Beim Sammeln der "Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer
Schleswig, Holstein und Lauenburg" 1) rechnete
Prof. Karl Müllenhoff auf die Mithilfe seiner Landsleute. Sein
eifrigster Mitarbeiter wurde der Kandidat Wilhelm Arndt aus
Ratzeburg. Mehr als siebenzigmal ist unter den Beiträgen des
Buches zu lesen: durch Kandidat Arndt; nach Kandidat Arndts
Mitteilung; durch Herrn cand. phil. Arndt; nach Herrn cand.
phil. Arndts Mitteilung; nach mündlicher Relation ... wörtlich
niedergeschrieben von Herrn cand. phil. Arndt. Neben einer
großen Zahl von Aufzeichnungen aus der Umgegend von Schleswig
finden sich sechzehn Beiträge aus Lauenburg, 2)
neben Märchen wertvolle Sagen in der plattdeutschen Volkssprache
jener Zeit.
Es war mir immer unbegreiflich, daß ein für die
Volksüberlieferungen begeisterter junger Mensch in späteren
Jahren nie wieder von sich hören ließ, bis ich im
handschriftlichen Nachlaß Karl Müllenhoffs zwei Briefe von ihm
(Schleswig, 7. März 1844 und Lübeck,
28. November 1844) und einen von der
Hand seines Vaters (Schlagsdorf b. Ratzeburg, 13.
Dezember 1845) vorfand, die mir eine Antwort
gaben. Wilhelm Arndt war 1843-44
Hauslehrer beim Amtmann in Schleswig, wirkte von Weihnachten
1844 bis Johannis 1845 in Friedland in
Mecklenburg, ging dann nach Reval, wo er bereits am 11.
August desselben Jahres gestorben ist. Sein Vater schreibt
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1) Kiel 1845; Neue Ausgabe Schleswig
1921.
2) Marschall Luxemburg (Neue Ausgabe Nr. 86,
Anm.); Das Kegelspiel im Ratzeburger Dom (Nr. 88);
Die Doppelhufner im Amt Schwarzenbek (Nr. 107);
Der Wanderjude (Nr. 250, 1); De
Kulengrawer (Nr. 269); Die Windmühlen (Nr.
319); Der Drache (Nr. 326); Die Hexenfahrt
(Nr. 340); Das Teufelspferd (Nr. 375,
3); Unheimliche Orte (Nr. 378,
1); Düwelsdiek (Nr. 392); Die Riesen in
Krummesse (Nr. 417); Die Untererschen im
Köpfelberg (Nr. 446); Die geraubte Frau (Nr.
491); Der Wode (Nr. 577); Vom
Bauernsohn, der König ward (Nr. 606); Hans mit de
isern Stang (Nr. 609); Dummhans un de grote Ries
(Nr. 610); Von dem König von Spanien und
seiner Frau (Nr. 615); Es kommt doch einmal an den
Tag (Nr. 645).
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darüber an Prof. Müllenhoff: "Mein Sohn hatte seine Stelle in Friedland zu Joh.
d. Js. aufgegeben und ging nach Reval, um dort nach einer einstweiligen
Privatanstellung an der Ordnung und Untersuchung des ritterschaftlichen und
Stadt-Archivs zu arbeiten, in der Hoffnung, hiedurch sich den Weg zu einer
künftigen sichern Anstellung irgendwo in diesem Fach zu bahnen. Er machte seine
Reise zur See über Lübeck und Stockholm glücklich, kam in Reval an und begann
seine Arbeit. Nach wenig Wochen ward er von der dort herrschenden nervösen Ruhr
ergriffen und ist am 11. August in Reval gestorben. Seine und
meine Hoffnung für ihn in dieser Welt ist mit ihm selbst am Ostseegestade
begraben." In Georg Krüger, Die Pastoren im Fürstentum Ratzeburg seit der
Reformation 3) fand ich folgende Nachrichten über ihn: Wilhelm
Arndt, geb. 1817 Februar 14., gest. 1845
August 11. zu Reval, wohin er gegangen, um Anstellung bei dem
Archiv der Esthnischen Ritterschaft zu erhalten; ältester Sohn von Karl Friedr.
