Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1933


Vom Grabe Till Eulenspiegels.

Von Dr. R. KOHL, Kiel.



So lautet die Inschrift des bekannten Eulenspiegelsteins an der Nikolaikirche zu Mölln. Der Stein selbst stammt allerdings nicht aus dem Jahre 1350, wie er vorgibt, sondern wird von Kennern in die Zeit um 1550 versetzt; er wird aber wohl Ersatz eines älteren verwitterten sein. Dieser befand sich auf Eulenspiegels Grab unter einer alten Linde nicht weit von der Kirche, während der neue unmittelbar an das Gotteshaus gerückt und zum Schutze mit einem Holzgitter umgeben wurde. Es schreibt nämlich ein Prediger Dethlev Dreyer 1631 in seiner Chronik vom Grabstein unseres Till 1): "Und damit dießeß herrliche Monumentum nicht möge mit der Zeit vergehen, sondern den Nachkömmlingen zum kräfftigen Trost erhalten werden. alß ist noch vor wenig Jahren ein
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1) Dies wie andere hier erwähnte Tatsachen nach Nell, "Till Eulenspiegel" in "Die Heimat" VII (Kiel 1897) Nr. 2-4.


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Stacket DE NOVO gemacht, weile man, wie spargirt wird, PAR SIMPLICITE daß holtz von dem alten abgeschnitten, solche splitter zu vertreibung des Zahnweheß employiret." Er führt weiter die Verse eines "alten Poetasters" an:

Hier ist begraben Tiel Ulenspiegel
Auff diesem hohen Erdenhügel 2).
Wiie er im Leben wahr von großer Wunderkrafft,
So ist auch sein Geripp nicht sonder Heilungß-Safft,
Daher wer Zahnweh hat, kan solches bald vermeiden,
Wo er ein Stocher wird von dem Stacket abschneiden.
Den ja das alte hat so große Werk gethan,
Wie solches ihm nachrühmbt und noch weiß Jedermann.

Diese Heilwirkung mit Eulenspiegels "Geripp" in Verbindung zu bringen, wie der Dichter es tut, ist natürlich abwegig, denn man wußte ja genau, daß er dort garnicht begraben lag. wo der Grabstein an der Kirche stand. - Eine Parallele zu dieser Art Aberglauben, sogar noch in protestantischer Zeit erwachsen, bietet der "Antiquarius des Elbstromes" (1741). wo von der Bettlade und dem Tisch Martin Luthers in Magdeburg berichtet wird, daß "dem gemeinen Vorgehen nach ein Stückgen Holz davon das Zahnweh vertreibt. wenn man sich in dem Zahnfleisch damit stochert."

So wäre es also die Sucht wohl meist fremder Besucher, sich von der berühmten Stätte ein Andenken mitzunehmen, das zugleich eine Art Talisman darstellte?

Angesichts der Tatsache, daß es sich bei dem Eulenspiegelgrab um einen recht alten Aberglauben gehandelt hat. ist das nicht wahrscheinlich. Wir werden nach einem tiefer liegenden Grund zu suchen haben. Dazu kommt eine andere Tatsachenreihe.

An der Stelle von Eulenspiegels Grab steht heute eine Linde. Auch sie ist nicht so alt, daß sie etwa noch Zeuge vom Begräbnis des landbefahrenen Gesellen gewesen wäre. Vielmehr pflanzte man sie, weil französische Soldaten 1810 den Stumpf der mittelaltcrlichen abgehauen hatten. An diese alte aber knüpfte sich die Legende, es habe hier die hl. Gertrud, eines Verbrechens angeklagt, zum Beweise ihrer Unschuld ein Wunder vollbracht. Sie brach nämlich von einer am Wege stehenden Linde einen Zweig ab und steckte ihn verkehrt ins Erdreich mit den Worten: "So gewiß hier ein neuer Baum entsteht, bin ich unschuldig."

Ganz in der Nähe befand sich, nur urkundlich nachzuweisen, eine Gertrudenkapelle, die aber bereits vor der Reformation verfiel. Nachdem sich 1531 zu Mölln die neue Lehre durchgesetzt hatte, sah man natürlich erst recht keine Veranlassung, die kleine Andachtstätte zu erneuern. Die Linde aber, die bei ihrer Kapelle stand und angeblich der Heiligen ihren Ursprung verdankte, wurde wie Wiens "Stock im Eisen" im Laufe der Zeit dicht mit Nägeln und Pfennigen gespickt, die Wandersleute und Handwerksburschen hier einschlugen. St. Gertrud war ja vor allem die Schützerin der Reisenden, der zu Ehren man gern die Gertraudenminne trank, um gute Fahrt und Herberg zu bekommen. Die kupfernen Pfennige sind sicher eine Art Wegopfcr gewesen. Wenn man aber Nägel in den Baum einschlug. so geht dies darauf zurück, daß man so eine Krankheit in den Baum hat "verpflöcken" wollen. Irgendwelchen Krankheitsstoff suchte man unter Hersagen eines wirksamen Spruches in einen Baum zu bannen, bei Zahnschmerzen z. B. bohrte man in den Zähnen, bis sie bluteten, und den blutigen Zahnstocher verkeilte man dann in der Rinde. Beispiele hierfür sind, gelegentlich mit kleinen Abwandlungen, in allen deutschen Gauen so zahlreich, daß es sich erübrigt, mehr davon zu sagen. Jedoch pflegt solch Verpflöcken von Krankheiten nicht an bestimmte Bäume gebunden zu sein. Wieder also erhebt sich, wie bei dem Zaun, die Frage, was gerade diesem Baum seine volksmedizinische Bedeutung verschafft hat. Das hatte mit der hl. Gertrud nichts zu tun, denn sie ist nicht Heilige gegen irgendwelche Leiden.

