Viele Volksgenossen stürzen sich heute mit
ehrlicher Begeisterung und den besten Absichten auf
Familienforschung, lassen jedoch, sobald sie auf die ersten
Hindernisse stoßen, den Mut sinken und geben die mit soviel
Eifer begonnene Nachforschung wieder auf - für immer. Das ist im
Interesse der guten Sache sehr bedauerlich. Als alter
Familienforscher möchte ich daher im folgenden ein paar
praktische Winke geben, die den Anfänger vor den ersten schweren
Enttäuschungen bewahren können.
1. Mit archivalischen Nachforschungen bei
Standesämtern, Pfarrämtern und Archiven sollte man erst dann
beginnen, wenn man alle mündlichen Quellen nach Möglichkeit
erschöpft, d. h. alle erreichbaren Verwandten gründlich
ausgefragt und ausgehorcht hat. Man macht sonst sich selbst und
den Behörden viel unnötige Arbeit. Ich kenne
einen Fall, wo jemand an alle möglichen Pfarrämter schrieb und
schließlich erfuhr, daß einer seiner Vettern die gleichen
Forschungen schon vor Jahren durchgeführt hatte und den
gesuchten Stammbaum bis weit zurück schon längst besaß.
2. Man mache sich den Unterschied zwischen
Stammbaum und Ahnentafel klar, damit man nicht planlos in der
Familiengeschichte herumfährt, sondern ein bestimmtes Ziel
verfolgt 1).
3. Anfragen an die Pfarrämter müssen nach Namen,
Ort und Datum scharf umrissen und unmißverständlich sein; zu
weit gehende oder zu allgemein gehaltene Fragen sind völlig
zwecklos. Denn eine Verpflichtung zu archivalischen Auskünften
besteht für die Pfarrämter nur bei genau umrissenen Anfragen,
während sie eine mühsame und
zeitraubende Sucharbeit ohne genauere Angaben jederzeit ablehnen
können.
Man schreibe also nicht: "Bitte, schicken Sie mir meinen
Stammbaum", oder "Schreiben Sie mir meine arische Großmutter
heraus", oder "Mein Großvater Müller soll in ihrer Gemeinde
gestorben sein; bitte um seine Abstammung". Sondern: "Meine
Urgroßmutter Eva Regina Holst geborene Debus ist in Dechow im
März 1830 gestorben und begraben. Bitte um
Abschrift des Sterbeeintrags und wenn möglich auch noch um
Feststellung ihres Geburtstags und der Eltern; sie soll 80
Jahre alt geworden sein." Das Sterberegister gibt meistens auch
das Alter der Verstorbenen an, so daß der Pfarrer unschwer
feststellen kann, ob der Verstorbene am gleichen Ort geboren
ist, wann
und von welchen Eltern. Angenommen, das Geburtsdatum der Eva
Regina Holst hat sich an ihrem Sterbeort nicht gefunden. Was
dann? Sie ist gestorben am 12. März 1830
im Alter von 79 Jahren und 2
Monaten, folglich geboren am 12. Januar 1751.
Aber wo? Da können uns die Taufpaten ihrer Kinder den Weg
zeigen. Man läßt sie sich herausschreiben und findet, daß einige
von ihnen den Namen Debus
_______________
1) Vgl. die "Familienforschung". Von S.
Schellbach. Lauenburgische Heimat, 7. Jahrg.
1931, Seite 127 ff.
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tragen, also offenbar Geschwister oder
Verwandte der Eva Regina sind, und zwar aus dem Nachbarort Ziethen. Eine Anfrage
beim dortigen Pfarramt ergibt, daß sich das gesuchte Geburtsdatum der Eva Regina
Holst tatsächlich im Kirchenbuch findet, und damit zugleich natürlich auch die
Namen ihrer Eltern. Auch ihr Traudatum läßt sich nun (aus der Differenz zwischen
dem Geburtstag der Mutter und dem ihres ersten Kindes) annähernd festlegen und
kann im Trauregister des Geburtsortes gefunden werden. So muß man sich logisch
denkend und rechnend Schritt für Schritt rückwärts tasten.
4. Selbstverständlich sind alle Anfragen in verbindlichem Ton zu
halten und mit Rückporto zu versehen. Für eine erhaltene Antwort bedankt man
sich, - schon weil man dabei Gelegenheit hat, weitere Fragen zu stellen, aber
natürlich auch wieder mit genauer Angabe aller schon bekannten Daten, damit der
Pfarrer sofort weiß, wo und was er zu suchen hat.
5. Erhält man trotz genauer Angaben keine Antwort, so wiederholt
man nach einiger Zeit seine Anfrage in höflicher Form. Viele Pfarrämter sind
heute mit genealogischen Anfragen sehr überlastet und kommen neben ihren
eigentlichen Dienstverpflichtungen unmöglich zu langwierigen Nachforschungen in
den Kirchenbüchern. Auf bösen Willen oder Faulheit zu schließen, wäre in den
meisten Fällen sehr verkehrt und ungerecht. Nur ganz wenige Pfarrer werden
genealogische Anfragen grundsätzlich ablehnen.
