Im 16. Jahrhundert war es unter
den deutschen Fürsten Brauch, durch Erbverbrüderungen sich
Aussicht auf Gebietszuwachs zu verschaffen. So hatten auch die
lauenburgischen Askanier sowohl mit ihren anhaltischen Vettern
als mit dem sächsischen Kurhaus Erbverträge geschlossen. Herzog
Julius Franz' Tod am 19. September 1689
verursachte also zunächst einen Wettlauf zwischen Anhalt und
Kursachsen, wer die Possession nehmen, d. h. in den
vorgeschriebenen Formen die Regierungsgewalt in dem herrenlos
gewordenen Lande ergreifen würde. Kursachsen gewann mit knappem
Vorsprung. Der Hofrat DR. Zapff sicherte am 26.
September durch Verpflichtung von Garnison, Beamten und
Bürgerschaft den Besitz des Herzogtums Lauenburg und reiste
stracks nach dem Lande Hadeln weiter, um dort
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ein Gleiches zu tun. Wie aller Besitz des
askanischen Hauses, war auch dieses ein Trümmerstück einstiger Größe. Von dem
Gebiet zwischen Weser und Elbe hatten sich zunächst die Wurstfriesen (eigentlich
Wurt-Saten, die auf Wurten - aufgeschütteten Hügeln Angesessenen) losgerissen,
dann hatte der Erzbischof von Bremen das Land um Stade erobert. Zuletzt
bemächtigte sich Hamburg des Schlosses Ritzebüttel unweit Cuxhaven unter dem
Vorwand, die Inhaber, das Adelsgeschlecht der Lappen, treibe Seeräuberei.
Schließlich war das Land Hadeln alles, was den Lauenburgern noch gehörte,
nachdem sie auch das Schloß Bederkesa an Bremen abgetreten und die dort
gesessene Familie v. d. Lieth mit Kuddewörde entschädigt hatten. Hauptort war
die kleine Stadt Otterndorf mit festem Schloß und Stadtmauer. Gegenüber
Ritzebüttel hatte Franz I. das Schloß Franzensburg gebaut. An der
Unterelbe lagen die kleinen Häfen von Altenbruch und Marienthal. Umschlossen
wurde das Ländchen, außer von dem Hamburgischen Gebiet des Amtes Ritzebüttel,
von dem seit 1648 schwedischen Erzstift Bremen. Die Einwohner
lebten in der Furcht, daß letztere Macht auch sie übcrschlucken möchte, und
waren bereit, das gute Recht der sächsischen Kurfürsten anzuerkennen. Inzwischen
hatte aber Herzog Georg-Wilhelm von Celle im Lauenburgischen eine vollendete
Tatsache geschaffen, indem er mit gewaffneter Hand Ratzeburg, Mölln, Lauenburg,
Schwarzenbek und Neuhaus den Sachsen entriß. Der Regierungspräsident Peter
Clasen floh nach Lübeck und nahm dort als chursächsischer Resident die
Interessen seines neuen Herrn wahr. In Otterndorf hatte als Vertreter der
sächsischen Staatsgewalt Oberst v. Krosigk, Kommandant von Leipzig, die dort
vorgefundenen wenigen Soldaten vereidigt und durch Anwerbung eines Dutzend
weiterer verstärkt. In diesen Zeitabschnitt fällt der Inhalt eines Aktenstücks,
das Herr Schellbach im Dresdener Staatsarchiv aufgestöbert hat. Am 19.
November 1689 berichtet Krosigk - die "weechen" Sachsen schreiben
ihn Grosigk - an den Geheimen Kriegsrat, daß die Lüneburgischen Truppen, die
bisher in dem schwedischen Hafen Neuhaus a. d. Oste lagen, demnächst abrücken
würden. Der in Otterndorf sitzende Gesandte würde ihnen bald folgen. Ebenso
sollen die schwedischen Dragoner binnen 8 Tagen das Land räumen.
