Von der sommerlichen Fahrt - nicht in die Ferne, sondern in die
Nähe - zurückgekehrt, wird mancher Eindrücke gewonnen haben, wie sie Johannes
Schlaf, der nun 70jährige Dichter, so meisterlich in seinem
köstlichen "In Dingsda" zu schildern weiß. Mit gütiger Erlaubnis des Verfassers
bringen wir nachstehenden Abschnitt:
"Wie still hier die Welt geblieben ist!
Zwischen alten Scheunen und halbzerfallenen, gelbbraunen Lehmhütten mit
verwitterten Strohdächern schlendere ich hinauf, auf die Friedhofskapelle zu.
Oben im Dachstuhl, frei in der Frühlingsluft, die alte, grünspanige
Friedhofsglocke, umspielt von Sonnenschein und Schmetterlingen, im Gebälk. Und
unten davor die uralte mächtige Linde, die mit ihrem zerklüfteten Wipfel das
Ziegeldach überragt. Es ist so still und einsam, so totenstill hier. Nur die
Linde raunt ununterbrochen, und die Bienen summen leise dazwischen umher. Die
sonnige Luft, so warm und schläfrig. An dem halbversunkenen, regenverwaschenen
Kapellentor schleiche ich vorbei, unwillkürlich einen Augenblick auf den Zehen.
Es ist schattig hier von Bäumen, und das alte Gemäuer haucht einen kühlen
Moderduft aus. - Ich schreite zwischen den Gräbern entlang die
gelbsandigen, buchsbaumumfaßten Wege hin. Überall Grabmäler. Hohe, niedrige,
breite, schmale. Uralte, sargähnliche; grünübermoost. - Die alten dunkelgrünen
Lebensbäume und die hellgrünen Trauerweiden. Birken und Tannen. Goldlack und
fliegendes Herz. Rosen und Nelken und Jelängerjelieber. Dazwischen verblichener,
silbergrauer Flor um einen welken Kranz. Blumen und Grün, überall Blumen und
Grün in der bienensummenden, duftschweren Mittagsschwüle. - - - - - - - - - - -
- - - - -
Wie spät? Gegen zehn. -
Alles schon tot. Nirgends ein einziges rotes Licht zwischen den schwarzen Bäumen
durch. Wie das Mondlicht drin flimmert! Wie sie sich in den weiten klaren Himmel
zacken!
1932/3-4 - 90
1932/3-4 - 91
Hier der Kirchberg.
Weiß, schneeweiß die Kalkwände. Und der Turm, mit den schmalen schwarzen Luken.
Das Glockengebälk. Die Glocken und die Balken silbern beleuchtet nach dem Mond
zu, auf der anderen Seite tiefschwarz. In dem einen Fenster fängt sich das
Mondlicht. Es sieht aus, als wären drin, in dem kahlen stillen Kirchenraum,
Lichter angezündet zu irgendeinem mystischen, gespenstigen Gottesdienst.
Man verlernt in einem so kleinen, so dummen Neste doch all seine kluge, gute,
verständige Großstadtweisheit. Man fühlt und glaubt das Ungereimteste wie ein
Kind. Ach, was ist der Verstand! - Der Verstand? Ach was! Der Verstand ist ein
spargellang aufgeschossener, engbrüstiger, bläßlicher Lümmel, einen Kneifer auf
spitzer Nase, vor kalten grauen Augen, mit schmalen mokanten Lippen und dünnem,
glattgescheiteltem Haar von einem charakterlosen Blond. Das ist der Verstand. -
Ein Lokalprodukt von elektrischem Licht, guten Fahrverbindungen, breiten,
klaren, sauberen Straßen, modisch geputzten Menschen, Fabrikschornsteinen,
Palästen und Telephonen . . . Da geht alles so leicht und gut und bequem zu. Das
Leben wird klar, plan, systematisch wie ein Rechenexempel, und selbst
Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Bis einem gelegentlich ein mondbeschienener
Kirchberg einen Strich durch die saubere, zierliche Rechnung macht und das Leben
einen wieder einmal in einer stillen, nachdenklichen Stunde als Problem mit
seinen geheimnistiefen, rätselhaft unergründlichen Nachtaugen ansieht ..."
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