Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1932


Peter Clasen,
des letzten Herzogs von Lauenburg letzter Regierungsrat.

Von Pastor FISCHER-HÜBNER, Ratzeburg.
 

Hoch vom Turme der St. Petrikirche zu Ratzeburg schallt alle Viertelstunden scharfer, bis nach Mustin hin hörbarer Hammerschlag der elektrisch betriebenen
Uhr des Gotteshauses. Auf der Glocke vom Jahre 1578, die dem wuchtigem Schlage ebenso kräftig Antwort gibt, steht der Name einer Familie, die seit 1444
im nahen Kirchspiel Schlagsdorf nachweisbar ist und dort bis heute blüht, während sie in der Stadt Ratzeburg, sowie am Dom ca. 150 Jahre lang namhafte Vertreter gehabt hat. Es ist die Familie Claus (Claußen. Claßen, Clasen). Hans Claus (1578) war Ratsherr und ältester Kämmerer der Stadt Ratzeburg, der Begründer eines Geschlechts, das länger als hundert Jahre lang der Stadt Ratzeburg und dem Lande Lauenburg rühmenswerte Dienste geleistet hat. Sein Sohn Carsten war erster Bürgermeister der Stadt (1601-1620) und dessen gleichnamiger Sohn zunächst Rittmeister unter dem Grafen voll Mansfeld im Dreißigjährigen Kriege, dann Ratsherr seiner Heimatstadt, endlich Oberförster und Amtmann. Die vorzüglichen Eigenschaften und Talente der auf dem Gebiete der Verwaltung ausgezeichneten Väter erreichten schließlich ihren Gipfel und ihre Krone in dem Urenkel PETER CLASEN, der der erste Beamte des ganzen Herzogtums werden sollte. Zwar wird er im lauenburgischen Schrifttum gelegentlich erwähnt, aber die ihm gebührende Würdigung hat er nirgends gefunden. Zwar streift Hans Ferdinand Gerhard in seinen höchst spannend, stets interessant geschriebenen, sehr verdienstvollen Federzeichnungen "Unter Trümmern" Peter Clasens Bild, aber, wie aus dem Quellenverzeichnis ersichtlich, hat er noch nicht seinen im Stadtarchiv Lübeck unter 1- XIII 539 aufbewahrten Lebenslauf gekannt, der deshalb der besonderen Beachtung wert ist, weil er nach dessen Tode von einem Nichttheologen verfaßt ist. Denn wäre ein Geistlicher der Verfasser, so würde man seine Leichenrede nicht ohne Vorsicht aufnehmen dürfen, wissen wir doch, daß die gedruckten Leichenpredigten jener Zeit geschichtliche Quellen nur zweiten Ranges sind. Da man im lauenburgischen Schrifttum vergeblich nach einer Lebensbeschreibung eines führenden Regierungsbeamten der askanischen Herzöge sucht, so sind wir auf Grund jenes "Lebenslaufs" zum ersten Male in der Lage, ein derartiges Bild zu entwerfen, das geschichtlich um so bemerkenswerter ist, als Peter Clasen des letzten Herzogs von Lauenburg letzter Regierungsrat war.

Vom alten, gotischen Türm von Sankt Peter in Ratzeburg schlug es Mitternacht. Es war am 25. Mai 1649. Eine sterbende, schwindsüchtige Mutter ließ sich eben aus dem Krankenbett auf einen Stuhl geleiten, der dicht vor dem Kamin stand. Da saß die Todgeweihte im Schein des knisternden Feuers, das noch junge Weib des Ratsherrn Carsten Clasen, des Bürgermeisters Hans Hunds fromm und sittsam erzogene Tochter. Maria hieß sie, und eine Maria war sie. Was hatte sie in dem Grauen des großen Krieges erlebt! Als sie einst vor den Schweden mit ihren Kindern in einem Kahn nach Lübeck flüchtete, da brach der Sturm auf der hohe von Pogeez los, daß sie fast mit den Kleinen untergegangen wäre. Damals war ihr Ältester, Peter, fünf Jahre alt» und als er kaum ein Jahr zählte, brannte das Wohnhaus nieder, daß die Mutter mit dem Kleinen in das alte, baufällige Brauhaus flüchten mußte. Seit jenem Sturm auf dem Ratzeburger See waren ihre Nerven so geschwächt, daß sie nie wieder ihre alte Kraft erlangte. Hinzu kam, daß die Pest des Jahres 1639 auch die Clasensche Familie grausam heimsuchte. Peter lag mit seinen Geschwistern krank. Sein Bruder starb, er selbst wurde gerettet, indem die Mutter, gänzlich mittellos, zu ihrer Schwester flüchtete. Nun ruhten Schwert und Geißel, da der Friede geschlossen war; aber durch Marias Seele ging ein Schwert, seit sie von einem Töchterlein entbunden war. Seit Weihnachten 1648 war sie ans Bett gefesselt. Trotz des Beistandes Lübeckscher Arzte magerte sie zusehends ab. Fünf Monate der Qual lagen hinter ihr. Sie fühlte, daß ihr Leben nur noch Stunden zählte. Da ließ sie Peter, ihren Ältesten, rufen. Im Nachtgewande stand er vor der Sterbenden. Er war fünfzehn Jahre alt, des Vaters


