Nun liegt sie endlich in Buchform vor uns,
"Die älteste Geschichte des Landes Lauenburg" von
Oberstudiendirektor DR. Friedrich Lammert in Kiel. Ein fester,
starker Leinenband handlichen Formats, 244 Seiten
Druck nach 18 Seiten Vorwort und
Inhaltsverzeichnis, dazu 6 Seiten Bilder- und
Kartenanhang. Der Leser der Ratzeburger "Lauenburgischen
Zeitung" kennt sie schon aus deren Monatsbeilage, den
"Lauenburgischen Heimatblättern", in denen von Dezember
1930 bis zum Frühjahr 1933 alle vier
Wochen eine Fortsetzung erschien. Schon die ersten Folgen
zeigten dem Geschichtskenner, daß DR. Lammerts Werk ein ganz
großer Wurf werden würde. Mit der an dem Verfasser bekannten
wissenschaftlichen Gründlichkeit und Genauigkeit ist unter
Heranziehung alles überhaupt nur in Frage kommenden
Quellenmaterials, dessen Umfang fast auf jeder Seite die riesige
Belesenheit DR. Lammerts verrät, ein Werk geschaffen worden, das
für jetzt und für alle Zukunft sowohl die Grundlage jeder
wissenschaftlichen Forschung über die ältere Geschichte
Nordalbingiens als auch das Handbuch des Lauenburgischen
Geschichtslehrers und Heimatfreundes sein wird.
Mit Lammerts Buch ist eine Lücke ausgefüllt worden, die von
vielen Lauenburgern längst sehr unangenehm empfunden wurde. Denn
bei aller Anerkennung von Hellwigs "Grundriß der Lauenburgischen
Geschichte" muß man doch feststellen, daß dieses Werk nur den
allerbescheidensten Ansprüchen genügte. Daß Hellwig sich dessen
bewußt war, daß sein Buch nur ein Leitfaden zur Einführung in
unsere Heimatgeschichte sein könne, aber nicht mehr, hat er im
Vorwort zur 1. Auflage (1889) zum
Ausdruck gebracht, wenn er schreibt: "Vorliegende Arbeit ...
will einem gefühlten Mangel abhelfen und soll jedem Lauenburger
ermöglichen, in kürzester Frist die Hauptpunkte der Geschichte
seiner Heimat überschauen und sich einprägen zu können. ...
Ferner soll das Heft auch dem Lehrer der lauenburgischen
Volksschule ein knappes Material für seine gelegentlichen
Mitteilungen aus der Heimatgeschichte in der Schulstube bieten."
Daß wir demgegenüber in Lammerts Buch das wirklich grundlegende,
die lauenburgische Heimatgeschichte des Mittelalters bis
1230 wirklich erschöpfend behandelnde wissenschaftliche
Werk sehen dürfen, zeigt schon rein äußerlich der Umstand, daß
Hellwig für diesen Zeitraum ganze 7 1/2 Seiten
benötigt hat, für den Lammert 235 Seiten braucht.
Kein Wunder, daß bislang dem anspruchsvolleren Geschichtsfreund
nichts anderes übrig blieb, als sich all ältere Darstellungen,
wie Duve, Kobbe oder Masch, zu halten, wenn auch jeder nur
einigermaßen kundige Historiker aus Erfahrung weiß, daß in den
meisten älteren Heimatgeschichten wenig kritisch verfahren,
dafür aber desto mehr in MAJOREM GLORIAM des eignen Landes und
der eignen Vorfahren munter drauflos fabuliert wird. So sagt
Lammert in seinem Vorwort ganz treffend: "Anderseits fanden sich
die vorhandenen älteren Darstellungen der lauenburgischen
Geschichte durch manche unkritische Auswertung abgeleiteter und
sogar bedeutungsloser Quellen aus späterer Zeit mannigfach
entstellt." Man lese z. B. nur die Einleitung zu Maschs
"Geschichte des Bistums Ratzeburg" und vergleiche damit Lammerts
Angaben! Dann wird man mit Freude und Stolz feststellen den
gewaltigen Fortschritt, den die historische Wissenschaft auch
auf heimatkundlichem Gebiet in den vergangenen hundert Jahren
gemacht hat.
