Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1931


Photographie und Heimat.

Von WILHELM HADELER, Berlin.
 

Die Photographie reicht heute in alle Bereiche des Lebens hinein und bedeutet für uns viel mehr, als wir gewöhnlich glauben, aber eine umfassende Darlegung, welche alle Zusammenhänge umreißen will, die das Thema in sich beschließt, griffe über den Rahmen der "Lauenburgischen Heimat" weit hinaus. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Photographie im üblichen Sinne und läßt den Film (d. h. die Laufbildphotographie) ebenso außer Betrachtung wie das weite Feld der Reproduktionstechnik. Sie will in erster Linie die Lieberhaberphotographen anregen, ihre Tätigkeit im Sinne der Heimat-


1931/3 - 77


1931/3 - 78

idee zu vertiefen. Das Thema erstreckt sich somit vom einfachsten "Knipsen", bei dem neben dem rein physikalisch-chemischen Vorgange der Entstehung von Negativ und Positiv auch das mühelose Gewinnen der Abbildung von lebenden und toten Dingen eine Rolle spielt, bis zu dem künstlerischen Lichtbilde, das vom ersten bis zum letzten Stadium seines Werdens "gestaltet" wurde, das als Kunstwerk also füglich neben die Erzeugnisse der Graphik zu stellen ist. Eindeutige, scharf gezogene Grenzen gibt es dabei natürlich nicht, denn niemand kann objektiv feststellen, was "Knipsbild", gute Aufnahme oder gar künstlerisches Lichtbild ist! Ein bißchen schwierig wird auch eine dem Thema gemäße Auslegung des Begriffes "Heimat". Die formale, nur verstandesmäßige Deutung erscheint zu stoffgebunden, wenn auch der Natur der Sache nach die Zusammenhänge des Themas vornehmlich im Stofflichen zu suchen sind, während andererseits die großen und größten Leistungen einer künstlerisch schaffenden Heimatphotographie in jene Bereiche hineinragen, in denen die Werke der Maler und Graphiker heimisch sind, wo also auch die "Heimat" als überwiegend geistiger Wert anzusehen ist.

Die nur abbildende Photographie hat ihre sinnfältigste Bedeutung für alle Zwecke der Heimatbewegung in der unbestechlichen Wahrhaftigkeit ihrer Wiedergabe des Objekts. Das Lichtbild ist innerhalb der durch Rohstoff und Werkzeug gegebenen Grenzen vollkommen "richtig", denn seine Perspektive ist rein geometrisch, mit Schiene und Zeichendreieck darzustellen, sie gehorcht den Gesetzen der einzigen absoluten Wissenschaft, der Mathematik, und die Wiedergabe von Hell und Dunkel befolgt unübertretbare, wenn auch nicht streng mathematisch zu fassende Gesetze der Physik und Chemie. - Aus naheliegenden Gründen muß hier auf die Erörterung der technischen Probleme der Heimatphotographie verzichtet werden, so interessant sie vielleicht auch scheinen.

Bei oberflächlicher Berührung des Begriffes sieht die Heimatphotographie recht einfach aus, besonders dann, wenn man darunter nur die abbildende Wiedergabe von Menschen und Dingen aus der heimatlichen Welt versteht. Und doch bedarf es schon einer erheblichen Schulung des Blickes, von der unerläßlichen sicheren Beherrschung des Handwerklich-Technischen ganz zu schweigen, will man auch nur fehlerfreie Abbildungen, nicht bloß "Knipsbilder" von irgendwelchen, gleichsam zufällig heimatlichen Objekten liefern. - Am Anfänge stehen freilich immer die sogenannten "Erinnerungsbilder". Sie haben oftmals kaum Interesse für alle unmittelbar daran Beteiligten, geschweige denn für Außenstehende. Die weitaus größte Zahl aller in privaten Händen benutzten Photoapparate wird in diesem Sinne angewendet. Nur ein seltener Zufall läßt eiu Bild dieser Art einmal für irgendeinen Zweck der Heimatbewegung wertvoll werden. - Sobald der Besitzer einer Kamera aber über solche ganz primitive Knipscrei hinauswächst und sich an eine bewußte, abbildende Wiedergabe der Menschen und Gegenstände seiner Umgebung heranwagt, kommt er, unbewußt und zufällig zumeist, schon dadurch etwas in die Bezirke der Heimatphotographie hinein, daß ein mehr oder minder großer Teil seiner Bild-


