In Niedersachsen war Herzog Magnus der erste
regierende Fürst, der dem gereinigten Glauben, dem Lutherwort
und den evangelischen Predigern in seinem "Fürstentum
Niedersachsen" die Tore öffnete; denn schon im Frühjahr
1523 bemühte er sich um die lutherische Predigt und
Bibel, zu einer Zeit, als weder in Hamburg, Lübeck, Lüneburg,
noch in Mecklenburg und Holstein eine ähnliche Kundgebung der
Obrigkeit bemerkbar war. Die Lauenburgische Kirchenordnung (1585)
hebt sodann das Jahr 1531 als das entscheidende
Reformationsjahr für Lauenburg heraus, wie auch Pastor Colerus
in Ratzeburg dasselbe als das Jahr der Reformation bezeichnet.
Damals trat Magnus I. zur Augsburgischen Konfession über, und
sein Sohn Franz I. folgte darin dem Vater. Beide waren "in
Gottes Wort gelehrt".
Als indessen Franz I. nach seines Vaters Tode (1543)
zur Regierung kam, verfolgte er keineswegs die zielsichere,
evangelische Linie. Ein schwacher Fürst, suchte er Anlehnung bei
seinem Oheim Heinrich dem Jüngeren in Wolfenbüttel, dem Schützer
des römischen Glaubens, während er es andererseits auch mit dem
evangelischen Kurfürsten Moritz von Sachsen und dem
marodierenden Mansfelder hielt, der u. a. den Ratzeburger Dom
demolierte (1552).
Der Herzog war vornehmlich politisch interessiert, während das
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Land nach einer Ordnung der kirchlichen
Verhältnisse drängte. Wohl war das Augsburgische Bekenntnis die Grundlage der
Lehre in den einzelnen Kirchspielen, aber der Herzog berief ebensowenig einen
Superintendenten wie eine Kommission, eine Generalkirchenvisitation zu halten
und die erforderliche Kirchenordnung auszuarbeiten. Schließlich kostete das
alles Geld, aber dies fehlte von Beginn der Regierung an, ja die Schuldenlast
wurde von Jahr zu Jahr größer. Desto mehr erstarkte die Ritter- und Landschaft.
Freilich ist es bisher infolge des Versagens der archivalischen Quellen nicht
möglich gewesen, das Rätsel zu lösen, weshalb nicht schon der Vater Magnus
I. seit 1531 eine Generalkirchenvisitation halten ließ,
einen Superintendenten berief und wie Hamburg und Lübeck durch Bugenhagen eine
Kirchenordnung feststellte. Jedenfalls war es vor dem Augsburger
Religionsfrieden 1555 ein Wagnis, der Kirche des Landes eine
rechtliche, kirchenordnungsmäßige Grundlage im Sinne der Augsburgischen
Konfession zu geben. Praktisch freilich hatte diese von 1531 an in
Lauenburg Geltung. Die Diplomatie aber konnte sich jederzeit in ihren Schreiben
an die katholischen Fürsten und den Papst den Anschein geben, als sei man noch
dem alten Glauben treu. So entwarf noch 1555 der Lauenburgische
Rat Lorenz Kirckhoff ein heuchlerisches Schreiben an den Papst wegen der
Besetzung des Ratzeburger Bischofsstuhls, worin Franz I. beteuert,
"daß er gerne der katholischen Religion gemäß, auch den Häuptern anhängig, als
ein treuer gehorsamer Fürst und Untertan sich gehalten" und alles daran setzen
wolle, daß die katholische Religion erhalten werden möge. Gegen "die
uffrorischen und abtrennigeren Gelitter (Glieder) der gemelten Religion und
Katholischen Kirchen" wolle er sich "mit hohem Fleiß befleißigen". Sein Sohn
Magnus solle statt des Mecklenburgers zum Bischof deklariert werden, "daß die
wahrhaftige Religion mughte erhalten werden und die Katholische Kirche" bleibe.
Sein Oheim Heinrich der Jüngere möge inzwischen als "DEFENSOR (Verteidiger) und
Beschützer der Katholischen lar und kirchen" das Bistum verwalten. Christof von
der Schulenburg, der letzte Bischof, habe Simonie getrieben und das Bistnm an
Christof von Mecklenburg verschachert, der doch ein "HERETICUS" und
"afftrenniger gelitter" sei. Denn offenbar sei der junge Christof samt seinen
Brüdern Anhänger der "Leutterschen lar und Religion", da er lutherisch erzogen,
die Mecklenburgischen Klöster und die Geistlichkeit "verstört" und "die
Kirchenordnung im Druck öffentlich ausgegangen". Dieses Schreiben, das Heinrich
dem Jüngeren in Wolfenbüttel vorgelegt wurde, hätte eigentlich die helle Freude
des Beschützers der katholischen Religion erregen sollen; aber dieser bemerkte
vielsagend, "diese Sache sei uff beden seitten ettwas Baufellig".
