Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]
Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1930
Vom Raden. *)
Von Pastor LAAGE, Brunstorf.
Vor einiger Zeit erschien in meiner Wohnung
ein Mann aus einer Nachbargemeinde, der sich viel mit dem
"Raden" abgibt. Ich bat ihn, mir einiges über seine Heilmethode
mitzuteilen. Nach einigem Bedenken ging er darauf ein. Ich gebe
im Folgenden seine Ausführungen wieder, wie ich sie zum größten
Teil nach seinem Diktat niederschrieb. Ich bemerke dazu, daß der
Mann ein fehlerfreies Hochdeutsch sprach. Was im Folgenden
hochdeutsch wiedergegeben ist, ist also nicht etwa von mir aus
dem Plattdeutschen übertragen, sondern ist getreue Wiedergabe
des Originalberichts. 1. Die Rose. Viele machen den Fehler, daß sie nicht
zwischen den verschiedenen Arten der Rose unterscheiden. Es gibt
vier Arten der Rose: Behandlung. KOPFROSE. WUNDROSE. Man nimmt drei Stecknadeln
und drei Rosenblätter. Die drei Rosenblätter steckt man mit den
drei Stecknadeln am Rand der Rose ganz oberflächlich auf der
Haut in gleicher Entfernung voneinander fest. Hat man keine
Rosenblätter, so begnügt man sich mit drei Stecknadeln. Dann
zieht man eine Stecknadel wieder heraus und umzieht damit die
Rose in Kreisform. Doch muß man die Stelle, an der die Rose
entweichen soll, offen lassen. Bei Männern kann man die Rose
stets nach unten abtreiben. Bei Frauen darf die Rose nicht in
die Haare und nicht in die Brüste getrieben werden. Man umzieht
die Rose in dieser Weise dreimal. Dabei spricht man unhörbar,
höchstens darf man die Lippen dabei bewegen: "Soli Deo gloria!
Die Rose soll nicht blühen. - Die Rose soll nicht ziehen. - Die
Rose soll nicht weitergehen. - Sie soll in Gottes Namen stehen.
- Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen
Geistes." Auch folgende plattdeutsche, wenn auch nicht so
wirksame Formel wird angewandt: "Dei Ros, dei Blatterros. - Alle
Klocken klingen. - Alle Vagels singen. - Alle Gauden. dei sält
läben. - Dormit still ik disses Wäsen." Auch Die Schriftleitung.
1930/1 - 11 WIRKUNG. Die Rose kommt sofort zum Stehen, d. h. die Geschwulst geht nicht weiter. Nach einer Stunde schon bilden sich weiße Streifen, die über die Rose ziehen und die Heilung einleiten. Noch nicht verschwindet die Hitze, die man erst vertreibt durch DIE NEBENBEHANDLUNG. Man nimmt einen Beutel von abgetragenem Leinen. Darin tut man Roggenmehl oder noch besser Roggenkleie. Diesen Beutel legt man wie eine kleine flache Steppdecke auf die Rose. Der Kranke spürt sofort Erleichterung. Man läßt den Beutel in der Stubenluft abkühlen, um ihn abgekühlt wieder aus die Rose zu legen. Die Rose darf auf keinen Fall von Kälte oder Zugluft berührt werden. Deswegen darf der Beutel auch nicht in der freien Luft abgekühlt werden, ERFOLGE. Nach Behauptung meines Gewährsmannes steht bei seiner Behandlung die Rose sofort. Er nennt zahlreiche Geheilte. Zwei junge Leute, darunter der Sohn eines Arztes, seien zu ihm gekommen, der eine mit einer tief in den Arm eingefressenen Wundrose, an der er drei Monate lang von einem Hamburger Arzt vergeblich behandelt sei. Er selbst habe ihn durch zweimaliges Besprechen geheilt. WIRKENDE KRAFT.
Mein Gewährsmann berichtet. daß er sich nach jedem Besprechen
sehr matt fühle, als wenn eine Kraft von ihm ausgegangen sei. wie er es auch z.
B. beim Stillen einer Blutung fühle. Trotzdem sei er imstande, bei sich selber
die Rose zu raden. Einmal habe er die Rose gehabt. Eine Frau, die er das
Besprechen der Rose gelehrt habe, habe versucht, ihn zu behandeln. sei aber
schwach dabei geworden. Da habe er die Kopfrose bei sich besprochen wie oben
angegeben. Nach zwei Stunden sei er geheilt gewesen. 2. AUSZEHRUNG.
