Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1933


Krisis der Heimatpflege?

Von DR. E. MURAWSKI in Stettin.

Um es gleich vorweg zu sagen: Jawohl! es besteht durchaus eine Krisis der Heimatpflege, und es kann ja auch gar nicht anders sein bei den nun schon zwei Jahrzehnte andauernden Erschütterungen des öffentlichen wie des geistigen Lebens, die natürlich auch das Verhältnis des Menschen zu seiner Heimat gewandelt haben. Daneben kann man aber auch die bisherige Entwicklung der Heimatschutz- und Heimatpflege-Bewegung durchaus nicht freisprechen von einer gewissen Schuld an dieser Krise, die hoffentlich recht bald überwunden werden kann. Überwindbar ist sie auf jeden Fall, in ihrer äußeren wie auch in ihrer inneren Form. Es ist nur nötig, vor sichtbaren Schäden nicht die Augen zu verschließen und vor allem den ehrlichen Willen zu gesunder Pflegearbeit nicht erlahmen zu lassen!

Noch heute liegt für die meisten Deutschen - namentlich in den über alles so sehr erhabenen Großstädten - über den Begriffen "Heimatpflege", "Heimatmuseen", "Heimatblätter", "Heimatkunst" ein mißtrauisch gewitterter Duft muffigen Selbstgenügens, günstigenfalls überalterter Gegenwartsfremdheit oder unbedeutender Spielerei. Man glaubt in allen für "Heimat" wirkenden Bemühungen die Rückständigkeit des "total platten Landes" und jede "Entwicklung" unliebsam verzögernde Kräfte erkennen zu müssen. Weltstädtischer Intellektualismus mit dem ihm zur Verfügung stehenden gewaltigen Apparat öffentlicher Meinungsmache hat allen "Heimat"-Bestrebungen den Anschein des "Zurückgebliebenen" bewußt angeheftet. Andererseits liegen aber auch so viele Zeugnisse unglücklicher Betätigung in den verschiedenen Zweigen und Arten der "Heimat"-Bewegung vor, daß eine solche künstliche falsche Meinung dadurch nur bestätigt werden kann. Sie haben ihre Ursache meist darin, daß der Begriff des "Heimatlichen" einmal viel zu eng und zu ausschließlich lokal, andererseits - entsprechend der Herkunft der ganzen Bewegung - allzu geschichtlich-romantisch aufgefaßt wird. Wir wollen aber dabei gewiß nicht übersehen, wie viele Ansätze zu einer viel LEBENDIGEREN und WIRKLICHKEITSNAHEN Bewegung bereits überall vorhanden sind. Es gilt daher, diese Umstellung zu beschleunigen oder in ihren Auswirkungen zu stärken, daneben aber so viel wie möglich nach ZUSAMMENSCHLUSZ zu streben, da nur ein solcher wirkliche Durchschlagskraft haben kann.

Die ÄUSZERE Krise ist ja sehr schnell gekennzeichnet, weil sie jedem greifbar deutlich vor Augen steht und leider auch den allzu Bequemen meist einen billigen Anlaß gibt, sich Verpflichtungen gegenüber ihrer Heimat zu entziehen. ES MANGELT AN GELD: bei den Behörden und Verbänden wie beim einzelnen Privatmann. Oberflächlich und rein materiell Denkende meinen sogar, daß in unserer wildbewegten und wirtschaftlich erschöpften Gegenwart jeder Aufwand für Kultur- und Heimatpflege grundsätzlich als überflüssig abzulehnen sei. Gewiß muß der Mensch zunächst überhaupt erst einmal "leben" können, aber ist die alte

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und große Weisheit schon so ganz vergessen, daß der Mensch nicht von Brot allein zu leben vermag? Es soll keineswegs vergessen werden, eine wie hohe Prozentzahl unseres Volkes heute leider zum "Vegetieren" und zum langsamen Verhungern verdammt ist, aber darf man deswegen auch allen anderen das "Leben" abdrosseln, darf man sich selbst den sichersten Boden entziehen und kommenden Geschlechtern die Zukunft verbauen? - Wahre Heimatpflege befaßt sich ja nicht nur mit Landschaft, Baudenkmälern und Geschichte, sondern vor allem auch mit dem lebendigen Menschen! Sie ist eine Arbeit AUF LANGE SICHT und ohne die Möglichkeit von Tag zu Tag meßbarer Erfolge. Sie bedarf also der FORTGESETZTEN Unterstützung, denn Unterlassungssünden sind meist nie wieder gut zu machen. Außerdem sind - rein zahlenmäßig gesehen - die hierfür aufgewendeten Mittel stets nur verschwindend gering gewesen im Verhältnis zu allen anderen Ausgaben. Heimatpflege soll ja auch eine Sache des HERZENS und nicht des GELDES allein sein, sie wird also bei sonst gutm Willen der Beteiligten über die WIRTSCHAFTSkrise noch am allerbesten hinwegkommen.

