So lautet die Inschrift
des bekannten Eulenspiegelsteins an der Nikolaikirche zu Mölln.
Der Stein selbst stammt allerdings nicht aus dem Jahre
1350, wie er vorgibt, sondern wird von
Kennern in die Zeit um 1550 versetzt;
er wird aber wohl Ersatz eines älteren verwitterten sein. Dieser
befand sich auf Eulenspiegels Grab unter einer alten Linde nicht
weit von der Kirche, während der neue unmittelbar an das
Gotteshaus gerückt und zum Schutze mit einem Holzgitter umgeben
wurde. Es schreibt nämlich ein Prediger Dethlev Dreyer
1631 in seiner Chronik vom Grabstein
unseres Till 1): "Und damit dießeß
herrliche Monumentum nicht möge mit der Zeit vergehen, sondern
den Nachkömmlingen zum kräfftigen Trost erhalten werden. alß ist
noch vor wenig Jahren ein
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1) Dies wie andere hier erwähnte Tatsachen nach
Nell, "Till Eulenspiegel" in "Die Heimat" VII
(Kiel 1897) Nr. 2-4.
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Stacket DE NOVO gemacht, weile man, wie
spargirt wird, PAR SIMPLICITE daß holtz von dem alten
abgeschnitten, solche splitter zu vertreibung des Zahnweheß
employiret." Er führt weiter die Verse eines "alten Poetasters"
an:
Hier ist begraben Tiel Ulenspiegel
Auff diesem hohen Erdenhügel 2).
Wiie er im Leben wahr von großer Wunderkrafft, So ist
auch sein Geripp nicht sonder Heilungß-Safft, Daher
wer Zahnweh hat, kan solches bald vermeiden, Wo er
ein Stocher wird von dem Stacket abschneiden. Den ja
das alte hat so große Werk gethan, Wie solches ihm
nachrühmbt und noch weiß Jedermann. |
Diese Heilwirkung mit Eulenspiegels "Geripp" in Verbindung
zu bringen, wie der Dichter es tut, ist natürlich abwegig, denn
man wußte ja genau, daß er dort garnicht begraben lag. wo der
Grabstein an der Kirche stand. - Eine Parallele zu dieser Art
Aberglauben, sogar noch in protestantischer Zeit erwachsen,
bietet der "Antiquarius des Elbstromes" (1741).
wo von der Bettlade und dem Tisch Martin Luthers in Magdeburg
berichtet wird, daß "dem gemeinen Vorgehen nach ein Stückgen
Holz davon das Zahnweh vertreibt. wenn man sich in dem
Zahnfleisch damit stochert."
So wäre es also die Sucht
wohl meist fremder Besucher, sich von der berühmten Stätte ein
Andenken mitzunehmen, das zugleich eine Art Talisman darstellte?
Angesichts der Tatsache, daß es sich bei dem
Eulenspiegelgrab um einen recht alten Aberglauben gehandelt hat.
ist das nicht wahrscheinlich. Wir werden nach einem tiefer
liegenden Grund zu suchen haben. Dazu kommt eine andere
Tatsachenreihe.
An der Stelle von Eulenspiegels Grab
steht heute eine Linde. Auch sie ist nicht so alt, daß sie etwa
noch Zeuge vom Begräbnis des landbefahrenen Gesellen gewesen
wäre. Vielmehr pflanzte man sie, weil französische Soldaten
1810 den Stumpf der mittelaltcrlichen
abgehauen hatten. An diese alte aber knüpfte sich die Legende,
es habe hier die hl. Gertrud, eines Verbrechens angeklagt, zum
Beweise ihrer Unschuld ein Wunder vollbracht. Sie brach nämlich
von einer am Wege stehenden Linde einen Zweig ab und steckte ihn
verkehrt ins Erdreich mit den Worten: "So gewiß hier ein neuer
Baum entsteht, bin ich unschuldig."
Ganz in der Nähe
befand sich, nur urkundlich nachzuweisen, eine Gertrudenkapelle,
die aber bereits vor der Reformation verfiel. Nachdem sich
1531 zu Mölln die neue Lehre durchgesetzt
hatte, sah man natürlich erst recht keine Veranlassung, die
kleine Andachtstätte zu erneuern. Die Linde aber, die bei ihrer
Kapelle stand und angeblich der Heiligen ihren Ursprung
verdankte, wurde wie Wiens "Stock im Eisen" im Laufe der Zeit
dicht mit Nägeln und Pfennigen gespickt, die Wandersleute und
Handwerksburschen hier einschlugen. St. Gertrud war ja vor allem
die Schützerin der Reisenden, der zu Ehren man gern die
Gertraudenminne trank, um gute Fahrt und Herberg zu bekommen.
Die kupfernen Pfennige sind sicher eine Art Wegopfcr gewesen.