Anlaß hierzu war das Eingreifen des Kaisers, der angesichts des Erbstreits die
Lande in vorläufige Verwaltung nehmen wollte. Während aber das Land Hadeln sich
fügte und die 50 Mann kaiserlicher Musketiere samt ihrem Leutnant
aufnahm und verpflegte, ließ GeorgWilhelm ins Lauenburgische keine
Reichstruppen hinein, ungeachtet der kaiserlichen Monitorien und Inhibitorien
(d. h. Mahnschreiben und Schreiben zur Verhinderung weiterer
Rechtswidrigkeiten). "Ich muß gestehen", meldet Krosigk, "daß ich Zeit meines
Lebens in keiner solchen Angst gewest, als hier geschehen." Wenn die feindlichen
Truppen weg wären, wolle er, auf kurfürstlichen Befehl, mit dem Landvolk die
kaiserliche Besatzung "mit der Hand aus dem Lande führen". Seine Forderungen
sind, verglichen an dem militärischen Aufwand Georg-Wilhelms, sehr bescheiden.
12 "exercierte" Musketiere möchte er aus Sachsen haben nebst
3 tüchtigen Unteroffizieren. 8 Rekruten
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habe er schon mit 5 Thlr. Handgeld
geworben und hoffe, noch 20 zu bekommen. Aus
Hamburg will er 30 Musketen und Tegen (Degen)
kaufen, auch "tringen" (dringen) die Leute auf Montierung; die
damals noch nicht allgemein vom Kriegsherrn geliefert wurde.
Tuch, Leder und Futterstoff seien aber in Hamburg teuer. Ob sie
nicht von Leipzig geschickt werden könnten? Weiter möchte
Krosigk das kaiserliche Wappen abreißen und das sächsische
anschlagen, ebenso die kirchliche Fürbitte für den Kurfürsten
durchsetzen. Der Kurfürst erklärt sich zwar in der Antwort mit
dem Getanen zufrieden, lehnt aber die Tuchsendung ab, weil der
Fuhrlohn den Preisunterschied übersteigen würde, und behält die
Genehmigung von Krosigks Absichten gegen die Kaiserlichen dem
Beschluß seines geheimen Kriegsrats vor. Drei Tage später heißt
es: "Anitzo finden wir nötig, Euch anzudeuten, daß, weil sowohl
die Schwedischen als Lüneburgischen im Lande Hadeln stehenden
Truppen ihre subsistenc (Unterhalt) aus selbigem ziehen, billich
sey, daß gedachtes Land denen Unsrigen theils dahin geschickten,
teils von Euch angenommenen Leuten gleichfalls ihren Unterhalt
fourniern." Ein beigelegter Soldzettel für eine Kompanie rechnet
für den Hauptmann monatlich 40 Thlr., für den
Leutnant 18, Fähnrich 15, drei
Sergeanten je 6, einen gefreiten Korporal 5,
Fourier 5, capitaine d'armes (Kammer- und
Waffenunteroffizier) 5. Musterschreiber 5,
Feldscherer 5. drei Korporale je 4,
drei Tambours insgesamt 7 Thlr. 12
Gr., 20 Gefreite je 2 Thlr. 15
Gr., 105 Gemeine je 2 Thlr. 12
Gr. und ein Steckenknecht dasselbe. Im ganzen kostete sonach
eine Kompanie an Sold 453 Thaler.
Der Anmarsch der gewaltigen Streitmacht von 12
Mann wurde durch die lüneburgischen Offiziere dem kaiserlichen
Gesandten in Hamburg verraten, so daß Krosigk sie "mit höchster
Gefahr zu Wasser und zu Lande bis Neuhaus a. Oste gebracht" Ehe
nicht die Schweden aus Otterndorf abgezogen seien, wolle er sie
dorthin nicht nehmen, um keinen Anlaß zum Verbleiben jener zu
geben. Er klagt, daß die Lüneburger kein Geld sparten, das Land
den Sachsen abspenstig zu machen, doch sei die Mannschaft treu.
Auch die Geistlichkeit sei überwiegend sächsisch, von den
Beamten ein Teil lüneburgisch gesinnt.
Ende Dezember raffte sich die Regierung in Dresden zu dem Befehl
auf, für Hadeln eine Kompanie zu errichten. Krosigk hält aber
dem entgegen, daß die Schweden. Dänen und Lüneburger auch
werben, letztere sogar 10 Thaler Handgeld zahlen.