6. Erfolgt trotz allem keine Antwort, so versucht man, auf dem
Umweg über Bekannte ans Ziel zu kommen. Vielleicht übernimmt ein guter Bekannter
aus dem betreffenden Ort den Auftrag, einmal persönlich beim Pfarramt
vorzusprechen, oder vielleicht kann man einen befreundeten Pfarrer um
Vermittlung angehen. Einem Gemeindeglied oder Kollegen wird ein sonst
unzugänglicher Pfarrer bereitwilliger antworten, als einem Unbekannten.
7. Bei größeren Auszügen, etwa der Aufstellung eines ganzen
Stammbaumes, einigt man sich vorher mit dem Pfarramt über die Höhe der Gebühr
oder man seht einen Geldbetrag fest, bis zu welchem man gehen will.
Gebührenfrei sind nur Anfragen auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums zum Nachweis der arischen Abstammung (also bis zu den
Großeltern einschließlich). Für alle darüber hinausgehenden Auskünfte darf der
Geistliche bestimmte, behördlich festgesetzte Gebühren fordern. Diese betragen
in der evangelischen Kirche: für einen einmaligen Auszug aus dem Kirchenbuch
1 RM., für größere Nachforschungen für die Arbeitsstunde 3
RM., für Einsichtnahme und Abschrift des Privatbenützers pro Tag 3
RM. Für die erzbischöflichen Pfarrämter betragen die Gebühren m. W.: für
einmalige Auskunft (über die Großeltern hinaus) 3 RM. und bei
größeren Auszügen für die Arbeitsstunde 1 RM.
Von dem Recht auf diese Gebühren machen übrigens nach meinen Beobachtungen
die meisten Pfarrämter nur selten Gebrauch.
8. Versagen die Kirchenbücher, so versucht man, mit einer Anfrage
oder Anzeige in einem familiengeschichtlichen Such- und Anzeigeblatt
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weiterzukommen. Oft meldet sich dann aus
irgendeiner Ecke des Vaterlandes ein unbekannter Vetter, der schon viel Material
beisammen hat. Bei seltener vorkommenden Namen kann man auch einmal unmittelbar
bei den betreffenden Namensträgern anfragen, ob sie etwas über ihre Ahnen wissen
und ob wohl zwischen den beiderseitigen
Familien Zusammenhänge bestehen. Ich habe auf diese Weise die Vorfahren eines
Urgroßvaters mütterlicherseits kennen gelernt: der von mir auf Grund seines
Namens nach seinen Vorfahren Gefragte schickte mir "mit vetterlichem Gruß"
seinen Stammbaum, der tatsächlich die von mir gesuchten Ahnen in lückenloser
Reihenfolge enthielt.
9. Manchmal empfiehlt sich auch eine persönliche Einsicht in die
Kirchenbücher, etwa in Verbindung mit einer Ferienreise oder einem Besuch in der
Heimat. Doch kommt dies nur für Personen in Frage, die in archivalijchen
Arbeiten schon etwas erfahren sind, alte Handschriften lesen können und Aussicht
haben, daß ihnen vom Pfarramt
die Benutzung der Kirchenbücher an Ort und Stelle zugestanden wird. Jedenfalls
ist ein solcher Besuch mit dem Pfarramt vorher genau zu vereinbaren und zu Hause
gründlich vorzubereiten.
10. Bei Beobachtung dieser Griffe und Kniffe wird der beginnende
Familieuforscher schon recht erfreuliche Erfolge erzielen. Freilich ohne viel
Geduld und Ausdauer, ohne etwas Scharfsinn und Diplomatie und ohne einige
finanzielle Opfer geht es nicht. Für alles Weitere sei auf das "Taschenbuch für
Familiengeschichtsforschung von Fr. Wecken" und auf die andern
Veröffentlichungen des familiengeschichtlichen Verlags von Degner & Cie. in
Leipzig, den Verlag für Sippenforschung und Wappenkunde C. A. Starke, Görlitz,
und die sehr guten Stamm- und Ahnentafel-Formblätter unseres Lauenburgischen
Heimatverlages verwiesen, die alle in Betracht kommenden technischen,
methodischen, archivalischen, geschichtlichen, biologischen und anderen Fragen
eingehend behandeln.
Familienforschung ist eine ernste und tief ins Leben eingreifende Wissenschaft.
Niemand sollte sie nur als Mode- oder Sportsache treiben. Wer nur forschen will,
weil es so "interessant" ist oder weil man dann mit seinen Ahnen renommieren
kann, der lasse lieber die Finger davon. Der schönste Stammbaum ist nur totes
Material, wenn er nicht ausgewertet wird für das Leben. Die Familienforschung
schaut wohl rückwärts in die Vergangenheit, aber sie weist zugleich auch
vorwärts in die Zukunft und will fruchtbar gemacht werden für die Gegenwart.
Dies geschieht durch ihre Anwendung auf die Erziehung und Gattenwahl der Kinder,
durch Pflege des Familiensinnes, des Ahnenstolzes und Sippengefühls, durch
Belebung des Verantwortungsbewußtseins aller Glieder gegen das Volksganze und
durch Weckung des Verständnisses für biologische, soziale, geschichtliche und
wirtschaftliche Zusammenhänge. Erst so wird die Familienforschung aus einer
"toten Wissenschaft" zu einem wertvollen Dienst an den
gesunden Kräften unseres Volkes.
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