Inzwischen waren die Würfel gefallen. Auf dem Augsburger Reichstage 1555
war der Grundsatz festgestellt worden: "CUIUS REGIO, EIUS RELIGIO". Fortan
bestimnmte der Landesherr über den Religionsstand der Untertanen. Das bedeutete
für Lauenburg, daß es jetzt reichsrechtlich mit Fug und Recht
evangelisch-lutherisch war, weil der Fürst dieser Lehre anhing.
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Indessen zögerte sich die notwendige
Generalkirchenvisitation noch 9 Jahre hinaus. Der Hauptgrund
dieses Mangels muß doch wohl in der Lauheit und dem ehebrecherischen Leben des
Fürsten gesucht werden. Seit seinem Regierungsantritt war er nicht ein einziges
Mal zum heiligen Abendmahl gegangen, weil er es wegen seines unmoralischen
Wandels innerlich nicht konnte. Versagte der Herzog, dann mußte die
Nebenregierung, die Ritter- und Landschaft, ihren Einfluß geltend machen.
Glücklicherweise sind die Protokolle der Landtagsverhandlungen noch erhalten, so
daß wir die Frage nach der kirchlichen Lage vor der ersten
Generalkirchenvisitation zu klären imstande sind. Unter dem Adel ragen die
Schacken (Hartig und Valentin) zu Basthorst hervor, strenge Lutheraner, die
einen tüchtigen, evangelischen Prädikanten haben. Mit den Kirchgeschworenen und
dem Pastor in Kuddewörde leben sie im Streit, da sie ihre in Kuddewörde
eingepfarrten Hamfelder Untertanen nötigen, die Kirche zu Basthorst zu besuchen
und statt des Pastors in Kuddewörde dem Basthorster Pfarrer die kirchlichen
Gebühren zu zahlen. Als Grund ihrer Abneigung gegen den Pastor im Nachbardorf
geben sie an, daß er ein "gotloser papistischser Heuchler were, der Ihre Leutte
mit dem reinen gottes wort unnd den heiligen Sacramenten nach Cristi einssetzung
nicht thette [sic!] versehen". Ein scharfes Urteil,
denn die Kirchgeschworenen von Kuddewörde widersprechen: ihr Pastor sei kein
papistischer Heuchler, man möge ihn seiner Lehre halben eraminieren.
Der auf dem Landtage 1556 ergangene Bescheid besagt, den Schacken
gebühre es nicht, den Kirchherrn zu "Cuteworde" zu richten und der Kirche und
dem Kirchlehen des Herzogs Einhalt zu tun. Der Fürst befehle, daß der Kirche und
Pfarre "pacht und porunge" zu verabfolgen seien. Dagegen sei der Kuddewörder
Kirchherr vor den Herzog zu bescheiden, um examiniert zu werden. "Da dann
befunden wurde, das derselbig zum predigerstuell vnnd zur Selensorge nicht
tüchtig, vnnd seiner Lere nicht rechtschaffen were, sollte derselbe abgesetzt
vnndt so baldt wegkgeschafft, vnnd ein ander cristlicher vnd gelerter predicant
dahin verordnet werden." Wir sehen, wie tatkräftig der Adel für die reine Lehre
eintritt. Aber auch das ist völlig klar, daß der als "papistischer Heuchler"
titulierte Pastor keineswegs ein römischer Priester war. Wie hätten sonst die
Kirchgeschworenen so freimütig seine Prüfung fordern können? Jedenfalls wiesen
sie diese Verunglimpfung ihres Seelsorgers ganz entschieden zurück. 4
Jahre später erfahren wir aus den Protokollen, daß sich in Kuddewörde noch
römischer Sauerteig erhalten hatte. Auf dem Ratzeburger Landtag vom 4.
