den
Kirchbau angeregt zu haben. Seit der zweiten Hälfte des 12.
Jahrhunderts entstand neben dem Dom zu Ratzeburg in Stadt und Land eine Kirche
nach der andern. Wir gehen sicherlich nicht fehl anzunehmen, daß die
Prämonstratenser, die mit dem
Bischof nach Ratzeburg gekommen, die treibenden und ausführenden
Die St. Petrikirche zu Ratzeburg im 13.
Jahrhundert.
Kräfte der Kirchbaubewegung im Lande Lauenburg gewesen sind.
Neben der schönen Kirche in Mölln und fast sämtlichen Dorfkirchen unsrer Gegend
erstand auch auf der Insel um 1200 ein Kirchlein, das den Fischern
zu Liebe nach ihrem Schutzpatron St. Peter genannt wurde. Der vollständige
Grundriß desselben ist leider nicht vorhanden, aber der der Apsis und des Chors
liegt vor. Es zeigt sich bei einem Vergleich mit dem Dom, daß die Anlage des
Chorraums eine Kopie desselben ist, so daß derselbe Baumeister beide
Gotteshäuser geschaffen haben dürfte. Der Stil ist der spät romanische. In der
halbkreisförmigen Apsis saßen drei halbkreisförmige kleine Fenster, die den
gewölbten, viereckigen Chorraum von Osten her erleuchteten.
Gibt es neben dem Grundriß auch urkundliche Belege von der Entstehung der St.
Petrikirche in jener Zeit? An erster Stelle steht jene im Strelitzer Archiv
aufbewahrte, berühmte Urkunde, wonach Heinrich der Löwe anno 1158
das Bistum Ratzeburg dotiert. Dort heißt es: "DAMUS ... ESCCLESIAM SANCTI
GEORGII IN RACEBURG ET
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1928/3 - 75
ECCLESIAS ADHUC IN INSULA FUNDANDAS."
Hiernach bestand schon 1158 die Absicht, Kirchen auf der Insel zu
begründen. Es können nur die beiden uns bekannten Gotteshäuser gemeint sein: der
Dom als Bischofskathedrale und die Kirche der Fischergemeinde St. Petri, deren
Einkünfte dem Bischof gebührten. Leider kennen wir bislang die Urkunde über das
Entstehungsjahr der letzteren nicht, wie sie denn auch in der romanischen Zeit
nicht erwähnt wird. Nur Backsteine jener alten Kirche (die gleichen sind am Dom
erkennbar) dürften noch hinter den großen Ziegelsteinen zu finden sein, die die
Umfassungswände des jetzigen Baues ca. ein Meter über der Erde zieren. Bestätigt
aber wird der Befund des Grundrisses durch einen Bericht des Rats der Stadt an
das Konsistorium vom Jahre 1732: "Betreffend die Erbauung der
Kirchen und die dazu erforderlich gewesenen Kosten,
Grundriß der alten St. Petrikirche.
so findet sich davon in dem Stadt Archivo gar keine Nachricht,
jedoch ist es in ANSEHUNG DER STRUCTUR ziemlich wahrscheinlich, daß dieselbe wo
nicht vor, doch zu den Zeiten HENRICI LEONIS aufgeführet, welches auch aus dem
in der Kirchen befindlichen Bilde des Mannes mit dem roten Mantel und der
Unterschrift
DE DAT BESTE THOR SACKE HEFFT GEDAEN
MUTT UNDANCK TO LOHNE HAEN.
einigermaßen abzunehmen, inmahlen sich diese Reime auf HENRICUM LEONEM als
STRUCTUARIUM sehr wohl schicken. Negst [sic!] dem
scheinet auch nicht ohne Grund zu sein, daß nach Erbauung der Kirchen die hohe
Landesherrschaft Ihr derselben REPARATION sonderlich angelegen sein lassen,
besonders weil Herzog Franz der Jüngere neben seinen beiden Gemahlinnen, die er
SUCCESSIVE gehabt, recht über den Altar am Gewölbe abgemahlet stehet." Es dürfte
nicht ganz von der Hand zu weisen sein, daß Heinrich der Löwe, wie zum Dombau,
so auch zur Errichtung einer kleinen Fischerkirche auf der Insel Anregung und
Mittel dargereicht hat.
