Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]
Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1929
[Miszelle]
Bücher- und Zeitschriftenschau |
Holger Hjelholt, Treitschke
und Schleswig-Holstein. Der Liberalismus und die
Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinischen
Frage. München und Berlin: R. Oldenbourg. Wir alle,
wir Älteren wenigstens, erinnern uns des
Augenblicks, wo wir zum erstenmal Treitschkes
Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert
in die Hand genommen, und wie wir mit heißen, oft
sich widersprechenden Gefühlen dies Kleinod
nationaler Geschichtschreibung verschlungen, dann
nochmals danach gegriffen und mit demselben
Entzücken, vielleicht auch denselben Protesten, es
wiederum verschlungen haben. Und mit welcher
Empörung haben im Weltkriege wir es erdulden müssen,
daß Bruchstücke daraus, von feilen Federn exzerpiert
und aus dem Zusammenhang gerissen, heimtückisch
umgeschmiedet wurden zu Waffen gegen unser rings
umstelltes Volk! Dafür aber erleben wir heute, daß
er, der Herold deutscher Macht und Einheit, der
trotz der so furchtbar veränderten Weltlage von
seinem Werte und Zauber für uns nichts verloren hat,
von einem Angehörigen eines der Nachbarvölker, die
ohne eignes Blutopfer von unserm Falle haben
profitieren mögen, einem dänischen Gelehrten, zum
Gegenstande einer umfangreichen Untersuchung (263
Seiten) gemacht wird, und daß dieser, ob er
anfänglich dagegen sich gesperrt hat oder nicht,
jenem gegenüber sich fast zu den gleichen
Empfindungen der Bewunderung und Hochschätzung
bekennen muß wie wir selber. Und schwerlich würde
ein Franzose, ein Pole, es je zu solchem Ein- und
Nachfühlen, zu solcher relativen Unparteilichkeit
bringen! Das ist das erste, was wir Herrn Hjelholts Arbeit zuzuerkennen haben. Und das zweite ist, daß er das weitschichtige literarische und Quellenmaterial jener Tage, einer Zeit trübgärender Übergänge und Anfänge, mit Fleiß und Verständnis verwertet hat, um sich daraus den Ariadnefaden, wie er ihn brauchte, herauszuwirren.
Wie ER ihn brauchte. Denn
selbstverständlich, aus seiner Haut kann er nicht
heraus, er bleibt immer, was er war, der Däne der
Kriegs- und der Nachkriegszeit, der Zeuge hat sein
dürfen, wie Gammel Danmark von Entente-Gnaden sich
seine nordschleswigsche Irredenta wieder
angliederte, - vorgeblich nicht mit der brutalen
Gewalt des Eroberers, sondern hübsch sanft, gemäß
dem demokratischen Prinzip und durch eins der
Plebiszite, die seiner Zeit der Bonapartismus in
Übung gebracht hat! - Ein Ereignis, das freilich das
Buch des Herrn Hjelholt mit keinem Worte erwähnt, zu
dessen Rechtfertigung es jedoch zweifellos
geschrieben ist, von der ersten Seite bis zur
letzten. An Bismarck, dem Tatmenschen, der sich
unterstand, Europa auf den Kopf zu stellen, hat
Hjelholts leise Hand sich zwar nicht reiben mögen.
Das lohnt sich nicht mehr, Bismarck hat ja selbst
nie ein Hehl daraus gemacht, wie gering er von
jeglichen Parteistandpunkten und -Prinzipien dachte,
und seiner weltgeschichtlichen Größe tut das keinen
Abbruch mehr, nicht mal in den Augen eines Dänen,
dem von allen diplomatischen Versatzstücken des
19. Jahrhunderts keines von solch
schmerzlicher Wichtigkeit hat sein müssen wie
Paragraph 5 des Prager Friedens.
Allein was an einem Bismarck nachgerade seine
bittersten Feinde achselzuckend hinnehmen, heute, wo
sie sein Werk zertrümmert zu haben glauben, das darf
an seinen publizistischen Helfern nicht ungerügt
bleiben, denn was die geschrieben, ist noch am
Leben, ist noch eine Macht für die Zukunft,
bedrohlich für Demokratie und Völkerbundsideen, und
muß tiefer gehängt werden! 1930/1 - 38 Dr. TRAUGOTT TAMM.
M.-I.
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