Wenn man aber Nägel in den Baum einschlug. so geht dies darauf
zurück, daß man so eine Krankheit in den Baum hat "verpflöcken"
wollen. Irgendwelchen Krankheitsstoff suchte man unter Hersagen
eines wirksamen Spruches in einen Baum zu bannen, bei
Zahnschmerzen z. B. bohrte man in den Zähnen, bis sie bluteten,
und den blutigen Zahnstocher verkeilte man dann in der Rinde.
Beispiele hierfür sind, gelegentlich mit kleinen Abwandlungen,
in allen deutschen Gauen so zahlreich, daß es sich erübrigt,
mehr davon zu sagen. Jedoch pflegt solch Verpflöcken von
Krankheiten nicht an bestimmte Bäume gebunden zu sein. Wieder
also erhebt sich, wie bei dem Zaun, die Frage, was gerade diesem
Baum seine volksmedizinische Bedeutung verschafft hat. Das hatte
mit der hl. Gertrud nichts zu tun, denn sie ist nicht Heilige
gegen irgendwelche Leiden.
Die erwähnte Wundererzählung
vom verkehrt eingepflanzten Reis ist nicht selten und erklärt
sich leicht. Es wird das merkwürdige Aussehen gewisser Bäume,
deren Stamm oben dicker ist als unten, den Anlaß dazu gegeben
haben 3).
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2)
Kirche und Kirchhof liegen etwas erhöht. 3)
Vgl. E. Friedel "Mölln und Till Eulenspiegel" im "Bär" (Berlin
1894) S 27
fg.
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Dies tritt leicht ein, wenn auf einen alten
Stamm ein frischer Zweig aufgepfropft wird. Daß man für die
Linde neben der Gertrudenkapelle gerade diese Heilige bemühte,
war ja fast selbstverständlich. Gehen wir mit dieser
Sagendeutung nicht fehl, so hat also die 1810
umgehauene Linde bereits eine Vorgängerin gehabt, deren
Erneuerung bei ihrem Verfall aus irgendeinem Grunde
wünschenswert erschien.
Auch dies ist nicht überraschend,
daß man den unstäten Till gerade beider Kapelle derer begrub,
die im Leben so oft seine Schützerin gewesen war, und daß der
Grabstein. als die Kapelle verfiel, von dort an die Kirche
gerückt wurde.
Es ist nun nicht anzunehmen, daß
gleichzeitig dicht nebeneinander der Baum und der Zaun zu einer
Heilwirkung benötigt wurden, noch dazu bei so verschiedener
Handhabung in der Praxis. Es sieht so aus, als sei der Zaun das
ältere Objekt gewesen, und als habe sich nach seiner Entfernung
der Glaube an dergleichen Mittel dem Baume zugewandt, allerdings
unter Änderung der Methode.
Oder sollte doch der Baum das
Ältere fiir den Volksglauben sein? Der Vergleich mit andern
deutschen Landschaften hilft weiter.
Aus manchen Gegenden
wissen wir nämlich, daß dort gegen Zahnschmerzen Splitter von
blitzgetroffenen Bäumen als besonders wirksam galten, mit denen
man das Zahnfleisch ritzte, bis es blutete, was ja mitunter eine
suggestive Kraft gehabt haben mag.
Nehmen wir an, daß
die große Linde auf der Anhöhe vom Blitz getroffen und dabei
zersplittert wurde, so war es naheliegend. aus dem Holz den Zaun
herzustellen, während andererseits ein glückliches
Pfropfexperiment oder ein neues Ausschlagen des Lindenstumpfes
die Sage vom Gertrudenwunder entstehen ließ.
Man wird
aber wahrscheinlich einen Einwand erheben. Die Wundererzählung
stammt aus tnittelalterlicher Zeit, die Aufrichtung des Zaunes
aber fällt bereits in die protestautische, denn kurz vor
1631 mußte er erneuert werden, und mehr
als hundert Jahre Lebensdauer wird man einem einfachen
Holzgerüst wohl kaum zubilligen wollen.
Dann müßte - man
wird ja nicht zweimaligen Blitzschlag anzunehmen gewillt sein -
das Holz längere Zeit sorgsam aufbewahrt worden sein, ehe es zum
Zaun zersägt wurde. Das klingt überraschend, ist aber nicht von
der Hand zu weisen. Das Gotteshaus selbst war der Bewahrer! Es
gibt nämlich mehrere Kirchen, in denen auch noch nach der
Reformation Baumstümpfe zu sehen waren, ja jetzt noch sind.
Th. Fontane berichtet in seinem Buche "Havelland", daß der
Sohn Albrechts des Bären, Markgraf Otto, einst unter einem Baum
den Traum gehabt habe, es belästige ihn eine Hirschkuh, die er
dann niederschoß. Hier habe er hinterher das Kloster Lehnin
gebaut, denn Lanye heiße im Slavischen Hirschkuh. Zwischen den
Stufen zum Hochaltar ist nun heutzutage noch der Stumpf einer
Eiche zu sehen, und zwar derjenigen, unter der Markgraf Otto
seine Vision gehabt haben soll. Es ist nicht daran zu zweifeln,
daß dieser Baum einst eine kultische Bedeutung gehabt hat; an
der Stätte heidnischer Gottesverehrung baute man das Kloster.