Die Hauptbedeutung des als wissenschaftliche Leistung
einzigartigen Lammertschen Werkes liegt in der gründlichen
Klärung der bislang noch teilweise recht verworrenen Schicksale
des lauenburgischen Landes vom 9. bis 13.
Jahrhundert. Worin bestand denn bis jetzt unsere Kenntnis der
lauenburgischen Geschichte der Frühzeit? War es nicht ein
fortdauerndes Tasten und Raten und Suchen und Stolpern und
Nichtweiterkommen? Man kennt wohl Adam von Bremen, Helmold von
Bosau, Arnold von Lübeck, aber wer hat sie zur Hand? Man weiß
von zahllosen Aufsätzen im "Archiv für die Geschichte des
_______________
*) Lauenburgischer Heimatverlag. Preis in Leinen 4.50,
broschiert 4.00 RM.1934/1 - 25
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Herzogtums Lauenburg", den "Jahrbüchern für
mecklenburgische Geschichte", der "Zeitschrift des historischen Vereins für
Niedersachsen" u. a., wer aber hat oder nimmt sich die Zeit, alles Notwendige
und Wichtige zusammenzusuchen? Wie ganz anders stehen wir jetzt da! Der
Geschichts- und Heimatfreund kann sich eingehend orientieren und für
Spezialstudien die einschlägige Literatur finden, der Lehrer hat eine
Möglichkeit zu gründlicher Vorbereitung für den Unterricht, der Forscher kann
auf festem Grund weiterbauen. Wenn Lammert im Vorwort sagt: "Es lag jedenfalls
nahe, die Ergebnisse unserer Arbeit festzuhalten und dadurch andern, etwa den
Lehrern Lauenburgs, das Herangehen an die Grundlagen der Heimatgeschichte zu
erleichtern, statt sie die gleiche Arbeit nochmals tun zu lassen", so sehe ich
darin den praktischen Hauptwert des Buches. Ich bin gewiß, daß, wie jetzt, so
auch in künftigen Zeiten, Lauenburgs Lehrerschaft dem Verfasser von ganzem
Herzen danken wird; er hat es ihr erst möglich gemacht, der älteren
Heimatgeschichte die Stellung im Unterricht zu geben, die sie verdient und die
sie im Dritten Reiche in den Schulen einnehmen soll.
Wer DR. Lammert aus seinen andern zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten kennt,
der durfte von vornherein aus der Lektüre seiner Lauenburgischen Geschichte
Neues und Aufschlußreiches erwarten. Diese Erwartungen sind noch übertroffen
worden. Gewiß, es wird dem einfachen Mann aus dem Volk nicht ganz leicht sein,
sich durch das gelehrte, mit einem umfangreichen wissenschaftlichen Apparat
ausgestattete Werk hindurchzulesen. Ein für Stunden der Muße und Ausspannung
geeigneter angenehmer Zeitvertreib ist Lammerts Buch nicht. Es verlangt ernstes,
stetiges, aufmerksames Einarbeiten und Studieren. Der Versuch,
"Wissenschaftlichkeit und Gemeinnützigkeit zu verbinden", wie der Verfasser auf
S. VIII des Vorworts schreibt, wäre m. E. noch besser geglückt,
wenn die Literaturangaben am unteren Rande oder in einem besonderen Anhang
untergebracht worden wären. Manchmal, so auf den Seiten 46,
75, 96, 228, 229, häufen sie
sich dermaßen, daß die Folge des Inhalts unter ihnen leidet. Viele der des
Lateinischen unkundigen Leser werden wahrscheinlich auch bedauern, daß
zahlreiche Quellenzitate ohne Übersetzung im Text stehen, z. B. auf den Seiten
9, 28 unten, 48 oben, 56/57,
75, 92. Sollte einmal, was dem Verleger und dem
Verfasser schon heute gewünscht wird, eine 2. Auflage notwendig
werden, so darf man weiter den Wunsch äußern, daß anstatt der nüchternen Angabe
auf Seite 106 unten: "Daraufhin begann dann Graf Adolf II
... die Kolonisation Wagriens, die Helmold I 57 so anschaulich
beschreibt ..." Helmold selbst zu Worte kommt. Der Tübinger Historiker Johannes
Haller sagt in seinem Buch "Die Epochen der deutschen Geschichte" Seite
134 mit Recht: "Es ist der Mühe wert, die biblisch klingenden Worte zu
hören, mit denen der zeitgenössische Geschichtsschreiber, Pfarrer Helmold von
Bosau am Plöner See, das Ereignis erzählt." Die Stelle bei Helmold lautet so:
"Weil aber das Land menschenleer war, sandte der Graf (Adolf II.
