Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1929


 Die Kapellen und Totengrüfte der Sachsenherzöge im Ratzeburger Dom.

Von FERD. V. NOTZ, Oberst a. D.
 

Die Fürsten aus dem Askanierstamme, die sich Herzoge von Sachsen, Engern und Westfalen nannten, haben fast ein halbes Jahrtausend lang - von 1228 bis 1689 - das Ländchen zwischen Elbe und Ratzeburger Seen beherrscht. Was ist von ihnen geblieben? Ihre stolze alte Burg auf der Insel zwischen den Seen ist längst verschwunden. Sie fiel, als das Geschlecht erlosch. Ihre Prunkschlösser bei Lauenburg über der Elbe und bei Neuhaus a. E. sind verbrannt und zerfallen. Von ihnen sind nur traurige Reste und Trümmer erhalten. Die Lauenburger Kirche, die der prachtliebende Herzog Franz II. um 1600 zur Hof- und Grabeskirche Herrichten ließ, haben verständnislose Nachfahren stark entstellt, ihres schönsten Schmuckes beraubt; von dem prachtvollen Grabdenkmal, das hier der Herzog für sich und seine Gemahlin errichten ließ, sind nur mehr Bruchstücke vorhanden. Die "Lauenburgische Chorkapelle" am Ratzeburger Dom ist somit das einzige noch gut erhaltene Bauwerk, das würdiges Zeugnis ablegt von dem untergegangenen Fürstengeschlecht. Und auch bei ihr fehlte nicht viel, und sie wäre einem großen "Reinemachen" zum Opfer gefallen, als um 1880 der Dom einer gründlichen Wiederherstellung unterzogen wurde. -

Die Askanier waren die Nachfolger des bereits im Jahre 1200 ausgestorbenen Grafengeschlechtes des Heinrich von Botwide, des Kampfgenossen und treuen Mitarbeiters Heinrichs des Löwen an der Eindeutschung des Landes. Hatte letzterer Dom und Bistum gegründet, so hatte jener Grund und Boden für die Kirche und den Besitz des Stiftes hergegeben.

Errangen sich auch die Bischöfe allmählich in zähem Ringen mit der weltlichen Macht völlige Selbständigkeit, indem sie sich loszulösen, loszukaufen wußten von der herzoglichen Oberherrschaft, nie haben sich die Fürsten in Sachsen-Lauenburg gewisser Anrechte oder Ansprüche begeben, die sie auf den Dom als ihre Ratzeburger Haupt-
und Schloßkirche sowie als Begräbniskirche erhoben.

Schon Graf Heinrich von Botwides Sohn, Bernhard I., der um 1194 starb, dessen Sohn Bernhard II., der 1198 zu Ratzeburg entschlief, sowie dessen Sohn Bernhard III., der letzte Sproß des Geschlechtes, den ein frühes Verhängnis bereits 1200 in zartem Kindssalter ins Grab riß, sollen in dem jungen Dom "in gemeinsamer Gruft" bestattet worden sein. 1)

Genauere Kunde haben wir darüber, daß bereits um 1308 Herzog Albrecht III. und seine Gemahlin Margarete, Tochter Albrechts von Brandenburg, im Dome beigesetzt worden sind. Ebenso fanden in ihm Herzog Erich II., gest. 1368, und seine Gemahlin Agnes, Tochter Johann III. von Holstein, die 1386 starb, ihre letzten Ruhestätten. Wo diese lagen,
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1) Siehe P. v. Kobbes Geschichte des Herzogtums Lauenburg, 1836, I/183 und 234, nach Krantz, Vandal. 6. 31.

