Herr Geheimrat PRIES in Schwerin, der
verdienstvolle Erforscher des mecklenburgischen Bauernhauses,
sendet uns im Einverständnis mit Herrn Professor Dr. FOLKERS,
dessen Forschungen gerade auch unserm lauenburgischen
Bauernhause gelten, den folgenden Fragebogen. Der Heimatbund
bittet seine Mitglieder und Freunde recht herzlich und dringend,
die bedeutsamen Forschungen der beiden Gelehrten durch
Beantwortung der unten gestellten Fragen gütigst zu
unterstützen. Die
Schriftleitung.
*
Die Erforschung des Bauernhauses nach seinen
Arten, nach seiner Anlage und Bauart, gehört zu den wichtigsten
Ausgaben der Volkskunde, seine Bedeutung faßt Peter Rosegger in
die Worte:
"Die Wohnungen des Volkes sind
die treuesten Verkörperungen seiner Seele. 1)
Der erste Hinweis aus die Wichtigkeit der
Hausforschung ist vielleicht eine Bemerkung in der "Festgabe für
die Mitglieder der 11. Versammlung deutscher
Land- und Forstwirte" in Kiel 1847, 2) die an eine
Beschreibung der schleswig-holsteinischen Bauernhausarten die
Bemerkung knüpft: "Eine genaue Untersuchung dieses Gegenstandes
und eine Erörterung desselben aus dem nationalen Gesichtspunkt
ist bis jetzt von Bauverständigen nicht angestellt worden, würde
aber für die Erforschung der Eigentümlichkeiten unserer
Volksstämme von großem Nutzen sein ....." Eine erfolgreiche
Anregung zur Durchführung solcher Untersuchungen gab der
Archivar Dr. Landau aus Kassel auf der Tagung des Gesamtvereins
der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine zu Ulm 1855.
3) An der dann in Angriff genommenen Forschung
beteiligten sich auch die anthropologischen Vereine unter der
Führung Rudolf Virchows. 1882 konnten zwei
systematische Zusammenfassungen des bis dahin Erforschten, von
August Meitzen 4) und Rudolf Henning 5)
verfaßt, erscheinen, denen sich bald als Bearbeitungen des
Gegenstandes nach geschichtlichen Gesichtspunkten die Werke von
Moritz Heyne 6) und Stephani 7)
anschlossen.
Die maßgebenden Grundsätze für diese Forschungsarbeiten und für
die Einteilung der Bauernhänser nach Arten ergaben sich aus der
äußeren Erscheinung der Häuser und aus ihrer Raumanordnung,
deren Erforschung keine technischen Sonderkenntnisse
voraussetzen.
Erst durch die 1891 auf Anregung von Cornelius
Gurlitt einsetzende Mitarbeit der Architekten- und
Ingenieurvereine des deutschen Reiches, Österreich-Ungarns und
der Schweiz, die in größeren Aufnahmewerken 8) zum
vorläufigen
_______________
1) Gesammelte Schriften 7.
2) Altona 1847.
3) S. Beilage z. Korr. Bl. d. Gesamtvereins d.
deutschen Gesch.- und Altertumsvereine 1857/1858
ff.
4) "Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen
Formen", Berlin 1882.
5) "Das deutsche Haus in seiner historischen
Entwickelung", Straßburg 1882.
6) "Das deutsche Wohnungswesen von den ältesten
Zeiten bis zum 16. Jahrhundert", Leipzig
1899.
7) "Der älteste deutsche Wohnbau und seine
Einrichtung", 2 Bde., Leipzig 1902/03.
8) "Das Bauernbaus im deutschen Reiche (in
Österreich-Ungarn) (in der Schweiz) und in seinen
Grenzgebieten." Dresden 1906. Wien und Dresden
1906, Zürich und Dresden o. J.