von Holstein) Boten aus in alle Lande, nämlich nach Flandern und Holland, nach
Utrecht, Westfalen und Friesland, auf daß alle, die von der Landnot bedrückt
wurden, mit ihren Hausgenossen kämen, um schönsten Boden, weiten Raum, reich an
Früchten, überreich an Fisch und Fleisch und einladend durch üppige Weiden, zu
empfangen. Und er sprach zu den Holsten und Stormarn: "Habt ihr nicht das Land
der Slaven unterworfen und es erkauft mit dem Tod eurer Väter und Brüder? Warum
also kommt ihr als die letzten, es in Besitz zu nehmen? Seid doch die ersten und
wandert herüber in das ersehnte Land, und bebauet es und nehmet Teil an seinen
Köstlichkeiten, da euch der beste Teil davon gebührt, die ihr es der Hand der
Feinde entrissen habt." Auf diesen Ruf erhob sich eine ungezählte Menge aus
verschiedenen Stämmen, nahmen ihr Gesinde mit und ihre Habe und kamen ins Land
der Wagrier zum Grafen Adolf, um den Boden zu empfangen, den er ihnen
versprochen hatte. Auch sonst wird es möglich sein, den Text durch
Quellenstellen noch anschaulicher und interessanter zu gestalten (so über die
Gründung Lübecks, den Bau der Löwenstadt u. a.). Aber abgesehen von den wenigen
oben gekennzeichneten Schönheitsfehlern, deren Vermeidung vielleicht aus Gründen
des Druckes und der Rücksichtnahme auf den zur Verfügung stehenden Buchumfang
nicht möglich gewesen ist, bietet jeder Abschnitt selbst dem anspruchsvollen
Heimatforscher so viel Neues und Überraschendes, daß man immer weiter liest. Man
erlebt nach, was der Verfasser im Vorwort Seite VIII-IX
in die
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Worte kleidet: "Bei diesem ausgedehnten
Quellenstudium und bei dieser dauernden kritischen Betrachtungsweise erlebte ich
während der Arbeit verschiedene Überraschungen hinsichtlich einiger Vorurteile,
mit denen ich von der allgemeinen Geschichte her und von den vorhandenen
Lauenburgischen Geschichten aus an diese Landesgeschichte herangegangen war."
Solcher Überraschungen waren es vor allem drei (Vorwort IX-X):
1) Es war "die klare Erkenntnis: daß das Slaventum in dieser
ältesten Geschichte des Landes Lauenburg eine nennenswerte Rolle nicht spielt".
2) "Herzog Heinrich der Löwe von Sachsen hat nicht die
ausschlaggebende Bedeutung für Lauenburg, die ihm die ältere
Geschichtsschreibung und die historische Belletristik zuschreibt. ... Das Land
ist längst vor ihm in deutscher Hand gewesen. ... Beim Vortragen der kirchlichen
Organisation nach Osten ist anderer Einfluß stärker, für Ratzeburg spürbar der
von Magdeburg und der der Askanier, also der staufischen Zentralregierung
gegenüber den unentwegten Partikularisten."
3) "Dieses Stück deutscher Territorialgeschichte" widerlegt den
oft gehörten Vorwurf: Die Kaiser hätten für die deutschen Aufgaben im Norden und
Osten nichts übrig gehabt.