Ludw. Arndt, 1813-1839 nacheinander Konrektor,
Rektor, Direktor und Professor an der Domschule in Ratzeburg, 1839-1862
Pastor in Schlagsdorf.
Die beiden Briefe Wilhelm Arndts beweisen, wie ernst er seine Sammlerausgabe
betrachtete. "Sie können sich auf die vollkommen WÖRTLICHE Treue der
plattdeutschen verlassen", schreibt er in dem Briefe aus Schleswig, "mit
Ausnahme weniger, die aus dem Gedächtnis niedergeschrieben sind. Bei den
hochdeutsch mitgeteilten dürfen Sie keine wörtliche Übersetzung suchen. Es mußte
hier natürlich der hochdeutsche Ton der Sage gewählt werden ... Ich hoffe, Sie
werden sich mit mir freuen über den Erfolg, den alle Nachforschungen gewähren.
Immer mehr stellt es sich aber heraus, daß es die höchste Zeit ist, mit der
Sammlung dieser verstreuten Überreste deutscher Mythologie zu eilen". Für
Lauenburg ist besonders der Brief aus Lübeck bemerkenswert. "Schon lange, bester
Freund", heißt es da, "war es meine Absicht, Sie nach dem Fortgange Ihrer
Unternehmung zu fragen, der ich fortwährend lebhaftes Interesse schenke, obwohl
ich hier wenig dafür habe thätig sein können. Ich wollte Sie namentlich auf das
sächsische Land aufmerksam machen. Kein Land in ganz Norddeutschland ist so sehr
von unserer neumodischen Civilisation verschont geblieben als dieses. Die
meisten Gegenden zeichnen sich durch eigenthümliche Tracht und alterthümliche
Gebräuche aus. Es ist voll von Aberglauben. In Mölln, der Heimath Eulenspiegels,
müßten
noch wunderbare Dinge zu erfahren sein. Ich selbst werde Ihnen freilich wenig
von Nutzen sein können, da ich nur bis Weihnachten hier bleibe, um dann mein
Domicil in Friedland am äußersten Ende von Mecklenburg aufzuschlagen. Indessen
habe ich doch an Sie gedacht und vor einigen Wochen einen meiner Freunde, den
Rektor A. Vieth in Ratzeburg, der von vielen Lauenburgischen Sagen Kenntniß hat
und sie schon in früher Jugend in Poesie und Prosa verarbeitete, gebeten, mir
alles, woran er sich erinnert und was er sammeln kann, zuzusenden. Gewiß wird er
das thun ... Lauenburg
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3) Schönberg i. Mecklbg. 1899, S .
49; durch freundliche Vermittlung von Herrn Fr. Buddin.
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ist voll von Legenden und historischen Sagen aus dem Mittelalter. 43
Raubburgen zählte man hier zu gleicher Zeit. Die Erinnerungen an diese traurige
Lage des Landes kann nicht spurlos vorübergegangen sein. Wollen Sie alles der
Art aufnehmen, so wird dessen eine Legion sein. Die Sagen vom heil. Ansverus;
jeder Ratzeburgische Bischof hat seine Mirakel und Legendengeschichten, jedes
Dorf eine Raub- und Mordgeschichte; die Schwänke vom Eulenspiegel sind lange
nicht alle bekannt. An eigentliche Mythen erinnere ich mich nicht. Meine
Bekanntschaften in Lauenburg sind so alt, daß ich sie erst erneuern mußte, um
daran zu diesem Zweck anzuknüpfen. Darf ich von Ihrem Anerbieten Gebrauch
machen, und wollen Sie mir einige Thaler Reisegeld schicken, so will ich gerne
einige Tage daran setzen, um ein paar Excursionen auf die Lauenburgischen Dörfer
zu machen, denn meine eigenen Verhältnisse (ich lebe von dem Honorar meiner
Arbeiten über liefländische Geschichte) erlauben mir nicht, meine Casse zu
diesem Zweck anzugreifen."
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