Anders steht es mit der ORGANISATIONSkrise. Diese wird ohne bereitwillige und vor allem auch nicht allzu schnell erlahmende Mitarbeit weitester Kreise nicht zu überwinden sein. Die meisten Heimatpflegeorganisationen leiden heute darunter, daß sie sich dem jetzt nicht mehr so geruhig wie früher gehenden Pulsschlag der Zeit nicht anpassen konnten. "Sie führen Abwehrkämpfe und vernachlässigen wichtige Aufbauarbeit", bekennt selbst ein so unbestrittener Sachkenner wie Dr. Karl WAGENFELD 1). Dazu kommt die leidige Eigenbrödelei, die nun einmal im Deutschen tief verankert ist und ihn eher über die politische Grenze als ins Haus seines Nachbarn gehen läßt. Heimatpflegeverbände müssen sich heute eine lebendige, zeitgemäße Organisationsform geben, die statt allzu zentralistischer Zusammenfassung bei einigen wenigen eigenwilligen Köpfen eine möglichst breite Grundlage wählt und vor allem auf ZUSAMMENSCHLUSZ aller nur irgendwie in Frage kommenden Behörden und Verbände dringt. Auch in einem solchen Rahmen bleibt wahren Führerpersönlichkeiten immer noch genug Betätigungsmöglichkeit. Äußerlich sichtbare Höhepunkte vermögen dann wohl am besten große HEIMATTAGE abzugeben, wie sie schon Lic. W. Schröder 2) und andere vor Jahren dringend empfohlen haben. Obwohl echtes Heimatgefühl immer nur vom EINZELNEN empfunden werden kann, entspricht es doch vielleicht am besten unserer Zeit, hin und wieder durch ein MASSENerlebnis dieses Gefühl im Einzelmenschen erst wieder zum Klingen zu bringen.

Das Entscheidende jedoch ist die tief greifende Krise der INNEREN ERNEUERUNG. Das Kriegserlebnis hat ohne Zweifel bei allen Kriegsteilnehmern auch das Heimaterlebnis gefördert, einmal weil sie der Heimat auf längere Zeit entrückt wurden und dabei durch Abstand eine natürliche Vertiefung des Heimatgefühls gewonnen haben, zum andern, weil jedes Bemühen um seelische Festigkeit in der allgemeinen Unsicherheit ganz von selbst am ursprünglichen Heimaterlebnis anknüpft. Durch das mit der Revolution verknüpfte Kriegsende wurde jede organische Entwicklung der Heimatpflege zunächst abgebrochen, da für einen Teil des Volkes an Stelle des nationalen Gedankens der internationale trat und da ein mindestens ebenso großer anderer Teil - und naturgemäß gerade der am meisten BODENSTÄNDIGE - im Gegensatz zu früheren Zeiten in dem neuen Staat nicht mehr den wirklichen Hüter der Heimat sehen zu können glaubte. Erst allmählich wurden - bemerkenswerterweise gerade vom MENSCHEN und nicht von der LANDSCHAFT ausgehend (Volksbildungs- und Volkskunstbewegung, Schule und amtliche Jugendpflege) - die Heimatpflegegedanken wieder aufgenommen, nun aber auf viel breiterer Grundlage und ohne Anknüpfung an frühere, abseits stehengebliebene Einrichtungen. Dabei gerieten die Kreise der neuen Bewegung leider bald in eine Art Gegensatz zu den früheren Pflegern, die mittlerweile vielfach ins Greisenalter vorgerückt waren. "Zu viel Glatzen - zu wenig Jugend" kennzeichnet deshalb auch Wagenfeld 3) sehr mit Recht den

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1
) Karl Wagenfeld "Jugend und Heimat" (Niederdeutsche Monatshefte, 7. Jahrg. Heft 3, März 1932), ein lebendiger Beitrag, der - wie überhaupt das ganze Sonderheft "Niederdeutschland und die Jugend" - sehr lesenswert ist.
2) Pommersche Heimatpflege, 1. Jahrg. S. 78 und 3. Jahrg. Heft 4, S. 146.
3) Niederdeutsche Monatshefte, 7. Jahrg. Heft 3, S. 66.

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gegenwärtigen Zustand der alten Heimatschutzbewegung. Die Zwischengeneration ist meist völlig ausgefallen, die Heranwachsende Jugend hat eine völlig andere Einstellung und muß sie ja zwangsläufig auch haben. Hier liegt der tiefste und gefährlichste, weil GEISTIGE Krisenherd für die Heimatpflege!

