So ein altes Backhaus kann man mit einer
Großmutter vergleichen. Hohe und tief herabreichende Dachform,
das Angesicht, die Vorderseite, durchfurcht und abgebröckelt,
die Tür schief, so ähnelt es einer alten Frau, die die Spuren
der Zeit und der Arbeit an sich trägt. Und wie so eine
Großmutter noch oft und gern ihren Platz in der Hauswirtschaft
behauptet, so ist auch das alte Backhaus noch imstande, die
Bewohner eines ganzen Gehöftes und alles, was daran hängt, mit
dem täglichen Brot zu versorgen. Und wie eine Großmutter in
ihren Schränken, Kisten und Kasten allerhand Schätze aus ihrer
Jugendzeit und von ihren Vorfahren her aufbewahrt, so ist auch
das alte Backhaus oft eine historische
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Schatzkammer: Spinnrad, Haspel und
Spulknecht, Brake, Schwingbock und Hechel, Schafscheren und Wollkratze, hölzerne
Pflüge, Eggen und Walzen, ein Hut und ein P aar Schuhe mit Zinnschnalle (oder
ist sie aus Silber?) von Urgroßvaters Zeiten her, die Steine einer Handmühle,
ein kupferner Kessel, solche und ähnliche Dinge birgt das Backhaus. Gerümpel
nennt man es, aber manches Stück davon ist wieder zu Ehren gekommen im Museum.
Alter freistehender Backofen zu Hornbek.
Dieses alte Backhaus hat seine Ahnen. Das fleißige Mädchen und
das faule Mädchen, sie kamen auf ihrem Wege zu Frau Holle nicht an einem
BackHAUSE, sondern an einem BackOFEN vorüber, der war voll Brot, und das Brot
rief: "Zieh mich raus!, zieh mich raus!, sonst verbrenne ich, ich bin schon
längst ausgebacken!" Dieser Backofen im Freien auf der Wiese oder in einer
Gartenecke gehört einer Zeit an, als es noch kein Backhaus gab. Hin und wieder
findet man noch heute einen solchen Backofen. Aus meiner Kindheit erinnere ich,
daß ein Backofen außerhalb des Dorfes hinter einem Sandberge stand, gebraucht
wurde er nicht mehr; als ich kürzlich wieder vorüberging, war er zu einem
Steinhaufen zusammengefallen. An der Bahnstrecke HamburgBerlin war im
Sachsenwalde in der Nähe von Wohltorf ein solcher Backofen zu sehen, auch der
ist vor einem Jahre zusammengefallen und abgetragen. Bei dem Dorfe Ferch in der
Nähe von Potsdam gab es vor einigen Jahren noch mehrere Backöfen, wahrscheinlich
stehen sie noch heute; bald wird man Backöfen nur noch aus dem Märchen kennen.
Wie sahen sie aus? Sehr einfach: ein mit Steinen gepflasterter Grund, eine
Halbkugel aus Stein und Lehm darüber, an einer Seite das Ofenloch zum
Einschieben und Herausholen der Brote, der ganze Ofen mit einer dicken Schicht
Erde zugedeckt. Und doch ist dieser einfache Backofen einmal eine
fortschrittliche Erfindung gewesen gegenüber der offenen Feuerstelle.
Die OFFENE FEUERSTELLE ist die Urahne des Backhauses, nur Hirtenknaben,
Waldarbeiter und wilde Völkerschaften kennen sie noch. Dieses offene,
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lodernde Feuer war immer und ist noch heute
eine Quelle der Freude, eine Quelle der Wärme, eine Gelegenheit zum Braten von
Obst, Wurzeln, Fischen und Fleisch. Als man dahin gelangte, Halmfrüchte
anzubauen und die Körner zu mahlen, da wurde auch der Brotteig zwischen die
heißen Steine der offenen Feuerstelle gelegt, mit heißer Asche und Kohlen
bedeckt und auf diese Weise gebacken. Einige Jahrtausende hat es gedauert, bis
man von dieser offenen Feuerstelle über den Backofen zum Backhause gelangte.
Die Großmutter Backhaus hat aber nicht nur ihre Ahnen, sondern sie hat auch ihre
Nachkommen. Sie hat zwei Söhne, den BÄCKER und den KONDITOR, und der Bäcker hat
schon wieder eine Tochter, das ist die BROTFABRIK. Die Bäckerei ist Jahrhunderte
all, die Brotfabrik erst einige Jahrzehnte. Es lohnt sich, ein wenig in diesem
Buche der Heimatgeschichte zu blättern; Backofen und Backhaus, Hausfrauen und
Bäcker erzählen uns ebensoviel von unsern Vorfahren, wie der Römer Tacitus und
alte Runensteine und Handschriften.