Die Auszehrung besteht in einer allgemeinen Körperschwäche und
einem Schwund der Kräfte und des Gewichtes. Bei den kleinen Kindern bilden sich
an den Fingerspitzen, dem Fingernagel gegen-
1930/1 - 12 BEHANDLUNG (diktiert):
Gah an einen Awtbom, mak drei Krüzen in Gottes Nam, das soll
heißen: Sprich in Gedanken: "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen
Geistes". Bräk Holt von den Bom und segg: "Ik nähm din Holt för - -" (folgt der
volle Name) "und bring di’t wedder tau Städ, dat du sin Krankheit up di nimmst,
und hei geiht alle Wäg." Mit den’n afbraken Twieg gah in’t Hus, nemm’n reinen
Pott mit rein Water, und segg: "Dei hilgen Dinger sünd nägen: dat Swart, dat
Witt, dat Gäl, dat Gräun, dat Blag, dat Rod, dat Hitteln - soll heißen: das
Hitzende - dat Ketteln, dat Swillen - soll heißen: das Schwellende - will ik
stillen· Fulgura frango. Im Namen usw." Bi Swart fang an und bräk ein Stück von
den’n Twieg af, bi Witt dat Tweite, smiet dat jedesmal in’t Water und so
nägenmal, dat dei Stock all is. Weck Stöcker swemmt, weck Stöcker stellt sick
in’t Water hen, weck gaht ünner. Dat mütt nu makt warden, bit alle Stöcker
swemmen. Denn mütt’n dei Stöcker wedder nah den’n Awtbom henbröcht und dor
ingravt warden. WIRKENDE KRAFT. Beide, der Behandelnde und der Behandelte, fühlen sich unmittelbar nach der Behandlung sehr matt, ein Zeichen, daß von dem Behandelnden eine Kraft ausgeht. Daher kommt es auch, daß nicht jeder raden kann. Ein Bauer habe zu ihm gesagt: "Du büst 'n Uterwählten." Auf die Formel kommt es nur insofern an, als sie dem Behandelnden Sicherheit verleiht. Die Kraft, welche die Stöcker untergehn läßt, ist unerfindlich. Wir sind da auf das Glauben angewiesen. Dieselbe Kraft, die durch die giftigen und daher oft schädlichen Arzeneimittel wirkt, ob man sie nun Gott oder Natur nennt, ist wirksam auch beim Raden. - Dies sind meines Gewährsmanns eigene Ausführungen. wie er sie auch gegen einen meiner Amtsbrüder entwickelte, der das Raden für Sünde hielt. ERFOLGE.
Nach Angabe des Mannes hat er unzähligen Kranken geholfen, deren
mir bekannte Namen er angibt. Ein Beispiel: In Bergedorf ist ein junges Mädchen
schwer krank, dessen Bräutigam seine Hilfe gesucht hat. Der Mann kommt nach
Dassendorf zu dem Großvater des Bräutigams. Der fragt, wie es mit der Braut
seines Enkels stände. Es ist nachmittags um 5 Uhr. Der Mann radet, und alle
Stöcker gehen unter. Der Großvater fragt: "Woans geiht dat?" Antwort: "In
Bardörp is dat schlecht." - "Is sei dot?" - "Wenn noch nicht, denn dicht dorbi."
- Um 6 Uhr kommt die telephonische Nachricht, daß die Braut gestorben sei. 1930/1 - 13 3. GELBSUCHT.
Wie bei der Auszehrung. Nur, daß hier die Formel lautet: "Du,
Water, nemmst dei Suchten von (folgt voller Name), as dor sünd: dei Lungensucht,
dei Swindsucht, dei Gälsucht, dei Lähnsucht, *) dei Slapsucht, dei Fallsucht und
dei all sünd hier, dei makst du schier." Auch diese Formel wird eingeleitet
durch "Soli Deo gloria" und beendet durch "Im Namen usw." Die Stöcke, die man
uach und nach ins Wasser geworfen hat, werden verbrannt. Das Wasser wird über
die Grenze des Hofes getragen, am besten auf die Straße, wo es keinem schaden
kann. 4. BLUTSTILLEN. Der Behandelnde denkt bei sich, wenn er in die Stube kommt: "Großer Gott, durch deine Huld vergib mir alle meine Schuld!" Dann geht man zu dem Kranken, legt die Hand mit dem Daumen auf die offene bluteude Wunde, sieht dem Kranken fest in die Augen und sagt: "Blut um Blut. Du bist mir schuldig. Einem Schöpfer nur ich huldig’." Dies nur einmal, während das Folgende dreimal gesprochen wird: "Glückselige Wunde! Glückselige Stunde! Glückselig der Tag, da Jesus Christus geboren ward! Soli Deo gloria." Das Blut steht sofort. Mein Gewährsmann ist imstande, auch bei sich selber das Blut zu stillen· 5. SWIENSPUDEN. FURUNKEL. Man schreibt den vollen Namen des Kranken auf ein Stück Papier, nimmt einen Leinenlappen, drückt darauf von dem Ausfluß der Furunkel, taucht den Lappen in den Urin des Kranken, wickelt den Lappen in das mit dem vollen Namen des Kranken beschriebene Papier und wirft alles in fließendes Wasser, das es forttragen muß. 6. BLUTSCHWAMM. Man bestreicht den Blutschwamm mit der Nachgeburt einer Frau. Im Notfall kann es auch die Nachgeburt einer Kuh sein. 7. WÄKENFRU. (Diktat.)
Wenn ’ne Wäkenfru ’ne lege Bost hett, denn nemm ein von ihr
Hemden, legg ihr dat up dei Bost, snied ihr ’ne Flusch von ihr Hoor af, verbrenn
dat mit dei Würd: "Sei hett dahn, wat sei süll. Nu help ihr ok tau ihren Stand,
dat sei ward wedder gesund und nith kümmt an Grabesrand. Im Namen usw." 1930/1 - 14 8. RHEUMATISMUS. Man nimmt eine Flasche guten Weißweins, tut hinein eine sauber gewaschene Stange Meerrettich. gräbt die Flasche mit dem Meerrettich fest verkorkt 24 bis 48 Stunden in die Erde, siebt den Wein durch und nimmt jeden Tag drei Weingläser voll. 9. VERFANGEN DES VIEHES. Die kranke Stelle mit einer Stecknadel umkreisen und mit der Hand berühren· Dabei sprechen: "Dat Veih hett sik verfangen dörch Water und dörch Wind. Dit will ik stillen dörch Maria ihr Kind. Im Namen usw."
Eine Frau aus K. erzählte mir, ihr Sohn Willi sei krank gewesen.
Da hätte sie ihm von einer Frau aus L. raden lassen, und das habe geholfen,
während das Raden von deren Tochter nicht so wirksam gewesen sei. Die Frau habe
es mit neun Hölzern verschiedener Art gemacht.
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