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st unbekannt. Herzog Erich III., beider Sohn, ließ zwischen 1370 und 80 die noch heute stehende gothische Lauenburger oder Katharinen­Kapelle vor der Mitte des südlichen Seitenschiffes erbauen. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts hat sie als Grabkapelle gedient. Sie ist die einzige der Seitenkapellen des Domes, welche die große Restauration von 1876-1881 überdauert hat. Das war dem Eingreifen Kaiser Wilhelms I. zu verdanken, der als Rechtsnachfolger der alten Herzoge im Herzogtum Lauenburg ihr Erbe im Dom, die Kapelle und die Fürstengrüfte, übernahm, wodurch sie zu einer "preußischen Enklave im Mecklenburg-Strelitzschen" wurden. Pietätvoll veranlaßte der Kaiser deren Wiederherstellung, wodurch sie vor dem drohenden Abbruch und der Vernichtung bewahrt blieben.

Die Kapelle zeigt außen zwei breite gotische Fenster. Ihr Inneres, 9 Meter lang und 3,7 Meter tief, ist von einem Kreuzgewölbe überspannt. Nach innen, zum südlichen Seitenschiffe des Domes, öffnet sie sich in zwei breiten Rundbögen, die fast ganz ausgefüllt sind von der Vorderseite der "herrschaftlichen Prieche", dem sogenannten "Lauenburger Chor". Es ist das Kirchengestühl der Herzogsfamilie, holzgeschnitzt, buntfarbig, getragen von Säulen, die die Embleme des Sachsenwappens zeigen, mit Namenszügen und Figuren, gekrönt von Wappen- und Inschrifttafeln, alles in edler Spät-Renaissance, nur überwuchert von schier überreichem Barock. Im Innern führt eine Wendeltreppe zur Empore, der einzigen übrigens, die der Dom aufweist. Die vielen Fensterchen, hinter denen sich einst die hochfürstlichen Kirchenbesucher abzuschließen vermochten, sind verschwunden, was kein Schade ist.

Auf der mittelsten und größten der oberen Tafeln rechts steht: "DIS IST DER HERZOGEN ZU SACHSEN URALTER FÜRSTLICHER STAND SO DEN 4. IUNI ANNO 1637 NEUGEB(auet)"; darüber ein verschlungenes A H, d. i. August, Herzog. - Das "Neugebauet" läßt den Schluß zu, daß sich hier früher bereits ein Gestühl der Herzöge befunden haben muß. Unter dem Fußboden dieser Kapelle werden fürstliche Gräber gewesen sein.

Unter den Kapellen, die sich nach dem nördlichen Seitenschiff zu öffneten und sämtlich um 1880 abgebrochen wurden, war eine zweite, welche von Sachsenherzögen erbaut und gestiftet war, die Bergedorfer Kapelle, der "LOCUS PECCATORUM", wie sie im Volksmunde hieß, das heißt "die arme Sünderecke"!

Etwa 1305 hatte sich das Herzogsgeschlecht in zwei Linien geschieden, die lauenburgische und die bergedorfsche, die unter sich auch das Land aufgeteilt hatten. Die Bergedorfer beanspruchten auch ihren Platz im Dom. Die Kapelle mag etwa gleichzeitig mit der anderen entstanden sein. Wo sie einst war, ist eine alte schöne Ziegelsteinplatte in der Fensterwand des Seitenschiffes eingelassen. Sie lag früher in der Bodenmitte der Kapelle und bezeichnet die Grabstelle Herzog Erichs IV. von Sachsen-Bergedorf, des letzten dieser Linie. Der Stein mißt etwa 35 Zentimeter im Quadrat, seine Inschrift in gotischen Minuskeln ist in den roten Ziegel eingeschnitten

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und -gebrannt und schön lesbar mit weißem Kitt ausgefüllt: Sie lautet:

"Anno domini 1401
am Canzius und Canzianus Tage (d. i. 31. 5.) verstarb
Erich, Herzog
von Sachsen, der Aeltere,
in Bergedorf. Betet für ihn."

Von diesem Herzog geht die Sage, er sei, "weil er einen Priester während der Messe in der Kirche erstochen hatte", vom Papste in den Bann getan worden, in dem er auch gestorben sei. Man habe deswegen seine Leiche im Begräbnis unter dem Chore nicht dulden wollen, sondern hier in der Kapelle beigesetzt, wonach sie jenen anzüglichen
Namen erhalten habe. Die Geschichte berichtet nichts von solcher Bluttat des Herzogs. Auch sonst erweist sich an der Sage alles unhaltbar. Eine Fürstengruft unter dem Chore gab es auch erst 100 Jahre später, wie wir gleich sehen werden.

