Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1929



Der Apostelaltar im Ratzeburger Dom.

Von F. v. NOTZ.

 

A. Der Altarschrein.

Ein gotischer Flügelaltar, war er ursprünglich der Aufsatz des Hauptaltars, nachdem ihm der noch ältere, wahrscheinlich romanische, hatte weichen müssen. Aus dem 15. Jahrhundert stammend, enthielt er jene ersten silbernen Figuren, die Mansfelds Landsknechte und Bilderstürmer 1552 raubten.

Der seines Schmuckes entblößte Altar wurde zur Seite gerückt, als der jetzt noch stehende riesige Barockaltar des Domprobstes Hart-
 



Abb. 1.   Phot. A. Hannig, Ratzeburg.
Der Apostelaltar im Ratzeburger Dom.


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wich von Parkentin 1629 aufgerichtet wurde. Doch auch er wurde an dem Platze, den er noch heute inne hat, neu instand gesetzt, wie seine Überschrift in vergoldeten Buchstaben besagt:

"Zu Gottes Ehren und nach gethanem Geluebde hat Herr Hartwich von Bülow, Dom Dechant des Stiftes und erbgesessen zu Pokrent, auf seine Kosten diese vergoldete Altartafel mit des Herrn Christi und dessen zwölff Apostel von Silber gegossenen Bildnissen zieren, auch die eingesetzte aus einem Stein gehawene Tafel reparieren, und alles was dran und umb ist, fertigen und an diesem Orte aufrichten lassen, nach Jesu Christi Geburth im 1634 Jahre."

Außen wie innen erhielt der Schrank den damals üblichen barocken Schmuck. Er ruht auf zwei Paaren marmorierter Holzsäulen. Ihn krönen drei Wappen. Das größere in der Mitte ist das des Stifters. Die Umschrift wiederholt seinen Namen und Stand. Die beiden kleineren sind die der Eltern, links: "Hans von Bülow, Vater", rechts: "Dorothea geb. von Weye, Mutter".

Der barocke Seitenschmuck des Altarschreines, holzgeschnitzt, riesigen Ohren gleich, wird, nicht zum Schaden des Gesamteindrucks, meist von den geöffneten Altarflügeln verdeckt. Auf der Steinwand über und neben dem Altäre war früher "ein blaues Gewand" - wohl nach Art der Wappenmäntel - gemalt, auf welchem geschrieben stand: "Der Segen des Herren komme ueber den, der dieses Werk bewahren helfft". Diese Malerei ist heute verschwunden.

Das Innere des Altarschrankes zeigt in der breiten Mitte unten ein buntes Steinbild, dic Leidensgcschichte Christi. Es wird in einem späteren Abschnitt besonders behandelt werden. Der Raum daneben und darüber enthält 12 Nischen für die Apostel und eine größere Mittelnische oben für den "SALVATOR MUNDI". Ausgeschnittene vergoldete Blechrahmen, barock und wenig schön, in denen sich wiederholt die Initialen Bülows: H. H. v. B. vorfinden, bilden die Umrahmungen, vergoldcte Tapeten den Hintergrund.




Abb. 2.  Phot. A. Hannig, Ratzeburg.
Die silberne Christusfigur im Ratzeburger Dom.
 

In diesen Fächern standen ehedem die dreizehn Figuren "in starkem Silber gegossen; inwendig hohl, durchgängig wenigstens in der Dicke eines Guldens". Christus, "mit der verguldeten
 

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Weltkugel in der Hand, ist beinahe zwei einhalb Fuß hoch. Die Apostel sind etwa 16 Zoll hoch, mit beigefügten Zeichen ihres Märtyrertodes. Ohne die Postamente von Holz wogen sie: der Salvator 21 Pfund, die Apostel zwischen 3 1/4 und 5 1/2 Pfund; zusammen 76 1/2 Pfund". Als sich 1813 wieder einmal die Kriegsfurie dem Lande näherte, wurden die Figuren vorsichtshalber nach Strelitz in Sicherheit gebracht. Ihr Wert wurde dabei mit 1300 Reichstalern angegeben. (Das Porto betrug 10 Taler 12 Silbergroschen.) Nach Wiederkehr friedlicher Zeiten nahmen sie ihren alten Platz im Schranke wieder ein, in dem sie "wohlverwahrt" schienen. *)

Die Sorge um sie war berechtigt. Schon der fromme Stifter hatte einen fürchterlichen Fluch verfaßt, um ruchlose Diebeshändc fern zu halten. Noch heute ist er unter dem Schranke zu lesen: "Wer an diesem, zu Gottes Ehren, dieser Kirchen Zierde und Dankbarkeit allhir aufgerichtetem und geheiligtem Werke das Geringste wissentlich besuldelt, zerbricht, verletzet, oder davon entwendet, der sei verflucht an allen seinen Gliedmaßen, an allen seinen Guetern, an allen Orten, und zu allen Zeiten, und dieser Fluch bleibe kreftig, wan schon einer sagen wuerde: Der Segen des Herren sey ober dich".