September 1560 stand der Aberglaube zu Büchen, Pötrau, Seedorf,
Zecher und Kuddewörde zur Debatte. Man beklagte sich darüber, daß "jüngst zu
Zecher im Beisein etlicher dieser Dörfer Predicanten solche greuliche Mißbreuche
gehalten, daß nicht zu verwundern, daß um solcher Gotteslästerung willen wol ein
ganz Land gestraft und verdammt werde". Welcher Aberglaube war gemeint? Offenbar
das Wallfahren zu den Wundern von Büchen, Zecher und Basthorst. In Büchen trieb
man noch den Marienkult, in Zecher trank man von dem Wunderquell und in
Basthorst hatte
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der heilige Leichnamsbrunnen den Aberglauben genährt. Waren nun
auch die Basthorster Schacken dem Wunderglauben abhold, so doch keineswegs alle
Leute dort und in Kuddewörde, die konservativ am Alten festhielten. Ja, auch
etliche der in Frage kommenden Prädikanten der 3 Kirchspiele
Seedorf, Büchen und Kuddewörde machten den Wallfahrtsschwindel mit. Es ist wohl
nicht von der Hand zu weisen, daß der 1556 gerügte Prädikant in
Kuddewörde deshalb als papistischer Heuchler gebrandmarkt wird, weil er an dem
alten Aberglauben mit seinen Kirchgeschworenen festhielt. Es handelt sich also
um LETZTE PAPISTISCHE RESTE, die sich in der evangelischen Kirche erhalten
hatten.
Da der Herzog nicht energisch genug diesem Aberglauben zu Leibe ging, so faßte
die Ritter- und Landschaft einen einhelligen Beschluß, daß solcher "Irrtum"
abgeschafft und endlich "ein gelehrter Mann vor ein SUPERINTENDENT gehalten und
verordent würde, welcher (wie dan in allen andern Fürstentumen vblich und
bebrauchlich) alle Quartal Ire Lehre, Lebens und Wandels halben examen halten
mochten". Mit aller Klarheit kommt in diesem Beschlusse zum Ausdruck, wie wenig
der Fürst seine landesherrliche Pflicht getan. Während ringsum in allen
Nachbarländern Superintendenten bestellt worden waren, hatte es Franz I.
immer noch versäumt. Die Folge dieser Unterlassung war, daß Lehre, Leben und
Wandel der Geistlichkeit zu wünschen übrig ließen und eine VIERTELJÄHRLICHE (!)
Prüfung für nötig gehalten wurde; freilich eine Unmöglichkeit für EINEN
Superintendenten. Immerhin kommt hier der Protest der Ritter- und Landschaft
wider das schwache Regiment des Herzogs ebenso zum Ausdruck wie der Wille des
ganzen Landes, daß nun endlich Ordnung in das Kirchenwesen gebracht werde. Der
Gerechtigkeit wegen muß freilich erwähnt werden, daß der Herzog Franz I.
zum mindesten in der Vogtei Ratzeburg eine Inventaraufnahme der Kirchengüter
1557 veranstaltete (siehe "Die Reformation in Lauenburg", S. 77).
Aber daß er darauf nicht zur Generalkirchenvisitation schritt, war schwerste
Unterlassung. Und daß der Fürst nach dem Landtag 1560 noch 4
Jahre gebraucht hat, um endlich einen Superintendenten zu berufen, war
verantwortungslos.
Endlich 1564 schlug die Stunde der ersten
Generalkirchenvisitation. Freilich der erste Versuch im Frühjahr 1564 mißlang.