Sechs werde er also mindestens geben müssen. Aus der Aufstellung
ist denn auch nichts geworden. - Man muß sich vergegenwärtigen,
daß damals der Koalitionskrieg gegen Ludwig XIV.
von England. Holland und dem Kaiser geführt wurde und die
Truppen der kleinen Staaten in deren Sold standen. Der Kaiser
begünstigte natürlich jene, die ihm Kontingente stellten, wie
Schweden, Dänemark und Lüneburg, auch in der Reichspolitik. So
ließ er Georg-Wilhelm in Lauenburg schalten und machte Schweden
Hoffnung auf Hadeln.
Seinen Hauptmann Schönfeld hatte Krosigk um Weihnachten zum
mündlichen Bericht nach Dresden geschickt. Unterm 5.
Januar
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1690 entscheidet der Kurfürst: "Als
können sich so Vielerlei unterschiedene Begebenheiten zutragen,
daß man den event (Ausgang) nicht eben so genau zu vorhersehen
noch zu desselben menagierung (Behandlung) so genaue Ordre
stellen kann und also doch das Meiste auf Eure derterität
(Geschicklichkeit) ankommen wird." Krosigk soll also die
Possession festhalten und tun. was den kurfürstlichen Interessen
dienlich ist.
Krosigk scheint aus diesem gewundenen Bescheid die gesunkene
Lust seines Fürsten an dem Handel gewittert zu haben, denn er
betont in seiner nächsten Meldung: "Dieses Land, ob es gleich
nicht groß, ist nutzbahr und kann wegen der 2
Häfen, so es in der See hat, ein groß Werk daraus gemacht
werden." Es war eben die Zeit, wo jeder Fürst, der einen Hafen
besaß, versuchte, eine überseeische Handelsgesellschaft auf die
Füße zu stellen.
Bald darauf ist Krosigk nach Sachsen zurückgegangen. Hauptmann
Schönfeld ist nach seiner Rückkunft verstorben - "es hat kein
Doktor noch Medizien für den Todt helfen können", meint Krosigk
- und der Oberbefehl war an den Fähnrich Fritsche übergegangen.
Unter einem Fähnrich darf man sich nicht den Jüngling
vorstellen, der später für kurze Zeit zur Erlangung des
Offiziergrades so genannt wurde. Damals rechnete der Fähnrich zu
den Offizieren. Da es Beförderung nach dem Dienstalter noch
nicht gab, waren die Inhaber oft schon Familienväter. Dieser
Fritsche nun berichtet seinem Oberst nach Leipzig über den Stand
der Dinge und allerhand Klatsch. So, daß "in Kopenhagen eine
vornehme Generalswittwe verschwunden sei und dahero sonderliche
böse Gedanken geschöpfet würden". Bald findet er heraus, daß es
sich in Hamburg behaglicher lebt als in Otterndorf und weiß
Krosigk klar zu machen, daß er - Fritsche - ja auch zugleich in
Lauenburg ab und an den Stand der Dinge erkunden könne. Viel
bringt er freilich nicht in Erfahrung. Das Kernstück ist ein
Plan der künftigen Festung Ratzeburg, über dessen Erwerb er am
11. April 1691 meldet: "Übersende
beigefügt den Grundriß von Razzeburg, wie es itzo gelegt und
fortifiziert wird. Ich habe es von einem guten Freund nur
verstohlen bekommen, daß ichs habe können aufs klahre Papier in
Eil mit der Feder nachzeichnen, und weil ich nicht zeichnen
kann, wird der Herr Obrist die Fehler excusieren. Herr Ankelmann
will es lassen nach der Kunst nach diesem Abriß machen und mit
seinem Sohn, der nach Ostern hinauf auf Dresden kommen und auf
1 Jahr zu Preßlau bleiben wird, Kurf. Durchlaucht
auch dem Generalkriegszahlmeister präsentieren, welches zwar
nicht anders (obgleich künstlicher) als dieses sein wird, denn
es ist auf dem durchscheinenden Papier genau nachgerissen und
habe es gemacht, so gut ich gekonnt. Herr Ankelmann weiß aber
nicht, daß ich es nachgezeichnet und hat es nun in seinen Händen
und sonst niemand mehr. Im Fürstentum Lauenburg wie auch im Land
Hadeln stehets noch als vorgemeldet. Herr Gerichtsverwalter,
Frau Bürgermeister Wührichs, der Herr Gouminski und seine
Liebste gratulieren nebst mir meinem hochverehrten Herrn
Obristen und dessen Gemahlin nochmals zu Ihrem Beilager und
wünschen in specie einen jungen Sohn."