Das hat Übeltäter dennoch nicht abzuschrecken vermocht. In der Nacht vom 23. zum 24. Januar 1830 fielen die Silberfiguren verbrecherischer Habgier zum Opfer. Einbrecher, die durch ein eingeschlagenes Kirchenfenster eingestiegen waren, stahlen sie. Nur der Christus fand sich wieder, anderen Tages auf dem Kirchhofe, tief im
Schnee versunken. Die Diebe hatten ihn auf der Flucht verloren, oder wegen seiner Schwere weggeworfen. Der damalige Domprobst, der wackere und hochverdiente Pastor Arndt nahm sich den Kummer und die Widerwärtigkeiten, die der freche Diebstahl dieses Schatzes seines so geliebten und von ihm so lange betreuten Gotteshauses verursachten, so zu Herzen, daß er bereits am 12. Februar starb.

Von den Dieben und ihren Hehlern hat man nie etwas erfahren. "Ab und zu ist im Laufe der Jahre Kunde von Geständnissen aufgetaucht", so berichtet Amtsgerichtsrat Dührsen (im Archiv 2/1 von 1887) "die von Sterbenden mit Beziehung auf diesen Kirchenraub dem herbeigerufenen Prediger anvertraut wurden, aber Anhaltspunkte scheinen sich daraus nie ergeben zu haben. ... Erst kürzlich wieder ging durch die Lauenburgischen Zeitungen die Mitteilung, daß eine alte Frau auf dem Sterbebette ihrem Beichtiger Enthüllungen, die sich auf den Kirchenraub bezogen, gemacht habe. Übrigens kann das Interesse an der Aufklärung nur ein historisches sein, da die Strafverfolgung längst verjährt ist". Die gemeine Tat ist ungesühnt geblieben; die Figuren sind wohl längst eingeschmolzen. Der silberne Christus wird seither in sicherem Verwahrsam gehalten.

Die Figur einschl. des kleinen silbernen Bodenstückes, aber ohne den Nimbus über dem Haupte, hat eine Höhe von 78 cm. Der Nimbus ist unecht, in Kupfer nachgemacht, wie unter der schadhaften Vergoldung zu sehen ist. Die Figur ist nicht unschön modelliert;
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*) Nach Aufzeichnungen des Domprobstes Arndt um 1813.

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an dem Gewande ist mit Ziselierung nachgearbeitet. Aus dem Sterne auf der vergoldeten Weltkugel in der Linken des Erretters ist einer der Strahlen ausgebrochen.

Die Rückseite der Figur zeigt unten am Bodenstück drei Silberstempel eingeschlagen. Sie sind aber kaum zu entziffern. In dem einen ist ein Wappenschild zu erkennen, in dem sich ein Quadrat befindet, dessen eine Ecke rechtwinklig ausgeschnitten ist. Vielleicht gelingt es hiernach noch einem Sachverständigen, die Herkunft des Stückes zu ergründen. Immerhin darf angenommen werden, daß die Silberfigur wirklich der Zeit des Domdechanten von Bülow entstammt und nicht etwa älter ist.

Der schwarzangestrichene Holzsockel, auf dem die Figur festgeschraubt ist, mißt 12 cm Höhe. Die Vorderseite zeigt in weißer Majuskelschrift die Worte SALVATOR MUNDI. Die den Sockel schmückenden Holzleisten oben und unten haben sich losgelöst.

Die gestohlenen 12 Apostel sind durch kleine versilberte Porzellan-Nachbildungen der Thorwaldsen'schen in der Kopenhagener Frauenkirche ersetzt. Sie stiftete 1895 ein Bülow'scher Nachfahr, der Mecklenburgische Staatsminister von Bülow-Rodenwald. Allerdings wollen sie nur als ein Notbehelf erscheinen, vermehren sie doch den
Misch-Masch der Stilarten des Schrankes.

