Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1935


Die Weberei.
Ein Stück Heimatgeschichte.

Von WILH. MÖLLER.

Je weiter und je länger man sich in die Geschichte der Heimat vertieft, desto mehr fällt die Regelmäßigkeit, die Gesetzmäßigkeit in der Wandlung der Berufsarten in die Augen. Eine dieser regelmäßigen Erscheinungen ist folgende: Alle alten Beschäftigungen waren zunächst Arbeiten in jedem Hause, auf jedem Gehöfte, dann wurde daraus ein Handwerk, ein gesonderter Beruf, und in den letzten hundert Jahren sind daraus Fabriken, große Industriezweige geworden. Die Weberei zeigt uns diese Wandlung, diesen Entwickelungsgang mit besonderer Deutlichkeit.

Die Weberei ist heute fast vollständig zur Fabrikarbeit, zur Textilindustrie geworden. Welche Arbeit dadurch dem zünftigen Weberhandwerk und den Hausfrauen genommen und abgenommen worden ist, das können wir einigermaßen ahnen, wenn wir uns den langen Weg vorstelleir, der vom Leinsamen zur Leinwand führt. Leinsamen kann man noch heute in jeder Vogelhandlung sehen. Die schönen, braunen, glatten Körnchen wurden im Frühling ausgesäet. Das war Arbeit der Männer. Sobald die kleinen Hälmchen enrporschossen, mußte das Unkraut ausgezogen werden. Frauen und Mädchen krochen auf den Knien über das Feld und jäteten alles aus, was nicht Flachs war. Nun wuchsen die Halme weiter, wurden einen halben, in guten Jahren bis zu einem Meter hoch. Oben verzweigten sie sich leicht und bekamen schöne, blaue Blüten. Ein Flachsfeld bot einen hübschen Anblick. In einem alten Liede heißt es:

"Nun kommt in die Felder und blühenden Auen,
Das liebliche Pflänzchen der Mädchen zu schauen."

Aus den Blüten wurden erbsengroße, kugelrunde Knoten, die wieder mit dem schönen Leinsamen gefüllt waren. Im Spätsommer wurde der Flachs braun und reif, und die Flachsernte machte gewöhnlich den Schluß der Erntearbeit. Die Flachsstengel wurden nicht mit der Sense gemäht, sondern mit der Hand aus der Erde gezogen, denn sie waren wertvoll bis in die Wurzel. Dann wurden sie in Bündel gebunden, zum Trocknen in Hocken aufgestellt. Der trockene Flachs wurde ins Haus gefahren und gedroschen, um den wertvollen Leinsamen zu gewinnen. Die Stengel wurden wieder hinausgebracht und auf einem Stoppelfelde oder auf einer Weide in langen Reihen ausgespreitet. So blieben sie ein paar Wochen liegen, dem Winde, dem Wetter und dem Regen ausgesetzt. Dadurch wurden sie morsch und brüchig, nur der Bast, die eigentliche Gespinstfaser, widerstand jeder Witterung und blieb zähe. Dann wurde der Flachs wieder nach Hause geholt, und wenn dann Brot gebacken wurde und das Brot aus dem Ofen gezogen war, dann wurden die Flachsstengel in den noch warmen Backofen gepackt und auf diese Weise geröstet. Die gerösteten und deshalb sehr brüchigen Stengel wurden nun gebrochen. Das geschah mit der BRAKE, einem Werkzeug, das für diesen Zweck hergestellt war. Die gebrochenen




Flachsbrake. Schwingbock. Hechelbock.


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Stengelteile fielen heraus und die Fasern blieben zurück. Das Flachsbrechen mußte in einigen Stunden getan werden, solange der Backofen und der Flachs noch warm waren. Deshalb wurde alles zu dieser Arbeit herangezogen, was eine Hand rühren konnte, und Nachbarn halfen sich gegenseitig. In den Fasern blieben aber noch kleine Stücke der gebrochenen Stengel hängen. Sie wurden herausgeschlagen mit der SCHWINGE. Das war ein breites Schwert aus Holz. Die Flachsfasern wurden dabei mit der linken Hand über ein aufrecht stehendes Brett den SCHWINGBOCK, gehalten, und mit der Schwinge in der rechten schlug man daran herunter. Endlich wurden die Fasern noch durch die HECHEL gezogen. Die Hechel war ein grober Kamm, sie nahm alle kurzen und krausen Fasern aus dem Flachs heraus. Die übrig bleibenden glatten Fasern wurden zusammengedreht, und ein solcher FLACHSKNOTEN sah so schön aus, wie der Zopf eines flachsblonden Mädchens. Nicht so schön sahen die Frauen beim Brechen, Schwingen und Hecheln aus, Staub und Fasern flogen umher, und schon nach ein paar Stunden waren sie von einer grauen Schicht der Flachsabfälle bedeckt. Nach allen diesen Vorbereitungen begann das SPINNEN, und es zog sich durch den ganzen Winter hin. Jede Frau und jedes Mädchen hatten ein Spinnrad im Gange, und jede freie Stunde, besonders die langen Winterabende, wurden mit Spinnen ausgefüllt. Sobald eine hinreichende Menge Garn gesponnen war, ging es ans WEBEN.