Im folgenden soll auf diese und andere überraschende historische Erkenntnisse,
die geeignet sind, das bisherige Geschichtsbild zu ändern, noch näher
eingegangen werden. So wird im 1. Abschnitt, der die
Karolingerzeit bis zum Jahre 911 enthält, gezeigt, daß die
Obotriten, die damaligen Bewohner unserer Lande, dem fränkischen Reich "eng
verbunden, ja, von ihm abhängig" erscheinen (Seite 14). Ihre
Fürsten waren Gäste auf deutschen Reichstagen und unterhielten Gesandtschaften
beim Kaiser. Wenn auch die Quellen für diese Zeit spärlich fließen, so umreißen
sie uns doch in großen Zügen "die Stellung des karolingischen Reiches in seinem
festen Eckpfeiler im Nordosten. Wir erkennen die Grundlage, die, einmal gelegt,
das deutsche Volk zu der ungeheuren und nie genug zu würdigenden Nord- und
Ostkolonisation, der Kulturvermittlung zwischen dem alten und dem neuen Europa,
befähigte. Der Ausblick auf diese Verhältnisse ist geeignet, jedes Eindringen in
die lauenburgische Heimatgeschichte über die Enge bloßer Lokalgeschichte zu
erheben (Seite 22)." So leitet gleich der erste Abschnitt dazu an,
"das ganze Verhältnis zwischen Deutschen und Obotriten als minder blutrünstig zu
betrachten, als es unter dem Einfluß poetisch und rhetorisch gefärbter
Geschichtsschreiber der folgenden Jahrhunderte gewöhnlich geschehen ist" (Seite
26).
Der zweite Abschnitt, die Zeit der Kaiser aus dem sächsischen Hause (919-1024)
umfassend, legt in sehr gründlicher und exakter Weise dar, daß das damalige
Lauenburg im Süden und Osten von deutschem Einflußgebiet umklammert worden ist.
Die Slavenstämme waren unter deutscher Oberhoheit, behielten aber ihre
Selbstverwaltung. Von einem ewigen Grenzkrieg und blutigen Fehden, wie man
häufig noch liest und hört, wissen die Quellen nichts. Selbst Ottos II.
Niederlage bei Squillace an der Küste von Kalabrien am 13. Juli
982 ändert in unseren Gegenden nichts an diesem friedlichen
Verhältnis. Noch immer heißt es übertreibend und verallgemeinernd in
Geschichtsbüchern, z. B. in dem Teubnerschen Geschichtlichen Unterrichtswerk,
Grundriß für die Oberstufe, II S. 43: "Auf die Kunde
von der Niederlage Ottos II. in Unteritalien erheben sich
983 alle Slaven und gewinnen vorübergehend die Elbgrenze zurück", oder
im Methodischen Handbuch der Deutschen Geschichte von Adolf Bär III
S. 78: "Noch im Sommer des Jahres 983 erhoben sich
alle östlichen und nördlichen Nachbarvölker der Deutschen, die Ungarn, Slaven
und Dänen."
Selbst Dietrich Schäfer in seiner Deutschen Geschichte I. S.
172 schreibt reichlich unbestimmt: "Gleichzeitig oder etwas später
erhoben sich die ostelbischen Wenden in verwüstendem Aufruhr." Lammert zeigt
ausführlich, daß Kaiser Ottos II. Niederlage im fernen Süditalien
gegen die Griechen einen ALLGEMEINEN Zusammenbruch der deutschen Herrschaft über
die Slawen nicht zur Folge gehabt haben kann. "Von einem Abfall der Obotriten
... von bleibender Bedeutung kann ... also tatsächlich keine Rede sein. Aber
allerlei Händel mit ihnen muß es doch in diesen Jahrzehnten gegeben haben" (S.
38). Wichtig ist in dem Zusammenhang die weitere Feststellung, daß
das Christentum und der deutsche Kultureinfluß damals kaum gelitten haben. Erst
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seit dem Anfang des 11.
Jahrhunderts hat es auch bei uns Aufstände mit Plünderungen und
Zerstörungen von Kirchen gegeben, ohne daß etwa aller deutsche
Einfluß damit ausgeschaltet worden wäre. Im Gegenteil: Lammert
stellt auf S. 40 ausdrücklich fest, daß damals die
Slawen die höhere Kultur von den Deutschen übernommen und an
deren Grundlagen seitdem festgehalten haben. Wenn man das liest,
so wird man doch recht bedenklich gegenüber Behauptungen der
Art, daß durch den großen Slawenaufstand seit dem Jahre
983 mit der Zerstörung christlicher Kirchen jedweder
deutscher Kultureinfluß vernichtet worden sei. Davon kann gar
keine Rede sein. Unter diesen Umständen sind, das wird man schon
jetzt vorausschauend erkennen können, die großen Kolonisatoren
des 12. Jahrhunderts wie Heinrich der Löwe, Adolf
von Schaumburg und Heinrich von Botwide nicht die eigentlichen
Begründer, sondern nur die Fortführer und Vertiefer des
Deutschtums und Christentums in Nordalbingien. Man urteilt zu
sehr von unserem heutigen Standpunkt aus und damit historisch
falsch, wenn man die Kämpfe von Deutschen und Slawen auf
nationale und rassenmäßige Gegensätze zurückführt. Das Erste
Reich der mittelalterlichen Deutschen Kaiser war übernational,
imperialistisch. Deutsche. Italiener und Slawen fühlten sich als
Glieder dieses gewaltigen Reiches. Lammert legt auf diese
Feststellung besonderen Wert. Zu dem Zweck hat er die bekannte
bildliche Huldigung der vier Nationen Italien, Germanien,
Gallien und Slawonien vor Kaiser Otto III. aus dem
Evangelienbuch Ottos III. im Anhang abdrucken
lassen (Gallien war damals die Bezeichnung für Westdeutschland,
besonders Groß-Lothringen).
