Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1931



Der Triumph des Ansveruskultes über die Marienverehrung im Ratzeburger Dom.

Ein Beitrag zur Ansverusforschung
von CAND. PHIL. HANS BERNHÖFT.
 

Die Verehrung des Märtyrers Ansverus in der Ratzeburger Kathedralkirche ist so alt wie das Gotteshaus; denn schon gegen Ende des 12. Jahrhunderts sollen die irdischen Überreste des Heiligen in den Dom überführt worden sein.

Die spärlichen Quellen des 14. Jahrhunderts lassen erkennen, daß damals die Verehrung des Ansverus einen größeren Aufschwung nahm. Der Ritter Hermann Pelz, der 1332 am Marienaltar eine Vikarie stiftete, vermachte eine Spende von einer Mark für die am Gottesdienst des heiligen Ansverus teilnehmenden Domherren (M.U.B. IX, Nr. 5796).

Die Meßfeier am Dienstag galt bereits um 1380 der Verehrung des heiligen Ansverus. Die Ausstattungsurkunde der herzoglich-lauenburgischen Vikarie (M.U.B. XIX, Nr. 11252) enthält nämlich die im Ratzeburger Dom wie in den mittelalterlichen Kirchen feststehende Reihenfolge der täglichen Votivmessen.

Die Verehrung des Ansverus spielte noch bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts keine den Kultus der Gottesmutter überragende Rolle. Schon von Notz spricht in seinem vortrefflichen Büchlein: Ansverus (Lauenburgischer Heimatverlag 1929) auf Seite 6 die richtige Vermutung aus, "DASZ DER SCHON FRÜH HEILIG GESPROCHENE IN DEN MITTELPUNKT DER HEILIGENVEREHRUNG RÜCKTE". Der Vergleich der Kollekten der drei Marienfeste sowie des Ansverustages, die in den Rechnungsbüchern des Dombauamtes (Hauptarchiv Neustrelitz) unter den Einnahmen der Dombaukasse aufgezeichnet sind, gibt uns die Möglichkeit, den Aufstieg und die Blütezeit des Ansveruskultes zu verfolgen.
 

Übersicht über die Opfergaben an den Festen der Gottesmutter und des Ansverus.

Die Münzeinheiten :

1 Mark (M) = 16 Schillinge (s) = 192 Pfennige, Denare (d)
 

Jahr Mariä Verkündigung
25. März
Mariä
Heimsuchung
2. Juli
Ansverustag
18. Juli
Mariä
Himmelfahrt
15. August
         
  M s d M s d M s d M s d
                         
1457 - 13 8 - 13 4 1/2 2 12 6 4 4 6
1458 - 15 6 - 14 - 1 12 6 4 6 -
1461 1 10 6 - 15 - 3 5 - 4 2 4
1474 - 11 - - 9 1 2 8 - 1 9 6
1481 - 12 - - 8 - - 13 - - 10 -
1484 1 3 - - 9 4 2 12 - - 11 1
1485 - 14 - - 15 - 1 15 6 1 8 -
1486 - 15 4 - 15 - 2 11 - - 15 6
1487 - 15 - 1 1 3 2 14 - - 15 -
1488 - 14 10 - 10 6 2 8 - - 11 -


Wenn man eine gleiche Gebefreudigkeit annimmt, dann entspricht die jeweilige Höhe der Opfergaben der Besucherzahl an dem betreffenden Kirchenfest. Noch 1461 wies an dem bedeutendsten Fest der allerseligsten Jungfrau, "Mariä Himmelfahrt", der Opferstock reichere Spenden als am Ansverustage auf, aber nicht mehr 1474; seit 1481 lockte dieser Marientag keine größeren Massen in den Dom wie an den anderen Marienfesten. Denn in dem Zeitraum von 1461-74 war Ansverus der gefeiertste und volkstümlichste Heilige der Ratzeburger Kirche geworden, hatte den Triumph üben die Himmelskönigin davongetragen. Seit-


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dem strömte das Volk aus Stadt und Land in großen Scharen am 18. Juli in den Ratzeburger Dom, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen.