Man hat bisher nirgends davon gewußt, bis Baring ("Die Reformation in
Lauenburg", S. 106) jüngst darauf aufmerksam machte. Wir haben in
den Staatsarchiven Kiel und Haunover die wenigen Akten darüber durchforscht und
können nunmehr davon erwünschte Nachricht geben:
Der Herzog ernannte im Frühjahr 1564 zu geistlichen Visitatoren
zwei erfahrene Männer der Kirche: Bruns und Stöver. Tilemann Stöver hatte seit
1552 in Rostock studiert und war 1554 Magister
geworden. In demselben Jahre hatten die Kirchenvorsteher von Lüdingworth im
lauenburgischen Hadeln Melanchthon um einen Geistlichen gebeten, worauf Stöver
die Pfarre erhielt. Später wurde er Superintendent von Hadeln. So war es
eigentlich selbstverständlich, daß
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dieser Lauenburgische Geistliche der Enklave Hadeln mit der
Generalvisitation der Kirchen des Stammlandes betraut wurde. Nächst Stöver war
Simon Bruns aus Lüneburg zum Visitator ausersehen. Bruns war eine tüchtige
Kraft. Aus Breslau gebürtig, war er als Student ein Schüler Luthers und
Melanchthons, machte in Wittenberg seinen Magister und wurde von dort direkt von
dem Abt Herbord von Holle zum Pastor an St. Michaelis in Lüneburg berufen. Bruns
(Bruno) war einer der fähigsten Köpfe der mit Hamburg und Lübeck kirchlich
verbundenen, bedeutenden Stadt. Deshalb wurde er in den seiner Zeit schwebenden
theologischen Streitigkeiten als Vertreter der Lüneburger Geistlichkeit
verwendet. Im Herzogtum Lüneburg leistete er in der Kirchenregierung treffliche
Dienste. Aber auch in den Nachbarländern wurde er hirtenamtlich verwendet. Als
sein Abt das Bistum Lübeck erlangte, versah er von Lüneburg aus die
Superintendentur zu Eutin, desgleichen, als der Abt auch Administrator des
Stiftes Verden wurde, half Bruns als Verdenscher Superintendent das Bistum
reformieren. Man sieht, daß Herzog Franz I. einen guten Griff mit der Berufung
des bedeutenden Theologen und Kirchenordners getan hat, als er diesen im April
1564 neben dem Superintendenten Stöver zum geistlichen Visitator
Lauenburgs beries. Als weltliche Visitatoren werden genannt: Heinrich Daldorf,
Lorenz Perkentin-Zecher, Verwalter des Hauses Neuhaus, und Bürgermeister Claus
Lütken-Lauenburg, die Hauptvertreter der Ritter- und Landschaft, denen das
endliche Zustandekommen der Visitation zu verdanken war. Indessen, als Franz
I. zu Otterndorf am Sonntag Misericordias Domini die allgemeine
Visitation der Kirchen ausschrieb, versagte einer nach dem andern. Zunächst
entschuldigte sich Magister Bruns, daß er notwendig nach Rostock und in den
Sprengel Eutin in Sachen des Bischofs v. Holle reisen müsse. Ferner war Heinrich
Daldorf verhindert. Schließlich zog sich auch Lorenz Perkenthin mit der
Begründung zurück, daß er, "ein Ungeschickter", mit dem Hause Neuhaus voll
beschäftigt sei. Schließlich waren der Hadeler Superintendent und der
Lauenburger Bürgermeister allein. Schon waren die Pastoren nach Lauenburg
beschieden, wo sie Stöver erwartete. Da mußte der Herzog die Visitation
vertagen, um sie im Herbst wieder einzuberufen.
Indessen machte nunmehr der Hadeler Superintendent Stöver Schwierigkeiten.
Vielleicht daß er durch die bei dem ersten Visitationsversuch in Lauenburg
gemachten Erfahrungen verschnupft war; kurz, er bat den Herzog durch die
Schulzen, Schöffen, Kirchgeschworene und Leviten zu Lüdingworth um Erlaß der
Aufgabe, indem er sich mit seiner Unwürdigkeit "tho solken hochwichtigen ampte",
mit seiner Hausarbeit und des Kirchspiels Not entschuldigte, da sein Kollege
Otto Erik alt und krank sei. So mußte sich der Herzog nach einem andern
Theologen umsehen, da er offenbar weder in Ratzeburg, noch in Lauenburg einen
befähigten Kirchenordner hatte.
So kam es, daß sich der Herzog an seinen Rat, den holsteinischen Kanzler
Tratziger wandte, der offenbar mit dem Generalsuperinten-
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denten Eitzen über die Berufung eines Theologen nach Lauenburg
alsbald verhandelte. Eitzen und gewiß auch Tratziger, beide zuvor in Hamburg,
schätzten Franz Baring, der soeben wegen seines milden, melanchthonischen
Luthertums hatte seine Stelle in Hamburg aufgeben müssen. Baring wurde nun von
Tratziger dem Herzog als wissenschaftlich und praktisch tüchtiger Theologe
empfohlen und als Ersatz für Stöver von diesem angenommen. So kam der Verbannte
nach Lauenburg. Auf dem Landtage zu Büchen vom 23. September
1564 erklärte sich die Ritter- und Landschaft mit der auf den 9.
