Im Winter 1887/88 wohnte ich im Lauenburgischen,
nämlich in den Dörfern Anker, Kühsen und andern Dörfern in der Nähe Ratzeburgs.
In den Tagen von Weihnachten bis zum Silvester war damals keiner sicher, des
Nachts unliebsamen Besuch zu bekommen. Nicht nur die Knechte, nein, auch die
Bauern und Besitzer machten sich den "Spaß", des Nachts in die Schlafstuben
befreundeter Frauen einzusteigen und sie zu "steffen", d. h. man nahm der
Schlafenden die Bettdecke ab und verprügelte sie mit Ruten auf den bloßen
Körper. In einem der Dörfer, das ich hier nicht besonders nennen will, stiegen
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*) Herr DR. Martin Maack, dessen Feder wir den obigen Artikel verdanken, lebt
seit einer Reihe von Jahren in Ütersen, wo er sich neben belletristischen
Arbeiten (Romane: "Die Magd von Santa Catharina", "Vom Leben ausgestoßen" ; Das
Heimatspiel "Roggenwolf" u. a.) vorwiegend mit volkskundlichen Forschungen
beschäftigt. Aus Anlaß seines 35 jährigen Schriftstellerjubiläums,
das er in diesen Tagen feierte, sei daran erinnert, daß der Name Maacks im Jahre
1893 viel genannt wurde, als sein Drama "Eine neue Zeit"
aufgeführt wurde und alle Zeitungen Deutschlands zu dem Werke Stellung nahmen.
Die Schriftleitung.
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sogar die Dienstmädchen in die Schlafstube des unverheirateten
Lehrers, der aber rechtzeitig erwachte und die ihm unliebsamen Gäste mit einem
Retstock vertrieb.
Ich war damals noch sehr jung und fragte den Ortsvorsteher eines der Dörfer, wo
er sich gerade selber mit beim "Steffen" beteiligt hatte, warum man es tue, und
was es zu bedeuten habe. Er antwortete mir lachend: "Spaß sall jä man sien!"
Daß dies "Steffen" ein falsch verstandener Frühlingsgebrauch war, den man hier
in die Weihnachtszeit verlegt hatte, war niemandem mehr bewußt. Das Berühren mit
den fruchtbar machenden Frühlingszweigen soll Glück bringen. Diesen
Frühlingsbrauch hatte man verwechselt mit einem Brauch, der sich an den
Stephanstag anschloß (26. Dezember). Den Protomärtyrer Stephan,
den ja ein fanatischer Pöbel steinigte, denkt man sich in der christlichen
Legende als "unbesiegten Fahnenträger der Kirche" beritten. Ihm sind deshalb die
Pferde geheiligt. Am sie vor Hexen zu schützen, empfahl man sie am Stephanstage
dem Heiligen Stephan und glaubte ein weiteres tun zu müssen, wenn man sie mit
dem Quitschenzweig (Eberesche) berührte, um die Hexen zu vertreiben, welche in
den Zwölften Gewalt über das Vieh hatten. Der Knecht, der dies besorgte, wurde
von dem Bauern mit Getränk belohnt. Daraus entwickelte sich nun in einigen
Dörfern, weil man den Gebrauch nicht mehr verstand, die Sitte, sich heimlich in
die Ställe des Nachbarn zu schleichen, die Pferde zu striegeln und sich dann
dafür bewirten zu lassen. Schließlich entwickelte sich, weil man zuweilen den
Bauern durch Lärm auf der Diele erst aufmerksam machen mußte, die Unsitte, die
Pferde aus den Ställen zu ziehen, sie mit Ruten zu peitschen, sie mit vielem
Lärm auf der großen Diele umherzutreiben und sich dann bewirten zu lassen. Und
wieder ein Schritt zum entstellenden Unverstand war dann das Vermischen mit dem
Frühlingsgebrauch und das "Steffen" der Frauen und Mädchen im Bett.
In Lauenburgischen Dörfern habe ich auch damals noch den Glauben verbreitet
gefunden, daß die Pferde am Stephanstag (einige sagten am heiligen. Abend,
andere am Silvesterabend) sprechen können. Eine alte Bauernfrau sagte mir
freilich: "Nu glövt man dat jä nich rech mehr, aber fröher hett man dat doch vör
wohr holln."
