Hoch vom Turme der St. Petrikirche zu
Ratzeburg schallt alle Viertelstunden scharfer, bis nach Mustin
hin hörbarer Hammerschlag der elektrisch betriebenen
Uhr des Gotteshauses. Auf der Glocke vom Jahre 1578,
die dem wuchtigem Schlage ebenso kräftig Antwort gibt, steht der
Name einer Familie, die seit 1444
im nahen Kirchspiel Schlagsdorf nachweisbar ist und dort bis
heute blüht, während sie in der Stadt Ratzeburg, sowie am Dom
ca. 150 Jahre lang namhafte Vertreter gehabt hat.
Es ist die Familie Claus (Claußen. Claßen, Clasen). Hans Claus (1578)
war Ratsherr und ältester Kämmerer der Stadt Ratzeburg, der
Begründer eines Geschlechts, das länger als hundert Jahre lang
der Stadt Ratzeburg und dem Lande Lauenburg rühmenswerte Dienste
geleistet hat. Sein Sohn Carsten war erster Bürgermeister der
Stadt (1601-1620) und dessen gleichnamiger Sohn
zunächst Rittmeister unter dem Grafen voll Mansfeld im
Dreißigjährigen Kriege, dann Ratsherr seiner Heimatstadt,
endlich Oberförster und Amtmann. Die vorzüglichen Eigenschaften
und Talente der auf dem Gebiete der Verwaltung ausgezeichneten
Väter erreichten schließlich ihren Gipfel und ihre Krone in dem
Urenkel PETER CLASEN, der der erste Beamte des ganzen Herzogtums
werden sollte. Zwar wird er im lauenburgischen Schrifttum
gelegentlich erwähnt, aber die ihm gebührende Würdigung hat er
nirgends gefunden. Zwar streift Hans Ferdinand Gerhard in seinen
höchst spannend, stets interessant geschriebenen, sehr
verdienstvollen Federzeichnungen "Unter Trümmern" Peter Clasens
Bild, aber, wie aus dem Quellenverzeichnis ersichtlich, hat er
noch nicht seinen im Stadtarchiv Lübeck unter 1- XIII 539
aufbewahrten Lebenslauf gekannt, der deshalb der besonderen
Beachtung wert ist, weil er nach dessen Tode von einem
Nichttheologen verfaßt ist. Denn wäre ein Geistlicher der
Verfasser, so würde man seine Leichenrede nicht ohne Vorsicht
aufnehmen dürfen, wissen wir doch, daß die gedruckten
Leichenpredigten jener Zeit geschichtliche Quellen nur zweiten
Ranges sind. Da man im lauenburgischen Schrifttum vergeblich
nach einer Lebensbeschreibung eines führenden Regierungsbeamten
der askanischen Herzöge sucht, so sind wir auf Grund jenes
"Lebenslaufs" zum ersten Male in der Lage, ein derartiges Bild
zu entwerfen, das geschichtlich um so bemerkenswerter ist, als
Peter Clasen des letzten Herzogs von Lauenburg letzter
Regierungsrat war.
Vom alten, gotischen Türm von Sankt Peter in Ratzeburg schlug es
Mitternacht. Es war am 25. Mai 1649.
Eine sterbende, schwindsüchtige Mutter ließ sich eben aus dem
Krankenbett auf einen Stuhl geleiten, der dicht vor dem Kamin
stand. Da saß die Todgeweihte im Schein des knisternden Feuers,
das noch junge Weib des Ratsherrn Carsten Clasen, des
Bürgermeisters Hans Hunds fromm und sittsam erzogene Tochter.
Maria hieß sie, und eine Maria war sie. Was hatte sie in dem
Grauen des großen Krieges erlebt! Als sie einst vor den Schweden
mit ihren Kindern in einem Kahn nach Lübeck flüchtete, da brach
der Sturm auf der hohe von Pogeez los, daß sie fast mit den
Kleinen untergegangen wäre. Damals war ihr Ältester, Peter, fünf
Jahre alt» und als er kaum ein Jahr zählte, brannte das Wohnhaus
nieder, daß die Mutter mit dem Kleinen in das alte, baufällige
Brauhaus flüchten mußte. Seit jenem Sturm auf dem Ratzeburger
See waren ihre Nerven so geschwächt, daß sie nie wieder ihre
alte Kraft erlangte. Hinzu kam, daß die Pest des Jahres
1639 auch die Clasensche Familie grausam heimsuchte.