Wer einen Webstuhl gesehen hat mit seiner verwickelten Einrichtung, in der jeder Faden seinen wohlberechneten Weg macht; wer einen Weber arbeiten sah mit Händen und Füßen, wer der sah, wie "die Schifflein herüber-, hinüberschießen, die Fäden ungesehen fließen und ein Schlag tausend Verbindungen schlägt"; wer die glatte, schöne Leinewand betrachtete, zuweilen "geköpert", mit "Augen" oder "Damastmuster" durchwebt, der wird einige Bewunderung für das kunstvolle Weberhandwerk aufbringen, er wird aber noch mehr darüber erstaunen, daß in vergangener Zeit Frauen und Mädchen neben ihrer sonstigen, weit verzweigten Hausarbeit auch am Webstuhl saßen. Ich habe in meinem Leben noch zweimal Gelegenheit gehabt, eine Frau am Webstuhl zu sehen, einmal in einem abgelegenen Dorfe der Wesergebirge - es war eine alte Frau, die sich noch durch ihre Weberei nützlich machte -, ein andermal in einem Dorfe der Lüneburger Heide während der Kriegszeit - es war ein junges Mädchen, das den Webstuhl wieder vom Boden geholt und nach Anleitung der Großmutter in Betrieb genommen hatte. Alte Gewohnheit und die Not der Zeit hielt oder brachte diese Frauen noch zum Weben; in der Mehrzahl haben die Hausfrauen gern die Weberei dem zünftigen Webermeister überlassen, sobald dieses Handwerk sich entfaltete. Und das geschah schon im Mittelalter. Mit dem Aufkommen der alten Handwerke blühte auch die Weberei auf, zuerst in den Städten, dann bis auf das letzte Dorf hinaus. Es ist selbstverständlich, daß der Webermeister geschickter arbeitete, als der Durchschnitt der Frauen. Es war sein Beruf, während es bei den Frauen nur ein Nebenberuf war; er konnte sich besseres Werkzeug verschaffen; er lernte in seinen Wanderjahren die Hauptgebiete der Weberei, Schlesien, Bielefeld, Augsburg, kennen; er eignete sich dort die neueste Kunst und die neueste Technik seines Handwerks an. Aus allen diesen Gründen vollzog sich der Übergang von der Hausweberei zur handwerksmäßigen ganz natürlich und reibungslos. Die Hausfrauen hatten auch ohne die Weberei Arbeit genug, sie konnten aus den Erträgen ihrer Wirtschaft den Weber bezahlen, in Naturalien oder in Geld; Frauen und Webermeister waren zufrieden mit dieser Teilung der Arbeit, mit diesem Fortschritt der Technik. -

In dieser Zeit der handwerksmäßigen Weberei entstanden in verschiedenen Städten und Gegenden Niederlassungen von Webern, die nicht für den Bedarf des Ortes und dessen Umgebung arbeiteten, sondern deren Gewebe hinausgingen in die weite Welt. Zu diesen Geweben mußte der größte Teil des Materials - Flachs, Wolle, Baumwolle - von weit her herbeigeschafft werden. Beides, der Einkauf des Materials und der Verkauf der Gewebe, geschah nicht durch die Weber, sondern durch Kaufleute. Das Weberhandwerk besorgte nur die technische Herstellung der Gewebe. Zum Verständnis dieser mittelalterlichen Großbetriebe sei hier einiges mitgeteilt über die Weberei in Augsburg.