Daß das Wort "steffen" eine Verstümmelung des Wortes Stephan ist, war manchen
Bauern noch bekannt, auch daß der Stephanstag irgendwie mit dem Wohlergehen der
Pferde zusammenhing! Derselbe Bauernvogt erzählte mir, daß sein Vater ihm gesagt
habe, daß der heilige Stephan am Stephanstage, seine fünf Rosse, zwei rote, zwei
weiße und einen Apfelschimmel, hinausführe und auf goldenem Sattel mit Goldzaum
sie zur Quelle reite. Er wußte auch einen Kinderreim, den ich übrigens auch
später in andern Gegenden Schleswig-Holsteins und in Dänemark antraf:
St. Stephan reitet die Fohlen ins
Wasser
Noch unter dem strahlenden Sternenzelt;
Denn euch ist heute der Heiland geboren,
Der erlösen soll die Welt. |
Hier ist deutlich zu erkennen, wie sich die christliche Kirche
einen altheidnischen kultischen Gebrauch angeeignet hat. Stephan tritt hier an
die Stelle des Frey. An den Freykult erinnert auch noch der Stephanswettritt,
der in den obengenannten Dörfern freilich nur noch in einer Andeutung zu
erkennen war.. Man glaubte nämlich, daß der, welcher nach dem Kirchgang am
Stephanstage zuerst von der Kirche zu Hause ankam, seine Ernte zuerst in die
Scheuen und unter Dach und Fach bekam, so daß sich also nach der Kirche eine Art
Wettfahrt in dem eiligen nach Hause fahren entwickelte.
Gewöhnlich dachten sich unsere heidnischen Vorfahren Frey auf einem
goldborstigen Eber reiten, aber dennoch war er ihnen auch der Beschützer der
Pferde; und gerade in dieser Eigenschaft sind kultische Gebräuche, die ihm
geweiht waren, im Volksempfinden erhalten geblieben, was ja bei der Bedeutung,
die das Pferd für die Landwirtschaft hat, leicht zu verstehen ist, da es für
jeden Landmann von Belang war, sich den Segen dieses Gottes für Stall und Feld
durch Opfergebräuche zu sichern.
Daran erinnern auch noch die Pferdeköpfe aus Holz, die man als Windbretter der
Bauernhäuser findet. Frey zu Ehren opferte man im Walde das
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Pferd, nahm aber den Kopf mit nach Hause und steckte ihn auf den
Zaun oder das Dach als Neidstange mit offenem Maul dem Feinde entgegen, damit er
alles Unheil von dem Hause fern halte. Auch im Volksglauben unserer Landleute
schützen diese Pferdeköpfe vor Unheil, besonders gegen Gewitterschaden. Da aber
das Unheil von außen kommend gedacht wird, so müssen die offenen Mäuler nach
außen stehen. Wo die Köpfe nach innen schauen, hat der Darsteller den
eigentlichen Sinn nicht mehr gekannt. *)
In obengenannten Dörfern, wo damals noch allgemein mit der Hand gedroschen
wurde, übte man große Sorgfalt bei der Anlage der Lehmdiele. Man legte stets
einen Pferdekopf unter die Diele. Aber den Wert war man freilich verschiedener
Meinung. Einige meinten, es geschehe, um einen besseren Klang beim Dreschen zu
erzielen. In Wirklichkeit ist es auch hier ein Überbleibsel eines Opferdienstes,
wie das Vergraben ja im Volksglauben eine große Rolle spielt. Auch der Glaube,
daß zuweilen ein weißes Füllen aus dem Wasser steige, das man nicht verjagen
dürfe, sonst gäbe es Dürre, war in genannter Gegend noch verbreitet.
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*) Unsere Leser erinnern sich, daß Prof. DR. Volkers in seinem Aufsatz über
das lauenburgische Bauernhaus auch andere Deutungen für möglich hält. (S. Jahrg.
3, S. 92 f.)
Die Schriftleitung.
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