Im dritten Abschnitt, der die Zeit der Salier (1024-1125)
umfaßt, werden auf S. 45 f. mit kritischem Maßstab
die seit Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen nunmehr wieder
wichtiger werdenden deutsch-dänischen Beziehungen überprüft und
schiefe, tendenziöse Urteile richtig gestellt. An dieser Stelle
muß ganz allgemein anerkennend gesagt werden, daß der Verfasser
die engen Beziehungen zwischen dänischer und nordalbingischer
Geschichte mit bestem Erfolg zu entwirren sucht, so daß manche
neue Lichter auf die deutsch-dänischen Verhältnisse im frühen
Mittelalter fallen.
In unserer Geschichtsschreibung herrschte bisher die Ansicht
vor, daß die salischen Kaiser die deutsche Slawenpolitik nicht
wesentlich gefördert hätten, so z. B. bei Dietrich Schäfer,
Deutsche Geschichte I S. 265, Karl
Hampe, Deutsche Kaisergeschichte im Zeitalter der Salier und
Staufer S. 105 f., Adolf Bär, Handbuch der
Geschichte IV. S. 48. Durch die
Richtung der deutschen Gesamtpolitik nach dem Süden und
Südwesten des Reiches im 11. Jahrhundert, die vor
allem bestimmt wurde durch den verhängnisvollen
Investiturstreit, seien diese Herrscher von Osten und Nordosten
abgelenkt worden. Das hat man nun vielfach so verstanden, als ob
die beiden letzten Salier, Heinrich IV. und
Heinrich V., sich überhaupt nicht mehr um
Nordalbingien gekümmert und ihre königlichen Rechte aufgegeben
hätten. Daß dem nicht so ist, beweist u. a. die bis jetzt bei
uns unbekannt gewesene Tatsache, daß der junge König Heinrich
IV. wahrscheinlich an einem Zug gegen die slawischen
Liutizen teilgenommen hat (S. 80). Überaus wichtig
ist ferner für unsere Geschichte die Urkunde Heinrichs IV.
vom Jahre 1062, die die erste urkundliche
Bezeugung des "castellum Razesburg" enthält. Über diese Burg
Ratzeburg hat kein slawischer Fürst, sondern der deutsche König
das Verfügungsrecht. Ratzeburg ist höchstwahrscheinlich eine Art
Königsgut, Reichsbesitz aus der Zeit der Sachsenkaiser. Lammert
deutet zum ersten Male auf den Seiten 57 ff. in
ganz meisterhafter Weise dieses wichtige Dokument und kommt zu
dem Ergebnis, "daß die Burg Ratzeburg früh ein Stützpunkt des
Deutschtums im Lande gewesen ist" und daß auch der Name
Ratzeburg als deutsch angesehen werden muß (S. 60).
Die Burg Ratzeburg ist deutscher Stützpunkt geblieben und hat
alle Stürme der Folgezeit überstanden. Die deutsche Herrschaft
muß, wie Lammert auf Seite 77 ff. ausführt, weiter
existiert haben; nur die kirchliche Organisation erlitt durch
die Abwehr der Slawen Einbuße. Alles in allem stellt dies dritte
Kapitel eine Ehrenrettung der wegen ihres geringen Interesses
für den deutschen Osten viel gelästerten salischen Kaiser dar.
Man muß dem Verfasser durchaus zustimmen, wenn er auf S.