Allgemein bekannt ist ja der Name FUGGER. Die Familie stammte aus einem Dorfe in der Nähe von Augsburg. Weil die Augsburger Weber

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die ländliche Konkurrenz vom Markte fernhielten, zogen zwei Gebrüder Fugger als Weberknechte (Gesellen, Knappen) in die Stadt und hielten die Verbindung mit ihrem Heimatdorfe aufrecht. Der eine von ihnen kaufte sich in Augsburg an und erwarb dadurch die Bürger- und Meisterrechte, der andere erreichte dasselbe Ziel durch Verheiratung mit einer Weberswitwe. Jetzt trieben sie nicht nur die Weberei in größerem Stil, sondern sie legten sich auch auf den Handel mit BAUMWOLLE und mit BARCHENT. Die Baumwolle kam damals (etwa um 1400) aus Kleinasien, ging zu Schiff nach Venedig und wurde von dort durch Saumtiere über die Alpen (Brenner) nach Augsburg getragen. Der daraus hergestellte Barchent war damals ein viel begehrtes Gewebe, und die Gebrüder Fugger wurden wohlhabend durch diesen Handel. In den folgenden Generationen dehnten sie ihr Geschäft auch auf andere Zweige aus. Der lebhafte Verkehr auf der damaligen Welthandelsstraße Augsburg-Venedig gab ihnen Gelegenheit zu Bankgeschäften. Sie spannen diese Fäden des Handels weiter nach Norddeutschland, den Niederlanden, England (durch die Hansa), Frankreich, Spanien und Rom. Dabei blieben die einzelnen Linien der Familie Fugger stets in enger Verbindung miteinander und auch mit andern Handelshäusern (Welser). Durch solche Verbindung - Kartell, Syndikat würden wir heute sagen - machten sie damals die größten Finanzgeschäfte. Sie bezahlten dem Kaiser Maximilian, dem letzten deutschen Ritter, die Landsknechte für seine Kriege; dafür erhielten sie Kupfer- und Silberbergwerke in Tirol und Ungarn. Sie zahlten dem Papste die Verkaufssumme für den Erzbischofssitz in Mainz; dafür schickte der neue Erzbischof den Ablaßkrämer Johann Tetzel durch die deutschen Lande, und das Geld floß aus dem Kastens Tetzels in die Kassen der Fugger. 1519 bot der König von Frankreich den deutschen Kurfürsten Geld, damit sie ihn, den König von Frankreich, zum deutschen Kaiser wählen möchten; die Fugger boten mehr, und so wurde Karl V. deutscher Kaiser und Herr über ein Reich, in dem die Sonne nicht unterging. Dafür wurden den Fuggern ein paar Reichsfürstentümer verpfändet, sie erhielten Bergwerke in Spanien und Handelsverbindungen mit der neuen Welt. Während des Reichstages von Augsburg wohnte Karl V. im Fuggerhause, und es wurde ihm dort besonders warm und behaglich, als der Handelsherr Fugger mit den Schuldscheinen des Kaisers das Kaminfeuer anzündete. "Ich habe einen Weber in Augsburg, der kann das alles bezahlen", soll Karl V. einmal gesagt haben, als ihm große Kostbarkeiten gezeigt wurden.

Die Fugger blieben trotz Großhandel, Bank, Politik und Reichsfürstentum die Weber von Augsburg. Als Barchent nicht mehr hinreichend gefragt wurde, gingen sie über zur Kattunweberei und -druckerei, und die Augsburger Kattunmuster wurden in der ganzen Welt berühmt. Eine Hamburger Musterzeichnerin soll ein Jahresgehalt von fünftausend Gulden bezogen haben. Bei den guten Absatzmöglichkeiten muß auch die Bezahlung der Handarbeit angemessen gewesen sein, denn man findet keine Berichte über Weberelend in Augsburg. -

Auch im 19. Jahrhundert, als die mechanische Spinnerei und Weberei sich ausbreitete, blieb Augsburg von Krisen und Unruhen verschont. Die Textilfabrikation wurde in einem Maße und in einer Weise ausgebaut, daß die zünftigen Handweber als Fabrikarbeiter und -angestellte weiter Beschäftigung fanden. Es entstand daneben eine Eisenindustrie, die vielen Tausenden neue Beschäftigung bot. Geld und Intelligenz bahnten den Übergang vom Handwerk zur Industrie.