0ktober festgesetzten "gemeinen Visitation" einverstanden, ernannte Heinrich und
Valentin Daldorf neben Hartwig Schacke zu Vertretern der Ritterschaft, was der
Herzog genehmigte, und stellte fest, daß außerdem die herzoglichen Räte Johann
Schinke und Andres Blome, sowie Claus Lütke, der Bürgermeister von Lauenburg,
Mithelfer der beiden Theologen Bruns und Baring sein sollten. Mithin waren von
der Kommission, die im Frühjahr hatte zusammentreten sollen, nur der
Bürgermeister von Lauenburg und der Superintendent Bruns wieder der hohen
Aufgabe gewürdigt worden. Das Fernbleiben der im Frühjahr erwählten Vertreter
der Ritterschaft läßt doch wohl auf Differenzen bei dem damaligen
Visitationsversuch schließen.
Dieses Mal war der Herzog erfolgreich. Dionysii 1564 begann
wirklich das Werk der lauenburgischen Generalkirchenvisitation. Es war in guten
Händen, weil der erfahrene Superintendent Bruns und ebenso Franz Baring, der in
Dörfern und Städten Niedersachsens amtiert hatte, die geistliche Leitung hatten.
Während es uns glückte, diese Nachrichten erstmalig aus den Archiven zu
veröffentlichen, waren doch die Protokolle der Kirchenvisitation, die noch vor
100 Jahren, allerdings nur in Bruchstücken, eingesehen werden
konnten (siehe Burmester, Beiträge zur Kirchengeschichte S. 12),
nicht mehr auffindbar. Wir danken es Burmester, daß er uns das Wichtigste daraus
überliefert hat. Nur im Staatsarchiv Hannover ist noch eine Originalurkunde
erhalten, die über die Visitation der Kirche und Pfarre Kuddewörde Aufschluß
gibt· Aus diesen geringen Quellen fließen uns folgende Ergebnisse zu:
Die Visitatoren hatten Anweisung erhalten, hauptsächlich über vier Punkte
Feststellungen zu machen:
1. Die reine Lehre, das Schriftstudium und die Tauglichkeit der
Pastoren zum Predigtamt gemäß der Augsburgischen Konfession
2. Glaube und Erkenntnis der Kirchgeschworenen.
3. Einkünfte der Kirchen und Pforten, baulicher Zustand derselben
und Verwendung der Kirchengüter·
4. Etwaige Abgötterei mit Wallfahrten, Heiligendienst und anderen
unchristlichen Gebräuchen.
Die Visitation begann am 9. Oktober in der Stadt Lauenburg mit dem
Beschluß. die Einsetzung eines Superintendenten zu verlangen, wie auch die
Ausarbeitung einer Kirchenordnung zu fordern, von der jeder Patron und Pfarrer
mindestens je ein Exemplar haben sollte. Am 12. Oktober war man in
Kuddewörde, wo die Visitatoren
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nicht nur den Pastor nach seiner schriftgemäßen Lehre und seiner
Verkündigung in der Gemeinde examinierten, sondern auch die Klage der Lucia von
der Lyth, Witwe des Tönnies von der Lyth, entgegennehmen, daß ihr von ihrem
vorstorbenen [sic!] Bruder ihr Brautschatz nicht
ausgezahlt sei. Das notarielle Zeugnis des Bürgermeisters Claus Lütken, das im
Herrenhause zu Kuddewörde aufgenommen wurde, sollte der Forderung der Witwe an
die Erben des Bruders zugunsten ihres Sohnes Jürgen größeren Nachdruck
verleihen. Auch über Bargteheide und Roggendorf erstreckte sich die Visitation.
Unter den Pastoren fiel Michael Funk-Mustin auf, weil er kein Akademiker war;
ebenso Heinrich Fürstenau in Pötrau als ehemaliger Kreuzherr des
Johanniterordens, doch wohl ebenfalls ohne Universitätsbildung. Meinard Warncke
in Lütau war Mönch in Königslutter gewesen. Kersten Bleke (Blehr?) war aus dem
Küsterstande (in Bargteheide) hervorgegangen. Johann Aderholt hatte "das meiste
nicht studiert". Bernd Syhr in Hitbergen war ein zu Ratzeburg vom Bischof
ordinierter, gewesener Priester. Verhältnismäßig viele Dorfgeistliche waren also
noch ungelehrt. Trotzdem bestanden einige vor den Visitatoren ihre Prüfung.
Dagegen versagten wiederum die vermutlichen Akademiker in Seedorf, Sahms und
Basthorst. Johannes Schwartz in Basthorst war im Studium der lutherischen Lehre
unfleißig. Würde er sich hierin nicht bessern, so müsse er abgesetzt werden.