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und der Mutter Stolz. Er hatte zuerst die Stadtschule, dann die Domschule besucht. Die Anfangsgründe des Wissens, besonders der lateinischen Sprache, der Kirchenmusik, deren Liebhaber sein Vater war. und echte Herzensfrömmigkeit hatte er in Haus und Schule gelernt. Als er so in der Maiennacht vor seiner Mutter stand und die Geistlichen der Stadt neben ihm und dem Vater, da sprach sie ernst und gütig: "Lieber Sohn, du stehest meine tödliche Leibesschwachheit. Das sagt dir deine treue Mutter: Dein Leben lang fürchte Gott, ehre deinen Vater, studiere und bete fleißig, geh deinen Geschwistern mit gutem Beispiel voran, so wird Gott mit dir sein." Der Lungenhusten quälte sie, so daß sie mit gebrochener Stimme schloß: "Ich wollte dir noch viel mehr ans Herz legen, aber du siehst: ich kann nicht mehr." Aus den Augen des Jünglings perlten Tränen. Er griff nach der welken Hand der Mutter und gelobte, ihren letzten, heißen Wunsch zu erfüllen.

Peter Clasen hielt sein Versprechen. Von den Linien, die in einer schweren Jugendzeit in sein Herz gezeichnet wurden, wich er nie. Nach dem Tode der Mutter schickte ihn sein Vater, der ihn zum Juristen bestimmt hatte, zu seinem Verwandten Daniel Clasen, Rektor des Gymnasiums in Magdeburg, dem nachmaligen Professor der Rechte an der Universität Helmstedt. Auf dem Magdeburger Gymnasium vervollständigte er seine altsprachlicheil Kenntnisse und wurde durch Privatstunden seines gelehrten Verwandten in die Philosophie eingeführt. Nach wenigen Jahren hatte er die Reife für die Universität erlangt. So bezog er, wohl von Daniel Clasen beraten, die Hochschule zu Wittenberg, wo er Philosophie und Jura bei den Professoren Sperling. Leyser und Alerandri studierte, unter denen der letztere den nachhaltigsten Einfluß auf ihn ausübte. Nach drei Jahren wechselte er nach Helmstedt hinüber, wo er unter den Professoren Georg Werner, Hinrich Hahn, Johannes Eichel, dem späteren lauenburgischen Kanzler, besonders aber, von Johannes a Felde gefördert, seine Studien vollendete. Letzterer schätzte das "hurtige INGENIUM und reine IUDICIUM" des Referendars so. daß er ihm die Verwaltung des Gerichts der Güter der Frau von Steenberg und den Unterricht der Söhne derselben besorgte, die er auf die Hochschule durch philosophische und juristische Stunden vorbereitete. Es war eine einträgliche Stelle, die er nur auf Drängen seines Vaters aufgab, um auf der Universität Jena seinen juristischen Doktor zu machen. Am 6. Juni 1660 bestand er die Doktorprüfung mit einer Disputation DE DISTRACTIONE PIGNORUM mit hohem Lobe.