1931/3 - 78


1931/3 - 79

Vorwürfe unvermeidlich heimatlichen Charakter haben wird. Auf dieser Stufe finden wir eine sehr große Zahl von Liebhaberlichtbildnern, aber nur ein verhältnismäßig kleiner Teil schreitet vom Anfang her weiter im Streben nach bildmäßiger Photographie. Es sind auch nicht viele, die sich auf dieser Stufe ein Sondergebiet erwählen, das sie vorherrschend pflegen, doch müssen wir gerade unter ihnen diejenigen suchen, welche die heimische Tierwelt belauschen und im Bilde festhalten, welche charakteristische Pflanzenaufnahmen zu schaffen wissen und in oftmals sehr wertvollen Bildreihen die heimatliche Welt von jeglicher Seite her schildern. Sie sind die Getreuen, die der Heimatpflege das meiste Bildmaterial liefern. Aus ihren Reihen erwachsen schließlich auch die Einzelnen, die ganz Großen, die noch weiter greifen! Denen genügt es nicht mehr, ausgezeichnete Bilder der Umwelt zu schaffen, sie wollen das Lichtbild als Träger einer Idee. Für sie sind Kamera und Platte und die vielen Hilfsmittel nichts anderes als für den Graphiker Zeichenstift und Radiernadel, ein Mittel des künstlerischen Ausdruckes. Weil sie alles, was sie umgibt, von sich aus zu beseelen verstehen, fesselt sie alles. Sie formen ein paar Schatten auf der Straße, ein paar spiegelnde Reflexe auf dem Wasser, ein paar belanglose Häuschen zu einem Bilde, das ebenso von der Schönheit an sich kündet, wie es aus seiner Gegenständlichkeit heraus etwas zu sagen weiß von der Welt, der es entstammt. Diese seltenen Menschen können aus ein paar Wolken über einem See. aus einem richtig erfaßten Moment des Alltags ebenso ein Bild der Heimat formen, wie aus ein paar Stücken Urväterhausrat oder einem einzigen Fensterchen mit einigen Blumentöpfen davor. Was sie auszeichnet vor anderen Sterblichen, ist, daß sie SEHEN UND GESTALTEN können. Ihr Werk ist nicht, wie viele Leute glauben, nur Glück und Zufall! O nein, es steht oftmals ein langes, ausdauerndes Streben, ein Werben und immer wieder Werben dahinter, das niemand ahnt. Auch sie mußten lernen, und die Zahl ihrer Mißerfolge, nur ihnen selbst bekannt, zeugt von den vergangenen und immer noch dauernden Mühen. Natürlich ist viel durch Veranlagung gegeben, wenn einer Großes zu leisten vermag, aber die Möglichkeit, durch Selbstschulung und Übung, wenn auch nicht zu höchsten, so doch immerhin zu guten Leistungen zu gelangen, steht vor manchem, der heute sich klein dünkt. Und ist es nicht schließlich auch ein Ziel, in guten Bildern den Charakter der heimatlichen Landschaft zu schildern, oder die Menschen in ihrem Alltag?

