Die Verehrung des Märtyrers Ansverus in der
Ratzeburger Kathedralkirche ist so alt wie das Gotteshaus; denn
schon gegen Ende des 12. Jahrhunderts sollen die
irdischen Überreste des Heiligen in den Dom überführt worden
sein.
Die spärlichen Quellen des 14. Jahrhunderts lassen
erkennen, daß damals die Verehrung des Ansverus einen größeren
Aufschwung nahm. Der Ritter Hermann Pelz, der 1332
am Marienaltar eine Vikarie stiftete, vermachte eine Spende von
einer Mark für die am Gottesdienst des heiligen Ansverus
teilnehmenden Domherren (M.U.B. IX, Nr. 5796).
Die Meßfeier am Dienstag galt bereits um 1380 der
Verehrung des heiligen Ansverus. Die Ausstattungsurkunde der
herzoglich-lauenburgischen Vikarie (M.U.B. XIX,
Nr. 11252) enthält nämlich die im Ratzeburger Dom
wie in den mittelalterlichen Kirchen feststehende Reihenfolge
der täglichen Votivmessen.
Die Verehrung des Ansverus spielte noch bis in die erste Hälfte
des 15. Jahrhunderts keine den Kultus der
Gottesmutter überragende Rolle. Schon von Notz spricht in seinem
vortrefflichen Büchlein: Ansverus (Lauenburgischer Heimatverlag
1929) auf Seite 6 die richtige
Vermutung aus, "DASZ DER SCHON FRÜH HEILIG GESPROCHENE IN DEN
MITTELPUNKT DER HEILIGENVEREHRUNG RÜCKTE". Der Vergleich der
Kollekten der drei Marienfeste sowie des Ansverustages, die in
den Rechnungsbüchern des Dombauamtes (Hauptarchiv Neustrelitz)
unter den Einnahmen der Dombaukasse aufgezeichnet sind, gibt uns
die Möglichkeit, den Aufstieg und die Blütezeit des
Ansveruskultes zu verfolgen.
Übersicht über die Opfergaben
an den Festen der Gottesmutter und des Ansverus.
Die Münzeinheiten :
1 Mark (M) = 16
Schillinge (s) = 192 Pfennige,
Denare (d)
Jahr |
Mariä
Verkündigung
25. März |
Mariä
Heimsuchung
2. Juli |
Ansverustag
18. Juli |
Mariä
Himmelfahrt
15. August |
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M |
s |
d |
M |
s |
d |
M |
s |
d |
M |
s |
d |
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1457 |
- |
13 |
8 |
- |
13 |
4
1/2 |
2 |
12 |
6 |
4 |
4 |
6 |
1458 |
- |
15 |
6 |
- |
14 |
- |
1 |
12 |
6 |
4 |
6 |
- |
1461 |
1 |
10 |
6 |
- |
15 |
- |
3 |
5 |
- |
4 |
2 |
4 |
1474 |
- |
11 |
- |
- |
9 |
1 |
2 |
8 |
- |
1 |
9 |
6 |
1481 |
- |
12 |
- |
- |
8 |
- |
- |
13 |
- |
- |
10 |
- |
1484 |
1 |
3 |
- |
- |
9 |
4 |
2 |
12 |
- |
- |
11 |
1 |
1485 |
- |
14 |
- |
- |
15 |
- |
1 |
15 |
6 |
1 |
8 |
- |
1486 |
- |
15 |
4 |
- |
15 |
- |
2 |
11 |
- |
- |
15 |
6 |
1487 |
- |
15 |
- |
1 |
1 |
3 |
2 |
14 |
- |
- |
15 |
- |
1488 |
- |
14 |
10 |
- |
10 |
6 |
2 |
8 |
- |
- |
11 |
- |
Wenn man eine gleiche Gebefreudigkeit annimmt, dann entspricht
die jeweilige Höhe der Opfergaben der Besucherzahl an dem
betreffenden Kirchenfest. Noch 1461 wies an dem
bedeutendsten Fest der allerseligsten Jungfrau, "Mariä
Himmelfahrt", der Opferstock reichere Spenden als am
Ansverustage auf, aber nicht mehr 1474; seit
1481 lockte dieser Marientag keine größeren Massen in
den Dom wie an den anderen Marienfesten. Denn in dem Zeitraum
von 1461-74 war Ansverus der
gefeiertste und volkstümlichste Heilige der Ratzeburger Kirche
geworden, hatte den Triumph üben die Himmelskönigin
davongetragen. Seit-
1931/3 - 98
1931/3 - 99
dem strömte das Volk aus Stadt und Land in großen Scharen am 18.
Juli in den Ratzeburger Dom, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen.