Nun war er für eine Lebensstellung reif. Er kehrte heim und verlobte sich mit Margarethe (Mette) Petersen, des Bürgermeisters zu Bergedorf Tochter, die er in seiner Vaterstadt kennen lernte. So kam es, daß er zunächst in das juristische Büro des Bruders seines Schwiegervaters in Hamburg eintrat, um sich in der Praxis eines Syndikus umzusehen, bis ihn Franz Erdmann, Erbprinz von Lauenburg, zu seinem Hofrat berief. Nach seiner Hochzeit nahm er auf dem Domhofe in demselben Hause Wohnung, das einst sein Oheim, der Domherr Petrus Claus inne gehabt. Die Ehe war glücklich, wurde aber durch den frühen Tod der Gattin jäh zerrissen, nachdem sie vier Kindern das Leben gegeben hatte, von denen Maria Catharina am 3. März 1663 im Dom getauft wurde. Sie starb am 22. Oktober 1664 auf dem Domhof und wurde 8 Tage, später in der St. Petrikirche beigesetzt. Als Hofrat des Erbprinzen bewährte er sich, so daß er bei dessen Regierungsantritt eine Verbesserung seines Gehalts erzielte. Er hatte vornehmlich die deutsche und lateinische Korrespondenz des Fürsten zu erledigen, der mit berühmten Männern seiner Zeit in Briefwechsel stand. Eine sonderliche Ehre für den jungen Hofrat war es, daß er mit dem damals weit bekannten Lucas Holstein, dem Verweser der Vatikanischen Bibliothek und päpstlichen Gesandten in Rom, dem Verfasser vieler theologischer und historischer Werke, im Aufträge des Herzogs in eine gelehrte Korrespondenz eintreten durfte. Jedoch so kurz seine erste Ehe, so rasch endigte der Tod des Herzogs das erste Berufsglück des jungen Rechtsgelehrten. Als jener nach wenigen Monaten des Regiments 1666 starb, verlor Peter Clasen sein Amt und ging nach Speyer, teils um Prozesse seiner Klienten wahrzunehmen, teils um sich weiter in Kammergerichtssachen fortzubilden. Jedoch schon am 15. Oktober 1667 erhielt er durch Vermittelung des Barons von Görtz die Bestallung zum Syndikus der Ritterschaft in Franken. Als er nach fünfjährigem Dienste gelegentlich eines Urlaubs nach Ratzeburg heimkehrte, verlobte

