Grenzen sind immer Kampfplätze gewesen.
Grenzbewohner haben stets ein hartes, unruhiges Leben gehabt.
Die Krummesser in Nordlauenburg wissen auch ein Lied davon zu
singen, geht doch die lauenburgisch-lübsche Scheide mitten
durchs Dorf. Niemals aber war wohl der Grenzstreit erbitterter
als in jener Zeit um 1600, als Herzog Franz II.
bestrebt war, nicht nur die verworrenen lauenburgischen
Verhältnisse zu ordnen, sondern auch verlorenes
altlauenburgisches Eigentum zurückzugewinnen. Da gegen Ende des
16. Jahrhunderts die Familie Krummesse ausstarb,
machte er das Rückkaufsrecht geltend und rechnete das Dorf ganz
als lauenburgisch und unter seinem Gericht stehend. Als sich die
Besitzerin des Gutes, Frau Margarete von Stiten, unerschrocken
wie sie war, Gewaltmaßnahmen des Herzogs nicht gefallen ließ,
sondern als Lübeckerin bei dem Rat der Hansestadt Schutz suchte,
beeilte sich dieser, ihr mit militärischer Gewalt zum
ungestörten Besitz ihres Hofes zu verhelfen. Jahrelang ging der
Streit hin und her, bis der Herzog auf den alten, festen
Kirchturm von Krummesse ein Geschütz bringen ließ. Man sah
lübscherseits darin eine Entweihung des Gotteshauses, vergaß
aber dabei, daß auf dem Turm St. Nicolai in Mölln, das damals an
Lübeck verpfändet war, auch Geschütze standen. Margarete von
Stiten wußte den Rat zu bewegen, einen ihr untertänigen Bauer -
Schünemann - aus dem Hause jagen zu lassen. Damit die lübschen
Reiter dabei ungestört waren, besetzten sie den Kirchhof, den
Glockenturm und die Küsterei, so daß nicht Sturm geläutet werden
konnte. Als Herzog Franz II. den ihm ergebenen
Bauer wieder einsetzte, antwortete Lübeck mit einem zweiten
Überfall, wobei außer Schünemanns Gehöft auch Krackes Haus
berannt wurde. Dabei fiel ein Schuß, ein Reiter stürzte tot zu
Boden, während die andern "das Hasenpanier wieder nach Lübeck
aufwarfen". Auf Kracke blieb der Verdacht sitzen, der Mörder des
Reiters gewesen zu sein, besaß er doch Rüstung und Gewehre.
Jetzt fühlte sich Frau von Stiten auf ihrem Hof nicht mehr
sicher. Die Rohre auf dem Kirchturm und die Gewehre der Bauern
drohten jeden Augenblick, ihre Herrschaft auf dem Gute zu
stören. Auf ihren Bericht und auf die Meldung vom Tod eines
Reiters glaubte der Rat, den Herzog und die Bauern empfindlich
züchtigen zu müssen.
Der lübsche Hauptmann, Marten von Wesenberg, in seiner Jugend
ein armseliger Zimmermann, erhielt den Befehl, Krummesse zu
bestrafen. "Es wird sich bald ein frischer Tanz begeben", sagte
er am Biertisch zu zwei Trompetern, die er für diesen Zweck
warb.
Am Nachmittag des 31. Oktobers 1608
ließ er seine Soldaten schwören, ihm im Ernstfalle zu folgen im
Leben und Tod. Er selbst führte die Soldaten durch das
Holstentor über den Wall, während die Reiter durchs Mühlentor
die Stadt verlassen. Etwa 400 Mann, auch
bewaffnete Bürger und 12 Zimmerleute gehen bei
Moisling über die
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Fähre. Erst jetzt entwickelt der Befehlshaber
seinen Kriegsplan gegen Krummesse. Genau um Mitternacht erreichen sie das Dorf,
ohne von irgend jemand bemerkt zu werden.
