Um es gleich vorweg zu sagen: Jawohl! es
besteht durchaus eine Krisis der Heimatpflege, und es kann ja
auch gar nicht anders sein bei den nun schon zwei Jahrzehnte
andauernden Erschütterungen des öffentlichen wie des geistigen
Lebens, die natürlich auch das Verhältnis des Menschen zu seiner
Heimat gewandelt haben. Daneben kann man aber auch die bisherige
Entwicklung der Heimatschutz- und Heimatpflege-Bewegung durchaus
nicht freisprechen von einer gewissen Schuld an dieser Krise,
die hoffentlich recht bald überwunden werden kann. Überwindbar
ist sie auf jeden Fall, in ihrer äußeren wie auch in ihrer
inneren Form. Es ist nur nötig, vor sichtbaren Schäden nicht die
Augen zu verschließen und vor allem den ehrlichen Willen zu
gesunder Pflegearbeit nicht erlahmen zu lassen!
Noch
heute liegt für die meisten Deutschen - namentlich in den über
alles so sehr erhabenen Großstädten - über den Begriffen
"Heimatpflege", "Heimatmuseen", "Heimatblätter", "Heimatkunst"
ein mißtrauisch gewitterter Duft muffigen Selbstgenügens,
günstigenfalls überalterter Gegenwartsfremdheit oder
unbedeutender Spielerei. Man glaubt in allen für "Heimat"
wirkenden Bemühungen die Rückständigkeit des "total platten
Landes" und jede "Entwicklung" unliebsam verzögernde Kräfte
erkennen zu müssen. Weltstädtischer Intellektualismus mit dem
ihm zur Verfügung stehenden gewaltigen Apparat öffentlicher
Meinungsmache hat allen "Heimat"-Bestrebungen den Anschein des
"Zurückgebliebenen" bewußt angeheftet. Andererseits liegen aber
auch so viele Zeugnisse unglücklicher Betätigung in den
verschiedenen Zweigen und Arten der "Heimat"-Bewegung vor, daß
eine solche künstliche falsche Meinung dadurch nur bestätigt
werden kann. Sie haben ihre Ursache meist darin, daß der Begriff
des "Heimatlichen" einmal viel zu eng und zu ausschließlich
lokal, andererseits - entsprechend der Herkunft der ganzen
Bewegung - allzu geschichtlich-romantisch aufgefaßt wird. Wir
wollen aber dabei gewiß nicht übersehen, wie viele Ansätze zu
einer viel LEBENDIGEREN und WIRKLICHKEITSNAHEN Bewegung bereits
überall vorhanden sind. Es gilt daher, diese Umstellung zu
beschleunigen oder in ihren Auswirkungen zu stärken, daneben
aber so viel wie möglich nach ZUSAMMENSCHLUSZ zu streben, da nur
ein solcher wirkliche Durchschlagskraft haben kann.
Die
ÄUSZERE Krise ist ja sehr schnell gekennzeichnet, weil sie jedem
greifbar deutlich vor Augen steht und leider auch den allzu
Bequemen meist einen billigen Anlaß gibt, sich Verpflichtungen
gegenüber ihrer Heimat zu entziehen. ES MANGELT AN GELD: bei den
Behörden und Verbänden wie beim einzelnen Privatmann.
Oberflächlich und rein materiell Denkende meinen sogar, daß in
unserer wildbewegten und wirtschaftlich erschöpften Gegenwart
jeder Aufwand für Kultur- und Heimatpflege grundsätzlich als
überflüssig abzulehnen sei. Gewiß muß der Mensch zunächst
überhaupt erst einmal "leben" können, aber ist die alte
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und große Weisheit schon so ganz vergessen,
daß der Mensch nicht von Brot allein zu leben vermag? Es soll
keineswegs vergessen werden, eine wie hohe Prozentzahl unseres
Volkes heute leider zum "Vegetieren" und zum langsamen
Verhungern verdammt ist, aber darf man deswegen auch allen
anderen das "Leben" abdrosseln, darf man sich selbst den
sichersten Boden entziehen und kommenden Geschlechtern die
Zukunft verbauen? - Wahre Heimatpflege befaßt sich ja nicht nur
mit Landschaft, Baudenkmälern und Geschichte, sondern vor allem
auch mit dem lebendigen Menschen! Sie ist eine Arbeit AUF LANGE
SICHT und ohne die Möglichkeit von Tag zu Tag meßbarer Erfolge.