Peter lag mit seinen Geschwistern krank. Sein Bruder starb, er
selbst wurde gerettet, indem die Mutter, gänzlich mittellos, zu
ihrer Schwester flüchtete. Nun ruhten Schwert und Geißel, da der
Friede geschlossen war; aber durch Marias Seele ging ein
Schwert, seit sie von einem Töchterlein entbunden war. Seit
Weihnachten 1648 war sie ans Bett gefesselt. Trotz
des Beistandes Lübeckscher Arzte magerte sie zusehends ab. Fünf
Monate der Qual lagen hinter ihr. Sie fühlte, daß ihr Leben nur
noch Stunden zählte. Da ließ sie Peter, ihren Ältesten, rufen.
Im Nachtgewande stand er vor der Sterbenden. Er war fünfzehn
Jahre alt, des Vaters
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und der Mutter Stolz. Er hatte zuerst die
Stadtschule, dann die Domschule besucht. Die Anfangsgründe des Wissens,
besonders der lateinischen Sprache, der Kirchenmusik, deren Liebhaber sein Vater
war. und echte Herzensfrömmigkeit hatte er in Haus und Schule gelernt. Als er so
in der Maiennacht vor seiner Mutter stand und die Geistlichen der Stadt neben
ihm und dem Vater, da sprach sie ernst und gütig: "Lieber Sohn, du stehest meine
tödliche Leibesschwachheit. Das sagt dir deine treue Mutter: Dein Leben lang
fürchte Gott, ehre deinen Vater, studiere und bete fleißig, geh deinen
Geschwistern mit gutem Beispiel voran, so wird Gott mit dir sein." Der
Lungenhusten quälte sie, so daß sie mit gebrochener Stimme schloß: "Ich wollte
dir noch viel mehr ans Herz legen, aber du siehst: ich kann nicht mehr." Aus den
Augen des Jünglings perlten Tränen. Er griff nach der welken Hand der Mutter und
gelobte, ihren letzten, heißen Wunsch zu erfüllen.
Peter Clasen hielt sein Versprechen. Von den Linien, die in einer schweren
Jugendzeit in sein Herz gezeichnet wurden, wich er nie. Nach dem Tode der Mutter
schickte ihn sein Vater, der ihn zum Juristen bestimmt hatte, zu seinem
Verwandten Daniel Clasen, Rektor des Gymnasiums in Magdeburg, dem nachmaligen
Professor der Rechte an der Universität Helmstedt. Auf dem Magdeburger Gymnasium
vervollständigte er seine altsprachlicheil Kenntnisse und wurde durch
Privatstunden seines gelehrten Verwandten in die Philosophie eingeführt. Nach
wenigen Jahren hatte er die Reife für die Universität erlangt. So bezog er, wohl
von Daniel Clasen beraten, die Hochschule zu Wittenberg, wo er Philosophie und
Jura bei den Professoren Sperling. Leyser und Alerandri studierte, unter denen
der letztere den nachhaltigsten Einfluß auf ihn ausübte. Nach drei Jahren
wechselte er nach Helmstedt hinüber, wo er unter den Professoren Georg Werner,
Hinrich Hahn, Johannes Eichel, dem späteren lauenburgischen Kanzler, besonders
aber, von Johannes a Felde gefördert, seine Studien vollendete. Letzterer
schätzte das "hurtige INGENIUM und reine IUDICIUM" des Referendars so. daß er
ihm die Verwaltung des Gerichts der Güter der Frau von Steenberg und den
Unterricht der Söhne derselben besorgte, die er auf die Hochschule durch
philosophische und juristische Stunden vorbereitete. Es war eine einträgliche
Stelle, die er nur auf Drängen seines Vaters aufgab, um auf der Universität Jena
seinen juristischen Doktor zu machen. Am 6. Juni 1660
bestand er die Doktorprüfung mit einer Disputation DE DISTRACTIONE PIGNORUM mit
hohem Lobe.