Es sind die Frauen, in deren Händen von alters her die Kunst des Brotbackens
gelegen hat; und diese Kunst hatte zugleich ihre Wissenschaft. "Drei Dinge lernt
der Mensch nie aus, die sind Buttern, Brauen und Backen", lautet ein alter
Frauenspruch. Es gehörte sicherlich allerlei Kennen und Können dazu, mit so
einfachen Mitteln aus Körnern Brot zu backen. Das Mahlen der Körner auf dem
Mahlsteine oder mit der Handmühle war eine schwere Arbeit. Das "Säuern", das
Anrühren des Mehles mit warmem Wasser und Sauerteig, war eine Arbeit, bei der
die Frau ein "Fingerspitzengefühl" haben mußte, damit der Teig die richtige
Wärme, Gleichmäßigkeit und Festigkeit erhielt. War der Teig nach zehn bis zwölf
Stunden locker aufgegangen, dann galt es, ihn durchzukneten und zu Broten zu
formen; gleichzeitig wurde im Ofen ein mächtiges Feuer unterhalten, um die
richtige "Backhitze" zu erzeugen. Während das Feuer noch als durchgebrannte Glut
im Ofen lag, wurde in der Mitte des Ofens ein Streifen freigemacht, und die
geformten Brote wurden auf ein paar langen Brettern hineingeschoben. Waren sie
nach wenigen Minuten gebräunt, so zog man sie wieder heraus, kehrte sie um,
damit auch die Unterseite braun und trocken wurde. Das nannte man "Gaffeln".
Erst wenn dies gemacht war, holte man die glühenden Kohlen mit der Krücke
heraus, reinigte mit einem Reisbesen an langem Stiel den Ofen auch von Asche,
und dann wurde das Brot mit dem Schieber zum Backen in den Ofen geschoben. Nach
drei Stunden holte man wieder mit dem Schieber die schönen, großen, duftenden,
wohlgeformten Brote heraus. Klopfte man mit der Hand auf die Unterseite und es
klang schön hohl, dann war man sicher, daß das Brot gut aufgegangen, d. h.
locker gebacken war. Lockeres und angenehm säuerlich schmeckendes Brot zu
backen, das erreichte man durch Anwendung des Sauerteiges.
Im SAUERTEIGE liegt das Geheimnis des Backens. Bei jedem Backen werden von der
Teigmenge einige Pfund genommen und in einem Gefäße an einem kühlen, aber
frostfreien Orte für das nächste Backen aufbewahrt. So hat der Sauerteig eine
ununterbrochene Kette von Backlag zu Backtag durch die Jahre, Jahrhunderte, ja,
durch die Jahrtausende gezogen. Schon aus der Geschichte von dem Auszuge der
Kinder Israel aus Ägypten wissen wir, daß sie ausnahmsweise einmal ungesäuertes
Brot gebacken haben. Jesus erzählt das Gleichnis vom Sauerteig, "den ein Weib
nahm, und mengte ihn unter drei Scheffel Mehl". Man möchte wohl wissen, ob die
Verwendung des Sauerteiges sich von Ägypten her in den Jahrtausenden über alle
Länder der Erde verbreitet hat oder ob zu andern Zeiten und in andern Ländern
dieselbe Erfindung gemacht worden ist? Die Hefe, der Gest, ist ein jüngerer
Bruder des Sauerteigs, und das Backpulver ist erst ein Erzeugnis der modernen
Chemie. Bei allen ihren sonstigen großen Erfolgen hat die Chemie noch nicht
vermocht, den Sauerteig aus seiner weltbeherrschenden Stellung zu verdrängen.
Ein Backtag war immer ein Ereignis für Haus und Dorf. Schon die Arbeitszeit war
ungewöhnlich, denn es wurde in der Nacht zwischen ein und vier Uhr gebacken. Das
geschah, um diese Arbeit, die keine Unterbrechung ertrug, ungestört von anderer
Hausarbeit vollenden zu können. In dem Raum des Backhauses verbreitete das
lodernde Feuer des Ofens Licht und Wärme. In dieser ungewöhnlichen Umgebung und
Beleuchtung und zu dieser ungewöhnlichen Zeit hantierte nicht nur die Bauerfrau
mit ihren Mägden im Backhause, es
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kamen noch dazu einige Tagelöhnerfrauen und die
Frauen von Handwerkern, die keinen eigenen Backofen hatten.
Diese Zusammensetzung der Backgemeinschaft aus lauter
"Frauensleuten", das Arbeiten Hand in Hand war eine günstige
Gelegenheit, alle Vorgänge und Vorkommnisse des Dorfes
mitzuteilen und auszutauschen. Und das geschah auch. Und wenn
die Backhausgeschichten einmal geschrieben werden sollten, so
werden sie nicht minder fesselnd sein, als die alten
"Spinnstubengeschichten". Am andern Morgen ging es dann von Mund
zu Mund durchs Dorf: "Beim Backen ist erzählt worden ...."
