Zwei Landschaften Schleswig-Holsteins bedeuten
dem Sammler wahre Schatzkammern an altem Volksgut: Dithmarschen
und Lauenburg. Während im "Ländeken deep" das Derbe, Heldische,
auch Breite
den Charakter der Volkspoesie kennzeichnet, klingen aus dem
hügeligen
Waldland des Südostens Töne reinster Lyrik, Lieder von Liebe,
Lebensfreude und Kinderglück.Es soll hier nicht auf ev. Einfluß
benachbarten Slaventums eingegangen werden, auch nicht auf
bestimmt vorhandene Beziehungen zu Mitteldeutschland, auf Besiedlung und
andere
das Volksgut einer Landschaft bestimmende Einflüsse.Tatsache ist
der Reichtum an lyrischer Volkspoesie.
Jene alten Volkslieder nun, einst bei Tanz und Gelage von
frohen Erwachsenen gesungen, machten im Lauf der Jahre manch
seltsame Wanderung und Wandlung durch.
Frohe Kinder nahmen die Weisen auf und fanden sie so jung
und frisch und gewannen das alte müde Lied so lieb, daß es
wieder
aufblühte und mittollte und sprang.So haben die Kinder eine
ganze
Reihe alter Volksballaden übernommen und zu kleinen Spielen
dramatisch umgestaltet."Das Lied vom Blaubart" ("Lieb Anna saß
am breiten Stein"), "Vom Schäfer und Edelmann" und viele andere
mehr.
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*) Das VOLKSLIEDARCHIV DES SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN
VOLKSLIEDAUSSCHUSSES
(Museum in Altona) ist jetzt auch wissenschaftlicher
Benutzung freigegeben. ine umfangreiche Bücherei enthält alle
Fachliteratur,
während das Archiv zirka 5000 wissenschaftlich katalogisierte
Liedblätter (Tanz -
Volkslied - Kinderlied -Spiel und Reim) aus Schleswig-Holstein
umfaßt.
Diese Sammlung ist selbstverständlich nicht abgeschlossen, da
auch das Lied der
heutigen Zeit erfaßt werden soll. Es gilt, Wege aufzuzeigen, die
vom alten
zum neuen Lied führen. Hier nun setzt die Tätigkeit der
Liedberatungsstelle
des Archivs ein, die gute Liedliteratur für
Volks-Unterhaltungsabend, Schulen
u. a. mitteilt. Der Leiter des Archivs (Max Kuckei in Altona,
Pestalozzistraße 8 II) ist nach vorheriger Vereinbarung gern zur Führung und
Auskunft bereit:
Sprechstunde am Mittwoch von 17-20 Uhr.
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Tanz-, Trink- und Liebesreime gingen in
Kindergesellschaft. Hier war es die kindliche Naivität der Liedchen, ihr
einfacher Gesetzbau oder die einschmeichelnde Weise, die den Übergang
vermittelte. Wie die Psychologie der Kinder und der Unkultivierten sich so
vielfach berührt, zeigen sich auch hier (in den Liedern) vielfach ähnliche Züge.
In dieser engen Verwandtschaft ist denn auch das Aufgehenkönnen des Volksliedes
im Kinderlied begründet, die Flucht aus dem bewegteren Leben der Erwachsenen in
die Stille des Kinderlandcs, wo es freudig begrüßt wurde und sich bald heimisch
einrichtete. Das nämliche musikalische Charakteristikum eben der Kinderlieder
besitzen auch die einfachen Tanzliedchen. Den Weg zum Kinderherzen bahnen die
Erwachsenen selber dem Liede. So bilden die Lieder der Erwachsenen im Umgang mit
den Kindern den Übergang vom Volkslied zum reinen Kinderlied. In Erinnerung an
frohe Mädchenzeit trällert wohl die junge Mutter dem Kleinen eines jener
neckischen Tanz- oder Liebesliedchen vor, um es zu beruhigen. So ist verzeichnet
als Wiegenlied:
Holdr, Boldr, bitter beer!
Ik wull, dat morgen Sündag weer;
Ik wull in Krögers Keller krupen
An wull den Kröger all Beer utsupen!
Also eins von der großen Sippschaft der Kellerkrupreime. Den
Kleinen vorgesprochen wird in Lauenburg das an andern Orten als Siebensprungtext
bekannte:
Heidewidum, min Mann is kamen.
Heidewidum, watt hett he bröcht!
Schmollt das Kind, so singt ihm die Mutter den alten Tanzreim
vor:
Gräm du di man nich, gräm du di
man nich,
Ik heff noch dree Sößling, dat weest du man nich!
Hat sich aber unser kleiner Liebling gestoßen, so tröstet man
ihn:
Ik wull vör düsend Daler nich,
Dat mi de Kopp af weer ...
anderswo, z. B. in Angeln als Neckreim der Erwachsenen bekannt.