Nun war er für eine Lebensstellung reif. Er kehrte heim und verlobte sich mit
Margarethe (Mette) Petersen, des Bürgermeisters zu Bergedorf Tochter, die er in
seiner Vaterstadt kennen lernte. So kam es, daß er zunächst in das juristische
Büro des Bruders seines Schwiegervaters in Hamburg eintrat, um sich in der
Praxis eines Syndikus umzusehen, bis ihn Franz Erdmann, Erbprinz von Lauenburg,
zu seinem Hofrat berief. Nach seiner Hochzeit nahm er auf dem Domhofe in
demselben Hause Wohnung, das einst sein Oheim, der Domherr Petrus Claus inne
gehabt. Die Ehe war glücklich, wurde aber durch den frühen Tod der Gattin jäh
zerrissen, nachdem sie vier Kindern das Leben gegeben hatte, von denen Maria
Catharina am 3. März 1663 im Dom getauft wurde. Sie
starb am 22. Oktober 1664 auf dem Domhof und wurde
8 Tage, später in der St. Petrikirche beigesetzt. Als Hofrat des
Erbprinzen bewährte er sich, so daß er bei dessen Regierungsantritt eine
Verbesserung seines Gehalts erzielte. Er hatte vornehmlich die deutsche und
lateinische Korrespondenz des Fürsten zu erledigen, der mit berühmten Männern
seiner Zeit in Briefwechsel stand. Eine sonderliche Ehre für den jungen Hofrat
war es, daß er mit dem damals weit bekannten Lucas Holstein, dem Verweser der
Vatikanischen Bibliothek und päpstlichen Gesandten in Rom, dem Verfasser vieler
theologischer und historischer Werke, im Aufträge des Herzogs in eine gelehrte
Korrespondenz eintreten durfte. Jedoch so kurz seine erste Ehe, so rasch endigte
der Tod des Herzogs das erste Berufsglück des jungen Rechtsgelehrten. Als jener
nach wenigen Monaten des Regiments 1666 starb, verlor Peter Clasen
sein Amt und ging nach Speyer, teils um Prozesse seiner Klienten wahrzunehmen,
teils um sich weiter in Kammergerichtssachen fortzubilden. Jedoch schon am
15. Oktober 1667 erhielt er durch Vermittelung des
Barons von Görtz die Bestallung zum Syndikus der Ritterschaft in Franken. Als er
nach fünfjährigem Dienste gelegentlich eines Urlaubs nach Ratzeburg heimkehrte,
verlobte
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er sich zum zweiten Male und führte, indem er
um seiner neuen Liebe willen auf sein Amt im fernen Franken verzichtete,
Magdalena Judith, Tochter des Ratskammerschreibers Leonhard Sonnemann, zu Lübeck
heim, wo er sich als Rechtsanwalt niederließ. In zweiter Ehe hatte er 6
Söhne und 3 Töchter, von denen
4 Söhne und 1 Tochter in zarter Jugend starben. Je
größer der Schmerz über so viel Leid in der Familie, desto höher stieg sein
Stern im öffentlichen Leben. Es scheint, daß er damals der erfolgreichste
Rechtsanwalt in der Hansestadt gewesen ist. Man rühmt, daß er "ein sonderlich
Talent darin gehabt, daß er nicht allein seiner Klienten Sachen sehr kurz,
NERVOSE und PERSPICUE deducieren können", sondern auch mit großer Leichtigkeit
und Treffsicherheit in die Sache des Klienten einzudringen vermochte. Er war ein
"rechter practicus". Unbeirrt um seiner Neider Haß und Quertreibereien setzte er
elf Jahre lang seine Tätigkeit fort, bis er 1683 von Herzog Julius
Franz, dem letzten Askanier auf dem lauenburgischen Thron, zum Hof- und
Regierungsrat in Ratzeburg berufen wurde, hier konnte er sich erst recht zum
Segen seines Heimatlandes auswirken. In kurzem hatte er sich so sehr das
Vertrauen des in Böhmen zu Schlackenwerth residierenden Landesherrn erworben,
daß er bereits nach vier Jahren (1687) das DIREKTORIUM über die
Regierung, Kanzlei und Konsistorium erhielt. Der Herzog unternahm nichts für
Lauenburg Wichtiges, bevor er nicht das Gutachten des klugen und gerechten
Beamten gehört hatte. Im Aufträge des Herzogs hatte er mehrmals wichtige
Verhandlungen in Speyer zu führen, wie er auch als Gesandter in Heidelberg und
Berlin wichtige Missionen erfüllte. Zweimal nahm er zu Hamburg wegen des
Lauenburgischen Elbzolls an einer Konferenz mit dem Kaiserlichen Abgesandten des
Niedersächsischen Kreises und den Kurbrandenburgischen Ministern teil. Im Jahre
1689 beabsichtigte der Herzog, bei seinem Besuch in Lauenburg den
bewährten Regierungsrat zu befördern. Da starb jener plötzlich, und dem Aufstieg
zu höheren Ehren war damit für immer ein Ziel gesetzt. Man lese in Hans
Ferdinand Gerhards Federzeichnung "Unter Trümmern", was nach dem Aussterben der
Askanier in Lauenburg geschah. Zwar wurde D. Clasen von dem Kurfürsten Johann
Georg III. zu Sachsen in seiner Stellung belassen, nachdem dieser
durch Lic. Salomon Zapf von dem Lande und der Stadt hatte Besitz nehmen lassen.