Es ist stockdunkle Nacht. Bauern und Knechte schlafen. Niemand ahnt Unheil. Da
bricht ein Höllenlärm los. Die Zimmerleute schlagen gegen die Tür des
Schünemannschen Hauses. "Ach Gott, ach Gott!" schreit die Hausfrau, die solchen
Überfall schon mehrfach erlebt hat, während der Bauer zum Grobschmied flüchtet,
in die Bettdecke gehüllt, und sich versteckt. Die auf die Diele seines Hauses
eindringenden Soldaten suchen ihn. "Wo ist dein Vater?" herrschen sie den
zwölfjährigen Buben an, der erschrocken jammert: "Nach Ratzeburg verreiset". Der
jüngste, 7 Jahre alte Sohn aber gesteht, sein Vater habe sich im
Backofen verkrochen. Schrecklich klingt das Wehklagen der Knaben, die man über
das brennende Stroh hielt, um eine Aussage zu erpressen, und der gellende Schrei
der Mutter. Nun wird Pulver entzündet und Haus und Backofen eingeäschert. Kein
Stein blieb auf dem andern. Den Bauer fand man nicht. Ob man auch seinem Weibe,
das mit einem Kindlein auf einem Stuhl gesessen, zweimal einen Strick um den
Hals geworfen und bei den Haaren zu Boden gerissen, sie hatte den Mann nicht
verraten. Aus Wut aber hatten die Soldaten alles Eßbare, Mobilien, Kleider und
Geräte geraubt. Die Pferde, Ochsen, Kühe, Schweine, Kälber, Gänse, Hühner
verbrannten mit Brüllen und Klagen elend in der Feuersbrunst.
Unter dem Hohngeschrei: "Sieh nun, Bauer," stürmten die Räuber mit Feuerbränden
auf den Spießen zum Kirchhof, wo der Hauptmann mit seinen Soldaten stand. Die
Zimmerleute schlugen die Kirchtür am Altarraum auf und die Schlösser ab. In das
Heiligtum stürmten die Wilden, schossen durch das Wappenfenster in der Mitte
hinter dem Altar, das Franz I. gestiftet, und zerschlugen so den
Helmdeckel des herzoglichen Wappens. Dann erbrachen sie Tür und Schloß des
Turms, stürmten die Treppen hinauf; die doppelten Haken (Geschütz) wurden
losgeschossen und heruntergeworfen, die z. T. hernach nach Lübeck geführt
wurden. Auf der Schwelle am Altare entluden einige Tempelschänder "den Unflat
ihres Leibes" und steckten einen Fleischspieß hindurch.
Nach solchen Heldentaten lief die Soldateska zur Schmiede und brach mit Gebrüll
durch Türen und Fenster, die zerschlagen wurden. Dabei gingen auch zwei
Tafelfenster mit Wappen in der Wohnstube in Scherben. Das ganze Haus wurde
beschossen und ausgeraubt, selbst die darin mitwohnenden Almosenempfänger wurden
nicht verschont. Am meisten aber litt die hochschwangere Ehefrau des
Grobschmieds, die, von den Soldaten verfolgt, über einen Hofzaun flüchtete, und
als sie um ein Laken bat, ausgelacht und angefahren wurde: "Du Hure, packe dich
hinweg!" Sie litt noch lange an Schwermut, so daß sie nicht vereidigt werden
konnte, als sie später als Zeugin vernommen wurde.
Endlich stattete man noch dem abwesenden Bauern Kracke einen nächtlichen Besuch
ab. 8 mit adligen und bürgerlichen Wappen versehene
Fensterscheiben im Vorhaus samt "viel Rauten", desgleichen
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6 in der Stube, schlug man
heraus, nachdem die Soldaten die Türen mit Äxten bearbeitet und mit Spießen
gestoßen, ohne Eingang zu finden. Durch die zerschlagenen Fenster drangen sie
ins Haus und in die kleine Stube ein. Einer schrie: "Allhie ist der Schelm, der
Mörder," ein anderer schoß neben der Hausfrau auf den Boden. Geraubt wurde
alles, was man brauchen konnte: Geld, Kleider, Leinen, Lebensmittel, so daß
hernach der Bauer sich und seine Familie nicht kleiden konnte.
Unterdessen hatte das Gros mit "Musqueten und Lunten" auf dem Kirchhof, beim
Pfarrhause und auf der Straße gehalten. Die Pferde stampften auf den Gräbern der
Toten, und das rohe Gelächter der Übermütigen übertönte das Wehklagen der mit
einem Schlage um Haus und Nahrung gebrachten Familien.