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er sich zum zweiten Male und führte, indem er um seiner neuen Liebe willen auf sein Amt im fernen Franken verzichtete, Magdalena Judith, Tochter des Ratskammerschreibers Leonhard Sonnemann, zu Lübeck heim, wo er sich als Rechtsanwalt niederließ. In zweiter Ehe hatte er 6 Söhne und 3 Töchter, von denen
4 Söhne und 1 Tochter in zarter Jugend starben. Je größer der Schmerz über so viel Leid in der Familie, desto höher stieg sein Stern im öffentlichen Leben. Es scheint, daß er damals der erfolgreichste Rechtsanwalt in der Hansestadt gewesen ist. Man rühmt, daß er "ein sonderlich Talent darin gehabt, daß er nicht allein seiner Klienten Sachen sehr kurz, NERVOSE und PERSPICUE deducieren können", sondern auch mit großer Leichtigkeit und Treffsicherheit in die Sache des Klienten einzudringen vermochte. Er war ein "rechter practicus". Unbeirrt um seiner Neider Haß und Quertreibereien setzte er elf Jahre lang seine Tätigkeit fort, bis er 1683 von Herzog Julius Franz, dem letzten Askanier auf dem lauenburgischen Thron, zum Hof- und Regierungsrat in Ratzeburg berufen wurde, hier konnte er sich erst recht zum Segen seines Heimatlandes auswirken. In kurzem hatte er sich so sehr das Vertrauen des in Böhmen zu Schlackenwerth residierenden Landesherrn erworben, daß er bereits nach vier Jahren (1687) das DIREKTORIUM über die Regierung, Kanzlei und Konsistorium erhielt. Der Herzog unternahm nichts für Lauenburg Wichtiges, bevor er nicht das Gutachten des klugen und gerechten Beamten gehört hatte. Im Aufträge des Herzogs hatte er mehrmals wichtige Verhandlungen in Speyer zu führen, wie er auch als Gesandter in Heidelberg und Berlin wichtige Missionen erfüllte. Zweimal nahm er zu Hamburg wegen des Lauenburgischen Elbzolls an einer Konferenz mit dem Kaiserlichen Abgesandten des Niedersächsischen Kreises und den Kurbrandenburgischen Ministern teil. Im Jahre 1689 beabsichtigte der Herzog, bei seinem Besuch in Lauenburg den bewährten Regierungsrat zu befördern. Da starb jener plötzlich, und dem Aufstieg zu höheren Ehren war damit für immer ein Ziel gesetzt. Man lese in Hans Ferdinand Gerhards Federzeichnung "Unter Trümmern", was nach dem Aussterben der Askanier in Lauenburg geschah. Zwar wurde D. Clasen von dem Kurfürsten Johann Georg III. zu Sachsen in seiner Stellung belassen, nachdem dieser durch Lic. Salomon Zapf von dem Lande und der Stadt hatte Besitz nehmen lassen. Am 28. September 1689 nahm Clasen mit den beiden Bürgermeistern im Namen des Kurfürsten von jedem Hause "Possession", indem er in symbolischer Weise alle Haustüren der Pfaffen- und Langenbrückerstraße auf- und zumachte, Steine aus der Gasse brechen ließ und den Bürgern der beiden Straßen, sowie dem Malz- und Kornmüller erklärte, daß ihre Türen nur dem Kurfürsten von Sachsen offen stehen sollten. Als dann hannovrisches Kriegsvolk Einlaß ins Schloß begehrte, beschlagnahmte Clasen und der Major von Vorst die Kähne und die Domhalbinsel, worüber sich der Archivarius Riecken-Dom beschwerte. Man erwiderte ihm, das sei RAISON DE GUERRE. Es ist bekannt, wie dann Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg das Land und die Stadt Ratzeburg auch seinerseits besetzen ließ. Dabei wurde mit der alten Regierung wenig freundlich verfahren. In die Wohnung v. Clasens wurde eine Wache und ein Kontingent von 14 Musketieren gelegt, so daß er mit seiner Familie schwer zu leiden hatte. Es ist verständlich, daß die Eroberer dem höchsten Beamten des Kurfürsten von Sachsen und Alteingesessenen mißtrauen mußten, zumal seine politische Klugheit und Treue zu seinem Vaterlande bekannt war. Man muß auch annehmen, daß der Oberhauptmann Christian Ulrich von Wackerbarth zu Harburg, den Herzog Georg Wilhelm als geborenen Lauenburger zu einem gefügigen Werkzeug seiner Politik gemacht hatte, die Beseitigung des ihm wegen seiner Tüchtigkeit bekannten präsidierenden Regierungsrats betrieb, da er am 4. Oktober schon dem Herzog berichtete, Clasen wolle nach Lübeck gehen. Doch dieser wußte sehr genau, was er wollte. Er brachte seine Familie in Lübeck unter, während er selbst heimlich die Stadt verließ, um sich zu seinem Kurfürsten, dem er den Eid der Treue geschworen hatte, zu begeben. Am 26. Oktober 1689 schrieb Herzog Georg Wilhelm an Wackerbarth, Clasen habe sich heimlich davongemacht; eine Wache solle in sein Haus gelegt werden. Unterdessen hatte D. Clasen zu Dresden dem Kurfürsten von Sachsen von der dreisten Annektion des Landes durch Hannover ausführlich berichtet. Hierbei erwarb er sich sofort die volle Gunst seines Herrn, so daß dieser ihm die Stelle eines Hof- und Regierungsrats in der Hauptstadt Sachsens anbot. Doch Clasen nahm seinen Abschied und, ging
 

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zu den Seinen nach Lübeck, wohl wissend, daß seine Gattin, eine Lübeckern, sich nie in Dresden einleben würde. Jedoch wurde er mit der Wahrnehmung der
kursächsischen Angelegenheiten in der Hansestadt betraut, die er auch dann noch besorgte, als Johann Georg IV. Kurfürst von Sachsen wurde, der den Treuen auch zu seinem Rat ernannte. Unterdessen wurde das am Ratzeburger See gelegene Lusthaus des D. Clasen samt Garten zu Befestigungszwecken von den Hannoveranern benötigt und der Wert des Gartens auf 150 Rtl. festgestellt. So diente fortan die Stätte, wo die Clasensche Familie die glücklichsten Tage verbracht hatte, als Teil der Festung Ratzeburg.