Noch näher kommt es den Möllner Verhältnissen, wenn sich
ebenfalls jetzt noch in der evangelischen Marienkirche zu
Herford in Westfalen im Altar ein Holzklotz befindet, angeblich
ein Stück jenes Baumes« auf dem sich einst Maria in Gestalt
einer Taube niederließ, um den Ort für eine Kirchengründnng
anzuzeigen. 4) Auch von diesem Stamm
heißt es (Hagedorn, Ravensb. Kirchengeschichte, 1749):
"Man ist vormals auf diesen Klotz sehr begierig gewesen, weil
man geglaubet hat, daß ein Splitter davon die Zahnschmerzen
vertreibe, wenn die Zähne damit gereinigt würden." Die Spuren
dieses Tuns sind dem Stumpf heute noch deutlich anzusehen.
Bei diesem Herforder Wunderbaum läßt der Sagenbefund - es
braucht hier nicht näher darauf eingegangen zu werden - keinen
Zweifel darüber, daß es sich um einen vom Blitz getroffenen Baum
gehandelt hat, der zudem wohl eine germanische Wodanseiche war.
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4) Vgl
hierzu "Heimatblätter der Roten Erde" (Münster 1926)
S. 552 ff.
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1933/2-3 - 43
Wir sehen an diesen Beispielen, daß die
Kirche auf solche Weise heidnische Kultobjekte irgendwie ihren
Zwecken dienstbar zu machen wußte. Sagt doch Papst Gregor einmal
hinsichtlich der alten Sachsen: "Man soll bei diesem Volk die
Heiligtumer seiner Götzen keineswegs zerstören, sondern nur die
Götzenbilder selber, die drinnen sind; dann soll man Weihwasser
bereiten, die Heiligtümer damit besprengen, Altäre errichten und
Reliquien dorthin bringen. Wenn dann das Volk seine Tempel nicht
zerstört sieht, mag es von Herzen seinen Irrtum ablegen, den
wahren Gott erkennen und anbeten und an ihm vertrauten Orten
nach altem Brauch sich lieber einfinden. - - Ganz gewiß geht es
nicht an, daß man harten Gemütern alles auf einmal abschneidet,
weil ia auch der, welcher zum höchsten Gipfel aufsteigen will,
stufen- oder schrittweise, nicht sprungweise sich
emporarbeitet."
Man darf wohl unbedenklich auch bei Mölln
an eine solche Kultübertragung denken, denn aus ganz anderen
Erwägungen heraus ist bereits früher ausgesprochen worden, daß
hier auf dem "Eichberg" - so hat die Anhöhe vormals geheißen -
eine heidnische Opferstätte gewesen ist. Hatte man den
Holzstumpf bis zur Reformation und vielleicht noch darüber
hinaus sorglich in der Kirche aufbewahrt, so wurde er
schließlich doch den Protestanten ein Ärgernis und darum zum
Zaun für Eulenspiegels Grab zersägt.
In den "Bau- und
Kunstdenkmälern im Herzogtum Lauenburg" findet sich bei der
Beschreibung der Möllner Nikolaikirche die Angabe, daß in einem
dachförmig überdeckten Schränkchen an der Südseite des Chors
eine achteckige Trommel aus Kalkstuck liegt, offenbar eine
Säulentrommel. Warum und wann das Stück dorthin gekommen, ist
nicht ersichtlich. Sollte hier noch eine Erinnerung an den
Baumstamm durchschimmern? Vielleicht, daß der Glaubenseifer
Besuchern, die nach dem Baumstumpf Ausschau hielten, recht
eindringlich ihren Irrtum zu Gemüte führen wollte?
Zum
Schluß ein kurzes Wort darüber, warum gerade Splitter von
blitzgetroffenen Bäumen Zahnschmerzen lindernde Kraft haben
sollen. Der Glaube ist ursalt und schon bei den Römern
nachweisbar. Zu seiner Erklärung ist aber nicht nötig, wie es
geschehen ist, den indogermanischen Vergleich des Blitzes mit
dem leuchtenden Zahn eines Ebers heranzuziehen und daran
weitgehende Folgerungen zu knüpfen. Zahnschmerzen waren in alten
Zeiten gewiß eine schlimme Geißel der Menschheit, da ja die
Kunst der Baden nur bis zum Zahnbrechen langte. Naturgemäß gab
es viel hohle Zähne. für die man hölzerne Zahnstocher benötigte.
Hatte man hierfür ein besonderes Holz, so klammerte sich der
Aberglaube daran, und solch besonderes Holz war eben das von
Bäumen, die der Blitz getroffen hatte. Gegen mancherlei Übel,
nicht nur etwa gegen Zahnschmerzen, war es gut; es segnete, an
den Pflug gebunden, die Arbeit des: Landmanns, ja es konnte den
Soldaten vor den Kugeln des Feindes schützen.
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