Auf dem hinlänglich bekannten Stiche von
Gerdt Hane "Ratzenburgk" aus dem Jahre 1588
schließt sich an das im Vordergründe sichtbare Schloß die Stadt
an, deren nordwestlicher Teil lange Jahre den Namen "die
Freiheit" führte. Auf dieser lagen neben einer Reihe kleinerer
Einzelhäuser auch fünf Edelhöfe, die unter herrschaftlicher
Gerichtsbarkeit standen und sich des Vorrechts erfreuten, von
städtischen Abgaben befreit zu sein. Als Platz dieser
"burgfreien Häuser" kann das in der nach 1693
erfolgten Neubebauung der durch die Beschießung zerstörten Stadt
entstandene Häusergebiet zwischen Junkern-, Kreuz- und
Töpferstraße angesehen werden. Der im Westen bis an das Seeufer
anstoßende Stadtteil trug später eine Zeitlang, von 1750
bis 1790, einen mit Linden bepflanzten Zierplatz,
der seiner freien und schönen Aussicht wegen "Belvedere" genannt
wurde.
Von einem dieser burgfreien Häuser, heute Junkernstraße 5,
läßt sich durch Urkunden der geschlossene Gang feststellen, in
dem dasselbe durch die Jahrhunderte von Hand zu Hand gegeben
wurde. Das älteste der im Original vorliegenden Dokumente, durch
welche die besonders eigenartigen Besitzverhältnisse des Hauses
nachgewiesen, ist ein Pergamentbrief vom 9. August
1595, die Bestätigung eines vom Herzog Franz dem
Jüngeren am 6. Oktober 1573 an
Barthold Lützow
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auf Seedorf übergebenes Burglehen durch
Kaiser Rudolf II. In diesem ist die ursprüngliche Verleihung, um
deren Bestätigung Lützow seinen kaiserlichen Herrn bittet, mit folgendem
Wortlaut angegeben: "WIR Frantz der Junger, von Gottes gnaden, Herrzog zu
Sachsen, Engern vnnd Westphalen, Thun kundt vnnd bekhennen, hiemit vor vnns,
vnser Erben, Nachkommen vnnd sonst jedermenniglichen, das Wir dem Ehrnvesten,
vnserm lieben getrewen Bertholdt Luzowen zu Sedorff vnd Luzow, das Borchlehen,
welches Jüngster Zeit Rodtmar Schinckhe Zeliger bewohnt, Ime vnnd seinen Erben,
Erblich zugebrauchen, auß gnaden, wegen seiner vnns vilfalttig erzaigten Dienst,
vnnd gehorsamer wilfahrung, geschenket vnnd verehret haben, Schenckhen vnnd
verehren demnach gedachtem Bertholdt Luzowen, vnnd seinen Erben, solches
Borglehen, zur sampt dem stehenden Zimmer, auch aller Zurbehörung vnnd
Gerechtigkeiten, das Er vnnd seine Erben, solches mit aller alter Freyheit zu
Irem aigenem besten nuz vnd vorthail gebrauchen solle, daran Wir, vnnser Erben
vnnd Nachkhommen, Inen vnnd seinen Erben nicht hindern, sondern Sie dabey
schüzen vnnd handhaben wollen, das soll auch vnnd will hinwider Bertholdt Luzow,
Vnns getrew, holdt vnnd gewehrlich sein, vnnser bestes zu jeder Zeit wissen vnnd
befördern, auch schaden, vnnd nachthail, seinem höchsten vermügen nach,
verhüetten vnnd abwenden, da wir seiner In vnnserm Fürstenthumb zugebrauchen
haben, Vnns mit rath vnnd thatt behülflich wesen, vnnd sonsten alle seinen
vermügen, zu befürderung vnnsers nuzes, mit besonderen vleiße anwenden, bey
vnnsern Fürstlichen Würden, vest vnnd wol zuhalten, Zu Vrkhundt, haben Wir
vnnser Fürstlichs Secret hierunder auf das spacium gedrucket, vnnd vnns mit
aigener handt vndergeschriben, Geschehen auf Razeburgkh, Sechsten Octobris, anno
dreyvndsibenzig, Franz der Junger, Herzog zu Sachsen, Engern vnnd Westphalen." -
Bemerkenswert ist, daß die Weitergabe des Burglehns an Barthold Lützow im Jahre
1573 erfolgte, also in einer Zeit, da Franz der Jüngere noch nicht
regierender Herr im Lande war. Die Geschichte unseres Herzogtums, die hier
erläuternd heranzuziehen, weist für jene Jahre Zwist und Kampfhandlungen, an
sich wenig erquicklich und dem Lande wahrlich nicht zu Nutz und Frommen dienend,
zwischen Franz I. und seinen Söhnen Magnus und Franz aus. Im
genannten Jahre blieb unter den dreien Franz II. der Glückliche,
der Erfolgreiche. Mit etlichen 100 Mann zu Fuß und 1500
Hakenschützen erschien er vor Ratzeburg, vorgebend, Magnus sei vom Kaiser in die
Acht erklärt und er mit der Vollziehung derselben beauftragt. Ratzeburg ergab
sich am 24. August, auch Neuhaus und Steinhorst wurden von Herzog
Franz eingenommen. Magnus verlor, so berichtet der Chronist, sein Silbergeschirr
und sein Geschütz, Harnische für 100 Mann und 30
Pferde. Er begab sich über die Elbe und wurde bis Dannenberg verfolgt. Franz
II. forderte nun seinen Vater auf, mit ihm gemeinschaftlich die
Regierung zu führen, dessen sich dieser jedoch weigerte und wegen der
gewaltsamen Einnahme von Ratzeburg kaiserliche Strafbefehle auswirkte. Daß in
diesen Wirren Barthold Lützow dem jungen Herzog nahestand, ist dem Lehnsbrief
nach anzunehmen.