Wie aber konnte jener Spottname entstehen? Vielleicht stand, einmal im verschwiegenen Winkel der Kapelle der Beichtstuhl für besonders "arme Sünder".

Bis zur "Renovation" um 1880 befand sich nun an dem südwestlichen Hauptpfeiler des Chores ganz in der Höhe befestigt das Epitaph Herzog Bernhards von Sachsen, der 1463 gestorben ist. Es bestand aus dem Wappen, über dem die fürstlichen Insignien und der Kurhut angebracht waren. Eine schwarze Holztafel mit vergoldeten Buchstaben zeigte folgende Inschrift:


 

"Na Xti (=Christi) bort MCCCC Im LXIII Jar des Sonnauent vor snt marien magdalene starf de Irlüchtige hochgeborne Forste un her her Bernd hertog to sassen engern und westuale des Hilgen Römischen Ricks Ertzmarschal un Korforst dem got gnedic sy; un was des irlüchtigen hochgebornen forsten un hern her Johan Hertogen to sassen vader."
 
Wappen und Inschrift erwecken deshalb noch Interesse, weil ersteres die "Churschwerter" aufweist und letztere von der Erzmarschall- und Kurfürsten-Würde des Herzogs spricht, trotzdem durch kaiserliche Entscheidung den Sachsen-Lauenburgischen Fürsten dies Recht abgesprochen worden war. Die Tafel ist auch deswegen bemerkenswert,
weil sie für den Dom die deutsche Sprache erstmalig bei Inschriften gebraucht. Das Lateinische war aber damit noch lange nicht überwunden.

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Das Wappenbild mit neuer gotischer Umrahmung aber ohne die verloren gegangenen Insignien und den Kurhut, darunter die alte, wieder aufgefrischte Tafel sind jetzt oben im Lauenburger Chor an dessen Ostwand angebracht.

Der frühere Aufhängeort der alten Totentafel am Chorpfeiler stützt die Annahme, die Leiche des Fürsten sei auch darunter, also im Chor beigesetzt gewesen. Sein Sohn und Nachfolger, der 1507 gestorbene Herzog Johann IV., und dessen Gemahlin Dorothea, die 1519 gestorbene Tochter des Kurfürsten Friedrich II. Eisenzahn von Brandenburg, fanden nämlich mit Zustimmung des Domkapitels ebenfalls ihre letzte Ruhestätte an gleicher Stelle des Chores, nachdem bereits 1503 ihr Sohn Rudolf dort begraben worden war. Dadurch war eine Gruft entstanden, die im Verlaufe der Entwickelung dem Dominnern ein eigenartiges Gepräge geben sollte. Erhebt sich doch der Chor anders als sonst in ähnlichen Gotteshäusern um 8 Steinstufen Höhe über den Boden des Kirchenschiffes. Und das kam so: Johann des IV. Sohn, Herzog Magnus I., der sich dem Sitfte [sic!] so sehr unfreundlich erwiesen hat, ließ über seiner Eltern Gruft ein hohes Denkmal aufführen. Dies ragte so hoch über den Boden des Chores hinweg, daß es nach Meinung des Domkapitels für die Ausübung des Gottesdienstes ein Hindernis bildete. Die Klage kam schließlich sogar vor den Papst. Die Kirche errang ein obsiegendes Urteil, der Herzog sei gehalten, daß das "ungewöhnliche Begräbnis schlicht abgetan" werde. Das ist nun nicht etwa dadurch geschehen, daß das Grab abgetragen und vertieft wurde, sondern dadurch, daß rundum der Boden erhöht wurde. Dadurch entstand die heutige Höhe des Chores. 2)

Der Doppelgrabstein mit den Reliefbildern des Herzogspaars liegt also noch an alter Stelle in der Mitte des Chores. Wenn auch vieles an ihm, so die gesamte Umschrift, abgetreten und verwischt ist, so ist doch der Stein unstreitig ein künstlerisch schönes Stück, das einzige dieser Art unter den noch erhaltenen älteren Grabdenkmälern. Es wäre zu wünschen, daß für seine Erhaltung etwas geschieht, ehe die Schritte, die ständig über ihn hinweggehen, seine letzte Schönheit abgeschlürft haben. (Abb. S 63.)

