Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1931


[Miszelle]

Bücher- und Zeitschriftenschau

 

Die Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrhundert.
Von DMITRI NIK. JEGOROV.
Uebersetzt und herausgegeben vom Osteuropa-Institut, Breslau 1930,
Priebatsch's Buchhandlung.

Im Jahre 1230/31 - 700 Jahre ist es jetzt gerade her - ließ sich ein Ratzeburger Bischof ein Merkbuch anlegen, das seine wirtschaftlichen Rechte und Verpflichtungen klarlegte: das berühmte Ratzeburger Zehntenregister. Das alte Pergament ist einzig in seiner Art und von hoher Bedeutung für die Wissenschaft. Nicht nur für die lehns- und kirchenrechtlichen, die geopolitischen und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mittelalters ist es von größtem Wert, sondern auch für die völkischen Belange unserer Zeit. Die Urkunde läßt deutlich den Stand der Wiedereindeutschung der Lande östlich der Elbe, zwei Menschenalter nach der endgültigen Niederwerfung des Slaventums durch Heinrich den Löwen, erkennen. Gibt dessen Zeitgenoß, der schriftgewandte Priester Helmold zu Bosau am Plöner See, um 1170 ein lebendiges Bild des Vor-

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ganges in seiner Chronica Slavorum, so weist das Zehntenregister die überraschenden Erfolge auf.

Seit 100 Jahren und mehr hat sich die Gelehrtenwelt immer wieder von neuem mit diesem vielbewunderten Geschichts- und Kultur-Denkmal befaßt, neuerdings sogar weit über Deutschlands Grenzen hinaus: Im Jahre 1915 - schon rüttelte das Verhängnis mit stahlgepanzerter Kriegerfaust an den Grundfesten des Zarentums - erschien in Moskau das obengenannte Werk. Jetzt ist es in deutscher Übersetzung herausgegeben worden.

Es ist in vieler Hinsicht bedeutsam. In zwei stattlichen Bänden, auf mehr als 1000 Seiten, behandelt es an der Hand des Zehntenregisters die Frage der Germanisation jener Gebiete zwischen der Ostsee bei Wismar und der Elbe etwa von Bergedorf bis Boizenburg. Neben zwei großen Karten ist das ganze Zehntenregister mit seinen 32 Seiten in farbigem Faksimile-Druck beigefügt.

Wem - zunächst - das große Interesse auffallend erscheint, das russische Forschung im fernen Moskau der verklungenen Entwicklungsgeschichte eines längst innerdeutschen Ländchens entgegenbringt, dem muß an dieser Stelle der Hinweis genügen, daß der russische Panslavismus des 19. Jahrhunderts, der erwiesenermaßen eine der großen, tiefliegenden Ursachen zum Weltkriege war, sein Augenmerk nicht nur gerichtet hatte auf die Vereinigung aller slavischen, abgesprengten Slavenstämme unter dem Zepter des Zaren, sondern auch auf die Wiedergewinnung aller ehemals slavischen Lande.

Jegorov bespricht erst eingehend Helmolds Chronik. Wir vermögen ihm nicht beizupflichten, wenn er diese einzige und unzweifelhaft gründliche urkundliche Unterlage aller bisherigen Geschichtsschreibung als völlig unzuverlässig abtut und ihr jeden Wert abspricht. "Die ganze Chronik ist" für ihn "ein reines Kunstprodukt fast antihistorischen Charakters". (I, 160.) Wir wissen längst, Helmold schrieb in alttestamentlicher Bildersprache mittelalterlicher Priesterweisheit, in "Biblizismen", und er kleidete sie ein in das Latein altrömischen Gewaltmenschentums, dessen Kraftausdrücke sicherlich mit Einschränkung aufzufassen und zu bewerten sind, so, wenn er von der schnellen und gänzlichen Ausrottung der Slaven durch die Deutschen spricht. Helmolds Bericht können wir heute noch in den wesentlichen Tatsachen als zutreffend erkennen.

Der Bedeutung des Zehntenregisters wird Jegorov dann aber voll gerecht, mehr sogar, als wie es bislang von deutschen Forschern geschehen war.

In unendlich mühevoller Kleinarbeit werden sämtliche Ortsnamen - fast 500! - und alle vorkommenden Eigennamen eingehender Betrachtung unterworfen. In noch bisher nicht geübter, nachahmenswerter Weise wird die Heraldik, die Wappen- und Familien-Kunde in das Bereich der Erörterungen gezogen. Das Buch wird zu einer wahren Fundgrube für weitere Forschung. Doch darf nicht verhehlt werden, daß viele aufstoßende Zweifel zur Vorsicht in der Auswertung mahnen. Bei aller Bewunderung für die hervorragende forscherische Leistung können wir aber vor allem nicht den Grundgedanken und dem Endergebnis zustimmen. Sie bedeuten völlige Umwälzung der bisherigen Auffassung. Sie gipfeln in den Worten (II, 438): "Es stellt sich heraus, daß "die Großtat der Deutschen" in diesem Gebiete weder eine große noch eine deutsche
Tat gewesen ist." An Stelle der Kolonisation des Landes durch deutsche Masseneinwanderung will Jegorov eine slavische Innenkolonisation mit geringfügiger deutscher Beimischung setzen. Leider bleibt er uns die Erklärung dafür schuldig, woher es dann kommt, daß das Land trotzdem so vollkommen und restlos eingedeutscht worden ist, und daß das Slaventum früh schon so vollkommen zurücktrat, um dann ganz zu verschwinden, ohne auch nur eine Spur, es sei denn in alten Namen, zu hinterlassen. Dabei soll unbestritten bleiben, daß sich slavische Volkssplitter noch lange, wenn auch bedeutungslos, erhalten haben.

Dr. H. Witte-Neustrelitz, der beste Kenner der aufgeworfenen Fragen völkerkundlicher Art, urteilt darüber (Mecklbg. Heimatbl.): "es ist ihm, Jegorov, nicht gelungen" und: "seine Darlegungen sind nicht beweiskräftig und in sich widerspruchsvoll".

Die Forschung wird sich noch viel mit dem Buche zu beschäftigen haben. Jedenfalls darf es nicht nur in unseren engeren Landen, sondern in der ganzen wissenschaftlichen Welt weitgehendes Interesse beanspruchen.
 

V. NOTZ

 

 

 

 

 

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