Das Fest des höchsten Heiligen wurde mit größter Pracht und reicher Liturgie
nach dem auf Veranlassung von Bischof Johannes von Parkentin 1462
in Nürnberg gedruckten, in der Lüneburger Stadtbücherei aufbewahrten Rituale
gefeiert. Der Meßpfründner Radolphus Scoppe († 1496) bestimmte am
24. Juni 1488 (Original Hauptarchiv Neustrelitz)
eine Rente von einer Mark nach seinem Tode als Entschädigung für den
anstrengenden Kirchendienst der Gemeinschaft der Domvikare, die bisher mit einer
derartigen Stiftung am Tage des Heiligen noch nicht bedacht waren: "1 MARK
RENTHE TO EWIGEN TIIDEN KAMEN TOR CONSULATION [d. h. "Tröstung"] DES DAGES SUNTE
ANSVERI UND SYNER SELSCHOP IN UNSER KERKEN TO RACEBORCH ALLENE DEN MENEN
VICARIIS DASULVES DE IEGENWARDICH SYN TO DEN GROTEN TYDEN ALSE TOR ERSTEN
VESPER, TOR METTEN, TOR MISSEN UNDE UMMEN KERKHOFF UNDE TOR ANDEREN VESPER ALLE
IAR." Die Urkunde zeigt auch, daß die Reliquien des Heiligen in feierlicher
Prozession durch den Dom und um den Kirchhof getragen wurden.
Zu mindestens am Feste des Heiligen wurde das von dem Lübecker Meister Hinricus
Vogeler geschaffene silberne Ansverusbild, das dem Volke den Heiligen näher
bringen sollte, auf dem Hauptaltar der Kirche aufgestellt; denn es findet sich
in dem Rechnungsbuch des Dombauamtes vom Jahre 1487 folgende
Eintragung des Dombaumeisters: "ITEM FUI LUB. AD COMPUTANDUM CUM HINRICO VOGELER
RACIONE IMAGINIS ARGENTEE SANCTI ANSVERI CONSUMPSI VIII SOLIDOS, zu deutsch: Ich
war in Lübeck, um mit Heinrich Vogeler über das silberne Bildnis des heiligen
Ansverus abzurechnen, verbrauchte 8 Schillinge."
Das Domkapitel versetzte 1530 zusammen mit anderen wertvollen
kirchlichen Schätzen auch das Heiligenbild (IMAGINEM SANCTI ANSUIERI), um mit
dem Erlös Prozeßkosten zu bestreiten (M. D. Schröder, Kirchen-Historie des Ev.
Meckl. Rostock 1788 I, S. 178).
Bezeichnend für die Größe des Festes ist folgende Aufzeichnung in dem ersten
erhaltenen Rechnungsbuch des Dombauamtes (1457): "ITEM UXORI
SIMONIS PRO MUNDACIONE ECCLESIE ANTE TESTUM ANSVERI II SOLIDOS, zu deutsch: der
Frau Simons für die Reinigung der Kirche vor dem Feste des Ansverus 2
Schillinge." Denn wie "Mariä Himmelfahrt" wurde der Dom auch vor dem
Ansverusfeste gesäubert.
Aus den domkapitularen Weinspenden an den Bischof, die der Finanzbeamte des
Domstiftes in die Wirtschaftsbücher eintrug, erfahren wir, daß gegen Ende des
15. Jahrhunderts der Ansverustag auch offiziell zu den großen
Hauptfesten gehörte. Nach dem Wirtschaftsbuch des Jahres 1490
erhielt der Bischof zum ersten Male wie Ostern, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt.
Weihnachten ebenfalls am Ansverusfeste ein Weingeschenk.
Der Ansverustag wurde nicht nur das bedeutendste Fest, sondern auch der größte
Markt im Jahre. Bei dem vielen Volke, das dann zum Dome wallfahrtete, fanden das
Ratzeburger Handwerk und Gewerbe guten Absatz und reichen Verdienst.
Es ist mehr als wahrscheinlich, daß der Heilige in der Grabkirche die höchste
Verehrung genoß, wenngleich der Kult durchaus nicht lokalen Charakter trug,
sondern das Gedächtnis des Ansverus auch in den Diözesen Ratzeburg, Schleswig
und Schwerin gepflegt wurde.
Jedenfalls machte die Kirche mit dem Ansveruskult eine Konzession an die
Laienfrömmigkeit; der Heilige galt am Ausgang des Mittelalters als der beste
Fürsprecher vor dem Richterstuhl Gottes, der Helfer in Not und Gefahr.
Sonst ist das siegreiche Vordringen des Lokalheiligen eine allgemeine
Erscheinung in der Heiligenverehrung des ausgehenden Mittelalters.
Ansverus blieb als Vorkämpfer und Märtyrer des Christentums über die Reformation
hinaus, die die überschwängliche Heiligenverehrung ablehnte, ein volkstümlicher
"Heiliger" unseres Landes bis in unsere Gegenwart und wird als solcher in der
Geschichte unserer Heimat fortleben.
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