Daß sich nun an dieser Stelle unter dem Steine ein kleines Gruftgewölbe befunden haben muß, geht daraus hervor, daß von dem östlichen, größeren Gruftgewölbe ein schmaler Gang unter den Doppelstein führte. Bei späteren Ausbesserungen ist aber die kleine Gruft zugeschüttet und der Gang vermauert worden. Vielleicht befinden sich auch noch in der Erde ausgeschmückte Seitenwandungen des einst erhöht ausgebauten Epitaphs.

Die Entstehungsgeschichte dieses Grabes gibt nun einen sicheren Anhalt für die Altersbestimmung der beiden noch vorhandenen Gruft-
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2) In der "Geschichte des Bistums Ratzeburg" hat Masch die Streitigkeiten zwischen Herzog und Domstift eingehend und packend geschildert. - Übrigens verdankt auch der hohe Chor des Kaiserdomes zu Speyer einem ähnlichen Vorgänge seine Erhöhung. Hier handelte es sich um die Übermauerung der Stein-Sarkophage der alten Kaiser bis zu Heinrich IV. durch dessen Sohn, Heinrich V. Letzterer wollte dadurch verhüten, daß die Gebeine seines Vaters einem päpstlichen Bannfluche gemäß von der geweihten Stätte entfernt würden.

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Doppelgrabstein des Herzogspaares.
 

anlagen unter dem Chor. Man gelangt dadurch zu anderem Schlüsse als frühere Forscher, die deren Anlage in eine spätere Zeit verlegen.
 



Skizze der Grüfte.
 

Die kleinere westliche, die von den Herzogen erst seit etwa 1581 belegt wurde, hat, wie aus einer Inschrift in der Gruft hervorgeht, vordem der Beisetzung anderer Toten gedient (siehe weiter unten). Sie wird also gelegentlich der Erhöhung des Chores entstanden sein; der Raum ward ja dadurch gewonnen. Auf die gleichzeitige Erbauung der anderen größeren Gruft weisen einmal der vorerwähnte kleine Gang hin sowie auch Totenreste, die sich in dieser Gruft fanden, als die Herzogssärge in sie einzogen.

Die beiden Grüfte werden verschlossen durch kleine lukenartige Doppelpforten aus Eichenholz. Die der östlichen liegt neben dem Südaufgang zum Chor und zeigt oben geschnitzt das einfache sächsische

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Wappen und die Zahl 1636, daneben die Anfangsbuchstaben des Stifters V. G. G. A. H. Z. S. E. U. W. Es folgen mehrere Angaben: "RENOVATUM", 1692, 1762, 1877, 1911. Zwischendurch noch einmal ein abgekürzter Name: V. G. G. H. S. H. Z. S. E. U. W. Diese und ähnliche Buchstabenreihen finden sich wiederholt, sowohl an der Prieche, als auch auf den Särgen, die durch sie feststellbar sind.

Erstere Reihe bedeutet: Von Gottes Gnaden Augustus Herzog zu Sachsen, Engern und Westfalen, die letztere: Von Gottes Gnaden Hedwig Sibylle, Herzogin usw. Diese war eine Tochter Augusts und die Letzte ihres Geschlechts, die wohl die Erneuerung im Jahre 1692 hat ausführen lassen.

Das Pförtlein mußte 1911 erneuert werden, weil kurz vorher die Gruft und die Särge von ruchloser Hand erbrochen worden waren, um den Staub der Toten nach Schätzen sicher ergebnislos - zu durchwühlen.