85 bemerkt: "Es ist auch heute, und umsomehr in der Zeit
der damaligen Verkehrsverhältnisse, durchaus gegeben, daß die
Zentralgewalt ihre Absichten durch die zuständigen Lokalgewalten
ausführen läßt." Dies gilt für
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die Zeit der Salier ebenso wie für die der nicht minder
verkannten Hohenstaufen, wie allgemein.
Der vierte Abschnitt behandelt die "klassische" Zeit unserer mittelalterlichen
Heimatgeschichte, die Zeit der Kolonisation von Lothar von Supplinburg über
Heinrich den Löwen, die Schauenburger und Botwides bis hin zur Schlacht von
Bornhöved im Jahre 1227. Dieses Kapitel umfaßt, wie man sich
denken kann, die größere Hälfte des Buches. Und wenn schon die ersten drei
Kapitel nicht nur für die Geschichte Nordalbingiens, sondern auch für die ganz
Norddeutschlands neue geschichtliche Erkenntnisse gaben oder Annahmen
bestätigen, so wird einem bei der Lektüre des Zeitraums von 1125-1230
klar, daß, wie Lammert im Vorwort sagt, "die Geschichte des Landes Lauenburg
nicht allein als Landesgeschichte Bedeutung hat, sondern an wichtigen Stellen
ein Stück der Geschichte unseres deutschen Reiches darstellt.
Ich erinnere mich noch heute gern eines Vortrages unsers unvergeßlichen DR. H.
F. Gerhard, den er 1928 oder 1929 vor den
Mitgliedern des SchleswigHolsteinischen Geschichtsvereins in Waldesruh hielt.
Er sprach über die Lauenburgische Geschichte in ihrer Bedeutung für die
Gesamtgeschichte. Ich habe seitdem in meinem Geschichtsunterricht jedesmal, wenn
ich zum 12. Jahrhundert kam, die lauenburgische Geschichte ganz
gründlich behandelt und auf ihrem Hintergrund die allgemeine deutsche Ostpolitik
erstehen lassen. Wieviel besser sind wir nun daran, wo wir Lammerts Buch in
Händen haben. Nun gilt es aber auch, manche Ansichten und Urteile zu ändern.
Lammert überzeugt uns davon, daß das eigentliche Lauenburg im 12.
Jahrhundert kein Kampfland mehr gewesen ist. So sagt er auf S. 105:
"Merkwürdig ist, wie schon oft, daß wir bei Kämpfen hier im Nordosten nichts vom
Schicksal des heutigen Lauenburger Landes erfahren. Man darf das ... wohl dahin
verstehen, daß eben für Sadelbende, aber auch längst für das Ratzeburger Land,
slawischer Einfluß nicht in Betracht kam."
Ferner werden, wie schon die Salier, so auch die Hohenstaufen in Schutz genommen
gegen Angriffe der Art, daß sie für unseren Nordosten nichts bedeutet hätten (so
Dietrich Schäfer, a. a. O. I. S. 275). Heinrich der
Löwe ist ohne Friedrich Rotbart nicht denkbar. Beide Männer haben "mit
gegenseitiger Rückendeckung gewirkt" (S. 109), der eine im Norden
und Nordosten, der andre im Süden und Südwesten. "So sind auch die Erfolge
Heinrichs des Löwen ohne den starken Rückhalt, den er bis zu seinem schmählichen
Abfall an Friedrich Rotbart fand, nicht denkbar" (S. 109). Immer
wieder läßt Lammert aus den Quellen erstehen die stetige Einwirkung des
deutschen Königs auf die Geschicke unseres Landes: Die Einrichtung und
Ausstattung des neuen Bistums Ratzeburg wurde durch kaiserliche Urkunde von
1154 dem Herzog Heinrich übertragen; der erste Bischof Evermod war
gut kaiserlich gesinnt; immer wieder findet man die nordalbingischen Grafen am
Kaiserhof, wo sie Bericht über ihre Tätigkeit erstatten mußten. Aber nicht nur
Friedrich I. und sein Sohn Heinrich VI., die beiden
gewaltigsten Hohenstaufen, sondern auch der minder bedeutende Philipp von
Schwaben, Friedrichs I. jüngerer Sohn, wird gelobt. Auf S.