Hier ist der Ort, den oben gezeichneten Hergang der Abdankung des Regierungsrats aus lauenburgischen und kursächsischen Diensten, sowie des Abschiedes aus Ratzeburg mit dem Bilde zu vergleichen, das Hans Ferdinand Gerhard in seinem oben gerühmten Buche "Unter Trümmern" bietet. Danach hätte Clasen eine komische Rolle bei der plötzlich eingetretenen Veränderung gespielt. Der schwächliche, schmächtige Mann, der von bebender Angst vor den Hannoveranern schlottert und an fleischlichem und alkoholischem Genuß stark interessiert ist, wäre der neuen Situation durchaus nicht gewachsen gewesen. Clasen eine Karikatur! Mag man immerhin dem Dichter eine gewisse Freiheit zugestehen, aber das Eine scheint uns nach Auswertung der aus dem Staatsarchiv Hannover I Nr. 428 uns durch Herrn Major von Rundstedt zugegangenen Nachrichten und des oben genannten "Lebenslaufs", den übrigens nicht ein Gegner, sondern ein Freund der Hannoveraner geschrieben hat, klar geworden zu sein, daß der letzte lauenburgische Regierungsrat sich in jener kritischen Stunde korrekt benommen hat. Der kluge Politiker verfolgte eine klare Linie. Er kannte die lauenburgische Geschichte als Landeskind genau und hielt niemand anders als erbberechtigt denn den Kurfürsten von Sachsen, wohl wissend, daß einst durch Erbteilung das Sachsenland in das Fürstentum Niedersachsen und Obersachsen zerfallen war. Was war natürlicher, als daß nun nach Aussterben der niedersächsischen Linie Lauenburg an Obersachsen zurücksiel? So schwur D. Clasen dem neuen Herrn die Treue und hielt sie, koste es auch seine Stellung und seine Heimat. Als Gegner der Hannoveraner, verfolgt von den Intriguen des Lauenburgers Wackerbarth, der als hannovrischer Beamter sein vaterländisches Herz dem fremden Eroberer opferte, in Ungnade bei letzterem gefallen, blieb ihm nichts weiter übrig, als heimlich seine Heimat zu verlassen und sein Recht bei seinem Herrn in Dresden zu suchen.

Hier ist wiederum der Ort auszusprechen, wie mangelhaft die lauenburgische Spezialforschung vorgearbeitet hat. Was für kostbare Federzeichnungen hätte das schriftstellerische Talent Hans Ferdinand Gerhards der Heimatliteratur schenken können, wenn die erforderlichen Einzelforschungen vorgelegen hätten!

D. Clasen war 57 Jahre alt, als er seine Heimat verlor. Nur schwer überwand er, nach Lübeck übergesiedelt, den jähen Abbruch. Doch allmählich nahm er seine einstige, durch den lauenburgischen Dienst unterbrochene Advokatur wieder auf, so daß er schließlich vollauf wieder beschäftigt war.

1699 starb nach 27 Fahre langer Ehe seine zweite Frau. Ebenso ging ihm sein Sohn Petrus Bernhardus 1708 im Tode voran, der nach Besuch der Schulen in Lübeck und Ratzeburg auf den Universitäten Gießen, Marburg und Helmstedt Jura studiert und in Greifswald zum Doktor promoviert hatte. Ein anderer Sohn, der ihn überlebte, Alexander Hieronymus, war ebenfalls Doktor der Rechte und Rechtsanwalt in Lübeck wie sein Vater und schrieb über Rechtsangelegenheiten der Knochenhauer, Brauer und Schonenfahrer seiner Vaterstadt.

Es wird bezeugt, daß der tragende Grund des ganzen Lebens D. Clasens evangelisch-lutherischer Glaube war, worin er im Elternhause und in der Stadt- und Domschule seiner Vaterstadt unterwiesen war. Jedoch war er kein Freund der starren Orthodoxie, wie er andererseits auch nicht ein "Pietist" gewesen zu sein scheint; vielmehr verband er mit der Treue zur biblischen Lehre und zum geistlichen Amte eine aufrichtige Innerlichkeit. Täglich forschte er in der Bibel, sonderlich im Neuen Testament nach der Auslegung des Professors Georgius Calixtus, der zu Helmstedt das milde Luthertum vertrat, sowie dessen Kollegen Conradus Hornejus. "Die rechte Kern- und Krafttheologie aber suchte er nächst der Bibel in Johann Arnds Büchern vom Wahren Christentum, als welches er vor ein unschätzbares Kleinod unsrer Kirchen hielt." Peter Clasen stand also im Gegensatz zur toten Orthodoxie in lebendiger Gläubigkeit. Nichts verdroß