Sechs Stufen führen in die Gruft hinab. Diese ist 9 Meter lang und 2,7 Meter breit; sie stellt ein schmuckloses rundes Tonnengewölbe dar, dessen Scheitelhöhe etwa 2,20 Meter beträgt und nur 30 Zentimeter unter dem Fliesenboden des Chores liegt. Dis Wände sind weiß gekalkt. In der westlichen Wand zeigt das Mauerwerk oben eine Art Nische. Hier ist die Stelle, wo früher der Zugang zum Grabe des Herzogs Johann abführte. Der Eingang ist senkrecht vermauert. Auf dieser westlichen Wand steht unfern des Einganges folgende Inschrift: "Im 23. Jahre Kaiser Wilhelms des Anderen (also 1911) ist diese herzogliche Gruft mit den Särgen von neuem in Stand gesetzt worden."

Der vordere Teil der Gruft ist leer; im Hinteren stehen vier schwere, mächtige Zinksärge.  Verschieden lang, hoch und breit, sind sie sämtlich schön ziseliert, oben und an den Seiten mit eingeschnittenen Wappen, Christusbildern und Inschriften reich bedeckt. An den Seiten, unten, sind Handgriffe, auch Ringe, die von Löwenmäulern gehalten werden. 3)

Der hinterste Sarg gehört der "Durchlauchtigsten Hochgebohrenen Fürstin und Frau, Frau Catharina Herzogin zu Sachsen usw., gebohrener Gräfin zu Oldenburg und Delmenhorst . . . .", geb. 1582, gest. 1644, zweiten Gattin des Herzogs August v. S. Die Marmorfiguren beider Gatten knien vor ihrem riesigen Epitaph auf dem Hohen
Chor.

Der 1,85 Meter lange Sarg ist stark verbogen; sein Deckel liegt nur lose auf ihm. Im Innern gähnt das Chaos. Als die Grüfte früher einmal in Stand gesetzt wurden, warf man die Reste der Toten der drei vorderen Särge aus diesen heraus und kehrte sie mit Schutt und Schmutz zusammen, um alles in diesen letzten Sarg zu schütten.
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3) Die Aufschriften aller Särge finden sich in "Die Sachsen-Lauenburgischen Begräbnisgewölbe", "Archiv des Vereins für die Geschichte des Herzogtums Lauenburg", 5. Band, Heft 1 von 1896. Diese Aufzählung ist der Abdruck von Aufzeichnungen, die der 1831 verstorbene Domprobst Arndt hinterlassen hat, und berücksichtigt nicht spätere Verluste, die gelegentlich der Wiederherstellungsarbeiten entstanden sind.

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Dieser, in dem noch die vermoderten Bretter des Holz-Einsatzsarges sichtbar sind, ist angefüllt mit Schmutz, aus dem Schädel, Steinbrocken. Knochen und die Reste eines schönen dunkelfarbigen Seidengewandes hervorlugen. Auch der alte Holzkasten, der früher hinter dem Sarge an der nördlichen Seitenwand stand und 8-10 Schädel und Gebeine ehemals hier beigesetzter Leichen enthielt (s. o.), ist, weil er zerfallen war, hier hineingeworfen worden. War es geboten, die Ruhe der Toten zu stören, hätte man ihnen besser ein Grab im Schoße der Mutter Erde vergönnen sollen. 4)

Die drei anderen Särge sind also leer; es sind nur mehr Attrappen.

Der zweite Sarg ist der des 1646 im Alter von 20 Jahren gestorbenen Herzogs Johann-Adolf, des Thronerben und Sohnes Herzog Augusts aus erster Ehe. Der Sarg ist kleiner als die anderen.

Der dritte, ein mächtiges Stück, das ungefähr 2,10 Meter mißt, zeigt in reicher Verzierung folgende Aufschrift: "Von Gottes Gnaden Augustus, Herzog zu S. E. u. W. ist geboren Ao. 1577 ___ , hat Ao. 1594 einen Feldzug in Ungarn wider die Türken getan, Ao. 1619 . ... die fürstliche Regierung angetreten, und ist Ao. 1656 dn. 18. Jan.
zu Mittag 3/4 auf 12 Uhr in Christo, seinem Erlöser, sanft und selig entschlafen, nachdem er das 37. Jahr regiert und 78 Jahr 11 Monat und einen Tag gelebet, dessen Seele Gott gnädig sei, der ihm eine fröhliche Auferstehung verleihen wolle."