Am 28. September 1689 nahm Clasen mit den beiden
Bürgermeistern im Namen des Kurfürsten von jedem Hause "Possession", indem er in
symbolischer Weise alle Haustüren der Pfaffen- und Langenbrückerstraße auf- und
zumachte, Steine aus der Gasse brechen ließ und den Bürgern der beiden Straßen,
sowie dem Malz- und Kornmüller erklärte, daß ihre Türen nur dem Kurfürsten von
Sachsen offen stehen sollten. Als dann hannovrisches Kriegsvolk Einlaß ins
Schloß begehrte, beschlagnahmte Clasen und der Major von Vorst die Kähne und die
Domhalbinsel, worüber sich der Archivarius Riecken-Dom beschwerte. Man erwiderte
ihm, das sei RAISON DE GUERRE. Es ist bekannt, wie dann Herzog Georg Wilhelm von
Braunschweig-Lüneburg das Land und die Stadt Ratzeburg auch seinerseits besetzen
ließ. Dabei wurde mit der alten Regierung wenig freundlich verfahren. In die
Wohnung v. Clasens wurde eine Wache und ein Kontingent von 14
Musketieren gelegt, so daß er mit seiner Familie schwer zu leiden hatte. Es ist
verständlich, daß die Eroberer dem höchsten Beamten des Kurfürsten von Sachsen
und Alteingesessenen mißtrauen mußten, zumal seine politische Klugheit und Treue
zu seinem Vaterlande bekannt war. Man muß auch annehmen, daß der Oberhauptmann
Christian Ulrich von Wackerbarth zu Harburg, den Herzog Georg Wilhelm als
geborenen Lauenburger zu einem gefügigen Werkzeug seiner Politik gemacht hatte,
die Beseitigung des ihm wegen seiner Tüchtigkeit bekannten präsidierenden
Regierungsrats betrieb, da er am 4. Oktober schon dem Herzog
berichtete, Clasen wolle nach Lübeck gehen. Doch dieser wußte sehr genau, was er
wollte. Er brachte seine Familie in Lübeck unter, während er selbst heimlich die
Stadt verließ, um sich zu seinem Kurfürsten, dem er den Eid der Treue geschworen
hatte, zu begeben. Am 26. Oktober 1689 schrieb
Herzog Georg Wilhelm an Wackerbarth, Clasen habe sich heimlich davongemacht;
eine Wache solle in sein Haus gelegt werden. Unterdessen hatte D. Clasen zu
Dresden dem Kurfürsten von Sachsen von der dreisten Annektion des Landes durch
Hannover ausführlich berichtet. Hierbei erwarb er sich sofort die volle Gunst
seines Herrn, so daß dieser ihm die Stelle eines Hof- und Regierungsrats in der
Hauptstadt Sachsens anbot. Doch Clasen nahm seinen Abschied und, ging
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zu den Seinen nach Lübeck, wohl wissend, daß
seine Gattin, eine Lübeckern, sich nie in Dresden einleben würde. Jedoch wurde
er mit der Wahrnehmung der
kursächsischen Angelegenheiten in der Hansestadt betraut, die er auch dann noch
besorgte, als Johann Georg IV. Kurfürst von Sachsen wurde, der den
Treuen auch zu seinem Rat ernannte. Unterdessen wurde das am Ratzeburger See
gelegene Lusthaus des D. Clasen samt Garten zu Befestigungszwecken von den
Hannoveranern benötigt und der Wert des Gartens auf 150 Rtl.
festgestellt. So diente fortan die Stätte, wo die Clasensche Familie die
glücklichsten Tage verbracht hatte, als Teil der Festung Ratzeburg.