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ihn mehr als der Wahn vom OPERE OPERATO, d. h. dem weit verbreiteten "Mund-, Schein- und Heuchelglauben, der durch die Werke nicht tätig ist." Der angeborenen "feurigen Heftigkeit" seines Temperaments entsprach es, daß er mit großer Freudigkeit von seinem Glauben Zeugnis gab, den er vornehmlich in dem mancherlei Leid seines wechselreichen Lebens bewährte, so daß er selbst weichmütige und verzagte Menschen aufzurichten verstand. "Nichts war, wovon er mit wahrer Parresie (Überzeugung) und Herzensbewegung sprechen konnte als das Verdienst seines Heilands."

Seine Herzensfrömmigkeit beruhte ebenso auf dem Christuserlebnis wie auf einer gründlich theologischen Durchdenkung der Glaubenstatsachen. Deshalb war er in der Lage, als Direktor des Konsistoriums in Ratzeburg die Kandidaten des Pfarramts selbst zu examinieren, wie er auch mit großer Freude mit geistreichen Theologen Unterhaltung pflegte.

Sein reiches Wissen und seinen lebendigen Glauben stellte er in den Dienst seiner Mitmenschen. Dem Armen sein Recht zu verschaffen, war ihm eine vornehme Aufgabe seines Lebens. Viele Arme in Lübeck und Umgegend rühmten bei seinem Tode seine selbstlose Rechtshilfe. Sein Glaube war Tat, die sich auch in einer christlich-sittlichen Kindererziehung bewies.

Je älter, je reifer wurde er, bis er im Alter von 77 Jahren nach kurzer Krankheit unter dem Beistand des Dr. med. Borchelius und des Pastors Caspar
Lindenberg an St. Petri, der ihm das Abendmahl reichte, ihm aus der Bibel Trost zusprach und geistliche Lieder sang, am 4. Juni 1711 starb. -

Von den Seinen überlebten ihn nur ein Sohn und zwei Töchter, die ihn am 11. Juni 1711 zur letzten Ruhstatt in Lübeck begleiteten.

Über seinem Leben dämmerte Tragik. Zweimal endete der Tod der Herzöge von Lauenburg seinen Aufstieg, zweimal mußte er wieder von neuem aufbauen, zweimal verlor er die Gattin und Mutter durch den Tod. Mehr noch, er mußte aus der Heimat seiner Väter fliehen. Aber er zagte nicht. Aufwärts den Blick, schritt er stets wieder mutig vorwärts. Wenn auch nicht an erster Stelle, so tat er doch an bescheidenem Platze seine Pflicht.

Es wird nun weiterer Forschung die Aufgabe gestellt, aus den Archiven den letzten Regierungsrat des letzten Herzogs von Lauenburg in bezug auf den Inhalt seiner diplomatischen, verwaltungsgeschichtlichen und kirchlich-kulturellen Arbeit im einzelnen zu würdigen, was aus Mangel an dem erforderlichen Quellenmaterial darzustellen nicht möglich war.

Über den Vater des Peter Clasen ist bereits in den Lauenburgischen Heimatblättern eingehend berichtet worden. Sein Bruder Theodor. Pastor in Selmsdorf, hatte 1690, nachdem eben die Übersiedelung Peter Clasens nach Lübeck erfolgt war, den nachmals berühmten Professor August Hermann Francke bewogen, in Selmsdorf zu predigen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch D. Peter Clasen mit seiner Familie unter den Zuhörern war, als der Pietist am Sonntag Sexagesimae über das Gleichnis vom viererlei Acker predigte. Francke, dessen Vater übrigens einst Syndikus des Domkapitels zu Ratzeburg gewesen war, bemerkt nämlich ausdrücklich, daß sich "einige gottselige Personen in Lübeck, da sie von andern gehöret, daß er da predigen würde, auf den Weg gemachet und, ihm unwissend, solcher Predigt zugehöret". Peter Clasens Schwester Hedwig heiratete der Domherr Ernestus Hünicke in Goslar, dessen Stamm noch heute in Hannover blüht.
 


 


 

 

 

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