Der vierte Sarg, 1,85 Meter lang, ist der der Herzogin Elisabeth­Sophie, erster Gemahlin des Herzogs August, geborenen Herzogin zu Schleswig-Holstein, zu Gottorf Ao. 1599 geboren, 1620 "dem Herrn Augusto, Herzogen zu Sachsen . . . auf Schloß Husum ehelich beygesetzet", Ao. 1627 "auf der Feste Ratzeburg ruhesam und selig gestorben". Sie starb im Wochenbett; das Kindchen, das mit ihr starb, ruht in der anderen Gruft.

Von Herzog August und seinen beiden Frauen, seinem Kunstsinn und Leben zeugt das schöne Grabmal, das sich seitlich der Gruft auf dem Hohen Chor erhebt. Ihm möchten wir auch die Ritterrüstung zuschreiben, die früher am Kirchenpfeiler über dem Grufteingang hing und jetzt wieder ihren alten Platz erhalten soll. (Siehe
"Lauenburgische Heimat", 5. Jahrgang, Heft 1 : "Die Ritterrüstung im Dom zu Ratzeburg".)

Das. andere, kleinere Gewölbe ist von Westen her, vom Mittelschiff aus betretbar. Durch eine kleine Lukenpforte, vor der jetzt die Gedenktafel für die im Weltkriege Gefallenen steht, gelangt man mehrere Stufen hinab in einen kurzen, schmalen Gang. Dieser mußte etwas verlängert werden, als der Chor um 1880 seinen westlichen Abschluß mit der Säulenbrüstung erhielt.
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4) Dieses Schädelkastens ist bereits oben Erwähnung geschehen, zum Beweise dafür, daß die Gruft schon früher belegt gewesen sein muß. Baumeister Rieckmann, der die Wiederherstellungsarbeiten um 1880 am Dome leitete, meint dagegen in seinem Büchlein über den Dom, diese Gebeine rührten wahrscheinlich von Toten her, vielleicht von längst verstorbenen Bischöfen, auf die man bei der Anlage der Gruft stieß, als der Boden um etwa 3 Fuß vertieft wurde, um eine genügende Höhe unter den Gewölbekappen zu gewinnen.

*) Es muß "ZINN" heißen. Vgl. hierzu den Aufsatz: Von Zink und Zinn und Mißverständnissen.

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Auf der rechten Seitenwand des Ganges befindet sich folgende Inschrift: "Im Jahre unseres Herrn 1911 sind diese Särge der Herzoge von Niedersachsen wieder in Stand gesetzt und die Gruft ist gereinigt worden."

Das Tonnengewölbe der Gruft entspricht ganz dem der anderen. Es ist nur 3,5 Meter lang und ebenso breit. In ihr stehen in westöstlicher Richtung swie in der anderen auch) drei lange und zwei kleine Särge aus Zink. Die Särge stehen aber hier auf steinernen, breiten Querschwellen, die fast kniehoch sind. Sie sind äußerlich sehr gut erhalten oder in Stand gesetzt. Ihre Außenseiten sind gleichfalls mit Wappen, Christusbildern, Inschriften, Bibelsprüchen reich und fein ziseliert.

Das große Reinemachen hat hier ebenso gewaltet, wie in der anderen Gruft. Nach den alten Verzeichnissen fehlen verschiedene Särge. Ihre Trümmer sind mit den Resten der Toten, auch denen der noch vorhandenen Särge, in einem der letzteren vereinigt.

Der erste Sarg, beim Eintreten links, war bereits vor 100 Jahren völlig zerfallen. Aller Wahrscheinlichkeit nach enthielt er die Gebeine Herzog Franz' I., der 1581 83jährig im Unglück "und in großer Armut" starb. Er war der Großvater Herzog Augusts. In der Gruft muß er die Reihe der hier Beigesetzten eröffnet haben.