In dem für den Christus bestimmten Mittelfache gähnt die Leere. Das mag ja beim Vortrage des Führers durch den Dom belehrend wirken auf solche, die noch nicht wissen, was für schlechte Menschen es früher einmal gegeben hat, dennoch wäre es um des Gesamteindruckes des Schrankes willen wünschenswert, wenn das Fach wieder ein
Abbild des Erlösers erhielte. Der Kirchenbehörde kann nicht zugemutet werden, Silberfigur und Dom abermals Gefahr laufen zu lassen. Zudem stehet geschrieben: "und führe uns nicht in Versuchung".

Es ist aber doch zu bedauern, daß die wertvolle Figur im Dunkel ihrer jetzigen Schutzhaft ein höchst zweckloses Dasein vertrauert. Könnte nicht eines der großen staatlichen Museen sie unter seinen anderen wohlbewachten und gesicherten Schätzen aufnehmen und dem Dome, der deswegen sein Eigentumsrecht keineswegs aufzugeben braucht, ein Abbild stiften? Es müßte aber dieser Christus wieder sein! Aus dem oben angedeuteten Grunde ist der Thorwaldsen'sche "segnende Christus" früher bereits abgelehnt worden.

Schließlich, wenn sich eine solche Möglichkeit nicht findet, könnte hier aushilfeweise und gewiß wirkungsvoll der altertümliche, holzgeschnitzte Christuskopf eingesetzt werden, der jetzt in der Eingangskapelle des Domes über dem Portal zum Kirchenschiffe kaum beachtet hängt. Er stellt wahrscheinlich einen Ausschnitt dar aus dem
"Schweißtuch der Veronika" einer längst zerstörten spätgotischen Martersäule. Auch er trägt in der Überschrift als den Namen des Erneuerers den des Domdechanten Hartwich von Bülow, 1638.

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B. Die Altarflügel.

Vor nicht langer Zeit erst ist der alte Flügelaltar zu einem Wandelaltar gemacht worden dnrch Hinzufügung eines zweiten Flügelpaares, das sich im Dome ohne Schrank vorfand.

Die beiden äußeren Flügel sind die Türtafeln, die unzweifelhaft zum Apostelschranke gehören. Außen auf Leinewand, innen auf Kupferblech zeigt eine jede in zweimal vier Ölgemälden das Leben Jesu Christi:


links außen:

 

  1) Mariae Verkündigung, 2) Christi Geburt,
3) Beschneidung, 4) Anbetung der heil, drei Könige;
 

rechts außen:

 

  5) Darstellung im Tempel, 6) Taufe.
7) Einzug in Jerusalem, 8) Abendmahl;
 

links innen:

 

  9) Gefangennahme, 10) Verspottung,
11) Geißelung, 12) Dornenkrönung;
 

rechts innen:

 

  13) Anheftung ans Kreuz. 14) Kreuzesabnahme,
15) Höllenfahrt, 16) Himmelfahrt.


Die Malerei hat sich, wie schon früher bezeugt wird, gut erhalten. Sie ist wirkungsvoll und nicht unschön. Aber die ursprüngliche alte Malerei des gotischen Altars ist sie nicht. Dem Anschein nach ist sie erst bei der Wiederaufrichtung des Altars um 1634 entstanden. Vielleicht finden sich noch unter ihren Farben die alten Bilder vor.

Das andere Flügelpaar, Türkasten, stand lange verwahrlost und zerbrochen in den Winkeln und auf den Böden des Domes herum, bis es 1911 einer durchgreifenden und auch guten Instandsetzung unterzogen wurde, wobei man es dem Apostelschranke anfügte. Seine Größe entsprach der der richtigen Flügel so vollkommen, daß man annchmen mochte, es habe gleichfalls ehedem zum Schranke gehört.

Außen zeigt es traurige Reste weit älterer und einstmals sicherlich vortrefflicher Malerei. "Jede Möglichkeit der Wiederherstellung war leider ausgeschlossen. Die kreideweißen Grundflächen überwiegen. Der Hauptteil der Malereien ist abgebröckelt". *) Von den zweimal vier Bildern sind noch feststellbar auf dem einen Flügel Teile von "Christus vor Pilatus" und von der "Verspottung". Der andere Flügel zeigt sehr lückenhaft "Geißelung, Kreuzigung und Grablegung Christi", also alles Wiederholungen der auf dem anderen Flügslpaar vorhandenen Szenen.

Der Malerei wurde ein hoher Wert beigemessen: "Ihr Schöpfer muß allem Anschein nach der Zeit und der Schule Zeitbloms oder Michael Wohlgemuts angehört haben". "Man hat es bei dem Altar mit einem der schönsten spätgotischen Werke zu tun. Er überragt m. E. an Wert die sehr ähnlichen Altartafeln in St. Jürgen zu Wismar und auch die der Malchiner Stadtkirche, welche Schlie unter Hinweis auf die ähnlichen Werke zu Ratzeburg für die wertvollsten in Mecklenburg erklärt."