Etwa hundert Jahre lang mag die stimmungsvolle, romanische Kapelle gestanden
haben. Inzwischen war Ratzeburg eine Stadt geworden und hatte sich so an
Einwohnerzahl gemehrt, daß das kleine Gotteshaus längst dem vorhandenen
Bedürfnis nicht mehr entsprach. Sei es nun, daß man das Schiff der Kirche
niederlegte und neu baute, sei es, daß die Lübecker bei der allerdings
vergeblichen Be-
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lagerung der Stadt im Jahre 1291
die Kirche teilweise zerstörten, so viel ist gewiß, wie es der Grundriß
ausweist, daß um 1300 ein prächtiges, frühgotisches Schiff dem
romanischen Altarraum angefügt wurde. "Dieses Langschiff ist eine zweischiffige
gewölbte Halle gewesen, deren Gewölbebogen von fünf in der Längsachse
freistehenden Pfeilern getragen wurden", der Krummesser Kirche ähnlich. "Mit der
Gewölbekonstruktion ist nach außen die Pfeilervorlage bedingt, die allerdings
auch bei manchen kleineren Kirchen fehlt. Wie bei allen älteren Dorf- und den
meisten Kirchen kleinerer Städte, hat der Turm dem Chor gegenüber auf der
Westseite gestanden, ist breit vorgelegt und hat ein einfaches sog. Satteldach
gehabt. Aus dem alten Kupferstiche (1588) ist schon eine spätere
Turmform mit schlanker Spitze zu sehen." So schreibt Kreisbaumeister Wolff, der
als erster eine Rekonstruktion der alten romanisch-gotischen Kirche versucht hat
und die Ansicht vertrat, daß "der alte Sankt Peter zu den schönsten kirchlichen
Gebäuden des Kreises zu zählen sei. Man muß dem Fachmann billig zustimmen. Welch
eine Perspektive muß sich dem durch das Westportal der Kirche eintretenden
Besucher eröffnet haben! An den schlanken Pfeilern vorbei, die den Blick zu den
gotischen Kreuzgewölben hinauflenkten, sah man im Halbdunkel des romanischen
Chorraums, den die halbkreisförmige Apsis abschloß, den mit künstlerischem
Schnitzwerk gezierten Altar, die ebenfalls geschnitzte Kanzel an der Südseite
unweit des Chores und an der Grenze zwischen diesem und dem Schiff im Gitter die
steinerne "Taufe". Das Ganze wirkte warm, und die Andächtigen waren vom ersten
Augenblick an von der Stimmung der Anbetung des Heiligen ergriffen. Kunrat von
Hövelen, der sich einer merkwürdigen Orthographie befleißigte, möge unsern
Eindruck bestätigen helfen. Er schreibt ANNO 1667: "Die
Stadt-Kirche ist nicht un-äben geformiret, wie wol sie etwas klein der Gemeine
fället. ist sonst mit einem ziemlichen Altare, Kanzel, Taufe, Orgel s: dergl:
geziret." Was die Größe des Baues betrifft, so war die Kirche "schmaler, aber
länger als die jetzige" und befand sich am gleichen Platze wie heute die neue
Kirche, nur ist diese um ein Geringes verschoben.
Herr Gymnasialoberlehrer Ackert hat den verdienstvollen Versuch gemacht, die
alte St. Petrikirche zu rekonstruieren, wobei ihm die Kirche zu St. Georgsberg,
der Kupferstich von 1588 und der Grundriß von 1714 samt dem
Gebäudebild aus dem gleichen Jahre als Vorlage dienten. Man denke sich hierzu
das Stadtbild vor dem
Brande 1693, kleine Fachwerkbauten, die der auf der Höhe der Insel
gelegene St. Peter mit seinem nicht sehr hohen Turm bescheiden überragte, so
ganz zu dem Milieu der Kleinstadtgemeinde passend.
Wenn nun auch St. Peter einen Vergleich mit dem prachtvollen, gewaltigen Dom,
der Bischofskirche, keineswegs zuläßt, so ist es doch zu bedauern, daß der durch
die Bombardierung von 1693 hindurch gerettete Bau dem Unverstand
einer geschichtslosen, rationalistischen Zeit zum Opfer gefallen ist
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