Sie bedarf also der FORTGESETZTEN Unterstützung, denn
Unterlassungssünden sind meist nie wieder gut zu machen.
Außerdem sind - rein zahlenmäßig gesehen - die hierfür
aufgewendeten Mittel stets nur verschwindend gering gewesen im
Verhältnis zu allen anderen Ausgaben. Heimatpflege soll ja auch
eine Sache des HERZENS und nicht des GELDES allein sein, sie
wird also bei sonst gutm Willen der Beteiligten über die
WIRTSCHAFTSkrise noch am allerbesten hinwegkommen.
Anders
steht es mit der ORGANISATIONSkrise. Diese wird ohne
bereitwillige und vor allem auch nicht allzu schnell erlahmende
Mitarbeit weitester Kreise nicht zu überwinden sein. Die meisten
Heimatpflegeorganisationen leiden heute darunter, daß sie sich
dem jetzt nicht mehr so geruhig wie früher gehenden Pulsschlag
der Zeit nicht anpassen konnten. "Sie führen Abwehrkämpfe und
vernachlässigen wichtige Aufbauarbeit", bekennt selbst ein so
unbestrittener Sachkenner wie Dr. Karl WAGENFELD 1). Dazu kommt
die leidige Eigenbrödelei, die nun einmal im Deutschen tief
verankert ist und ihn eher über die politische Grenze als ins
Haus seines Nachbarn gehen läßt. Heimatpflegeverbände müssen
sich heute eine lebendige, zeitgemäße Organisationsform geben,
die statt allzu zentralistischer Zusammenfassung bei einigen
wenigen eigenwilligen Köpfen eine möglichst breite Grundlage
wählt und vor allem auf ZUSAMMENSCHLUSZ aller nur irgendwie in
Frage kommenden Behörden und Verbände dringt. Auch in einem
solchen Rahmen bleibt wahren Führerpersönlichkeiten immer noch
genug Betätigungsmöglichkeit. Äußerlich sichtbare Höhepunkte
vermögen dann wohl am besten große HEIMATTAGE abzugeben, wie sie
schon Lic. W. Schröder 2) und andere vor Jahren dringend
empfohlen haben. Obwohl echtes Heimatgefühl immer nur vom
EINZELNEN empfunden werden kann, entspricht es doch vielleicht
am besten unserer Zeit, hin und wieder durch ein MASSENerlebnis
dieses Gefühl im Einzelmenschen erst wieder zum Klingen zu
bringen.