Geradezu als Schulbeispiel einer planmäßigen Heimatphotographie muß an dieser Stelle ein Werk genannt werden, das heute zwar schon mehr als 20 Jahre alt ist, aber niemals als veraltet wirken kann: Richard Linde, Die Niederelbe. (Verlag Velhagen und Klasing.) Darin fand jeder Teil der heimatlichen Welt sein Bild: Menschen und Tiere, Pflanzen und Erde, das Meer und selbst der Pulsschlag der Ewigkeit, der Gezeitenwechsel. Und jedes Bild ist ein Kunstwerk von feinstem Reiz! - Vorbildliche Heimatphotographie ist auch das Werk des Altmeisters der Lauenburger Photographen, Friedrich Nissen sen., Lauenburg. Leider ist es der Öffentlichkeit nicht im ganzen


1931/3 - 79


1931/3 - 80

zugänglich, aber wir durften uns 1926 an seinen Tafeln erfreuen, die er auf die Ausstellung von photographischen Aufnahmen lauenburgischer Motive gesandt hatte. Er hat alles behandelt, die Stadt und ihre Bewohner, die Ereignisse seit der Zeit seines Aufenthalts, die Tier- und Pflanzenwelt, Historie und Erdgeschichte. Es gibt wohl kaum eine bessere Auslegung dessen, was für uns Lauenburger als Heimatphotographie zu gelten hat als dies Werk. - Vorbilder findet, wer ernsthaft sucht, in reicher Fülle, denn seit einigen Jahren hat der Verlag Langewiesche (Blaue Bücher) zahllose Nachahmer und Gefolgsleute gefunden. Aber eines sollen wir uns vor Augen halten, wenn wir künstlerische Heimatphotographie treiben wollen: "Überlassen wir die Kunst den Künstlern, und versuchen wir mit den Mitteln des Photographen Photographien zu schaffen, die durch ihre photographischen Qualitäten bestehen können, ohne daß wir von der Kunst borgen." (Renger-Patzsch.)

Nun noch ein paar Worte an die, welche auf dem Wege sind, Heimatphotographen zu werden. Aus diesem Gebiete etwas zu leisten, heißt nicht, von jedem Spaziergange mit Aufnahmen beladen heimkommen, heißt vor allen Dingen nicht, mit jeder Aufnahme einen unübertrefflichen Meisterschuß tun! Es ist ja nicht sonderlich schwer, die bekannten und berühmten Motive unserer Heimat, auf die jeder Besitzer einer Kamera zielt, in einem anständigen Bilde wiederzugeben. Ja, es bedeutet noch keine rühmenswerte Leistung, sie in einem ausgezeichneten Bilde darzustellen! Ein wirklicher Heimatphotograph geht eigene Wege. Er studiert seine Motive, vermeidet vielfach das Große, das Weitgreifende und befaßt sich mit Kleinigkeiten. Wo ihn eine Sache zu einer Aufnahme verlockt, wird überlegt und probiert, und oft dauert es eine Stunde und länger, che die Aufnahme gemacht wird. Wer Bildreihen zusammenstellen will, der sucht geeignete Objekte, und während dieser Suche vertieft er sich unmerklich immer weiter in die ihn umgebende Welt. Auf diese Weise bin ich selbst überhaupt erst in die Heimatbewegung hineingekommen. Je mehr ich meine Vaterstadt durchforschte, um sie in möglichst vollständigen Bildfolgen zu schildern, um so mehr Freude hatte ich an den feinen Schönheiten. Daraus erwuchs schnell genug auch ein tieferes Interesse, das mehr zu erfahren suchte als nur die sichtbare Außenseite. Und von da war der Weg in die Bestrebungen des Heimatschutzes und der Heimatpflege nicht mehr weit! - Von der Beute solcher Entdeckungsfahrten durch die engste Heimat ist manche gute Aufnahme nur das Ergebnis eines "Zufalles", eines glücklichen Zusammentreffens von Stimmung und Beleuchtung des Motivs, voller Aufnahmebereitschaft aller Hilfsmittel und glücklicher Beendigung des Technischen, während andere erst als Frucht längerer Bemühungen entstehen konnten. Außer diesen aber gibt es Bildvorwürfe, die locken und lockten seit Jahr und Tag. Immer wieder geht man daran, sie auf die Platte zu bannen, aber ein Erfolg kommt nicht zustande. Doch das soll nimmer entmutigen, denn, mag auch das große Ziel einstweilen noch fern liegen, im Suchen und Mühen findet sich am Wege so manches kleine Bild, das man sonst niemals bemerkt hätte.


