An der Spitze des Landes Hadeln, nicht weit
vom Festlande, liegt die Insel O oder Nige O (Neuwerk). Von hier
aus ließ sich früher leicht der Seeraub betreiben, und zu
schonungsloser Übung des Strandrechtes gaben die der Insel
vorgelagerten Sandbänke, welche die Einfahrt in die Elbe so
gefahrvoll machten, gewiß immer von neuem Gelegenheit.
Deshalb kam 1286 ein Vertrag zwischen Hamburg und
den Herzogen von Lauenburg zustande, demzufolge zur Sicherung
der Schiffahrt den Hamburgern die Errichtung und Unterhaltung
einer Feuerbaake auf der Insel gestattet wurde. Dreizehn Jahre
später ließen dann die Herzöge von Sachsen die Aufführung eines
Befestigungswerkes, eines starken Turmes, auf der Insel zu,
welche davon den Namen NEUWERK erhielt. Dieser Turm bildete den
ersten festen Stützpunkt für die Überwachung und Regelung der
Schiffahrt an der Elbmündung durch Hamburg. -
Am Ausgange des Elbstromes lag die Burg Ritzebüttel, der Sitz
und mit den umliegenden Dörfern das Stammgut eines
alteingesessenen freien Geschlechtes des Landes Hadeln, des
GESCHLECHTES DER LAPPEN. Sie besaßen dieses Stammgut als ein ihm
"von den Herzöqen von Sachsen koncediertes Lehn". - Von ihrer
Burg aus konnten sie der Schiffahrt leicht Schwierigkeiten
bereiten und machten sich auch vielfacher Räubereien schuldig.
So überfielen sie Anfang des Jahres 1393 mit
Wissen, vielleicht auch auf Anstiften Alberichs Lappe, sengend
und brennend die Insel Neuwerk und kehrten mit reicher Beute
nach Ritzebüttel zurück. Das aber sollte, wie wir später sehen
werden, zu ihrem Verderben ausschlagen.
Schon im Jahre 1324 hatte Herzog Erich von
Sachsen-Lauenburg Walderich Lappe und dessen Söhnen Johann und
Heinrich für 200 Mark die beiden Kirchspiele
Groden und Wolde verpfändet. Jedenfalls war es damals der Rat
von Hamburg, der das Geld hergab und sich der Lappen nur
bediente und sie vorschob, weil die Übernahme der Pfandschaft
durch die Stadt Hamburg selbst zunächst noch auf Schwierigkeiten
stieß. Erst im Jahre 1372 hat dann Hamburg den
pfandweisen Besitz der beiden Kirchspiele erlangt, denn sie
wurden von den Gebrüdern Lappe für 240 Mark an den
Rat verpfändet. Die Wiedereinlösung sollte 1374
erfolgen und bis dahin das Schloß Ritzebüttel den Hamburgern
offen stehen. Zur Wiedereinlösung ist es jedoch nicht gekommen,
vielmehr war 1379 die Geldverlegenheit der Lappen
wieder so groß, daß sie sich von neuem an Hamburg wenden mußten.
Und der Rat war wieder hilfsbereit und streckte ihnen gemeinsam
mit Lübeck 200 Mark vor, wogegen die Lappen sich
verpflichten mußten, eine jährliche Rente von 20
Mark zu zahlen und das Schloß, welches nebst den dazu gehörigen
Gütern als Sicherheit für Kapital und Rente dienen sollte, den
beiden Städten jederzeit offen zu halten. -
Die Lappen wurden auch verpflichtet, zur Verteidigung des Turmes
auf Neuwerk mitzuwirken, wofür ihnen der dortige Hauptmann
jährlich 10 Mark zahlte. In den Schuldverträgen
hatten sie ausdrücklich versprechen müssen, sie wollten, soviel
an ihnen liege, verhüten, daß der Kaufmann von ihrem Gebiete aus
irgendwie verunrechtet oder geschädigt würde. Aber sie hielten
nicht Wort, sondern machten sich vielfacher Räubereien schuldig.
Der oben erzählte Überfall war nur die letzte Untat, war der
Tropfen, der das Maß zum Überlaufen brachte. Deshalb verstärkte
der Rat sofort die Besatzung auf der Insel Neuwerk, beschritt
jedoch, bevor er zu den Waffen griff, den Weg der Verhandlung.
Abgeordnete des Rates, an ihrer Spitze der Bürgermeister Herr
Kersten Miles, begaben sich zu Herzog Erich von
Sachsen-Lauenburg und verhandelten mit diesem und den Lappen, um
für den Friedensbruch Genugtuung zu erlangen, aber ohne Erfolg.