201 bringt Lammert ein anerkennendes Zitat von F. Rörig aus einer Rede
zum 700 jährigen Gedenktag von Bornhöved (1927):
"Ein deutscher König ist es, der allein in der Zeit von 1190 bis
1223 die dänische Macht ernsthaft gefährdet hat: Philipp von
Schwaben" (S. 201). Selbst Friedrichs II. viel
getadelter Vertrag von Metz mit dem Dänenkönig Waldemar II. vom
Jahre 1214, in dem der erstere dem Dänen die Reichsgebiete
jenseits der Elde und Elbe überläßt, wird von Lammert entschuldigt. Er weist
nach, daß der Vertrag "keineswegs leichtfertig, aus mangelndem Interesse für den
deutschen Norden geschlossen sei", sondern mehr aus politischer Taktik (S.
205 f.). Die Seiten 212 ff. bringen weiteres
ausführliches Material dafür, daß sogar ein dem deutschen Wesen so fremder Fürst
wie Friedrich II. (1215-1250) sich um
den deutschen Nordosten gekümmert hat, auch wenn er nicht selbst in unsere Lande
kam. Denselben Standpunkt nimmt übrigens auch Karl Hampe a. a. O. S. 229
ein, wo er schreibt: "Immerhin hat der Kaiser ... die letzten Ereignisse aus der
Ferne mit förderndem Interesse begleitet, wie etwa die Erneuerung der
Reichsfreiheit Lübecks (1226) bekundete, und die Gestaltung der
Dinge durchaus anerkannt."
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Es ist selbstverständlich nicht möglich, alle
wertvollen Ergebnisse und Aufschlüsse, die Lammerts Buch über
unsere lauenburgische Geschichte bringt, anzugeben. Die
Besprechung soll ja vor allem den Zweck haben, dazu anzuregen,
das Werk sich anzuschaffen und durchzuarbeiten. Alle
Berufsschichten werden Interessantes entdecken. Der Geistliche
wird neben der Aufhellung der bislang so problematischen
ältesten kirchlichen Geschichte vor 1154 die
Frühgeschichte des Bistums Ratzeburg, dessen Bischöfe eine feine
Würdigung erhalten, aber auch die Nachrichten über die ersten
dörflichen Kirchspiele Lauenburgs (S. 174 ff.;
226 ff.) finden. Der Kaufmann wird aufgeklärt über
wichtige mittelalterliche Handelswege in unserm Gebiet (S.
181 f.) und wird erstaunt sein, wenn er liest, daß
Ratzeburg zeitweise Anteil an der Seefahrt gehabt haben muß (S.
138). Dem Bauern wird mancherlei Wissenswertes
über die Bodenkultur geboten, deren Pflege den lauenburgischen
Landesherren sehr am Herzen lag (S. 196 f.). Der
Soldat wird viel Interessantes über die damalige Kriegskunst
erfahren, z. B. auf S. 209 f. die Betätigung des
Herzogs Albrecht als Artillerist bei der Belagerung einer Burg.
Der Erdkundler wird genaue Angaben finden über den Umfang des
mittelalterlichen Lauenburgs (S. 223 f.), seine
Bewohnerzahl (S. 135) und die
Siedlungsverhältnisse. Gerade heute, wo das Wort Siedlung zum
Losungswort einer neuen Epoche deutscher Geschichte geworden
ist, wird es allgemein interessieren, daß Lauenburger starken
Anteil gehabt haben an der Kolonisierung des fernen Livlands.
Hier hat besonders der Ratzeburger Bischof Philipp (1204-1215)
mit großem Erfolg gewirkt (S. 186 ff.). Ganz famos
ist der anschauliche, spannungsreiche Bericht Heinrichs von
Lettland über die abenteuerliche Heimfahrt des Bischofs (S.
189 ff.).
Das ist nur einiges aus vielem; denn es ist, wie schon gesagt,
ganz unmöglich, das überaus inhaltsreiche Buch auch nur
annähernd auszuschöpfen. Der rührige Lauenburgische
Heimatverlag, Ratzeburg i. Lbg., der kein Opfer gescheut hat,
das Werk mit Bildern, Zeichnungen und Karten, letztere von Herrn
Zeichenlehrer E. Ackert in Ratzeburg, aufs beste auszustatten,
verdient, daß dies Buch in viele lauenburger Häuser kommt und -
gelesen wird.
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