Jakob Lüders in Sahms war schwach von Gedächtnis, besaß keine gründlichen
theologischen Kenntnisse und Predigte aus der Postille, indem er wahrscheinlich
ablas. Johann Aderholt in Seedorf, ein alter Mann, fiel im Examen durch, weil er
über die vornehmsten Glaubensartikel keine Antwort zu geben vermochte. Er solle,
falls er sich nicht bessere, seiner Pfarre verlustig gehen. Dem gegenüber wird
den Pastoren in Gudow und Siebenbäumen ein glänzendes Zeugnis ihrer
theologischen Bildung ausgestellt. Arnt Kloch in Siebenbäumen hatte in rostock
studiert, und Jürgen Gladow in Gudow besaß eine gründliche, theologische
Erkenntnis, weswegen er im Protokoll "sehr rühmlich erwähnt" wird.
Es ist interessant, daß die Visitatoren offenbar nach dem "Unterricht der
Visitatoren" von Melanchthon, sowie nach dessen LOCI COMMUNES RERUM
THEOLOGICARUM, d. h. der Zusammenstellung der reformatorischen Hauptbegriffe (1521)
das Examen der Pfarrer anstellten. In diesen Schriften Melanchthons wird
ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, das GANZE Evangelium zu
predigen, d. h. Gesetz und Buße ebenso wie Glauben und Gnade, oder, wie man auch
sagte: Gesetz und Evangelium. Gerade in den LOCI COMMUNES wird eingehend über
die Bedeutung des Gesetzes und Evangeliums gehandelt. Wie aus den Bruchstücken
der Protokolle von 1564 hervorgeht, war dies bei der Prüfung der
Pfarrer die entscheidende Frage: "Was predigst du den Leuten deines
Kirchspiels?" Sie erwarteten darauf die glatte Antwort: das Gesetz und
Evangelium! Wer ALSO lehrte, wurde als evangelischer Pastor "genugsam erkannt".
Jürgen Gladow in Gudow wurde wegen solcher Antwort besonders gerühmt. Der
ungelehrte Pastor Michael Funk in Mustin
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erklärte, er predige das Evangelium aus den Postillen Luthers und
Corvini, des Superintendenten von Göttingen. Das Gesetz zu nennen vergaß er. Ein
theologisches Gespräch zu führen, war er außerstande. Ihm wurde aufgegeben, sich
des theologischen Studiums zu befleißigen. Funk war durchaus ein Praktiker, der
Gottes Wort "Edlen und Unedlen" recht und schlecht predigte. Man ließ ihn im
Amt. Am klarsten konnte Arnt Kloch in Siebenbäumen die Bedeutung des Gesetzes
und Evangeliums definieren: "Er lehre das göttliche und seligmachende Wort
lauter und rein, als die Erklärung des Gesetzes, wodurch die Sünde erkannt,
demnächst eine fröhliche Botschaft des heiligen Evangelii." Ähnlich lautet das
Urteil über den Gülzower Pastor Johannes Rosenmeyer, "daß er seinen Schäflein
das Gesetz und Evangelium rein und lauter predige". Jakob Lüders in Sahms vergaß
auf die Frage nach dem Gegenstand seiner Predigt das Gesetz zu nennen. Er gab
kurz zur Antwort, er predige das Evangelium, und zwar aus der Postille
(vermutlich Luthers). Daß er nicht vom Gesetz sprach, wurde ihm als grober
Fehler angerechnet. Dies hatte tieferen Grund, als es scheint. Denn unter den
Theologen war nach Luthers Tode eine Spannung eingetreten. Die einen waren
Gegner der Gesetzespredigt und lehrten nur das Evangelium, während die echten
Lutheraner beides betonten: Gesetz und Evangelium. Da nun Magister Bruns
letztere Auffassung mit dem Lüneburger Kirchenregiment teilte, so legte er als
Visitator großen Wert darauf, daß die Lauenburger die reine lutherische Lehre
vertraten. Da jedoch Baring zum milden Luthertum neigte und eben deswegen seine
Pfarre in Hamburg hatte aufgeben müssen, ist nicht anzunehmen, daß die Pastoren
auf die ganz strenge Richtung der sogenannten Flacianer festgelegt wurden. Bruns
und Baring werden eine mittlere Linie eingehalten haben, zwar lutherisch, jedoch
im Sinne Melanchthons versöhnlich. Baring jedenfalls folgte auf dieser
gemäßigten Linie bewußt seinem Freunde Eitzen, dem einflußreichen
Generalsuperintedenten in Schleswig-Holstein.