Das Fest des höchsten Heiligen wurde mit größter Pracht und reicher Liturgie nach dem auf Veranlassung von Bischof Johannes von Parkentin 1462 in Nürnberg gedruckten, in der Lüneburger Stadtbücherei aufbewahrten Rituale gefeiert. Der Meßpfründner Radolphus Scoppe († 1496) bestimmte am 24. Juni 1488 (Original Hauptarchiv Neustrelitz) eine Rente von einer Mark nach seinem Tode als Entschädigung für den anstrengenden Kirchendienst der Gemeinschaft der Domvikare, die bisher mit einer derartigen Stiftung am Tage des Heiligen noch nicht bedacht waren: "1 MARK RENTHE TO EWIGEN TIIDEN KAMEN TOR CONSULATION [d. h. "Tröstung"] DES DAGES SUNTE ANSVERI UND SYNER SELSCHOP IN UNSER KERKEN TO RACEBORCH ALLENE DEN MENEN VICARIIS DASULVES DE IEGENWARDICH SYN TO DEN GROTEN TYDEN ALSE TOR ERSTEN VESPER, TOR METTEN, TOR MISSEN UNDE UMMEN KERKHOFF UNDE TOR ANDEREN VESPER ALLE IAR." Die Urkunde zeigt auch, daß die Reliquien des Heiligen in feierlicher Prozession durch den Dom und um den Kirchhof getragen wurden.

Zu mindestens am Feste des Heiligen wurde das von dem Lübecker Meister Hinricus Vogeler geschaffene silberne Ansverusbild, das dem Volke den Heiligen näher bringen sollte, auf dem Hauptaltar der Kirche aufgestellt; denn es findet sich in dem Rechnungsbuch des Dombauamtes vom Jahre 1487 folgende Eintragung des Dombaumeisters: "ITEM FUI LUB. AD COMPUTANDUM CUM HINRICO VOGELER RACIONE IMAGINIS ARGENTEE SANCTI ANSVERI CONSUMPSI VIII SOLIDOS, zu deutsch: Ich war in Lübeck, um mit Heinrich Vogeler über das silberne Bildnis des heiligen Ansverus abzurechnen, verbrauchte 8 Schillinge."

Das Domkapitel versetzte 1530 zusammen mit anderen wertvollen kirchlichen Schätzen auch das Heiligenbild (IMAGINEM SANCTI ANSUIERI), um mit dem Erlös Prozeßkosten zu bestreiten (M. D. Schröder, Kirchen-Historie des Ev. Meckl. Rostock 1788 I, S. 178).

Bezeichnend für die Größe des Festes ist folgende Aufzeichnung in dem ersten erhaltenen Rechnungsbuch des Dombauamtes (1457): "ITEM UXORI SIMONIS PRO MUNDACIONE ECCLESIE ANTE TESTUM ANSVERI II SOLIDOS, zu deutsch: der Frau Simons für die Reinigung der Kirche vor dem Feste des Ansverus 2 Schillinge." Denn wie "Mariä Himmelfahrt" wurde der Dom auch vor dem Ansverusfeste gesäubert.

Aus den domkapitularen Weinspenden an den Bischof, die der Finanzbeamte des Domstiftes in die Wirtschaftsbücher eintrug, erfahren wir, daß gegen Ende des 15. Jahrhunderts der Ansverustag auch offiziell zu den großen Hauptfesten gehörte. Nach dem Wirtschaftsbuch des Jahres 1490 erhielt der Bischof zum ersten Male wie Ostern, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt. Weihnachten ebenfalls am Ansverusfeste ein Weingeschenk.

Der Ansverustag wurde nicht nur das bedeutendste Fest, sondern auch der größte Markt im Jahre. Bei dem vielen Volke, das dann zum Dome wallfahrtete, fanden das Ratzeburger Handwerk und Gewerbe guten Absatz und reichen Verdienst.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß der Heilige in der Grabkirche die höchste Verehrung genoß, wenngleich der Kult durchaus nicht lokalen Charakter trug,
sondern das Gedächtnis des Ansverus auch in den Diözesen Ratzeburg, Schleswig und Schwerin gepflegt wurde.

Jedenfalls machte die Kirche mit dem Ansveruskult eine Konzession an die Laienfrömmigkeit; der Heilige galt am Ausgang des Mittelalters als der beste Fürsprecher vor dem Richterstuhl Gottes, der Helfer in Not und Gefahr.

Sonst ist das siegreiche Vordringen des Lokalheiligen eine allgemeine Erscheinung in der Heiligenverehrung des ausgehenden Mittelalters.

Ansverus blieb als Vorkämpfer und Märtyrer des Christentums über die Reformation hinaus, die die überschwängliche Heiligenverehrung ablehnte, ein volkstümlicher "Heiliger" unseres Landes bis in unsere Gegenwart und wird als solcher in der Geschichte unserer Heimat fortleben.

 



 

 

 

 

 

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