In ganz Ostholstein finden wir neben dem
vorherrschenden Geschiebemergel, der von dem Inlandeis als
Grundmoräne abgesetzt wurde, an den verschiedensten Stellen
Sand- - und Kiesschichten. Diese Sande wurden von den reißenden
Schmelzwässern abgesetzt, die ständig, aber
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*) Nach einem Aufsatz d. Verf. in der "Zeitschr.
für Geschiebeforschung", Bd. IX, Heft I,
1933.
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mit wechselnder Stärke UNTER dem Eise
dahinflossen. Hinsichtlich ihrer Gesteinszusammensetzung enthalten sie also
dieselben Bestandteile wie die Grundmoräne, nur daß die feinen tonigen
Bestandteile fortgespült, die größeren Blöcke dagegen an Ort und Stelle gelassen
wurden. Diese sogenannten Schmelzwassersande stellen also das ausgeschwemmte
sandige und kiesige Material der Grundmoräne dar.
Bei seinem Vorrücken über das Ostseegebiet und das heutige Ostholstein hatte das
Inlandeis gewaltige Massen des damaligen Untergrundes aufgenommen und mit sich
geführt. Im nördlichen und östlichen Ostseegebiet waren hieran die alten
Formationen der Erdgeschichte, im mittleren und westlichen die mittleren und
neueren Formationen beteiligt. So fanden die Eismassen, die von Südschweden her
unsere Heimat überzogen, Gesteine der Tertiär- und Kreideformation vor. Diese
Gesteine wurden je nach ihrer Widerstandsfähigkeit entweder aufgearbeitet oder
in verschiedener Größe mitgeführt. Größere, zusammenhängende Massen eines
solchen Gesteines in der Grundmoräne nennen wir SCHOLLEN, kleinere Blöcke und
Steine nennen wir GESCHIEBE. Schollen sind im gesamten schleswig-holsteinischen
Diluvialgebiet häufig: allein in der Umgegend von Mölln und Ratzeburg sind etwa
14 Schollen gefunden worden. In Anbetracht dieses
Schollenreichtums des Mölln-Ratzeburger Gebietes ist es verständlich, daß die
Schmelzwassersande dieser Gegend besonders reich an Versteinerungen sein müssen,
die das Schmelzwasser aus den zahlreichen, in der Grundmoräne steckenden
Tertiärschollen herausspülte. Tatsächlich zeigt sich in den Kiesgruben um
Ratzeburg und Mölln ein derartiger Reichtum an Tertiärfossilien, daß er schon
vor etwa 80 Jahren dem Altmeister der schleswig-holsteinischen
Geologie, Ludwig MEYN, auffiel. MEYN teilte in der Zeitschrift der Deutschen
Geol. Gesellschaft im Jahre 1836 folgendes mit: "Bei dem Städtchen
Mölln im Lauenburgischen finden sich verschlissene Exemplare von Conchylien des
zerstörten ... Tertiärgebirges in so großer Menge, daß dieser Punkt dem Zentrum
der zerstörten Masse nicht so fern sein kann. Die großen Grandgruben, welche
jenseits des Sees im Nordwesten liegen ..., führen einen eisenoxydreichen
Korallengrand, welcher von den Tertiärpetrefakten auf braunem Grunde ganz weiß
gesprenkelt ist. Der Heimweg überzeugte mich, daß auch das Ufer des Sees und die
benachbarten Hügel reich an denselben Objekten sind." Seit dieser Mitteilung
MEYNS ist eine Untersuchung der losen Tertiärfossilien nicht vorgenommen worden.
Verfasser hat die lauenburgischen Funde in Verbindung mit anderen
ostholsteinischen untersucht. Hier sollen kurz die Ergebnisse der Untersuchung,
soweit sie die Mölln-Ratzeburger Funde betreffen, mitgeteilt werden.
Die reichhaltigsten Fundorte loser Tertiärfossilien sind Mölln bei dem von MEYN
genannten Aufschluß und Schmilau. Beide Fundorte liegen in einem
Schmelzwassertal, das die Fortsetzung des Ratzeburger Sees bildet und Ratzeburg
mit Mölln verbindet.