Deshalb schloß der Rat 1393 auf Neuwerk mit den
Wurstfriesen einen Vertrag, demzufolge alle Zwistigkeiten
zwischen diesen und der Stadt Hamburg beigelegt sein sollten und
Ratgeber und Gemeinde des Landes Wursten für drei Jahre die
Verpflichtung übernahmen, etwaigen Feinden der Stadt wissentlich
in keiner Weise Unterstützung und Förderung zuteil werden zu
lassen. Zum Kampf aber
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ist es nicht sogleich gekommen. Der Rat hatte vielmehr noch eine
Zusammenkunft mit Vertretern des Landes Hadeln und schloß dann mit den
Wurstfriesen ein festes Bündnis gegen die Lappen und deren Helfer. Die
Bundesgenossen gelobten einander, keiner wolle für sich allein eine Sühne mit
den Gegnern eingehen. Die Wurstfriesen verpflichteten sich außerdem, falls die
Hamburger das Schloß Ritzebüttel belagern wollten, ihnen mit 800
Mann Beistand zu leisten. Werde das Schloß genommen, so solle Hamburg damit
verfahren, wie es in der von ihm ausgestellten Vertragsurkunde näher bestimmt
sei. -
Über die Belagerung des Schlosses sind wir nicht näher unterrichtet. Kein
Chronist hat uns eine so lebendige und anschauliche Schilderung derselben
hinterlassen, wie die lübische Ratschronik von der Erstürmung des Schlosses
Bergedorf durch die Lübecker und Hamburger im Jahre 1420 entwirft.
Nur soviel steht fest, daß auch um Ritzebüttel blutig gestritten ist. denn die
Kämmereirechnungen verzeichnen größere Ausgaben für die vor Ritzebüttel
Verwundeten: dem Arnold von Achym wurden zur Entschädigung für seine Verwundung
8 Pfund gezahlt, und der Meister Johann mit dem Barte und der
Barbier Woldewin erhielten für die Behandlung von zwölf Verwundeten 10
Pfund 4 Schilling.
Das Schloß Ritzebültel war jedenfalls am 4. April 1394
bereits erobert, denn von diesem Tage ist das Schreiben des Erzbischofs Albert
von Bremen datiert, durch welches er den Bürgermeistern und Ratmannen von
Hamburg, insbesondere denen, welche auf dem Schlosse Ritzebüttel weilten, auf
ein Jahr die Befugnis verlieh, sich einen Priester zu wählen, der in dem
Schlosse die Messe lesen könne.
So waren denn die Hamburger Herren der Feste geworden, von welcher aus die
Schiffahrt auf dem freien Elbstrome so lange und so vielfach gehindert und
beeinträchtigt war. Der Rat suchte aber auch zu einem friedlichen Vergleich mit
den bisherigen Gegnern zu gelangen und dadurch einen besseren Besitztitel auf
seine neue Erwerbung zu gewinnen, als das jederzeit anfechtbare Recht des
Siegers gewährte. Das geschah dadurch, daß der Rat, an dessen Spitze damals der
Herr Kersten Miles als worthaltender Bürgermeister stand, den gesamten Besitz
der Lappen durch Kauf und Pfandschaft an sich brachte. Dadurch regelte sich auch
die Abtretung des Stammgutes, des freien Eigentums der Lappenfamilie, welches
diese von den Herzögen von Sachsen-Lauenburg erhalten hatten.
Im Jahre 1400 erlangte Hamburg von dem Herzog Erich von
SachsenLauenburg, der gerade mit dem Erzbischof von Bremen in einen Kampf
verwickelt war und für diesen und die von ihm beabsichtigte Befestigung
Otterndorfs die Unterstützung Hamburgs zu gewinnen suchte, unter anderm auch die
Bestätigung des Kaufvertrages mit den Lappen über Ritzebüttel. Herzog Erich
verzichtete auf alle ihm etwa zustehenden Ansprüche auf das Schloß und dessen
Zubehör und behielt sich nur die Bede vor, welche er alle sieben Jahre im Lande
Hadeln zu erheben hatte, ein Recht, welches Hamburg hernach im Jahre 1402
für sich erwarb. Die Verhandlungen mit Herzog Erich wurden wiederum von dem
Bürgermeister Kersten Miles geführt. Bemerkenswert ist noch, daß auch
Ratssendeboten von Lübeck, der Bürgermeister Westhof und der Ratsherr Hermann
Dartzow, bei der Verhandlung mitwirkten, ein Beweis, welchen Wert Lübeck darauf
legte, der Schwesterstadt den Besitz der Elbmündung endgültig gesichert zu
sehen. -
Von den Lappen wird noch berichtet, daß Alberich nach England gezogen und Wolder
Unterkunft in Hamburg gefunden hat. Die Übergabe der Burg an die Hamburger
geschah in feierlichster Weise. Vor dem Burgtore nahmen hamburgische Truppen und
eine Schar der mit ihnen verbündet gewesenen Wurstfriesen mit ihrer Fahne und in
ihrer eigentümlichen Kriegstracht Aufstellung, um die Abgesandten Hamburgs zu
erwarten, die ihren Truppen folgten. Auch ein Zug von Hadeler Mannen war
gekommen, die Zeugen des wichtigen Vorgangs sein wollten, mit dem eines ihrer
mächtigsten Geschlechter den festen Platz des Landes an Hamburg abtreten wollte.