Das Entscheidende jedoch ist die tief greifende
Krise der INNEREN ERNEUERUNG. Das Kriegserlebnis hat ohne
Zweifel bei allen Kriegsteilnehmern auch das Heimaterlebnis
gefördert, einmal weil sie der Heimat auf längere Zeit entrückt
wurden und dabei durch Abstand eine natürliche Vertiefung des
Heimatgefühls gewonnen haben, zum andern, weil jedes Bemühen um
seelische Festigkeit in der allgemeinen Unsicherheit ganz von
selbst am ursprünglichen Heimaterlebnis anknüpft. Durch das mit
der Revolution verknüpfte Kriegsende wurde jede organische
Entwicklung der Heimatpflege zunächst abgebrochen, da für einen
Teil des Volkes an Stelle des nationalen Gedankens der
internationale trat und da ein mindestens ebenso großer anderer
Teil - und naturgemäß gerade der am meisten BODENSTÄNDIGE - im
Gegensatz zu früheren Zeiten in dem neuen Staat nicht mehr den
wirklichen Hüter der Heimat sehen zu können glaubte. Erst
allmählich wurden - bemerkenswerterweise gerade vom MENSCHEN und
nicht von der LANDSCHAFT ausgehend (Volksbildungs- und
Volkskunstbewegung, Schule und amtliche Jugendpflege) - die
Heimatpflegegedanken wieder aufgenommen, nun aber auf viel
breiterer Grundlage und ohne Anknüpfung an frühere, abseits
stehengebliebene Einrichtungen. Dabei gerieten die Kreise der
neuen Bewegung leider bald in eine Art Gegensatz zu den früheren
Pflegern, die mittlerweile vielfach ins Greisenalter vorgerückt
waren. "Zu viel Glatzen - zu wenig Jugend" kennzeichnet deshalb
auch Wagenfeld 3) sehr mit Recht den
_______________
1) Karl Wagenfeld "Jugend und Heimat" (Niederdeutsche
Monatshefte, 7. Jahrg. Heft 3, März
1932), ein lebendiger
Beitrag, der - wie überhaupt das ganze Sonderheft
"Niederdeutschland und die Jugend" - sehr lesenswert ist.
2)
Pommersche Heimatpflege, 1. Jahrg. S. 78 und
3. Jahrg. Heft 4,
S. 146. 3) Niederdeutsche Monatshefte,
7. Jahrg. Heft 3, S. 66.
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gegenwärtigen Zustand der alten
Heimatschutzbewegung. Die Zwischengeneration ist meist völlig
ausgefallen, die Heranwachsende Jugend hat eine völlig andere
Einstellung und muß sie ja zwangsläufig auch haben. Hier liegt
der tiefste und gefährlichste, weil GEISTIGE Krisenherd für die
Heimatpflege!
Das hat auch die vorjährige
Hauptversammlung des Bundes Heimatschutz in Berlin sehr richtig
erkannt, sie hat daher dringend die vollständige
Wiedereingliederung der Jugend in die Bundesarbeit gefordert.
Wenn andererseits die Mehrzahl der heutigen Jugend infolge ihrer
Arbeitslosigkeit von einer nüchternen Illusionslosigkeit ist, so
darf man am wenigsten ihr selbst die Schuld dafür aufbürden. Die
Entwurzelung durch starke Binnenwanderung, die soziale
Umschichtung der Bevölkerung, die Zerstörung der Familie und des
Autoritätsgedankens überhaupt mußten automatisch die
Vorbedingungen dafür schaffen. In den meisten Fällen ist der
Jugend heute doch jedes Heim und jede Hoffnung auf Betätigung
genommen, und da soll sie noch an Heimat und Heimatpflege
denken? Jawohl, gerade eine besitz- und zukunftenteignete Jugend
sollte von sich aus darauf sehen, sich durch FREIWILLIGE
KÖRPERLICHE UND GEISTIGE LEISTUNG dem Heimatboden wieder neu zu
verbinden, sich Lebensrecht und Zukunft selbst zu ertrotzen.