Das Backen im Backofen und im Backhause war Frauenarbeit,
HAUSfrauenarbeit; mit dem Emporkommen der Städte wurde aus
dieser Hausarbeit ein HANDWERK. Der BÄCKERMEISTR übernahm die
Kunst und Kenntnis der Frau und führte sie weiter. Die Bereitung
von Feinbrot und Süßbrot verdanken wir im wesentlichen der Kunst
des Bäckers, und zwar sind dabei die einzelnen Bäcker und die
Bäcker einzelner Städte nach eigener Erfindung tätig gewesen.
Lübecker Eierkringel, Möllnische Zwiebacke, Salzwedeler
Baumkuchen, Berliner Pfannkuchen, Nürnberger Lebkuchen.
Kopenhagener Gebäck sind ein paar Beispiele für örtliche
Leistungen der Backkunst. Jeder wird weitere nennen können.
Gewerbsmäßig betrieben wurde seit der Einführung des Rohrzuckers
auch die ZUCKERBÄCKEREI, und aus der Vermählung der Mehlbäckerei
mit der Zuckerbäckerei ist die moderne KONDITOREI mit dem
KAFFEEHAUSE hervorgegangen. Diese freundliche und gastfreie Dame
erinnert sich kaum noch daran, daß sie eine Enkelin der
Großmutter Backhaus ist, und ihre Gäste tun dies noch weniger.
Gedenken wir ihrer einmal! Die Torten der Enkelin schmecken um
so besser.
Und treten wir nun in eine Brotfabrik, so sehen wir nicht mehr
Menschen, sondern nur noch Maschinen in Tätigkeit. Maschinen
transportieren die Mehlsäcke, Maschinen rühren den Teig an,
Maschinen kneten ihn und teilen ihn ab zu Broten und Brötchen,
Maschinen führen die Brote in den Ofen, durch den Ofen, aus dem
Ofen, sie verpacken auch das Gebäck, keine Menschenhand hat es
berührt. Nur hier und dort steht noch ein Mann, um die Maschinen
ein- und auszuschalten, bald werden auch diese entbehrlich sein,
die Betriebsuhr wird die Hebel auslösen, und das nach Uhrenart
gewissenhaft und pünktlich. -
Die Entwickelung des Brotbackens von der häuslichen Frauenarbeit
über die handwerksmäßige Bäckerei zum Fabrikbetriebe ist ein
gesetzmäßiger Vorgang; auch andere Berufsarten haben denselben
Gang durchgemacht. Zum Unterschied von andern Berufen hat aber
keine Vernichtung der älteren Weise durch die neuere
stattgefunden. Noch heute wird auf dem Lande im Backhause
gebacken. Noch heute bäckt die Frau und Mutter in der Stadt für
die Familie, aber aus der schweren Arbeit im Backhause ist eine
angenehme Arbeit vor dem Gasherde geworden, die Frau macht sich
das VERGNÜGEN, für die Festtage eigenhändig Kuchen zu backen.
Auch das Bäckerhandwerk ist nicht durch die Brotfabrik ruiniert
worden, es hat sich etwas mehr auf die Feinbäckerei und das
Süßbrot eingestellt, und die Kundschaft ist dieser Umstellung
gern gefolgt. Es ist von keiner Krise im Bäckerhandwerk die Rede
gewesen; im Gegenteil, das Wort Behäbigkeit läßt sich heute wie
früher auf das Bäckerhandwerk anwenden, und der Bäckermeister
ist sich solcher Behäbigkeit wohl bewußt.
In Schrifttum und Dichtung hat die Bäckerei nicht die gleiche
Beachtung gefunden, wie z. B. die Müllerei, aber Theodor Storm
hat der Bäckertochter Lena Wies und dem kleinen Bäckereibetriebe
ihres Hauses ein schönes Denkmal gesetzt. Als er ihr in
dankbarer Erinnerung an seine Knabenzeit seine ersten Novellen
überreichte, sagte sie zu ihm: "Das Erzählen haben Sie von mir
gelernt, Herr Doktor." Und schon dem Schoßkinde singt die Mutter
vor:
"Backe, backe Kuchen,
Der Bäcker hat gerufen:
"Wer[sic!] will schöne
Kuchen backen,
Der muß haben sieben Sachen,
Eier und Salz,
Zucker und Schmalz,
Milch und Mehl,
Safran macht den Kuchen gehl." |
Und wieviel Poesie und Musik wird im Kaffeehause zu den Kuchen
und Torten serviert!
Die Großmutter Backhaus kann stolz sein auf ihre Kinder und
Enkel.
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