Lübeck hatte Rache an Herzog und Bauernschaft, ja an den Dorfarmen genommen,
Frauen und Kinder, ja selbst das Heiligtum der Kirche nicht geschont; nun
sammelte der Hauptmann seine Reiter und Fußsoldaten. Unter dem Geschmetter der
Trompeten und dem Gebrüll von Spottliedern marschierte man ab und hielt am
Morgen des 1. Novembers triumphierend Einzug durch das Mühlentor
der Hansestadt, deren Rat sich freute, dem Lauenburger eins ausgewischt zu
haben.
Wenn aber die Krummesser jetzt glaubten, Ruhe zu haben, so waren sie im Irrtum.
Pastor Caspar Beneke jedenfalls schlief in den nächsten Nächten den Schlaf des
Gerechten, auch sein Weib und seine Kinder, als am Donnerstag nach dem Überfall
heftig an seine Haustür geschlagen wurde. Da stand Hans Hacke und rief: "Feuer!"
Lichterloh brannte das Pfarrhaus. Von dem Lärm erwacht, sprangen Frau und Kinder
aus den Betten. Der Pastor griff nach der Bibel und einigen Büchern und eilte
mit den Seinen, nur das nackte Leben rettend, aus dem Hause. Da sprangen die
Funken auch schon zum Kirchturm hinüber und auf Hans Bahres Strohdach. Bis auf
die Mauern brannte der Turm nieder. 3 Glocken, zerschmelzend,
stürzten herunter, ebenso die Spitze des Turms, die sich in die Gräber der Toten
bohrte. 2 Kelche, die der Pastor neulich aus der Kirche in die
Pfarre genommen, um sie vor den Räubern zu retten, zerschmolzen zum Teil im
brennenden Pfarrhause, das ebenso wie Bahres Haus völlig abbrannte.
Der Herzog verklagte Lübeck wegen Landfriedensbruchs, während Lübeck die Sache
der Frau von Stiten und seine Rechte auf Krummesse verteidigte. Gesühnt wurde
der offenbare Landfriedensbruch nicht. Frau von Stiten, jene "unartige
Bürgerin", und der Herzog starben darüber hin ... Später wurde die Rechtsfrage
wegen des Hofes des lübschen Adels zugunsten Lübecks entschieden.
Man kann indessen noch mancherlei nebenher aus der im Lübecker Stadtarchiv
"Sachsen-Lauenburg Vol. V" aufbewahrten, dicken Prozeßakte
entnehmen.
Man lernt eine Anzahl der Dorfbewohner, die herzogtreu erscheinen, näher kennen,
den 33 Jahre alten Pastor Caspar Beneke, der Weib und Kinder hat,
vor allem die Bibel aus dem Brande rettet
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und keinen Gottesdienst halten kann, weil
Chorrock und Mantel verbrannt sind; dann den Küster, den 25 Jahre
alten Arend Deding, der den Schlüssel zum Turm verwahrt und vom Kuhstallfenster
aus Zeuge der Verwüstung des Friedhofs wird; den Bauern Hans Scheunemann
(Schünemann), über 60 Jahre alt, Vater einer verlobten Tochter,
der alles "Geräte" geraubt wird, zweier Knaben, 12 und
7
Jahre alt, und eines kleinen Kindes; den Bauern Hans Sehmann, Marcus Sehmann
und Heinrich Sehmann, alle drei je 40 Jahre alt; den Grobschmied
Hans Bergmann und seine Ehefrau Engel Vollers, beide 30 Jahre alt;
Georg Hacke, 50 Jahre alt, der durch seinen Weckruf die
Pastorsfamilie vor dem Feuertode rettet; Gerlach Biltzing, 60
Jahre alt; den 50 Jahre alten Bauer Hans Bahre, dessen Haus
abgebrannt; den reichen Bauer Franz Kracke und dessen Ehefrau Anna Witfelts, ER
40, SIE 30 Jahre alt, der im Verdacht des Mordes
steht und alles verliert; den über 40 Jahre alten Philipp Löber;
endlich einen Alten und die an "Gemütsblödigkeit" leidende, über 40
Jahre alte Catarina Gilgas, beide Ortsarme, die beim Grobschmied wohnen.
Man erfährt auch, was damals eine solche Ortsarme an Sachen besaß. In ihrem
Kasten, den die Soldaten auf der Straße aufspalteten, verwahrte sie: 1
Heucke, Wandrock, Decke, Bettlaken, 5 Schürztücher, 3
Krausen, 1 paar Überhemden, 1 Wandesbruststück, was
ihr "gestohlen" wurde.