Jedoch nicht nur die Bedeutung des Gesetzes und des Evangeliums war Gegenstand
des Examens, sondern die Hauptlehren der Reformation überhaupt. Da die LOCI
COMMUNES Melanchthons ausdrücklich erwähnt werden, sind sicherlich die dort
behandelten Lehrpunkte bei der Prüfung der Pfarrer zugrunde gelegt worden; z. B.
die Lehre von der Sünde, von der Bibel, den Sakramenten usw. Da der Katechistnus
zum ernsten Studium empfohlen wird, so wird auch dessen Kenntnis vorausgesetzt
worden sein, wie ebenfalls die Augsburgische Konfession in der Instruktion der
Visitatoren ausdrücklich genannt wird.
Wieweit die Kirchgeschworenen das Glaubensexamen bestanden haben, wird nicht
überliefert. Desgleichen findet man in den Fragmenten über die Einkünfte und
Gebäude nichts mehr. Dagegen wurde mancherlei Aberglaube aufgedeckt, besonders
in Büchen die Anbetung der blutigen Hostie, wohin man noch immer Wallfahrten
unternahm. Burmester berichtet endlich, daß "die Sitten und die religiöse
Erkenntnis im tiefsten Verfall" und "überall eine traurige Unordnung in allen
kirchlichen Verhältnissen" angetroffen wurde. Da wir
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die Protokolle nicht mehr einsehen können, läßt sich dieses
vernichtende Urteil über die Innerlichkeit, Sitte und Sittlichkeit, sowie das
äußere Kirchentum nicht nachprüfen. Sicherlich aber ist es stark übertrieben, da
jedenfalls, wie wir gesehen haben, die Erkenntnis der Pastoren nicht allgemein
dürftig war und über ihre Sitten nirgends etwas Nachteiliges erwähnt wird.
Die Fragmente der Generalkirchenvisitation geben einen, freilich lückenhaften
Einblick in die PATRONATSverhältnisse. Der Pastor zu Lauenburg wurde vom Herzog
und Rat der Stadt, der zu Ratzeburg vom Rat mit Wissen des Herzogs, der zu
Sterley von dem Herrn von Wackerbarth auf Kogel, der in Brunstorf durch die
Schacken in Basthorst berufen. Die einzige Pfarre im Amte Neuhaus, nämlich das
frühere Archidiakonat Stapel, besetzte der Herzog, indem er den Magister Georg
Usler dorthin berief, der 1566 zum ersten lutherischen Prediger am
Dom zu Ratzeburg bestellt wurde.
ORDINIERT waren sämtliche Geistliche außer Christian Blecke in Brunstorf, der
zuvor Pastor in Allermöhe, im Hamburgischen Landgebiet, gewesen war. Zwei waren
Von Bischöfen ordiniert, der eine vom Bischof in Cambrai, der andere von dem zu
Ratzeburg. Die meisten waren außerhalb Lauenburgs zum geistlichen Amt
verpflichtet, nämlich in Hamburg, Pokrent, Celle, Lübeck, Wolfenbüttel. Einer
war in Mölln ordiniert. Da ein Superintendent in Lauenburg nicht vorhanden, so
ordinierten die Pastoren der Städte Lauenburg und Ratzeburg die Kandidaten.
Pastor Mantzoll-Ratzeburg vollzog die Ordination an dem zum Pastor in Sterley
berufenen Deterding unter Assistenz des Mustiner Geistlichen, während Magister
Usler von Konrad Huswal-Lauenburg und Magister Th. Sorbach-Artlenburg die Weihe
zum Amte in Stapel empfing.
Es fällt auf, daß, soweit die Nachrichten reichen, unter den Pastoren kein
einziger Lauenburger ist, was damit begründet werden kann, daß infolge der
Reformation das Schulwesen in den Jahren 1530-60 daniederlag, so
daß lauenburgische Studenten in dieser Zeit eine Seltenheit waren. Vor allem
begegnen wir auf den lutherischen Universitäten nirgends einem Lauenburger,
soweit wenigstens die Matrikeln die Nationalität der Studierenden angeben. Man
kann noch einen weiteren Schluß machen. Wenn das Fürstentum Niedersachsen für
die Pfarren in der Zeit der ersten Generalkirchenvisitation keine Bewerber
stellte, so ist dies ein Beweis für die geschichtliche Wahrheit der in der
Kirchenorduung berichteten Tatsache, daß die 1531 begonnene
Reformation des ganzen Landes "mit großer Schwachheit" fortgesetzt worden ist.
So war die Reformation in Lauenburg nicht was sie in Hamburg und Lübeck, auch
Mölln gewesen ist: eine Volksbewegung.