1928/3 - 101
1928/3 - 102
Abschluß kamen, denen dann Professor Gallée
noch ein entsprechendes Werk über das niederländische Bauernhaus anfügte,
9) wurde als dritter maßgebender Gesichtspunkt auch der "Bauverband" -
nach früherem Sprachgebrauch "die Konstruktion" - geltend gemacht und nötigte in
einzelnen Fallen zur Umstellung der erzielten Ergebnisse.
Das Schriftentum über das Bauernhaus erfuhr wertvolle Bereicherungen durch eine
so große Zahl von Einzelarbeiten, von kostbaren Werken herab bis zu kurzen
Aufsätzen, daß es unmöglich ist, hier ein Verzeichnis dieser Literatur zu geben.
Es sei nur auf eine kleinere Schrift Otto Laufers hingewiesen, die denen eine
Übersicht gibt, die weder Zeit noch Gelegenheit haben, große Bibliotheken zu
durchforschen, noch endlich Mittel zur Anschaffung kostbarer Werke. 10)
Für das hier zur Frage stehende Interessengebiet muß ferner das klassische Werk
Wilhelm Peßlers: "[Zitat-Endezeichen fehlt!] Das
altsächsische Bauernhaus in seiner geographischen Verbreitung" 11)
genannt werden, das schon vor dem Erscheinen jener Bauernhauswerke auf den
Zusammenhang zwischen Raumanordnung und Bauverband des Hauses hinwies, auf dem
die ganze Eigenart der dreischiffigen Anlage des Niedersachsenhauses beruht.
Aus diesem Zusammenhange ergeben sich, je mehr man in die Einzelheiten
eindringt, neue Probleme, die oft anscheinend nebensächliche Dinge betreffen,
aber wichtig sind, weil sie weitere Zusammenhänge erklären. Ein solches Problem
beschäftigt zur Zeit die an der Erforschung des Niedersachsenhauses arbeitenden
Kreise. Der Bauverband ist bei diesem, wie schon Peßler feststellte, ein anderer
am Niederrhein, ein anderer diesseits der Elbe; und auch hier noch zeigen sich
Verschiedenheiten, von denen festgestellt werden soll, wie weit ihre örtliche
Verbreitung geht und ob etwa eine zeitliche Fortentwicklung die Verschiedenheit
begründet.
Die wahrscheinlich ursprünglichste Gestaltung des Dachstuhles beim
rechtselbischen Niedersachsenhause ist auf dem nebenstehenden Zeichnungsblatte
mit I bezeichnet und setzt sich aus den folgenden Teilen zusammen:
Das Dach über dem Mittelschiff des Hauses, über der Diele, besteht in jedem
Gebinde aus dem von zwei Ständerreihen getragenen Deckenbalken (D),
je zwei mit ihren Enden in die Enden dieses Balkens eingezapften Sparren (Sp)
und einem oder zwei diese untereinander versteifenden. wagerechteu Kehlbalken (K).
Wo deren zwei vorhanden sind, heißt der obere Hahnenbalken. Statt der die Diele
seitlich abschließenden Ständerreihen haben neuere, d. h. im 19.
Jahrhundert erbaute Häuser meist geschlossene Fachwerkverbände. Die Dächer über
den beiden Seitenschiffen bestehen aus Abseitensparren oder Aufschieblingen (A)
- die auch noch andere Namen tragen -, d. h. Hölzern, deren unteres Ende auf das
Rähm der Außenwand gekämmt, oder in das Ende eines kleinen Deckenbalkens (d),
der über der Abseite liegt, eingezapft ist, wahrend das obere Ende auf dem
Sparren des Hauptdaches ruht, d. h. an diesen angeschmiegt oder auf ihn
aufgeschoben und auf ihm festgenagelt ist.
