Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1932


Der Raub einer Millionenerbschaft.

Von Pastor FISCHER-HÜBNER.

 

Altersschwach, in Todesahnung machte Herzog Franz I. im Jahre 1578 ein Testament für die unehelichen Kinder, die er mit der Ilsabe Rautenstein gezeugt hatte. Es wäre noch aufzuklären, warum er mit seiner Ehefrau unglücklich lebte. Um dieses dunklen Punktes willen hatte er seit der Übernahme der Regierung (1543) niemals das heilige
Abendmahl genießen dürfen. Ebenso war er mit seinen Söhnen in Streit, sicherlich auch wegen des Spaltes, der durch die Familie ging. Schließlich mußte er wie ein Verbannter ins Exil nach Buxtehude gehen. Aber diese stille Zeit über kam er endlich zu sich selbst. Nach einer ergreifenden Beichte nahm er das heilige Mahl und verschied im Jahre 1581 in Frieden. Es ehrt ihn, daß er seine unehelichen Kinder nicht leer ausgehen ließ. Ob ihm auch seine Söhne samt der verärgerten Mutter ernsteste Vorwürfe deshalb machten, er rechtfertigte sich damit, daß er als Vater der Kinder Verpflichtungen habe. So kam es, daß er 1578 für sie ein Testament machte, damit ihre Aussteuer sichergestellt sei. Bar Geld besaß der über und über verschuldete alte Herzog nicht, aber einige Höfe z. B. in Aumühle, die er ihnen vermachte, und einen kostbaren Schatz, den er glücklicherweise aus dem Schloß in Lauenburg gerettet hatte. In einer mit Leder überzogenen, schwarzen Lade verwahrte er folgende Kleinodien von Silber und Gold:
 

3 goldene Ketten,
2 goldene Armbänder von Demanten,
2 goldene Armbänder,
gegossene, große Goldstücke mit fürstlichem Wappen "und sonst allerlei darauf" wie kleine Teller groß,
kleine Pferde "von purem Golde gegossen", wahrscheinlich besondere Liebhaberei des Pferdeliebhabers, der im Harnisch auf einem Pferde abgebildet ist,
Diamantenketten, gülden,
1 Pfund der allergrößten Perlen, jede wie die größte Gartenerbse groß, je 10 Rtlr. wert,
viel Gold- und Silbergeschirr.

Der Wert des Schatzes wurde auf 60 000 Reichstaler festgestellt.

Diesen kostbaren Schatz vermachte der Herzog in seinem Testament den Kindern der Ilsabe Rautenstein, von denen in den uns zugänglichen Archivakten Katharina genannt wird. Da er bei der mit dem herzoglichen Beamten Tschammer vermählten, übel berüchtigten Gisle von Sachsen in Buxtehude lebte, dem er 12 000 Rtlr. schuldete, so versteht man, weshalb der Herzog auch diese testamentarisch bedachte. Am 3. Mai 1578 ließ er durch seine Räte Jürgen Ehlers und Christoffer Maas die Lade, mit herzoglichem Petschaft versiegelt, dem Rat der Stadt zu treuen Händen übergeben, worüber dieser ein urkundliches Zeugnis ausstellte.

Jahre lang stand die schwarze Lade mit dem kostbaren Schatz im Rathause zu Burtehude. Längst hatte der alte Herzog die Augen geschlossen. Die Kinder der Rautenstein waren verheiratet: Gisle in Buxtehude, Catharina im Krug zu Bargteheide, mit Johann Grotjan seit 1579 vermählt, erhielt 1000 Taler als Brautschatz laut Herzog­

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licher Ehestiftung, datiert Schwarzenbek Mittwoch nach den Heiligen drei Königen 1579. Während Gisle, verehelichte Tschammer kinderlos war, war die Ehe der Catharina mit mehreren Kindern gesegnet.

Beide Erbberechtigten wagten indessen beim Tode Franz I. nicht, ihre Rechte geltend zu machen, da sie den Streit mit den Söhnen des Herzogs fürchteten, besonders des Herzogs Moritz, der sich wegen seines Zwistes mit dem regierenden Herzog Franz II. in Buxtehude aufhielt. Moritz versuchte, ohne indessen die erforderlichen urkundlichen
Unterlagen zu besitzen, den Schatz zu heben, jedoch ohne Erfolg, bis er sich gegen eine Erkenntlichkeit von der erbberechtigten Catharina die Dokumente verschaffte. Man schrieb das Jahr 1606, als der Herzog Moritz den Rat zu Buxtehude nötigte, über den Verbleib des Schatzes Auskunft zu erteilen. Die Aufregung des Bürgermeisters und der Senatoren war groß. Man mußte eingestehen, daß die Senatoren 1604 die Lade erbrochen und das ganze Gold und Silber unter sich geteilt hatten. Die Armbänder, Ketten und großen Goldstücke stachen sonderlich den Weibern der "Raptores" (Räuber) in die Augen. Es fiel allgemein in Buxtehude auf, daß die eitlen Damen plötzlich in Gold und Diamanten strahlten. Als aber der Klatsch der Neider sich dieser Sensation bemächtigte, zogen sie es vor, die Kleinodien zu versilbern. So wurden sie und ihre Nachkommen reiche Leute. Der Herzog Moritz hätte nun einen öffentlichen Skandal aus diesem Schatzraub machen können. In seiner ersten Empörung darüber wollte er es auch. Da erschien der Pastor Hintzelmann im Aufträge des Rats und bat flehentlich, die Bürgerschaft nicht in Schande und Spott vor aller Welt zu bringen, sondern die Sache auf sich beruhen zu lassen. Der Herzog muß wohl dem Rat der Stadt zum Dank verpflichtet gewesen sein. Nur so erklärt es sich, daß er nachgab und den skandalösen Rechtsbruch totschwieg.