Hier ist der Ort, den oben gezeichneten Hergang der Abdankung des Regierungsrats
aus lauenburgischen und kursächsischen Diensten, sowie des Abschiedes aus
Ratzeburg mit dem Bilde zu vergleichen, das Hans Ferdinand Gerhard in seinem
oben gerühmten Buche "Unter Trümmern" bietet. Danach hätte Clasen eine komische
Rolle bei der plötzlich eingetretenen Veränderung gespielt. Der schwächliche,
schmächtige Mann, der von bebender Angst vor den Hannoveranern schlottert und an
fleischlichem und alkoholischem Genuß stark interessiert ist, wäre der neuen
Situation durchaus nicht gewachsen gewesen. Clasen eine Karikatur! Mag man
immerhin dem Dichter eine gewisse Freiheit zugestehen, aber das Eine scheint uns
nach Auswertung der aus dem Staatsarchiv Hannover I Nr. 428
uns durch Herrn Major von Rundstedt zugegangenen Nachrichten und des oben
genannten "Lebenslaufs", den übrigens nicht ein Gegner, sondern ein Freund der
Hannoveraner geschrieben hat, klar geworden zu sein, daß der letzte
lauenburgische Regierungsrat sich in jener kritischen Stunde korrekt benommen
hat. Der kluge Politiker verfolgte eine klare Linie. Er kannte die
lauenburgische Geschichte als Landeskind genau und hielt niemand anders als
erbberechtigt denn den Kurfürsten von Sachsen, wohl wissend, daß einst durch
Erbteilung das Sachsenland in das Fürstentum Niedersachsen und Obersachsen
zerfallen war. Was war natürlicher, als daß nun nach Aussterben der
niedersächsischen Linie Lauenburg an Obersachsen zurücksiel? So schwur D. Clasen
dem neuen Herrn die Treue und hielt sie, koste es auch seine Stellung und seine
Heimat. Als Gegner der Hannoveraner, verfolgt von den Intriguen des Lauenburgers
Wackerbarth, der als hannovrischer Beamter sein vaterländisches Herz dem fremden
Eroberer opferte, in Ungnade bei letzterem gefallen, blieb ihm nichts weiter
übrig, als heimlich seine Heimat zu verlassen und sein Recht bei seinem Herrn in
Dresden zu suchen.
Hier ist wiederum der Ort auszusprechen, wie mangelhaft die lauenburgische
Spezialforschung vorgearbeitet hat. Was für kostbare Federzeichnungen hätte das
schriftstellerische Talent Hans Ferdinand Gerhards der Heimatliteratur schenken
können, wenn die erforderlichen Einzelforschungen vorgelegen hätten!
D. Clasen war 57 Jahre alt, als er seine Heimat verlor. Nur schwer
überwand er, nach Lübeck übergesiedelt, den jähen Abbruch. Doch allmählich nahm
er seine einstige, durch den lauenburgischen Dienst unterbrochene Advokatur
wieder auf, so daß er schließlich vollauf wieder beschäftigt war.
1699 starb nach 27 Fahre langer Ehe seine zweite Frau. Ebenso ging
ihm sein Sohn Petrus Bernhardus 1708 im Tode voran, der nach Besuch der Schulen
in Lübeck und Ratzeburg auf den Universitäten Gießen, Marburg und Helmstedt Jura
studiert und in Greifswald zum Doktor promoviert hatte. Ein anderer Sohn, der
ihn überlebte, Alexander Hieronymus, war ebenfalls Doktor der Rechte und
Rechtsanwalt in Lübeck wie sein Vater und schrieb über Rechtsangelegenheiten der
Knochenhauer, Brauer und Schonenfahrer seiner Vaterstadt.
Es wird bezeugt, daß der tragende Grund des ganzen Lebens D. Clasens
evangelisch-lutherischer Glaube war, worin er im Elternhause und in der Stadt-
und Domschule seiner Vaterstadt unterwiesen war. Jedoch war er kein Freund der
starren Orthodoxie, wie er andererseits auch nicht ein "Pietist" gewesen zu sein
scheint; vielmehr verband er mit der Treue zur biblischen Lehre und zum
geistlichen Amte eine aufrichtige Innerlichkeit. Täglich forschte er in der
Bibel, sonderlich im Neuen Testament nach der Auslegung des Professors Georgius
Calixtus, der zu Helmstedt das milde Luthertum vertrat, sowie dessen Kollegen
Conradus Hornejus. "Die rechte Kern- und Krafttheologie aber suchte er nächst
der Bibel in Johann Arnds Büchern vom Wahren Christentum, als welches er vor ein
unschätzbares Kleinod unsrer Kirchen hielt." Peter Clasen stand also im
Gegensatz zur toten Orthodoxie in lebendiger Gläubigkeit. Nichts verdroß
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ihn mehr als der Wahn vom OPERE OPERATO, d.