Auch der zweite Sarg fehlt. Er hatte auf ersterem gestanden, und hatte diesen nicht nur zerdrückt, sondern war dabei selbst verbogen und zerfallen. Unter anderen Verzierungen trug er noch lesbar die Gravierung: V. G. G. S. G. Z. S. D. V. M. H. Z. S. E. V. W. W.; sowie "und ist ihr Alter gewesen 77 Jahr. Gestorben Anno 92." Es kann sich also nur um die Gemahlin des vorigen handeln: "Von Gottes Gnaden Sibylla Gräfin zu Sachsen Düringen und Meißen, Herzogin zu Sachsen, E. u. W. Witwe", Tochter Herzog Henrichs PII [sic!] von Sachsen, die 1592 77jährig starb.

Dann fehlt noch ein kleiner Kindersarg, der "ohne alle Verzierungen und Inschriften" war.

Der erste der jetzt noch stehenden ist auf flachem Deckel sauber verziert und mit schön gegrabener Inschrift versehen. Unter unkenntlich gewordenen Wappen stehen die Buchstaben: "G. H. - A. Z." Darunter, in Lapidarschrift: "OLYMPICIS NATALIBUS, 8. PHILIPPUS". Dann folgt eine lateinische Lobeshymne, deren Überschwang entschuldbar ist bei Toten. Es handelt sich um Herzog Philipp, den 1578 geborenen Bruder Herzog Augusts; er starb 1605.

Es folgt der mittelgroße Sarg des "Vreulein Sophia-Margarete, uff der Veste Ratzeburgk gebohren. . . Ao. 1622, Ao. 1637 . . . ihres Alters im 15. Jahre an den Flattern gar sanft und seelig gestorben..." Sie war eine Tochter Herzog Augusts.

Der nächste Sarg barg die ältere Schwester Herzog Augusts, Maria, erwählte Canonissin des Stifts Gandersheim, geb. 1576, gest. 1625. An Körpergröße hat sie ihrem Bruder anscheinend nur wenig nachgestanden; auch dieser Sarg mißt mehr als zwei Meter. War das vielleicht der Grund, daß sie unvermählt durchs Leben ging?

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Es folgen noch zwei Kindersärge, in denen zwei Söhne Herzog Augusts gebettet waren: Franz-August und Philipp-Friedrich, die, geboren 1623 bezw. 1627, bald nach ihrer Geburt gestorben sind.

Die Grüfte im Dom sind dumpf und feucht. Unterirdisch, gewähren ihnen die kleinen, stets verschlossenen Luken nicht genügende Lüftung. In der kleineren Gruft wuchert üppig der Schimmelpilz. Dies erklärt auch den fast völligen Verfall der Toten und der Holzsärge. Selbst die Zinksärge sind teilweise schon angegriffen. Der Dom, von
breiten Wassern rings umgeben, steht unter den Einwirkungen einer stets feuchten Luft, die zerstörend wirkt, im Gegensatz zu anderen bekannten Grüften, wie z. B. in Bremen und Quedlinburg.

Das Betreten der Grüfte ist heute verboten. Früher, da sie offen standen, soll in ihnen nicht stets der Ernst und die Achtung beobachtet worden sein, die sich an der Stätte der Toten geziemt. Sehenswürdigkeiten, Kunstwerke enthalten sie nicht. Dem Eintretenden wehen in Moderluft die Schauer der Vergangenheit entgegen. Unter den vielen frommen Sprüchen, die die Särge zieren und Zeugnis ablegen sollen von dem festen starken Glauben derer, die hier ruhen, findet sich auch Psalm 22: "Ich bin ausgegossen wie Wasser, alle meine Knochen haben sich getrennt. Meine Zunge klebt an meinem Gaumen und man leget mich in des Todes Staub."