1931/3 - 80


1931/3 - 81

Als Beispiel für solches Suchen und Mühen um einen heimatlichen Bildvorwurf mögen die Bilder 1 bis 3 dienen, Aufnahmen der gleichen Allee zu verschiedenen Jahreszeiten, ursprünglich nur ange-
 



Bild 1. Bild 2.
Bild 3.
 

fertigt, um ein Bild der infolge Überalterung in kurzer Zeit verschwindenden alten Bäume zu erhalten. Welcher Reiz liegt schon in einer solchen Nebeneinanderstellung! Und welche Möglichkeiten bieten sich dem, der in Ruhe auf die richtige Beleuchtung warten kann, weil


1931/3 - 81


1931/3 - 82

er am Orte wohnt und nicht wie ich sich auf die Zufälligkeit seltener Urlaubstage beschränken muß! - Aufgaben dieser Art bieten sich überall in Hülle und Fülle. "Themen mit Variationen" möchte man sie nennen. Es sei nur an die Stadtbilder der drei Städte unseres Kreises erinnert (die übrigens alle drei außerordentlich schwierig zu meistern sind, sobald man mehr will als ein gutes Postkartenbild!!), es sei an den Ratzeburger Dom, an das Möllner Rathaus oder den Schloßturm in Lauenburg gedacht, lauter Aufgaben, die wohl wert sind, daß man sich an ihnen versucht. Oder nehmt irgend ein möglichst einfaches Motiv aufs Korn, das ihr jeden Tag auf dem alltäglichen Wege zum Dienst, bei jedem Wetter, bei jeder Beleuchtung sehen könnt. Studiert es und macht schließlich ein paar Aufnahmen davon. Gelernt wird in jedem Falle daran werden, auch dann, wenn das Ergebnis der Aufnahmen wertlos ist. Auf das LERNEN von Sehen und Gestalten aber kommt es an! Wir sollen dahin gelangen, daß wir nicht nur um uns her ein buntes Vielerlei von Dingen bemerken, um es sogleich wieder zu vergessen, wenn es aus dem Gesichtsfelde entschwand, sondern daß wir SEHEN und behalten lernen. Mit dem Zeichenstift und Skizzenblock sehen lernen können nur wenige, die meisten unsrer Zeitgenossen sind zu unruhig dazu, aber mit der "Strahlenfalle" wird es bei manchem noch gehen. Aus diesem SEHEN wird dann durch Einfachheit des Photographierens schon von selber ein Anfang des Gestaltens erwachsen. Es mag gern zugegeben werden, daß auf diesem Wege nicht ohne weiteres Höchstleistungen der Lichtbildkunst zu schaffen sind. Die werden wohl immer das Vorrecht künstlerisch begabter Menschen bleiben. Wir gewöhnlichen Sterblichen wollen uns mit Geringerem bescheiden, denn wir erstreben vor allen Dingen ein immer engeres Zusammenwachsen mit unserer Heimat. *)

Es bedeutet gewiß schon eine tüchtige Leistung, wenn man mit sicherem Auge abbildende Heimatphotographie betreiben kann, denn sie bietet dem Ausübenden wie dem Betrachter der Bilder vielerlei, aber erst im Streben zur künstlerischen Gestaltung, d. h. wenn zur Treue der Darstellung sich das zum Schaffen drängende Heimaterlebnis gesellt, wird aus der HeimatPHOTOGRAPHIE die HEIMATphotographie, die wir suchen.

______________

*) ANMERKUNG: Anregungen jeglicher Art bieten die für Liebhaber bestimmten Photozeitschriften und besonders die ausgezeichnete Einführung von DR. A.
Kuhfal: "Heimatphotographie". Verlag: Knapp. Halle a. S.

 


 


 

 

 

*