"Sucht nicht die ERNEUERUNG, sondern die BETÄTIGUNG des
deutschen Menschen, der in euch lebt", sagt KOLBENHEYER gleich
im Beginn seines "Zuspruch für die Jugend" 4). Zuviel hat sich
heute die Jugend in TAGESfragen verirrt, zu sehr der Politik in
die Arme geworfen. Politische Aufgaben sind vorübergehend und
werden immer einmal durch Erfüllung hinfällig. Richtige
lebendige Heimatpflege bietet stets neue Aufgaben, da sie immer
wandelbar und notwendig bleibt. Ebenso wie FRANK THIESZ 5)
einmal die Dichtung als "Lebenshilfe" bezeichnet hat, kann man
heute und für die Zukunft auch die HEIMAT ALS BESTE LEBENSHILFE
ansprechen. Den Wert solcher Wahrheit wird die Jugend allerdings
immer erst erkennen, wenn sie ein wenig älter geworden ist. Und
doch ist auch ihr Weg so natürlich gegeben! Ein Großteil der
Jugend bekennt sich heute wieder zur restlosen Hingabe an eine
große Idee, zur Hingabe ans Vaterland. Wie kann man sich aber
körperlich und geistig für Heimat und Vaterland einsetzen
wollen, wenn man sich beides nicht auch körperlich und geistig
zu eigen gemacht hat?! Heimat ist Besitz, kostbarster,
preiswertester und zugleich auch verpflichtender Besitz, an dem
ALLE teilhaben; mögen daher auch ALLE ihr gutes Recht wahrnehmen
und praktisch jeder all seinem Platze Mitarbeit leisten an einer
umfassenden HeimatKUNDE, aus der dann der Wunsch nach einer
lebendigen, gegenwartsnahen und zukunfterwerbenden HeimatPFLEGE
ganz von selbst erwachsen wird. Ihre großen bündischen Bindungen
werden die Jugend dabei gewiß vor einem allzu engen
Lokalpatriotismus bewahren und immer wieder auf die wirklich
großen Gesamtausgaben hinführen.
Was nun also nottut, um
die ganze hier erörterte Krise zu überwinden, ist FREIWILLIGER
SELBSTEINSATZ aller Angehörigen der Heimat und auch aller
Altersschichten. Dann aber muß Mitbeteiligung und
Mitverantwortung jüngerer Menschen in den Vorständen solcher
Heimatpflegeorganisationen gefordert werden. An die Stelle von
engherzigen Hemmungen und Bedenken eines allzu erfahrenen
vorsichtigen Alters möge getrost der Mut zur lebendigen Tat
treten, auch wenn einmal Mißgriffe in Kauf genommen werden
müssen. Aus Fehlern kann man lernen und vorwärtskommen, aus
sicherem Verweilen und ängstlichem Rückblicken niemals. Das
allernötigste aber bleibt ein GROSZZÜGIGER ZUSAMMENSCHLUSZ, der
in einem Grenzland noch nötiger ist als anderwärts. Behörden,
Wissenschaft, Schulen, Naturschutz und Denkmalpflege,
Heimatmuseen und Büchereien, Elternhaus und Kirche müssen sich
zu gemeinsamer Arbeit nach großen Richtlinien zusammenfinden mit
den vielen kleinen örtlichen Vereinigungen und den in die
gemeinsame Front eintretenden Privatpersonen, und es wäre eine
große Aufgabe für den Bund Heinratschutz, mit reichlicher
Unterstützung der Presse das zusammenfassende Dach für diese
alle zu errichten, unter dem jeder nach wie vor seine eigene
Stube verschönern und doch gleichzeitig am Gesamtausbau
mitwirken könnte. Traditionspflege UND Wegbereitung in die
Zukunft,
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4) E. G. Kolbenheyer
"Stimme". Eine Sammlung von Aufsätzen (Georg Müller, München
1931), S. 58ff. 5) Ostdeutsche Monatshefte,
12. Jahrg.
Nr. 10, S. 643 ff.
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aber nicht in lokaler Selbstbeschränkung,
sondern stets mit dem Blick auf das Gesamtvaterland, das muß
Aufgabe echter Heimatpflege sein, deren organische
Weiterentwicklung sicherzustellen ist. Je lebendiger sie
gehandhabt und je tiefer sie verankert wird, um so weniger wird
ihr die Unterstützung weitester Kreise fehlen und um so
schneller wird sie dann auch in der Lage sein, die gegenwärtige
- im Grunde genommen vielleicht recht heilsame - Krise wirklich
zu überwinden.
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