Der 30jährige Krieg war zu Ende. Es ward allmählich wieder Recht und Ordnung im Lande. Der Rechtlose konnte hoffen, sein Recht zu finden. So unternahm nun, fast 50 Jahre nach dem Raub, die Familie von Sundershausen, die als nahe Verwandten *) des Tschammer, der unbeerbt verstorben war, von diesem zu Erben eingesetzt waren, mit Hilfe Augustus, des Herzogs von Lauenburg, den Versuch, "die Senatores oder vielmehr Raptores und deren Erben" zur Erstattung des inzwischen zu einer Millionenerbschaft erwachsenen Schatzes zu nötigen (1653). In der Tat wurden diese vier Jahre später dazu verurteilt, aber begreiflicherweise protestierten und prozessierten die Gegner weiter. Da die Herzöge Julius Heinrich und Franz Carl, die der Familie von Sundershausen ihre Unterstützung hatten zuteil werden lassen, bald hernach starben, so kam der Prozeß resultatlos zur Ruhe. Doch nur vorläufig! Als die eine Familie, durch den Prozeß verarmt, diesen nicht zum Ende durchführen konnte, trat die andere, von der Katharina abstammende Nachkommenschaft auf den Plan. Johann Grotjan, der 1579 Catharina von Sachsen geheiratet hatte, Krugwirt zu Bargteheide, hatte eine Tochter Ilsabe (wohl nach der Großmutter benannt), Jochim Loddes, Amtsschreibers
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*) Cordt von Sundershausen, Bruder des Stallmeisters Franz I., war mit einer Schwester der Gisle Tschammer vermählt.
 

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in Lauenburg, Ehefrau, zuletzt in Bargteheide wohnhaft, wo sie in der Kirche begraben wurde. Deren Tochter Ilsabe Lodde wurde von Jeronymus Bahr 1648 gefreit, nachdem ihr erster Mann Johann Koche nach einjähriger Ehe zwei Jahre zuvor gestorben war. Unter ihren Kindern waren es Franz Jochim Bahr, Handelsmann in Hamburg, und Christian, Gottorpscher Landschreiber, die von den Sundershausens die Erbunterlagen mit vielen Kosten erwarben und den Prozeß von neuem begannen wider die Nachkommen der räuberischen Senatoren, "die durch diesen geraubten Schatz sich in große und sehr vermögsame Familien, absonderlich in Hamburg, erigiert, und ist ohne
Bekümmernis nicht anzusehen, daß diese Leute, welche vielen Reichtum besitzen, so impune [ungestraft] mit dem Raub fortkommen sollten." So lautet wörtlich ihr am 26. Oktober 1698 gegebenes Urteil über die skrupellosen Nachkömmlinge der Rechtsbrecher. Zwanzig Jahre zuvor hatten die Bahrschen Erben berechnet, daß das Kapital mit Zinsen in den fast 100 Jahren von 60 000 Rtlrn., sage und schreibe, auf 20 Millionen 354 tausend 729 Reichstaler angewachsen war. Es war nicht leicht noch billig, die Erbberechtigung der Ilsabe Bahr amtlich festzustellen. Am 18. Februar 1688 schrieb Pastor Christian Grotes zu Bargteheide auf Grund der Kirchenbücher und mündlicher Aussagen der im vorigen Jahrhundert Geborenen oder über 80 Jahre Alten ein pfarramtliches Zeugnis für die noch lebende Witwe Ilsabe Bahr über ihre Erbberechtigung, wonach sie als Enkelin der unehelichen Tochter des Herzogs von Sachsen ausgewiesen wurde. Damit nicht genug, wurde am 11. April 1688 ein Protokoll im Amtshaus zu Tremsbüttel zu demselben Zweck aufgenommen. Als Zeugen hatte man die ältesten Leute des Kirchspiels geladen, von denen sich Christopher Bruen in der Vorburg, Hans Deringer in Bargteheide, Heinrich Deringer in Fischbeck wegen Altersschwachheit, letzterer noch dazu wegen eines Beinschadens entschuldigten. Nur Tim Schacht und Hinrich Chron in Bargteheide, beide etwa 80 Jahre alt, erschienen persönlich und sagten zugunsten der Erben aus. Auch dieser Prozeß verlief im Sande.

Den dritten Anlauf zur Gewinnung des Schatzes, der inzwischen einen sagenhaften Wert erreicht hatte, unternahm in den Tagen des Großen Friedrich P. von Evens in Hamburg, der eine Tochter des verstorbenen Franz Joachim Bahr geehelicht und sechs Kinder hatte, der letzte Erbe der Millionenerbschaft. Im Jahre 1744 übersandte er
das gesamte Material an den König von Preußen, hoffend, daß dessen Interzession bei dem König von Hannover vorteilhaft sein und ihm wenigstens "ein kleiner Gnadenbrocken" von der Millionenerbschaft zufallen möchte. Aber auch der größte König des 18. Jahrhunderts konnte dem armen Mann nicht helfen, der täglich mit ansehen mußte, wie die reichen Hamburger, die Nachkommen der Buxtehuder Senatoren, sich ihres Glückes freuten, ohne ihm einen Gnadenbrocken von ihrem prangenden Tisch zu gönnen.

So endete fruchtlos der Prozeß um die Millionenerbschaft. Ein schweres Anrecht blieb ohne Sühne wie so oft in der Geschichte. Es wartet auf den Spruch des jüngsten Gerichts.*) - -

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*) Nach Akten des Pr. St. A. Berlin-Dahlem REP. XI 148, Schuldensachen von Sachsen-Lauenburg, FASC. 9.

 


 


 

 

 

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