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Der Plan ist einer von den zwar erwogenen aber nicht
ausgeführten. Er sieht eine Befestigung der ganzen Insel vor mit einem Werk auf
dem Ratzenschwanz, zwei großen Bastionen beiderseits des Lüneburger Tors und
einem Ravelin zum Schutz des letzteren. Die Geschützzahl ist viel zu gering. Es
sind wohl nur die von GeorgWilhelm für das alte Schloß gleich zuerst
überwiesenen. Schließlich hatte die Festung über 100 Geschütze.
Nach dem Original im Staatsarchiv in Dresden.
Großen Dank scheint Fritsche nicht geerntet zu haben, denn der
Kurfürst läßt ihn in einem Schreiben vom 4. August 1692
hart an. Johann-Georg III. war inzwischen gestorben und sein
Nachfolger Johann-Georg IV. hatte wohl keine rechte Lust mehr zu
dem Unternehmen. Zwar war die dänische Waffenhilfe ihm sicher, teils aus
verwandtschaftlichen Rücksichten, teils aus altem Haß gegen die Weifen, auch
wurde ihm nahegelegt, von Glückstadt aus einen Einfall ins Land Hadeln zu
machen, so daß er kein schwedisches Gebiet betreten brauchte. Immerhin hatte man
doch von vornherein die Hoffnung auf die kaiserliche Entscheidung gesetzt, und
die war sehr zweifelhaft geworden. Der vom Kaiser zum Statthalter bestellte
Baron von Reichenbach stand zugleich in holsteinischen Diensten und hatte einen
v. Ranzau zum Vizestatthalter ernannt. Mit ihm und besonders dem
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"in Otterndorf liegenden widerwärtigen
kaiserlichen Leutnant" kam es zu Streitigkeiten. Anfang 1692 wurde
die Mannschaft in Hadeln bis auf 12 Mann abgedankt, wozu Krosigk
noch einmal von Schönna "runder" reiste. Bald danach ist er anscheinend
verabschiedet und zum Kommandeur eines Regiments Defensioner ernannt, einer Art
Landwehr, die nur im Fall eines Angriffs auf die Heimat einberufen wurde. Als er
sich trotzdem noch um die Hadelnschen Angelegenheiten bekümmerte, verbot ihm das
der Kurfürst in einem ungnädigen Schreiben. Ebenso wurde Fritsche aufgefordert,
von Hamburg nach Otterndorf zurückzugehen. "Wenn, wie er behauptet, die Schweden
ihn dort nicht wieder einlassen, könnte man seine Dienste gar entbehren und er
hiermit seine Dimission haben." Nach drei Wochen war Fritsche trotzdem wieder in
Hamburg, vorgebend, der kaiserliche Leutnant habe ihn herausgedrängt und bei der
scharfen Bewachung käme er schwerlich wieder herein. Mit dem wiederholten
kurfürstlichen Befehl, auf alle Fälle nach Hadeln zurückzugehen, schließt die
Akte.
Das Land Hadeln ist dann später doch an Lüneburg gekommen und Sachsen hat sich
mit Geldabfindung begnügen müssen. Noch später mußte auch Schweden das Stift
Bremen an das Welfenhaus abtreten, dessen zielbewußte und rücksichtslose Politik
somit auf der ganzen Linie gesiegt hatte, da - wie bekannt - auch der dänische
Einfall in Lauenburg 1693 an den Werken der Festung Ratzeburg
gescheitert war.
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