Abends endlich begleitet das Soldatensignal: To Bett, to Bett, wer'n Leefsten
hett! - - den müden Kleinen in den Schlaf.
Vater läßt den Jungen auf den Knien reiten und singt dazu ihm liebgewordene
Trinkreime. Der bekannte Reim auf den Herzog von Brunswik, umgedeutet auf Holger
Bredfod, ist als Knieschaukelreim bezeugt: "Holger Bredfot har een Peer".Als
Volksreime, die zu Kniereiterliedchen geworden sind, schließen sich ihm u. a.
folgende
Burschen an: "Is de Bur nich'n Dusendschelm?" - "Janmann wull rieden" und das in
Erinnerung an den lustigen Sang vom Tod zu Basel entstandene "Hotte Mannke
geele". Die nämliche feuchtfröhliche Aufforderung zum Kneipenlaufen, die uns ein
niederdeutscher Trinkreim zuruft, enthält ein Knieschaukelreim:
"Wullt du mit na Rommelskerken?
Wullt du mit, so komm!" -
Bei seinen ersten Gehversuchen muntern die Eltern den kleinen
Kerl wohl mit dem Tanzreime:
"Trummel op'n Buk -
Smulpott will danzen!"
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auf. Diese und andere den Kindern von den
Erwachsenen vorgesungenen Lieder, oder solche, die sie den Großen abgelauscht,
werden nun langsam zu reinen Kinderliedern, die das kleine Volk oft wohl ohne
Verständnis ihres Inhalts singt, aber sich freuend an den sinnfälligen Reimen
oder der leichten Weise.
Wenn das Mädchen seine Puppe tanzen läßt, singt es die Weise, die es von den
Erwachsenen als Tanzreim gehört hat. Hier wie dort die gleiche Situation, die
gleiche gesteigerte Lebensfreude an rhythmischer Betätigung.Da kommen der
Kleinen die leichten Tanzweisen gerade recht: "Dans, Pöppe, dans!" oder "Peter
Pier, ole Lier!"
"Buko von Halberstadt,
bring min lütten Heini wat.
Wat schall ik em denn bringen?
Paar Schoh mit gollne Ringen."
Wer ist dieser Buko nun? Die Forschung, die einst die Beziehung
zum kinderfreundlichen Bischof Bucco (Burchard) von Halberstadt festhielt, sieht
heute in diesem Namen die plattdeutsche Bezeichnung des einst der Göttin Freia
heiligen Sonnenkäfers.
In diese germanische Vorzeit führt uns auch das bekannte Spiel
der Meyerschen Brücke:
"Hal op de Brügg, sla dal de
Brügg,
Den letzten wullt wi fangen."
Hier soll sich der Germane entscheiden, ob er den Weg zum
Christentum (Himmel) oder zum Heidentum (Hölle) wählt. Gute und böse Geister
zerren an seiner Seele.
Von mir im Lauenburgischen aufgezeichnet ist auch das lustige Kinderspiel:
Ik mag so geern in'n
Maandschien gahn.
Wenn blots de bösen Röwers *) nicht kamt!
De Klock sleiht een,
De Klock sleiht twee (bis 12 Uhr).
In diesem Spiel vermutet man einen Überrest des heidnischen
Glaubens von den 12 Weltstunden. Hat die Weltuhr ausgeschlagen, so
kommt der Wolf (oder die Räuber) und frißt die Welt.
Ein bekanntes Kinderlied mythischen Inhalts ist ferner
"Christinchen im Garten"
"Christinchen saß im Garten,
Ihren Bräutigam zu erwarten;
Sie hatt' schon längst im Traum gesehen,
Daß sie im Rhein sollt' untergehn."
Hier lebt die Erinnerung an mythisch gewordene Wasserfrauen und
Elfen fort. Der böse, weil seelenlose, Wassermann zieht junge Menschenkinder zu
sich hinab, um durch ihre reine Seele erlöst zu werden.
Später findet auch das katholische Christentum seinen Niederschlag im Kinderlied
unserer Landschaft. Mutter Maria kocht dem Jesuskinde Apfelmus, spinnt dat
Flassengarn, macht in einem Bettel-
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*) Wölf.
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lied die Tür auf: "Dat Himmelriek is uppe
dahn, dar künnt wi alle rinne gahn."
Endlich spielen auch kriegsgeschichtliche Ereignisse und technische Wunder eine
bedeutende Rolle, man hört selbst hier in Lauenburg den Spottvers auf den
flüchtenden Hannemann, und zur Erinnerung an den ersten Flug im Luftballon
klingt es im Kinderlied:
"Robinson, Robinson (der erste
Luftschiffer)
Fuhr einmal im Luftballon."
So ist das Kinderlied unserer Landschaft ein treuer Spiegel
werdender und vergehender Kultur. Götter, Helden und Narren reichen einander die
Hand, in der Mitte steht selig das Kind.
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