Der Verband II unterscheidet sich von I dadurch, daß
über den Seitenschiffen oder Abseiten das Dach nicht von einem Aufschiebling auf
dem Hauptsparren, sondern von einem kleinen Sparrenstück (St)
getragen wird, das zwischen dem Ende des Abseitenbalkens und dem Hauptbalkenende
eingepaßt ist. Um dem Dache etwas mehr Überstand zu geben, ist auf dies
Sparrenstück und überhaupt, wenn ein Sparren in das Balkenende eingezapft, nicht
auf ein Wandrähm aufgekämmt ist, auf die obere Seite des Sparrenendes meist noch
ein kleiner Aufschiebling (a) genagelt, manchmal nur ein
Lattenstück. Dieser kleine Ausschiebling darf nicht mit dem unter I
genannten Aufschiebling oder Abseitensparren verwechselt werden.
Eine grundsätzlich andere Art der Sparren findet sich bei III und
IV. Hier gehen die Hauptsparren (Sp) von der First
bis auf die Außenwand hinab. Ihr unteres Ende ist in das Ende des kleinen
Abseiten-Deckenbalkens (d) eingezapft, manchmal auch auf dies
Balkenende aufgekämmt, der Hauptbalken ist wie
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9) "Das niederländische Bauernhaus und seine Bewohner" mit Atlas,
Utrecht 1909, 1910.
10) Otto Lauffer, Das deutsche Haus in Stadt und Land.
Wissenschaft und Bildung 152, Leipzig 1919.
11) Braunschweig 1906.
1928/3 - 102
1928/3 - 103
[Schemazeichnung:
Querschnitt durch ein Niedersachsenhaus]
1928/3 - 103
1928/3 - 104
die Kehlbalken nur mit einem Zapfen mit den von der First bis zur
Traufes durchgehenden Sparren verbunden.
Es unterscheiden sich nun III und IV
dadurch, daß bei III wie bei I und II
ein oder zwei Kehlbalken (K) die Sparen
[sic!] untereinander versteifen, - dagegen bei IV, einer
wahrscheinlich jüngeren Ausführungsart, statt des unteren Kehlbalkens
Bockständer (B) angeordnet sind, d. h. schräge Streben, die vom
Hauptbalken zum Sparren hinübergehen. Gewöhnlich sind auch in den Abseiten statt
der bei I bis III anzutreffenden Kopfbänder (r)
unter den Enden der Hauptbalken kleine Streben (b) zwischen
Abseiten und Hauptbalken angeordnet.
Es wird nun gebeten, eine Reihe von Häusern nach dem Vorstehenden zu
untersuchen und anzugeben:
a) Ort und Bezeichnung sowie Besitzer des Grundstückes,
b) Benutzungsart des Gebäudes (Einheitshaus, Wohnhaus, Stall,
Scheune),
c) bekanntes oder geschätztes Alter des Gebäudes, wobei die
Angaben des Brandkassenscheines benutzt werden können,
d) Art des Dachstuhles, I, II,
III oder IV, oder wenn abweichend eine kleine Handskizze.
Aus eine häufig anzutreffende Abweichung sei von vornherein hingewiesen: auf den
nachträglichen Einbau von "Stuhlwänden". Diese bestehen aus senkrechten, auf den
oder einzelnen Balken stehenden Ständern, die oben ein in der Längsrichtung des
Hauses laufendes Rähm tragen, mit dem sie auch durch schräge Kopfbänder
verbunden sind. Das Rähm geht unter dem Kehlbalken entlang. Dieser "stehende
Stuhl" ist um die Mitte des 19. Jahrhunderts in viele alte
ländliche Gebäude nachträglich eingebaut, um diesen einen besseren Längenverband
zu geben, ursprünglich kommt er früher als seit jener Zeit in Bauernhäusern
schwerlich vor. Angaben der Bewohner, der Dachverband habe "schon immer" so
ausgesehen, braucht man nur auf das von den jetzt Lebenden Erinnerte zu
beziehen.
Schwerin, 15. Mai 1928.
Pries, Geh. Oberbaurat.
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