Unter den Fossilien fanden sich 19 verschiedene Arten, die sich
auf Muscheln, Schnecken und Korallen erstrecken. Die Altersbestimmung ergab, daß
die Fossilien aus dem Beginn des JUNGTERTIÄRS, aus
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dem sogen. Untermiozän stammen (das Tertiär
besteht aus Paläozän, Eozän, Oligozän, Miozän und Pliozän). Die überwiegende
Mehrzahl der Arten lebt heute nicht mehr in unseren nordischen Meeren) es läßt
sich dagegen eine weitgehende Verwandtschaft mit der Molluskenfauna des
Mittelmeeres feststellen. Auch die seltenen Korallen, von denen sich immerhin
4 Exemplare fanden, weisen auf ein warmes, etwa dem heutigen
Mittelmeer entsprechendes Meer hin.
Unter den Muscheln herrscht der dickschalige PECTUNCULUS vor; zwischen ihnen und
den Schnecken stehen die Grab- oder Röhrenschnecken, die sogenannten Dentalien,
deren röhrenartige Schalen außerordentlich häufig sind. Sie sind heutzutage
unter dem Namen Elefantenzahn bekannt und dienen z. B. nordamerikanischen
Indianerstämmen als Geld. Unter den Schnecken finden wir z. B. TURRITELLA, die
Turmschnecke, sodann APORRHAIS mit dem eigenartigen flügelartigen Fortsatz. Eine
ihrer rezenten Verwandten ist unter dem Namen Pelikansfuß bekannt. Ferner sind
noch die Gattungen MUREX und TRITON häufig vertreten.
Alle Fossilien sind stark abgerollt, so daß die genaue Bestimmung nicht immer
durchgeführt werden konnte. Dies erklärt sich durch die Wirkung der
Schmelzwässer, man kommt jedoch nicht ohne die Annahme aus, daß die Fossilien
sich in einer Scholle von WEICHEM Tertiärgestein, vermutlich in einem Ton
befunden haben müssen. Diese Scholle wurde von den Schmelzwässern losgelöst und
wegen ihrer geringen Widerstandsfähigkeit bald zerstört. Nur die Fossilien
blieben erhalten und wurden weiter fortgespült.
Wo ist nun diese Scholle untermiozänen Gesteins aus dem Untergrunde losgelöst
worden? Nach unseren Kenntnissen von der Transportweite weicher Gesteine im Eise
müssen wir als Heimat etwa das heutige RATZEBURG annehmen. Doch diese Gegend ist
nicht nur die Heimat unserer Funde, sondern auch aller der Schollen, die südlich
von Ratzeburg und Mölln noch unzerstört gefunden worden sind und von denen bis
jetzt 14 bekannt sind. Wie erklärt es sich nun, daß gerade an
dieser Stelle so viele Schollen vom Untergründe losgelöst wurden? Wir können
diese Frage noch nicht präzise beantworten, wir können nur ganz roh annehmen,
daß hier in der letzten Zwischeneiszeit eine Aufwölbung des Untergrundes
tektonischer Art stattgefunden haben muß. Bei dieser Aufragung konnte das
vorrückende Inlandeis besser angreifen, und es nahm die gesamten jungtertiären
Schichten hinweg. Als Beweis für diese Annahme könnte man die Tatsache deuten,
daß unweit von Ratzeburg (Behlendorf u. a.) jungtertiäre Schichten vollkommen
fehlen und unter dem Diluvium sofort Alttertiär erbohrt wurde.
Wie gesagt lassen sich hierüber bis jetzt nur Annahmen äußern; es ist jedoch zu
hoffen, daß durch weitere diluvialgeologische Untersuchungen diese Hypothesen
ihre Bestätigung finden.
LITERATUR:
GAGEL C.: Über die geologischen Verhältnisse der Gegend von
Ratzeburg und Mölln. Jb. d. Preuß. geol. Landesanst. 1903 24.
Berlin 1903.
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1933/3-4 - 64
GAGEL, C .: Erläuterungen zur geolog. Karte von
Preußen, Lieferung 140, Blatt Mölln. Berlin
1907.
MEYN, L.: Briefliche Mitteilung an SEMPER. Z. d. D. Geol.
Gesellsch. 8, S. 166. Berlin
1856.
PETERSEN, G.: Die Schollen der norddeutschen Moränen in ihrer
Bedeutung für die diluvialen Krustenbewegungen. Fortschritte d.
Geol. usw. Heft 9. 1924.
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