Die erwähnte Wundererzählung vom verkehrt eingepflanzten Reis ist nicht selten und erklärt sich leicht. Es wird das merkwürdige Aussehen gewisser Bäume, deren Stamm oben dicker ist als unten, den Anlaß dazu gegeben haben 3).

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2) Kirche und Kirchhof liegen etwas erhöht.
3) Vgl. E. Friedel "Mölln und Till Eulenspiegel" im "Bär" (Berlin 1894) S 27 fg.


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Dies tritt leicht ein, wenn auf einen alten Stamm ein frischer Zweig aufgepfropft wird. Daß man für die Linde neben der Gertrudenkapelle gerade diese Heilige bemühte, war ja fast selbstverständlich. Gehen wir mit dieser Sagendeutung nicht fehl, so hat also die 1810 umgehauene Linde bereits eine Vorgängerin gehabt, deren Erneuerung bei ihrem Verfall aus irgendeinem Grunde wünschenswert erschien.

Auch dies ist nicht überraschend, daß man den unstäten Till gerade beider Kapelle derer begrub, die im Leben so oft seine Schützerin gewesen war, und daß der Grabstein. als die Kapelle verfiel, von dort an die Kirche gerückt wurde.

Es ist nun nicht anzunehmen, daß gleichzeitig dicht nebeneinander der Baum und der Zaun zu einer Heilwirkung benötigt wurden, noch dazu bei so verschiedener Handhabung in der Praxis. Es sieht so aus, als sei der Zaun das ältere Objekt gewesen, und als habe sich nach seiner Entfernung der Glaube an dergleichen Mittel dem Baume zugewandt, allerdings unter Änderung der Methode.

Oder sollte doch der Baum das Ältere fiir den Volksglauben sein? Der Vergleich mit andern deutschen Landschaften hilft weiter.

Aus manchen Gegenden wissen wir nämlich, daß dort gegen Zahnschmerzen Splitter von blitzgetroffenen Bäumen als besonders wirksam galten, mit denen man das Zahnfleisch ritzte, bis es blutete, was ja mitunter eine suggestive Kraft gehabt haben mag.

Nehmen wir an, daß die große Linde auf der Anhöhe vom Blitz getroffen und dabei zersplittert wurde, so war es naheliegend. aus dem Holz den Zaun herzustellen, während andererseits ein glückliches Pfropfexperiment oder ein neues Ausschlagen des Lindenstumpfes die Sage vom Gertrudenwunder entstehen ließ.

Man wird aber wahrscheinlich einen Einwand erheben. Die Wundererzählung stammt aus tnittelalterlicher Zeit, die Aufrichtung des Zaunes aber fällt bereits in die protestautische, denn kurz vor 1631 mußte er erneuert werden, und mehr als hundert Jahre Lebensdauer wird man einem einfachen Holzgerüst wohl kaum zubilligen wollen.

Dann müßte - man wird ja nicht zweimaligen Blitzschlag anzunehmen gewillt sein - das Holz längere Zeit sorgsam aufbewahrt worden sein, ehe es zum Zaun zersägt wurde. Das klingt überraschend, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Das Gotteshaus selbst war der Bewahrer! Es gibt nämlich mehrere Kirchen, in denen auch noch nach der Reformation Baumstümpfe zu sehen waren, ja jetzt noch sind.

Th. Fontane berichtet in seinem Buche "Havelland", daß der Sohn Albrechts des Bären, Markgraf Otto, einst unter einem Baum den Traum gehabt habe, es belästige ihn eine Hirschkuh, die er dann niederschoß. Hier habe er hinterher das Kloster Lehnin gebaut, denn Lanye heiße im Slavischen Hirschkuh. Zwischen den Stufen zum Hochaltar ist nun heutzutage noch der Stumpf einer Eiche zu sehen, und zwar derjenigen, unter der Markgraf Otto seine Vision gehabt haben soll. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß dieser Baum einst eine kultische Bedeutung gehabt hat; an der Stätte heidnischer Gottesverehrung baute man das Kloster.