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Doch bleibe die Landesgeschichte in diesem
Zusammenhänge nur kurz gestreift, unser Augenmerk gelte vielmehr dem Geschick
des Hauses, das in die Hände Barthold Lützows übergegangen. Eine zweite Urkunde
gibt hierin weiteren Aufschluß. In einem am 18. August 1649
ausgefertigten Kaufbrief überträgt Barthold Hinrich Lützow, der Enkel des eben
Genannten, mit Vorwissen und Erlaubnis seines Herzogs August sein ererbtes, auf
der "Freyhait oder Teufeley" belegenes Haus an Amandus von Lyntz, des Fürstl.
Nied. Sächs. Hofgerichts protonotarius und Kanzlei-Secretarius. Das Ungemach der
vorherliegenden Jahre hatte auch diesen Besitz nicht verschont und seine Gebäude
für den Abbruch reif werden lassen. Neu erbaut im ersten Friedensjahr nach
dreißigjähriger Notzeit geht das "abpflicht freye, Vnbeschuldete Vndt niemandts
Verschriebene burchfreihe Haus, wie es anitzo an Zimmer Vndt maurarbeit
begrifen, mit aller freyheit, Gerechtigkeiten Vndt Zubehörigen garten, stall
Vndt Wohnung" an den Käufer um einen Preis von 3300 Mark Lübsich
über. Die einzige Einschränkung blieb, daß "weyland Viet Hinrich Lützowen Vittib
Zeit ihres Lebendes darin freyhe Wohnung behalte".
Was an Gedeih und Verderb die Folgezeit der Inselstadt brachte, es ging auch
seine Wege durch die Anwesen auf der Freiheit. 1692 erwarb der
Hofgerichtsassessor Philipp Schlüter von den Erben des inzwischen verstorbenen
Amandus von Lyntz kaufweise das Haus und ließ es mit großen Kosten instand
setzen. Doch war die Freude am Neuhergerichteten nicht von langer Dauer. Herzog
Georg Wilhelm von Lauenburg-Celle, der nach dem Aussterben des lauenburgischen
Herzogshauses im Mannesstamme Land und Stadt unter dem Vorwande eingenommen, als
Kreisoberster Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten zu wollen, richtete sich darauf
ein, es selber zu behalten. Um Ratzeburg zu einer zeitgemäßen Festung
umzuwandeln, ließ er das alte Schloß abbrechen und statt dessen neue
Fortifikationen anlegen. Bei diesen Neuanlagen ward auch, wie das Ratzeburger
Stadtbuch angibt, die "sogenannte Fürstliche Freiheit mit etlichen 20
Häusern eingezogen". Dem Anschein nach hat man, um den Plan zu verwirklichen,
mit der Niederlegung der kleineren Häuser begonnen und die burgfreien
Grundstücke vor der Hand noch verschont. Ganze und schnelle Arbeit machte hier
dann aber die Beschießung der Stadt durch die Dänen in den Tagen vom 21.
bis 23. August 1693. Sie war so wirkungsvoll, daß
außer dem Dom und seiner Umgebung nur die Stadtkirche und fünf Häuser erhalten
blieben. Auch die "Fürstliche Freiheit" bildete nach den Unglückstagen ein
Trümmerfeld,- eine dritte Urkunde, die den Pfad des Lützowschen Hauses weiter
verfolgen läßt, besagt, daß dasselbe in der "anno 1693 erfolgten
bombardirung verlohren". Seinem Besitzer ward, als die Neuanlage der zerstörten
Stadt erfolgte, das Recht eingeräumt, an "anderer Stelle, auf den ihm sub Nr.
167 und 168 angewiesenen Plätzen nahe dem vom Sekretär
Johann Bremsel bewohnten Hause in der Junkernstraße ein Haus, Scheuer und Stall
wieder setzen zu lassen". Die Kosten des Neubaus mußte Schlüter zum größten
Teile selbst bestreiten. Die Gebäude waren bereits 1705 errichtet;
denn am 1. Mai dieses Jahres
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bestätigte Herzog Georg Wilhelm von Celle aus der Sophia
Catharina Schlüter, der Witwe des inzwischen verstorbenen Hofgerichtsassessors
alle "diejenige alte Freyheit, so auf dem von ihrem Mann erkauften, in der
bombardirung verlohrnen Hause gehaftet".