Sie machten sich auf den Eisenhut aufmerksam, der auf einer langen Stange aus
dem Turm der Burg herausgesteckt wurde, - das Zeichen der Ergebung. - Von den
Lappen zeigte sich noch niemand; von ihrer Anwesenheit in der Burg gab nur
dieses stumme und rührende Zeichen Kunde. Nun kamen auch die hamburgischen
Ratsherren näher, angetan mit schwarzen, samtverbrämten Talaren, in ihrer Mitte
der stattliche
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Bürgermeister, Herr Kersten Miles, der seine Umgebung um
eines Hauptes Länge überragte. Hinter ihnen schritten die Notare und viele
vornehme Bürger Hamburgs mit ihren Damen. Aber noch immer blieb das Tor der Burg
geschlossen. Erst als die vornehmen Hamburger die Plattform betraten und, an
ihren Truppen vorüberschreitend, sich der Burg näherten, sprangen die Flügel des
Tores auf und hervor traten langsam die Häupter der Familie Lappe: Wolder und
Alberich, ihre Frauen, Kinder und Verwandtinnen, darunter Gheseke, Wolders
Gemahlin, mit dem kleinen Wolder an der Hand, und die greise Ältermutter des
Geschlechts, gefolgt von ihren Freunden aus der bremischen Stiftsritterschaft,
dem Cord von Qumunde, dem Gebhard Schulte und dem Friedrich Schrammcke - alle,
dem wichtigen Alte entsprechend, in glänzender Festtracht. Wie schlicht
erschienen ihnen gegenüber die dunkel gekleideten hamburgischen Bürger! Aber
trotz ihrer glänzenden Tracht sah man den Lappen an, daß Kummer und Sorge sie
bedrückten, und die demütige Gebärde, mit der sie die Sieger begrüßten, wirkte
mitleiderregend. Sie zogen ihre Schwerter und boten sie den Siegern dar, doch
der Bürgermeister gab ihnen zu erkennen, daß Hamburg ihnen die Schmach einer
Entziehung ihrer Waffen nicht antun wolle, worauf die Ritter ihre Schwerter
wieder einsteckten und ihre Freude über diese edle Handlungsweise Hamburgs
ausdrückten. Alsdann warf sich ein Knappe vor Herrn Miles in die Knie, um ihm
auf einem Sammetkissen den Schlüssel der Burg zu überreichen, den dieser in
seinen Besitz nahm. Ein anderer Knappe, ebenfalls knieend, hielt eine Tafel, an
welche die beiderseitigen Notare mit wichtigen Mienen herantraten, um die
Urkunden zu siegeln und auszutauschen. Darauf stieg an der Stelle der Lappeschen
Fahne mit ihren drei Sternen die hamburgische mit ihren drei Türmen auf der Burg
empor und hamburgische Krieger besetzten das Tor.
Nun führten Knappen reichaufgeschirrte Rosse vor das Tor; die Ritter halfen den
Damen voll höfischen Anstandes in den Sattel und bestiegen dann selbst ihre
Pferde. Einen letzten Blick auf den Sitz ihrer Väter werfend und ihre Besieger
zum letzten Male grüßend, ritten dann die Lappen in glänzendem Zuge den gleichen
Weg hinab, den vorher die Hamburger gekommen waren. Die Hadeler und eine große
Anzahl ihrer früheren Untertanen gaben ihnen das Geleite.
Noch heute lebt und blüht das Geschlecht der Lappen. Herr Dr. med. Georg Bonne
in Klein-Flottbek hat eine Geschichte des Geschlechtes geschrieben. Seine Mutter
war eine geborene Lappe. Ihr Bruder lebte als allseitig hochgeschätzter Arzt in
Stade. Von seinen Söhnen stand der ältere als Offizier im deutschen Heere,
während der jüngere das Gymnasium in Hannover besuchte. Es waren die letzten
ihres Geschlechtes.
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