Noch näher kommt es den Möllner Verhältnissen, wenn sich ebenfalls jetzt noch in der evangelischen Marienkirche zu Herford in Westfalen im Altar ein Holzklotz befindet, angeblich ein Stück jenes Baumes« auf dem sich einst Maria in Gestalt einer Taube niederließ, um den Ort für eine Kirchengründnng anzuzeigen. 4) Auch von diesem Stamm heißt es (Hagedorn, Ravensb. Kirchengeschichte, 1749): "Man ist vormals auf diesen Klotz sehr begierig gewesen, weil man geglaubet hat, daß ein Splitter davon die Zahnschmerzen vertreibe, wenn die Zähne damit gereinigt würden." Die Spuren dieses Tuns sind dem Stumpf heute noch deutlich anzusehen.

Bei diesem Herforder Wunderbaum läßt der Sagenbefund - es braucht hier nicht näher darauf eingegangen zu werden - keinen Zweifel darüber, daß es sich um einen vom Blitz getroffenen Baum gehandelt hat, der zudem wohl eine germanische Wodanseiche war.

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4) Vgl hierzu "Heimatblätter der Roten Erde" (Münster 1926) S. 552 ff.

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Wir sehen an diesen Beispielen, daß die Kirche auf solche Weise heidnische Kultobjekte irgendwie ihren Zwecken dienstbar zu machen wußte. Sagt doch Papst Gregor einmal hinsichtlich der alten Sachsen: "Man soll bei diesem Volk die Heiligtumer seiner Götzen keineswegs zerstören, sondern nur die Götzenbilder selber, die drinnen sind; dann soll man Weihwasser bereiten, die Heiligtümer damit besprengen, Altäre errichten und Reliquien dorthin bringen. Wenn dann das Volk seine Tempel nicht zerstört sieht, mag es von Herzen seinen Irrtum ablegen, den wahren Gott erkennen und anbeten und an ihm vertrauten Orten nach altem Brauch sich lieber einfinden. - - Ganz gewiß geht es nicht an, daß man harten Gemütern alles auf einmal abschneidet, weil ia auch der, welcher zum höchsten Gipfel aufsteigen will, stufen- oder schrittweise, nicht sprungweise sich emporarbeitet."

Man darf wohl unbedenklich auch bei Mölln an eine solche Kultübertragung denken, denn aus ganz anderen Erwägungen heraus ist bereits früher ausgesprochen worden, daß hier auf dem "Eichberg" - so hat die Anhöhe vormals geheißen - eine heidnische Opferstätte gewesen ist. Hatte man den Holzstumpf bis zur Reformation und vielleicht noch darüber hinaus sorglich in der Kirche aufbewahrt, so wurde er schließlich doch den Protestanten ein Ärgernis und darum zum Zaun für Eulenspiegels Grab zersägt.

In den "Bau- und Kunstdenkmälern im Herzogtum Lauenburg" findet sich bei der Beschreibung der Möllner Nikolaikirche die Angabe, daß in einem dachförmig überdeckten Schränkchen an der Südseite des Chors eine achteckige Trommel aus Kalkstuck liegt, offenbar eine Säulentrommel. Warum und wann das Stück dorthin gekommen, ist nicht ersichtlich. Sollte hier noch eine Erinnerung an den Baumstamm durchschimmern? Vielleicht, daß der Glaubenseifer Besuchern, die nach dem Baumstumpf Ausschau hielten, recht eindringlich ihren Irrtum zu Gemüte führen wollte?

Zum Schluß ein kurzes Wort darüber, warum gerade Splitter von blitzgetroffenen Bäumen Zahnschmerzen lindernde Kraft haben sollen. Der Glaube ist ursalt und schon bei den Römern nachweisbar. Zu seiner Erklärung ist aber nicht nötig, wie es geschehen ist, den indogermanischen Vergleich des Blitzes mit dem leuchtenden Zahn eines Ebers heranzuziehen und daran weitgehende Folgerungen zu knüpfen. Zahnschmerzen waren in alten Zeiten gewiß eine schlimme Geißel der Menschheit, da ja die Kunst der Baden nur bis zum Zahnbrechen langte. Naturgemäß gab es viel hohle Zähne. für die man hölzerne Zahnstocher benötigte. Hatte man hierfür ein besonderes Holz, so klammerte sich der Aberglaube daran, und solch besonderes Holz war eben das von Bäumen, die der Blitz getroffen hatte. Gegen mancherlei Übel, nicht nur etwa gegen Zahnschmerzen, war es gut; es segnete, an den Pflug gebunden, die Arbeit des: Landmanns, ja es konnte den Soldaten vor den Kugeln des Feindes schützen.

 

 
 

 

 

 

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