Der nun folgende Besitzer war Pastor Johann Jacob Haccius, der von 1728
bis 1756 auf dem St. Georgsberge amtierte. Er erwarb 1741
das Haus, und auch ihm ward vom Landesherrn alles auf dem Grundstück ruhende
Recht aufs neue belassen und bestätigt. Am 16. Oktober 1741
Unterzeichnete König Georg II. auf seinem Jagdschlosse Linsburg
die Bestätigungsurkunde eigenhändig. Pastor Haccius bewohnte das Haus nicht
selbst, sondern überließ es der Militärbehörde in Pacht, die dasselbe als
Kommandantenwohnung benutzte. Als 1756 Haccius sein Amt aufgab und
nach Lübeck verzog, verkaufte er das Grundstück an den Grafen Friedrich
Kielmansegg, der seit 1752 als Assessor ertraordinarius beim
Hofgericht tätig war. Im Jahre 1754 zum Hofrat ernannt, mußte er
während des siebenjährigen Krieges seines Vaters Familienangelegenheiten
besorgen und die Aufsicht über dessen Güter führen. Beim Einfall der Franzosen
blieb er bei seiner Mutter und seinen Schwestern in Gülzow; später weilte er
wieder in Ratzeburg, flüchtete aber mit seinen Angehörigen, als die Feinde sich
der Elbe näherten, nach Glückstadt. Um 1790 wird als Eigentümer
der Gutsbesitzer Joachim Meyer, der das Gut Weeden bewirtschaftete, und nach
ihm, während der Franzosenjahre, der Postdirektor Lindemann genannt. Im 19.
Jahrhundert diente dann das Haus der Familie von Linstow als Wohnsitz. Unter
ihnen verdient der von 1816 bis 1847 als Forst- und
Jägermeister des Herzogtums tätige Kammerherr Wilhelm Bernhard von Linstow
erwähnt zu werden, weil seiner Fürsorge die Bepflanzung der Demolierung mit den
noch stehenden Linden zu verdanken ist; sein Sohn Hartwig von Linstow, gestorben
21. Oktober 1884, stand als Konsistorialpräsident
und Regierungsrat bis 1876 in lauenburgischen Diensten. Später
bewohnte der Hardesvogt a. D. Theodor von Linstow das Haus Junkernstraße 5
und verstarb hier im Jahre 1891.
Das ist, kurz angegeben, der sich aneinanderschließende Gang, wie er sich in den
Eigentumsrechten dieses früheren burgfreien, später auch kanzleisässigen Hauses
Nachweisen läßt. Die Nachbargebäude auf der alten Freiheit, zur Zeit Bartholds
von Lützow in Händen der Familien Berkenthin und Dalldorf, gingen den gleichen
Weg: auch sie mußten von der Stelle weichen und in die Stadt selbst verlegt
werden. Die Neuzeit brachte auch hier den Wandel. Ein Haus nach dem andern
erwarb, sobald sich die Gelegenheit zum Ankauf bot, die Stadt Ratzeburg und gab
sie kaufweise in Privathände weiter. Dabei ward, wie es erklärlich, das alte
Herkommen der Steuerfreiheit nicht wieder erneuert. Das einstige Vorrecht gehört
heute der Vergangenheit an. -
Mag auch, in Daten und Namen zusammengestellt, obige Betrachtung die Geschichte
des Hauses an der Junkernstraße aus drei Jahrhunderten geben, so fehlt doch,
soll das Bild zur vollen Klarheit sich
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formen, noch vieles. Und was von diesem einen Hause gesagt ist,
es paßt auch auf andere, vor allem auf das Vaterhaus. Erst wenn ich dieses
zurückverfolgen kann in seiner Baugeschichte bis zum Anfang und sie alle kenne,
die dort ein- und ausgingen, Vater und Mutter, meinen Aeltermann und seine in
treuer Arbeit neben ihm stehende Lebensgefährtin - erst dann bekommt mein
Forschen nach Vergangenem wahren Wert.
Ortsgeschichte verbindet sich mit der der Familie. In vorbildlicher Weise hat
Herr B. Raute, dem wir bereits eine fast lückenlose Zusammenstellung der
Neubürger Ratzeburgs aus den Jahren 1601-1871
*) verdanken, eine Registratur sämtlicher Ratzeburger Häuser angelegt
und sucht diese Sammlung, die mit ihren Einzelangaben wertvolle Aufschlüsse
geben kann, zu vervollständigen. Eine schöne Aufgabe, der Beachtung und
Unterstützung wert. Sie enthält für jeden Heimatfreund die Mahnung, nicht säumig
zu sein im Sammeln und Erforschen all dessen, was mit der Geschichte der
einzelnen Wohnstätten seiner Heimatstadt in Verbindung steht. Die Urkunde und
die mündliche Ueberlieferung, sie wollen gelesen, gehört und aufbewahrt sein!
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*) "Die Neubürger der Stadt Ratzeburg von 1601-1871".
Nach archivalischen Quellen bearbeitet von B. Raute. - Lanenburgischer
Heimatverlag, Ratzeburg 1933.
Preis 3,00 RM.
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