Ratzeburger Grabungsfunde.
Der Grund und Boden unserer Stadt ist uraltes Kulturland.
Fast jede Grabung fördert Reste und Erinnerungen aus längst
verklungenen Zeiten ans Tageslicht. In den letzten Wochen
wurden Umbauten an einem Hause der Kleinen Kreuzstraße
vorgenommen. Metertief unter den bisherigen Grundsteinen
wurden da einige Funde gehoben: Scherben alter schöner Ton-
und Steinzeugkrüge, ein kleines rundes Halsbandanhängsel aus
Metall, in das ein Krönchen und feine Blumenmuster
eingeprägt sind, und schließlich eine dicke Glasscherbe mit
ausgeprägtem prächtigen Fürstenwappen. Der Hausbesitzer,
Herr Hammer, hat dankenswerter Weise die Stücke dem Museum
zur Auswertung in wissenschaftlicher Beziehung zur Verfügung
gestellt. Die Scherben gehören augenscheinlich dem 17.
Jahrhundert an, das zweitgenannte Stück ist zweifelhafter
Herkunft.
Über das Wappen gibt volle
Aufklärung ein reichillustriertes altes Wappenbüchlein:
"Kurtzgefaßete Herolds-Kunst von Caspar Bushingio / gedruckt
/ bey Caspar Jakhel / 1713; Hamburg / in
Verlag Benjamin Schillers Wittwe." Es ist das Wappen der
Grafen zu Waldeck. Das Bildchen, das das Buch gibt, stimmt
selbst in der Größe mit unserem Glaswappen völlig überein,
nur zeigt es über dem Schilde fünf reichgeschmückte
Turnierhelme, während das Glaswappenschild nur den einfachen
Fürstenhut trägt.
Das Buch gibt folgende Erklärung des "Wapens": "Solches ist
zweymal gespalten / und also neunfeldig. Im ersten und
neunten Quartier zeiget sich ein rothes Anckerkreutz im
silbernen Felde / wegen der Grafschaft Pyrmont in
Westphalen; welche von den Grafen von Gleichen anno
1631 an die Grafen von Waldeck gekommen. Im 2.
und 8. Quartier siehet man 3
rothe Schildgen (2. 1.) im
silbernen Felde / wegen der Grafschaft Rappoltstein / darauf
die Grafen von Waldeck Praetension gemacht / nachdem Graf
Christian Ludwig von Waldeck 1658 eine Tochter
des letzten Grafen von Rappoltstein zur Ehe genommen. Im
3. und 7. Quartier stehen drei
schwartze Adlerköpfe (2. 1.) in
silbernem Felde / wegen der Herrschaft Hoheneck; desgleichen
im 4. und 6. ein rother
goldgekrönter Löwe / im silbernen Felde / welches mit blauen
Ziegeln bestreuet ist / wegen der Grafschaft Geroldseck /
unweit Zabern / alle beyde aus vorgemeldter
Rappoltsteinischen Praetension. Endlich ist auf dem 5.
Quartier oder Mittelschilde ein achteckiger schwartzer Stern
im güldenen Felde zu sehen / als das Waldeckische
Geschlechtswapen." ...
Die Namen erwecken wehmütige Erinnerungen nicht nur in den
Herzen derer, die einmal jene Stätten von Hoh-Rappoltstein,
Zabern und Gerolstein im schönen deutschen Elsaß besuchten,
sondern wohl in jedem deutschen Herzen überhaupt. Jene
deutschen Lande wurden teils durch Ludwig XIV.
gemeinsam mit "Straßburg, der wunderschönen Stadt", teils
sogar erst durch die französischen Revolutionskriege dem
Deutschen Reiche geraubt. Jetzt sind sie uns abermals
entrissen. -
Die Wappenerklärung beweist uns, daß unser Glaswappen erst
nach 1658 entstanden sein kann. Die Tiefe und
die Lage des Fundes unter den Grundsteinen eines alten
Hauses lassen den Schluß zu, daß sich hier ehedem der
Grenzgraben hinzog zwischen Stadt und Domhofe. Zur Zeit der
Neubefestigung von Ratzeburg um 1690 befanden
sich auch an dieser Stelle Befestigungsanlagen. Bei deren
Anlage oder auch bei ihrer Einebnung, die nach dem
Bombardement von Ratzeburg durch die Dänen 1693
durchgeführt wurde, mögen die Scherben in die Erde gekommen
sein. Der Plan der "Vestung Ratzeburg im Jahre 1736"
zeigt an dieser Stelle nur eine Mauer oder einen Zaun.
(Siehe Abb. 4 von "Unter Trümmern" v. Dr. H.
F. Gerhard.)
1931/1 - 37
1931/1 - 38
Wie kam nun in damaliger, wenig reiselustiger
Zeit das Wappen eines fern im Westfälischen lebenden
Geschlechtes in unser Land? Das 1689 erloschene
Ratzeburger Herzogsgeschlecht, dessen Burg ja nur wenige
100 Meter von dem Fundorte sich erhob, hatte engere
verwandtschaftliche Beziehungen zu den hessischen Fürsten und
durch diese mit den Waldeckern. Auch mögen die Kriege, die die
zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts nach dem
30jährigen erfüllten, einmal einen Grafen zu Waldeck
hierher geführt haben, denn das Geschlecht hat sich von jeher
kriegsrühmlich ausgezeichnet. Wenige Schritte von der Fundstelle
entfernt erhob sich damals auch eine beliebte Herberge, der
"Wilde Mann" (nach U. v. Rundstedt). Aus dessen Schutt und Müll
könnte auch die Scherbe stammen.
V. NOTZ.
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