In der kleineren Gruft befindet sich nun an der Ostwand dem Eingang gegenüber eine alte Inschrift, die nicht bedeutungslos ist, wenn sie auch noch nicht ganz aufgeklärt ist. Sie ist seltsamer Weise bisher ganz unbeachtet geblieben. Auf einer Fläche, die ungefähr 1 Meter breit und 66 Zentimeter hoch ist, steht auf Kalkgrund schwarz gemalt, teilweise unleserlich:
 

 

1581

 
..............................
Hartwich Wackerbarth
H.. d.. (?) Wackerbarth
Henning Dalldorff
Hartwig Dalldorff
............ Dalldorff
  Georg Jochen (?) Daldorff
Jo ---- Dalldorf
Christoph Schacke.
Christoff Dalldorff
Dietrich (?) Dalldorff
Jochen (?) Schacke.


Der Annahme ist Glauben beizumessen, daß diese 11 Männer, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts lebten, hier beigesetzt waren. 1581 ist das Todesjahr Herzog Franz' I., von dem wir - wie oben gesagt - mit Bestimmtheit wissen, daß er im Dom beigesetzt worden ist. Von der Wahrscheinlichkeit, daß sich früher sein Sarg in dieser Gruft befand, ist gesprochen.

An der Wiederbelegung alter Gräber und Grüfte hat man zu keiner Zeit Anstoß genommen. Schon die altägyptischen Könige handelten so. Nur die Muselmänner und Chinesen scheuen davor zurück.

Ungeklärt bleibt vorläufig, wo die älteren Toten des fürstlichen Hauses im Dome ruhen. Im Stammbaume der Herzöge führt R. Schmidt in seinen "Kunstdenkmälern des askanischen Fürstengeschlechts" deren 14 auf. Bei 7 von diesen ist der Verbleib unbekannt.

Andere Gewölbe befinden sich augenscheinlich unter dem Domchor nicht. Jedenfalls scheint erwiesen, was bereits alle früheren Forscher

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und Sachkenner angenommen haben, daß der Dom eine Krypta oder Grabeskirche nie gehabt hat. 5) Allerdings hat auch einmal der Hohe Chor eine nicht unwesentliche Erhöhung (durch Aufschüttung) erfahren: die Pfeilerfüße der Apsis sind von Boden bedeckt. Eine Bodensenkung von der Mitte des Hochaltars im Längenausmaße einer großen Gruft weist darauf hin, daß sich auch hier, unter dem Fliesenbelag, ein Grab befunden haben muß.

Von den Gräbern oder Reliquienschreinen der vier Dom-Heiligen, Ansverus, Evermodus, Isfried und Ludolf, welche unzweifelhaft im Chor ihre Stätte hatten, wird an anderer Stelle die Rede sein.

Ungewiß ist schließlich auch der Verbleib der Gebeine eines der späteren Mitglieder des herzoglichen Hauses, des Herzogs Magnus, der 1603 im Schlosse, im "Magnusturm", als Gefangener seines Bruders Franz I. starb. Sein Leichnam war anfangs in der Schloßkapelle beigesetzt worden. Als diese 1691 mit dem ganzen Schlosse abgebrochen wurde, deckte man die Gebeine auf, die vorläufig in die Stadtkirche überführt wurden, bis der neue Landesherr, Herzog Georg­Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg, sie "gegen Erlegung der Rekognitions-Gebühren in dem von Herzog August erkauften Grabgewölbe in der Domkirche beisetzen lassen konnte. 6) Vielleicht sind auch diese letzten Reste menschlichen Unglücks hineingetan worden in jene alte Holzkiste, die in der Gruft stand als Sammelstelle für überzählige Knochen.

SIC TRANSIT GLORIA MUNDI! So vergeht aller Ruhm der Welt! Dieser alte Spruch gebührt auch den Totengrüften jenes alten Geschlechtes, das längst vom Strom der Zeit hinweggespült und untergegangen ist, von dem nur wenig mehr erhalten ist als blasse Erinnerung.
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5) Siehe "Archiv" 5. Bd. Heft 1.
6) M. Schmidt, "Chronik von Ratzeburg", 1882.



 


 

 

 

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