Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1929


[Miszelle]

Bücher- und Zeitschriftenschau

 

Schleswig-Holsteiner Sagen. Gesammelt und herausg. von Gustav Fr. Meyer. Jena: Diedrichs 1929. - Eugen Diedrichs, der die Sagen der deutschen Länder unter nicht unbedeutenden Opfern herausgibt, nennt sein großes Verlagswerk eine Stammeskunde deutscher Landschaften. Er weist damit der Stammesforschung bewußt neue Wege. Er rückt die Sage vor alle äußeren Stammesmerkmale energisch in den Vordergrund. Das Innenleben der Stammeszugehörigen ist ihm wichtiger oder mindestens ebenso wichtig wie körperliche Merkmale und wie Wohnung, Sprache und Sitte. Das ist eine bemerkenswerte Einstellung, die, wenn sie nicht Daqué'schen Utopien dient. noch bemerkenswerte Forschungsergebnisse zeitigen wird. - Das vorliegende Buch von Gustav Friedrich Meyer, unserm ausgezeichneten Märchen- und Sagenforscher, ist für Schleswig-Holstein eine erste und wichtige Etappe auf diesem Wege. Es bringt uns nicht nur eine denkbar vollständige Sammlung schleswig-hotsteinischer [sic!] Sagen, nach Müllenhoff und vielen andern gedruckten Quellenwerken, vornehmlich aber mit eigener Hand aus dem lebendigen Sagenborn des Volkes geschöpft; es macht auch den ersten großzügigen Versuch einer Gliederung nach Landschaft und Stammeszugehörigkeit innerhalb unseres schleswig-holsteinischen Volkstums. G. Fr. Meyer zeigt. wie sich die Natur des Landes - Meeresgestade, Marsch und Geest, Moor und Heide - in den Sagen spiegelt. Er weist darauf hin, wie die Geschichte der

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Bevölkerung darin ihre Spuren hinterläßt. Er geht fremdstämmigen Einflüssen nach. Und er hat feinstes Verständnis für die volkspsychologisch so interessanten Vorspukgeschichten und für die geschichtlich bedeutsamen Reste heidnischer Mythologie. Das alles aber gibt er nicht in trockenen Deduktionen, sondern lediglich durch die Darbietung des sorglich gegliederten, geradezu überwältigend reichen Stoffes und durch genaueste Anführung der örtlichen Quelle, aus der jede Sage geschöpft ist. - Unser Lauenburg, dem der Verfasser schon immer sein warmes Interesse geschenkt hat, ist in dem Buche - wie mir scheinen möchte - mit besonderer Liebe behandelt. Wir finden darin eine große Anzahl Lauenburgischer Sagen wiedererzählt und darunter eine ganze Reihe, die bisher nicht gedruckt waren. Ihre Gliederung aber könnte uns schon jetzt verleiten, ganz bestimmte Schlüsse zu ziehen. Auffällig ist z. B., daß die Wode-Sagen scheinbar in keinem Landesteile Schleswig-Holsteins so lebendig sind wie in Lauenburg, und vielleicht darf man daraus entnehmen, daß die germanischen Vorstellungen schon ganz früh das Andenken an die slavische Götterwelt überwuchert haben. Charakteristisch ist ferner, daß die Tatsache der Reformation in unserer Sage keine greifbaren Spuren hinterlassen hat; sie vollzog sich ja auch in Wirklichkeit nicht mit der plötzlich hereinbrechenden Gewalt wie in den meisten andern Landesteilen Schleswig-Holsteins. Auch an die Leibeigenschaft kann sich hier keine Erinnerung finden, da sie ja im Lauenburgischen nie bestanden hat. Und so ließe sich noch manche Schlußfolgerung anführen, die sich schon nach der ersten Durchsicht des Werkes herausarbeiten läßt. Aber schon die wenigen Beispiele genügen, um zu zeigen, welchen Wert G. Fr. Meyers Buch für die Sagen- und Stammesforschung Schleswig-Holsteins und im besondern auch Lauenburgs besitzt. Doch gehört der Band keineswegs nur in die Hand des Gelehrten, sondern in die jedes Schleswig-Holsteiners, der für die Sagen und für die Wesensart unserer Bevölkerung aufgeschlossen ist. Jedem Lehrer, jedem älteren Schüler sollte es zugänglich sein. Die große Zahl prächtiger Abbildungen nach alten Stichen und Holzschnitten und der vorzügliche Druck geben ihm zugleich den Charakter eines Geschenkwerkes von besonderem Wert. Wir können dem prächtigen Buche nur aufrichtig die weiteste Verbreitung wünschen.

G.


 


 

 

 

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