Was dagegen gehörte zum Inventar der Frau des Grobschmieds? 1
Frauen-Heucken, daran ein silbern Geschmeide verguldet, 3 Tlr.
wert! 2 wandgefaldene Rocke, 6 Bettlaken, 6
Kussenbuhren, 3 Bunde Handquellen, 4 Frauenhemden,
4 Schurztücher, 6 Krausen, 3
Stuhlkissen, 4 Tischlaken, Bruststück u. a. Zeug; ferner: 5
große, 1 kleine zinnerne Schüssel, 2 zinnerne
Quartierkannen, 1 großer Krug mit zinnernem Deckel, 3
Kessel, 1 großer Grapen, ein kleiner zinnerner Salzir. 4
M. an Silbergroschen nahmen die Soldaten außerdem mit.
Am wohlhabendsten war der wehrhafte Bauer Franz Kracke. Nicht weniger als
14 Fensterscheiben, Geschenke adliger und bürgerlicher Personen,
schmückten Vorhaus und Stube. Er besaß an Waffen: 1 Sturmhaube mit
Wappen der Herzogin, 1 Karabiner, 1 Rappier, 1
Sattel und Zaun; an Hausgeräten: 12 silberne Löffel, 20
mess. Grapen, 3 kupf. Kessel, 1 mess. Handfaß,
2 große Messingbecken, 8 große zinnerne Schüssel (in
der Stube), 1 mess. Krone, 4 mess. Tafelkränze,
9 große zinnerne Schüssel, 10 gemeine Teller, 2
große, 2 kleine zinnerne Schalen, 9 stubichen Kannen
von der Bort im Hause, 16 gemeine Schüssel aus der Küche, außerdem
8 halbe stubichen Kannen, 9 Quartierkannen, 2
Planken, 4 zinnerne Salzir, eine Axe. Man kann sich auch ein Bild
von seiner und seiner Frau Kleidung machen, wenn man das von ihm aufgestellte
Verzeichnis des Geraubten durchgeht: 1 Tripen Wammes, 1
paar englische Buxes mit Schnüren besetzet, 1 paar gestrickte
Strümpfe, 2 englische Frauenröcke mit Triep besetzt, eine sammet
mit Schnüren besetzte Frauenhülle, ein neuer Kinderhut, 4 paar
flechsen Bettlaken von 3 Breiten, 5 paar Heiden in
flechsen Bettlaken, 6 getrollete Tischtücher, vier flechsen,
6 Heiden Tischtücher, 12 Manneshemden, 10
Ober- und nieder Frauenhemden,
1935/4 - 114
1935/4 - 115
12 Manneskrausen, 10
Frauenhalstücher, 10 flechsen, 5 Heiden Frauen
Schurztücher, 10 Handquelen, 8 Bettkissenbuhren,
10 Tücher, 3 paar Wiegenlaken, 4
Kinderhemden, 4 Krausen, 4 Stuhlkissen und flämische
Bühren, 24 Ellen zu 6 Quartier Kleinkragen Leinwand.
An Geld verlor er 40 Rtlr., 2 doppelte, 3
einfache ungarische Dukaten, 30 M. Biergeld, 6 Mark
Lüb. Pf., Kirchengeld! An Viktualien: 20 Seiten Speck, Rinderwurst
von 4 Ochsen, 2 Schock Hering. Kracke war ohne
Zweifel ein reicher Mann, der nun mit einem Schlage verarmte.
Schließlich erfährt man Neues von der Kirche. Im mittleren, großen Fenster
hinter dem Altare befand sich eine mit dem Namen des Herzogs Franz I.
versehene gestiftete Fensterscheibe. Im Turm hingen 3 Glocken, in der Kirche
verwahrte man 2 Kelche. In der Schreckenswoche des Novembers
1608 gingen neben dem mit einer Spitze versehenen Turm die Glocken,
die Fensterscheibe und die Kelche zum Teil verloren. Außerdem brannte das
Pfarrhaus nieder, wo der Brand in der Abseite nach der Stecknitz zu ausgekommen
war. Man vermutete als Brandstifter einen Lübecker. Der Pastor trug, wie heute
noch die Lübecker Pastoren, Chorrock und Mantel.
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