Das hat auch die vorjährige Hauptversammlung des Bundes Heimatschutz in Berlin sehr richtig erkannt, sie hat daher dringend die vollständige Wiedereingliederung der Jugend in die Bundesarbeit gefordert. Wenn andererseits die Mehrzahl der heutigen Jugend infolge ihrer Arbeitslosigkeit von einer nüchternen Illusionslosigkeit ist, so darf man am wenigsten ihr selbst die Schuld dafür aufbürden. Die Entwurzelung durch starke Binnenwanderung, die soziale Umschichtung der Bevölkerung, die Zerstörung der Familie und des Autoritätsgedankens überhaupt mußten automatisch die Vorbedingungen dafür schaffen. In den meisten Fällen ist der Jugend heute doch jedes Heim und jede Hoffnung auf Betätigung genommen, und da soll sie noch an Heimat und Heimatpflege denken? Jawohl, gerade eine besitz- und zukunftenteignete Jugend sollte von sich aus darauf sehen, sich durch FREIWILLIGE KÖRPERLICHE UND GEISTIGE LEISTUNG dem Heimatboden wieder neu zu verbinden, sich Lebensrecht und Zukunft selbst zu ertrotzen. "Sucht nicht die ERNEUERUNG, sondern die BETÄTIGUNG des deutschen Menschen, der in euch lebt", sagt KOLBENHEYER gleich im Beginn seines "Zuspruch für die Jugend" 4). Zuviel hat sich heute die Jugend in TAGESfragen verirrt, zu sehr der Politik in die Arme geworfen. Politische Aufgaben sind vorübergehend und werden immer einmal durch Erfüllung hinfällig. Richtige lebendige Heimatpflege bietet stets neue Aufgaben, da sie immer wandelbar und notwendig bleibt. Ebenso wie FRANK THIESZ 5) einmal die Dichtung als "Lebenshilfe" bezeichnet hat, kann man heute und für die Zukunft auch die HEIMAT ALS BESTE LEBENSHILFE ansprechen. Den Wert solcher Wahrheit wird die Jugend allerdings immer erst erkennen, wenn sie ein wenig älter geworden ist. Und doch ist auch ihr Weg so natürlich gegeben! Ein Großteil der Jugend bekennt sich heute wieder zur restlosen Hingabe an eine große Idee, zur Hingabe ans Vaterland. Wie kann man sich aber körperlich und geistig für Heimat und Vaterland einsetzen wollen, wenn man sich beides nicht auch körperlich und geistig zu eigen gemacht hat?! Heimat ist Besitz, kostbarster, preiswertester und zugleich auch verpflichtender Besitz, an dem ALLE teilhaben; mögen daher auch ALLE ihr gutes Recht wahrnehmen und praktisch jeder all seinem Platze Mitarbeit leisten an einer umfassenden HeimatKUNDE, aus der dann der Wunsch nach einer lebendigen, gegenwartsnahen und zukunfterwerbenden HeimatPFLEGE ganz von selbst erwachsen wird. Ihre großen bündischen Bindungen werden die Jugend dabei gewiß vor einem allzu engen Lokalpatriotismus bewahren und immer wieder auf die wirklich großen Gesamtausgaben hinführen.

Was nun also nottut, um die ganze hier erörterte Krise zu überwinden, ist FREIWILLIGER SELBSTEINSATZ aller Angehörigen der Heimat und auch aller Altersschichten. Dann aber muß Mitbeteiligung und Mitverantwortung jüngerer Menschen in den Vorständen solcher Heimatpflegeorganisationen gefordert werden. An die Stelle von engherzigen Hemmungen und Bedenken eines allzu erfahrenen vorsichtigen Alters möge getrost der Mut zur lebendigen Tat treten, auch wenn einmal Mißgriffe in Kauf genommen werden müssen. Aus Fehlern kann man lernen und vorwärtskommen, aus sicherem Verweilen und ängstlichem Rückblicken niemals. Das allernötigste aber bleibt ein GROSZZÜGIGER ZUSAMMENSCHLUSZ, der in einem Grenzland noch nötiger ist als anderwärts. Behörden, Wissenschaft, Schulen, Naturschutz und Denkmalpflege, Heimatmuseen und Büchereien, Elternhaus und Kirche müssen sich zu gemeinsamer Arbeit nach großen Richtlinien zusammenfinden mit den vielen kleinen örtlichen Vereinigungen und den in die gemeinsame Front eintretenden Privatpersonen, und es wäre eine große Aufgabe für den Bund Heinratschutz, mit reichlicher Unterstützung der Presse das zusammenfassende Dach für diese alle zu errichten, unter dem jeder nach wie vor seine eigene Stube verschönern und doch gleichzeitig am Gesamtausbau mitwirken könnte. Traditionspflege UND Wegbereitung in die Zukunft,

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4) E. G. Kolbenheyer "Stimme". Eine Sammlung von Aufsätzen (Georg Müller, München 1931), S. 58ff.
5) Ostdeutsche Monatshefte, 12. Jahrg. Nr. 10, S. 643 ff.

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aber nicht in lokaler Selbstbeschränkung, sondern stets mit dem Blick auf das Gesamtvaterland, das muß Aufgabe echter Heimatpflege sein, deren organische
Weiterentwicklung sicherzustellen ist. Je lebendiger sie gehandhabt und je tiefer sie verankert wird, um so weniger wird ihr die Unterstützung weitester Kreise fehlen und um so schneller wird sie dann auch in der Lage sein, die gegenwärtige - im Grunde genommen vielleicht recht heilsame - Krise wirklich zu überwinden.


 

 

 

 

 

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