Diese Entwickelungslinie - Hausarbeit, Handwerk, Industrie - kann in der Weberei als abgeschlossen gelten. Bis ins letzte Dorf hinein sind alle, Männer wie Frauen, mit den Stoffen der Fabriken bekleidet. Es gibt keine Webermeister mehr und die Hausweberei kennt man nicht einmal mehr. Aber es regt sich etwas Neues, das wir beachten müssen; das ist die KUNSTGEWERBLICHE HANDWEBEREI.

In verschiedenen Gegenden Deutschlands ist mit Erfolg versucht worden, Webereien nach eigener Erfindung, eigenem Geschmack, in neuen Mustern, aus besonders gewählten Rohstoffen, in besonderer, zweckvoller Arbeit herzustellen. Man hat hierfür geeignete Webeapparate angefertigt und Wolle, Flachs, Hanf durch eigene Spinnerei für solche Webereien vorbereitet. In fortschrittlich geleiteten Textilgeschäften findet man diese Erzeugnisse mit ausgestellt, und

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einzelne Personen und Gruppen solcher Handweber und -Weberinnen haben sich Ruf und Namen erworben. Was ist von dieser Handweberei und ihrer Zukunft zu halten?

Alfred Lichtwarck, lange Jahre Direktor der Kunsthalle in Hamburg, und Justus Brinkmann, Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, haben Zeit ihres Lebens zwei Forderungen für das Handwerk vertreten: erstens, der Handwerker muß aus eigener Erfindung heraus neue Formen für seine Erzeugnisse schaffen, er muß ein Künstler in seinem Berufe sein; zweitens, er muß den Kleinmotor in seinen Dienst stellen. Die neue Handweberei arbeitet bewußt an der Herstellung neuer, schöner, künstlerischer Gewebe, Decken, Teppiche; sie bewegt sich in der Richtung, die in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgezeigt wurde. Es sind Webstühle und Webegeräte verschiedener Art für solche Arbeit konstruiert und gebaut worden; ob auch der Motor zum Antrieb dabei gebraucht wird, ist mir nicht bekannt geworden. In andern Gewerben hat der Kleinmotor seitdem weitgehende Verwendung gefunden. Und die Erzeugnisse dieser Handweberei finden den Beifall aller derer, die ihnen Beachtung schenken.

Und diese Handweberei in Haus und Beruf hat sich angebahnt zu einer Zeit, in der auch die fabrikmäßige Erzeugung von Geweben wieder einen großen Fortschritt gemacht hat, nämlich gleichzeitig mit der Erfindung und Herstellung der KUNSTSEIDE. Aus Holz und Baumwollabfällen gewinnt man die Fasern und Gespinste, in großen Fabriken werden daraus die mannigfaltigsten Gewebe hergestellt. Diese Erzeugnisse gehen durch die ganze Welt, und die Fabriken sind zu großen Konzernen über alle Landesgrenzen verbunden. Sie schaffen Massenwaren in schonen Farben und guter Qualität; daneben entfaltet sich die Handweberei, sie befriedigt den besondern Geschmack und die besonderen Wünsche derer, die auf Sonderleistungen Wert legen.

Schließen wir mit einem Bilde. Die Hausweberei gleicht den Wurzeln, die handwerksmäßige Weberei dem Stamme, die Textilindustrie der Krone eines mächtigen Baumes. Es ist die Krone, die uns mit allem versorgt, uns alles in Überfluß spendet. Jedoch, aus der Wurzel schießen noch neue Reiser empor, und es lohnt sich vielleicht, diese Schößlinge an eine geeignete Stelle zu versetzen, sie zu hegen, zu pflegen und zu einem Bäumchen aufzuziehen. Wer es vermag, durch Nachdenken, Geduld und Ausdauer, Geschick und Geschmack neue Gebilde zu schaffen, der dient damit andern und zugleich sich selber. Aber Arbeit, Mühe und Intelligenz gehören zu solchem Unternehmen. Durch solchen Aufwand ist der Baum der Industrie so groß geworden; können aus Reisern und Bäumchen nicht noch mehr so großer Bäume gezogen werden? Der Baum der Textilindustrie ist in seiner Krone Jahrzehnte alt, in seinem Stamm Jahrhunderte, in seinen Wurzeln Jahrtausende; ein neuer Industriezweig macht diesen langen Entwickelungsgang vielleicht in einigen Jahrzehnten durch. Hier ist ein ausgedehntes und vielversprechendes Arbeitsgebiet. Wer legt die Hand ans Werk?


 


 

 

 

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