h. dem weit verbreiteten "Mund-, Schein- und Heuchelglauben, der durch die Werke
nicht tätig ist." Der angeborenen "feurigen Heftigkeit" seines Temperaments
entsprach es, daß er mit großer Freudigkeit von seinem Glauben Zeugnis gab, den
er vornehmlich in dem mancherlei Leid seines wechselreichen Lebens bewährte, so
daß er selbst weichmütige und verzagte Menschen aufzurichten verstand. "Nichts
war, wovon er mit wahrer Parresie (Überzeugung) und Herzensbewegung sprechen
konnte als das Verdienst seines Heilands."
Seine Herzensfrömmigkeit beruhte ebenso auf dem Christuserlebnis wie auf einer
gründlich theologischen Durchdenkung der Glaubenstatsachen. Deshalb war er in
der Lage, als Direktor des Konsistoriums in Ratzeburg die Kandidaten des
Pfarramts selbst zu examinieren, wie er auch mit großer Freude mit geistreichen
Theologen Unterhaltung pflegte.
Sein reiches Wissen und seinen lebendigen Glauben stellte er in den
Dienst seiner Mitmenschen. Dem Armen sein Recht zu verschaffen, war ihm eine
vornehme Aufgabe seines Lebens. Viele Arme in Lübeck und Umgegend rühmten bei
seinem Tode seine selbstlose Rechtshilfe. Sein Glaube war Tat, die sich auch in
einer christlich-sittlichen Kindererziehung bewies.
Je älter, je reifer wurde er, bis er im Alter von 77 Jahren nach
kurzer Krankheit unter dem Beistand des Dr. med. Borchelius und des Pastors
Caspar
Lindenberg an St. Petri, der ihm das Abendmahl reichte, ihm aus der Bibel Trost
zusprach und geistliche Lieder sang, am 4. Juni 1711
starb. -
Von den Seinen überlebten ihn nur ein Sohn und zwei Töchter, die ihn am 11.
Juni 1711 zur letzten Ruhstatt in Lübeck begleiteten.
Über seinem Leben dämmerte Tragik. Zweimal endete der Tod der Herzöge von
Lauenburg seinen Aufstieg, zweimal mußte er wieder von neuem aufbauen, zweimal
verlor er die Gattin und Mutter durch den Tod. Mehr noch, er mußte aus der
Heimat seiner Väter fliehen. Aber er zagte nicht. Aufwärts den Blick, schritt er
stets wieder mutig vorwärts. Wenn auch nicht an erster Stelle, so tat er doch an
bescheidenem Platze seine Pflicht.
Es wird nun weiterer Forschung die Aufgabe gestellt, aus den Archiven den
letzten Regierungsrat des letzten Herzogs von Lauenburg in bezug auf den Inhalt
seiner diplomatischen, verwaltungsgeschichtlichen und kirchlich-kulturellen
Arbeit im einzelnen zu würdigen, was aus Mangel an dem erforderlichen
Quellenmaterial darzustellen nicht möglich war.
Über den Vater des Peter Clasen ist bereits in den Lauenburgischen
Heimatblättern eingehend berichtet worden. Sein Bruder Theodor. Pastor in
Selmsdorf, hatte 1690, nachdem eben die Übersiedelung Peter
Clasens nach Lübeck erfolgt war, den nachmals berühmten Professor August Hermann
Francke bewogen, in Selmsdorf zu predigen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch
D. Peter Clasen mit seiner Familie unter den Zuhörern war, als der Pietist am
Sonntag Sexagesimae über das Gleichnis vom viererlei Acker predigte. Francke,
dessen Vater übrigens einst Syndikus des Domkapitels zu Ratzeburg gewesen war,
bemerkt nämlich ausdrücklich, daß sich "einige gottselige Personen in Lübeck, da
sie von andern gehöret, daß er da predigen würde, auf den Weg gemachet und, ihm
unwissend, solcher Predigt zugehöret". Peter Clasens Schwester Hedwig heiratete
der Domherr Ernestus Hünicke in Goslar, dessen Stamm noch heute in Hannover
blüht.
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