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*) Diese und die nachfolgend durch Anführungszeichen hervorgehobenen Sätze sind aus Berichten des Domprobstes Ahlers, um 1911, der die Wiederherstellung des Apostelaltars bewirken ließ.

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Die Innenseiten, die Kasten, enthalten gut wiederhergestellt zweimal acht Apostel- und Heiligen-Figuren in prunkvoller Ausstattung (siehe Bild 1). Die Figuren sind holzgeschnitzt, etwa 80 cm hoch und bunt bemalt unter reichlicher Anwendung von Gold und stehen in Nischen unter vergoldeten gotischen Baldachinen. Die Apostel
sind erkennbar an den ihnen gebührenden Attributen. Die rechte Seite eröffnet Maria mit dem Jesusknäblein. Ein gekrönter Fürst, ein Kirchenabbild in den Händen, schließt sie ab. Unter den Figuren links findet sich auch der erste Dom-Heilige Anverus, erkennbar an dem Abtstab und den Steinen in den Händen. Zwischen den großen Figuren standen einst auf Pilastern 20 kleinere, dis nur etwa 20 cm groß waren. Sie sind verloren.

Apostelfiguren im Schrank, Apostelfiguren außen in den Schranktüren, diese Anhäufung beweist, daß sic ursprünglich nicht zusammengehört haben können.

Sie werden aber gleich alt sein, der eigentliche Altar und die Kastenflügel mit ihren Figuren, wie übereinstimmende feine Einzelheiten beweisen. Im Schranke hat nämlich die barocke Umwandlung Reste der gotischen Fächerwände an der Salvator-Nische bestehen lassen, geschnitzte dünne Säulchen, die eine glatt, die andere gewunden, auf denen kleine Figürchen stehen, die von Baldachinen überragt werden, genau so, wie es auf den Kastenflügeln der Fall war.

Das Ganze wird also dem Ausgange des 15. Jahrhunderts zuzurechnen sein. Das Lübecker St. Annenmuseum zeigt einen ähnlichen Altar spätgotischer Arbeit, der die Zahl 1496 trägt.

Die Wiederherstellung der Holzfiguren und Bilder bewirkten um 1911 Bildhauer Heit in Flensburg und der mecklenburgische Maler Willi Schomann in Charlottenburg. Es waren allein an die 20 Händchen bei den Schnitzfiguren zu ergänzen. (Die Kosten betrugen fast 2500 Mark.)

Schomann hat bald darauf bei Ypern den Heldentod fürs Vaterland gefunden.

Herr Hartwich von Bülow, der fromme Dom-Dechant, der den Apostelaltar wieder aufrichten und neu ausstatten ließ, hat sich auch sonst um den Dom hochverdient gemacht. In einer Zeit, die das Alte nur zu oft zugunsten einer neuen Kunstrichtung verwarf, die auch das Dom-Innere gänzlich neu zu gestalten suchte, hat er manch
Wertvolles erhalten und dadurch der Nachwelt bewahrt. Wenn dabei in Zutaten und Abänderungen dem Geschmack der Zeit Rechnung getragen wurde, was manchem heute nicht mehr gefallen will, so müssen wir bekennen, daß bis in die neueste Zeit keine der verschiedenen Epochen der Bau- und Kunstgeschichte des Domes davon
frei geblieben ist.

Hartwich von Bülows großes Epitaph, von der Meisterhand Tidges aus Rotenburg geschaffen, sowie sein großer wappengeschmückter Leichenstein erheben sich in der nördlichen Seitenkapelle, Rücken an Rücken mit dem Apostelaltar, von diesem nur durch die Chorwand geschieden. Sein Leben war reich an Kummer, über sein Grab­
denkmal ließ er die Worte schreiben: "Mein Trauern hat Ursach".

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Aus seinem Vermächtnis wurde auch der große Kronleuchter beschafft, der den Chor ziert. In Erkenntlichkeit spricht daher der Volksmund von dem Bülow-Altar, von der Bülow-Kapelle und der Bülow-Krone.

Bülow's reiche Schenkungen an den Dom zu Zeiten grimmigster Not und allgemeiner Verarmung inmitten des dreißigjährigen Krieges erregen mit Recht Verwunderung. Ähnliche Freigebigkeit erkennen wir aber auch sonst noch bei mancherlei Gaben der damaligen Zeit. Fromme Gelübde haben dabei mitgesprochen.


(Schluß in der Oktobernummer.)



 


 

 

 

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