Rickmann in seinem dankenswerten kleinen Buche
über die Domkirche sagt auf der vierten Seite: „Neben dem
südlichen Eingänge zur Domkirche ist eine Sandsteintafel *)
eingemauert mit folgender Inschrift: ANNO DOMINI MCXLIIII
3 IDUS AUGUSTI FUNDATA ET CONSECRATA EST RACEBURGENSIS
ECCLESIA CATHEDRALIS AB ILLUSTRISSIMO PRINCIPE DUCE HINRICO
BAWARIE ET SAXONIE QUI OBIIT ANNO MCXCV ORATE PRO EO. Den
Schriftzeichen nach ist aber AUCH DIESE Tafel (er meint nemlich
[sic!], daß der Heinrichstein mit seiner Inschrift über den
Grafen Heinrich von Badewide "in späterer Zeit, vielleicht im
15. Jahrhundert" gefertigt sei) später gefertigt
worden, etwa im 15. Jahrhundert, und sind ihre
Angaben mit den übrigen geschichtlich nachweisbaren
Begebenheiten nicht in Einklang zu bringen. Im Jahre 1144
war Heinrich der Löwe erst 15 Jahre alt und konnte
doch wohl kaum schon die Gründung der Kirche vornehmen, es sei
denn daß Solches von er Regentschaft in seinem Namen geschah;
noch weniger aber konnte sie schon von ihm eingeweiht werden, da
dieß doch erst nach Vollendung der Kirche, und überhaupt nicht
von einem Herzog geschehen konnte. Man hat daher annehmen
wollen, daß in Bezug auf das FUNDATA ein Fehler vom Steinmetz
begangen wurde, der in der Jahreszahl versehentlich VOR der
Ziffer L statt dahinter die Ziffer X
einmeißelte, dann würde die Jahreszahl MCLXIIII
lauten."
Es gehört ein starkes Stück von Glauben dazu, anzunehmen, daß
der Auftraggeber die Tafel mit der durch den Fehler so
vollständig verpfuschten Inschrift so hat einsetzen lassen. Und
es ist ander
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*) Die Herren Architekten nehmen es nicht selten mit
Bezeichnung der Werkstoffe nicht ängstlich genau und verschmähen
die chemische Prüfung, wie auch die mit dem Messer oder besser
mit den Zähnen. Gelehrte sind nicht stets sorgfältiger; Hellwig
erklärte die Tafel für ein Erzeugnis des "Ziegelbäckers", dem
dann allerdings eine Dummheit wohl zuzutrauen war!
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weit bezeugt, daß nicht 1144, nicht 1164,
sondern 1154 das Jahr der Gründung der Ratzeburger ECCLESIA
CATHEDRALIS ist. So schien trotz der allgemeinen Übereinstimmung in bezug auf
den Wortlaut eine auf eigene Untersuchung sich neu gründende Feststellung
wünschenswert. Ich habe sie am 26. Mai d. Js. vorgenommen. Was
ergab sie?
Die Zahl bedeutet gar nicht 1144, sondern das angebliche X
ist kein X, was sich zunächst aus der Vergleichung mit den beiden
anderen in der Inschrift vorkommenden X ergibt, sondern es ist ein
nur nicht ganz deutlich ausgeführtes E, das heißt ET,
zu deutsch UND. So bezeugt sich der 11. August 1154.
Daß man das Datum gekannt hat, bezeugt sich selbst, und daß man es hat wissen
können, ist ganz natürlich. War es doch überall Gebrauch, daß die Tage wichtiger
kirchlicher Vorgänge in den Festkalendern angezeichnet wurden, namentlich der
Weihungen. Darüber sind freilich die Jahreszahlen oft vergessen worden; das kann
man fast bei jeder Kirchweihfeier mit erleben. Daß man zu Ratzeburg beim
Domkapitel sie nicht vergessen hatte, zeigen die Nachrichten und bezeugt nun der
Wortlaut der Inschrift.
Auch über die Zeit der Anfertigung der Tafel, die, wie der Augenschein zeigt,
sehr sauber und gut in GOTLÄNDISCHEM KALKSTEIN gefertigt ist, kann kein Zweifel
bestehen. Gleich der erste Buchstabe, wie die Form des Wappenschildes, bezeugen
die um 1500, und es kommt dazu die Zahl 3 in
arabischer Ziffer, statt der im Mittelalter gebräuchlichen III.
Die neuen Ziffern sind vor 1500 nur ausnahmsweise angewandt
worden; hier veranlaßte der Mangel an Raum, und die unmittelbar vorhergehenden
vier I, nicht nochmals drei I folgen zu lassen.
Es ist also von Heinrich dem Löwen der Grundstein am 11. August
gelegt, und zwar unter Vornahme der selbstverständlichen kirchlichen
Feierlichkeit, wobei dem zuständigen Bischof Evermod ohne Zweifel die Weihung
des Platzes zufiel, den der Graf Heinrich zu dem Zwecke auf Veranlassung des
Herzogs abgetreten hatte. Die besondere Erwähnung der Weihung ist uns nicht ohne
Bedeutsamkeit; denn sonst könnte man, wenn man wollte, das Datum auch auf die
Stiftung des Bistums beziehen.
Wer die beiden Dome, den Lübecker und den Ratzeburger, genau kennt, dem fällt
ein Gleichgang in ihrer Geschichte auf. Sie verdanken nicht bloß den Ursprung
demselben mächtigen Herrn, wie denn das Aufleben der beiden Bistümer
gewissermaßen eine einzige Handlung gewesen ist - nachher war auch nachbarliche
Eifersucht bewegend. Am Ratzeburger Dome war das Glanzstück die schöne Vorhalle,
jetzt zu einer Winter- und Notkirche eingerichtet, vordem, bis gegen 1880,
was schon ganz vergessen ist, frei und luftig mit zwei großen Portalen offen.
Die Lübecker überboten das bald und setzten vor das Hauptportal das wunderbare
Paradies, das Juwel des Übergangsstils, wie es mit Recht heißt. Wenn dann ein
paar Jahrhunderte später am Schiffe eine Denktafel angebracht worden ist,
erinnernd an DESSEN Erbauung zu Ehren St. Nikolai, und die damit
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verbundenen Feierlichkeiten, wofür die Jahreszahl nicht ganz
genau, sondern rund auf 1170 angegeben ist, so spricht sich in der
Anbringung der entsprechenden Inschrift am Ratzeburger Dome unzweifelhaft nicht
ein zufälliger Gleichgang der Ereignisse aus, sondern eine bewußte Absicht.
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