Burmester berichtet, daß die Visitation 1564 UND 1566
stattgefunden habe. Eine Parallele zu der Zweizahl bietet die zweite
Generalkirchenvisitation 1581/2. Im Herbst 1581 begann man mit dem
Examen des Pastors über seine Lehre und Amt. Im Sommer 1582
stellte man die Einkünfte der Pfarren und Kirche fest. So wird man auch
1564 zunächst die Pastoren geprüft haben, um 1566 Eigentum und Einkünfte
der Kirchen und Pfarren zu ermitteln.
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Man wird annehmen müssen, daß alsbald nach dem Examen der Pfarrer
ein Visitationsbescheid erging. Die Mißbräuche der päpstlichen Zeit schaffte man
ab, die wundertätige Hostie in Büchen beseitigte man, verboten war zu wallfahren
und "sich nach der Büchen zu verloben", den meisten Pastoren wurde das Studium
der LOCI COMMUNES und des Katechismus ans Herz gelegt. Vor allem aber wurde
Baring auf Drängen der Ritterschaft wohl schon 1565 zum
Superintendenten berufen. Hätte er sich nicht bewährt, so wäre er nicht zum
ersten Geistlichen des Herzogtums ausersehen worden. Leider erfährt man aus den
Fragtmenten über das Schulwesen nichts.
Baring nahm die Aufgabe aus der Kirchenvisitation mit, diese für seinen Sprengel
fruchtbar zu machen. Daß ein Superintendent bestellt wurde, war die erste
Frucht, an die sich die KIRCHENORDNUNG reihen sollte. Baring machte sich alsbald
an die Arbeit und konnte bereits 1567 den ersten Entwurf
einreichen, den der Herzog an seinen Rat Tratziger nach Schleswig zur
Begutachtung schickte, von wo derselbe am 14. September zurückgelangte. Jedoch
der Herzog kümmerte sich nicht um die Kirchenordnung, auch dann nicht, als
Baring einen zweiten Entwurf vorlegte, der ebenfalls durch Tratzigers Hände
ging. Mochte die Ritterschaft noch so sehr drängen, den Fürsten drückte die
Sorge um die Religion nicht. Auch die zweite Kirchenordnung fand keine Annahme.
Bitter beklagte sich Baring über die Unterschätzung und Mißachtung des
kirchlichen Dienstes bei seinem Freunde Eitzen (1569). Unmöglich
aber wurde die Herausgabe der Kirchenordnung dadurch, daß der Herzog völlig
verschuldete und somit die größte Verwirrung im Regiment des Landes herrschte.
Dadurch wurde Barings Lage stetig schwieriger. Die folgenden Jahre waren erfüllt
von dem ärgerlichen Zank in der herzoglichen Familie. Wohl nötigte die Ritter-
und Landschaft am 6. Oktober 1573 in dem Verträge zu
Lauenburg den Herzog, die Kirchen visitieren zu lassen. Auch befaßten sich der
Adel und die Städte wiederholt mit den kirchlichen Zuständen und sprachen auf
einem späteren Landtage offen aus, daß die innere Zerrissenheit des Landes
einzig und allein Schuld daran trage, daß die Kirchenordnung, von der man vor
etlichen Jahren geredet habe, immer noch nicht beschlossen sei, wodurch viele
Mißbräuche in den Kirchen, Untauglichkeit der Priester, Sünde und Mutwillen der
Untertanen und Zuhörer täglich mehr und mehr zunähmen, so daß endlich hierum die
Strafe Gottes über das arme Ländlein zu erwarten. Schließlich machte die
Landschaft 1578 einen energischen Vorschlag, die im Lande vielfach
als Ersatz gebrauchte MECKLENBURGISCHE KIRCHENORDNUNG "mit fürstlichem
Vorgedruckten Befehl und Insigniis zu publizieren". Zwar kam in diesem Jahre die
Hofgerichtsordnung heraus, nicht aber die Kirchenordnung. Inzwischen aber gewann
der jüngere Sohn des Herzogs - Franz II. - das Übergewicht, der
eine strengere kirchliche Linie verfolgte, so daß Baring keine Aussicht mehr
hatte, seine Hauptaufgabe, die Herausbringung der Kirchenordnung, zu vollenden.
Als Franz II. 1581 seinem Vater in der Regierung folgte, mußte
Baring einem andern seinen Sprengel und die Ausarbeitung der Kirchenordnung
überlassen.
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