In dem vorangehenden
Aufsatz über die Julzeit im Lauenburger Land ist uraltes
Glaubensgut berührt. Vieles davon wird in seinem Sinn nicht mehr
verstanden, anderes harrt noch der genaueren Erkundung. Doch zu
allermeist wird es nicht mehr geglaubt; denn jene
Vorstellungswelt ist ungemein "kulturflüchtig". Die eingehende
Darstellung der Volksglaubensreste will natürlich keinen neuen
Glauben wecken; sie soll aber Ehrfurcht bewahren helfen und
möchte auf keinen Fall die Dinge als "alten Hühnerglauben"
angesehen oder ironisiert wissen. Die folgenden Zeilen wollen
darum denen dienen, die ihr Volksgut lieben und dennoch die
Frage nach dem darin vorhandenen Wahrheitsgehalt nicht
unterdrücken mögen. Was hat es mit der "Vorschau" auf künftige
Ereignisse auf sich? Wie kommt es, daß die Erscheinungen des
'Wau' immer wieder erlebt wurden? Wie kann ein Spökenkieker
einen "Leichenzug" vorhersehen? Allgemein gefaßt: KANN
ES "GESICHTE" GEBEN? WENN JA, WIE STEHT ES UM DEN WAHRHEITSGEHALT
SOLCHER ERSCHEINUNGEN?
Es ist soeben ein Werk erschienen,
das ausführlich das "Zweite Gesicht" in Niederdeutschland nach
seinem Wesen und Wahrheitsgehalt behandelt 1).
Der Verfasser DR. Schmeïng ist Niederdeutscher. Er hat von seiner
Jugend her den von ihm behandelten Fragen nachgehangen. Mit
Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat er nun
die Erzählungen vom Vorschauen zukünftiger Ereignisse, wie sie
auf unserm Gebiete umgehen, durchdacht; er hat die Vorschauer
ausgesucht, sich mit ihnen unterhalten und hat sie auch in ihrer
Beanlagung in wissenschaftlichem Verfahren geprüft. Das Ergebnis
liegt vor.
Der Glaube an die Vorschau ist weit
verbreitet. "Das Vorschauen ist innerhalb Deutschlands im
wesentlichen eine niederdeutsche Eigenschaft." Es gibt Tausende
von Erzählungen dazu. Der Glaube an das Vorschauen hat ein
Hochgebiet zwischen der Ems und der Lüneburger Heide. Auch
Schleswig-Holstein und Lauenburg gehören zu den bevorzugten
Gebieten. Unser Volkskundler G. Fr. Meyer-Kiel besitzt eine
Sammlung solcher Vorschauerzählungen, und eine von diesen, aus
Lauenburg ausgenommen, die auch von Schmeïng benutzt wird (S.
140), sei hier zur Verdeutlichung des
Tatbestandes als Beispiel wiedergegeben:
"In Seedörp is
mal een abends över den Kirchhof gahn, un dor süht he, dor gravt
einer an'n Graff. He geiht dar ran un fragt: 'Wat gravst du hier
denn so lat an'n Abend?' 'Dar schast du rin', seggt de anner. He
verfehrt sik, geiht to Hus, ward krank un blifft dod."
Es
handelt sich hier um ein Vorgesicht ganz besonderer Art.
_______________
1) Das "Zweite
Gesicht" in Niederdeutschland. Wesen und Wahrheitsgehalt. Von
DR. Karl Schmeïng. (Barth, Leipzig 1937.
200 S. Preis 10,50
RM.) Zitierte Stellen sind in Anführungszeichen gesetzt
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Der Schauende sieht sein eigenes Grab. "Er
stirbt nicht, weil sein Todestermin schon schicksalshaft
feststeht", sondern er selbst stellt durch sein Vorgesicht die
Uhr seines Lebens auf die bestimmte Stunde.
Einen
tieferen Einblick in das Wesen solcher Vorschangesichte haben
erst die letzten Jahrzehnte gebracht in Gestalt der eidetischen
Forschungen. Was versteht man unter der "eidetischen"
Befähigung, der Anlage zum "Bildschauen"?
"Eines Tages
erzählte ein elfjähriger Schüler auf Grund einer
Beobachtungsaufgabe, wie eine Kreuzspinne ihr Netz anlegt. Die
Schilderung des Jungen war lebendig und geradezu dramatisch. Es
fiel auf, daß der Schüler dabei aufmerksam beobachtend zur
Wandtafel blickte. Auf meine Frage: 'Warum siehst du dauernd zur
Tafel?' antwortete er: 'Da sehe ich es besser'. 'Was denn?' 'Die
Spinne mit dem Netz.' Der Schüler gab dann auf Verlangen die
Stelle der Tafel genau an, an der er das Anschauungsbild des
Netzes sah; auch die Spinne hatte ihren jeweils bestimmten Ort,
wie er durch den Fortgang ihrer Tätigkeit bestimmt war. -
Die ganze Netzanlage, so wie er sie am Tage vorher in der freien
Natur beobachtet hatte, vollzog sich hier vor ihm aufs neue im
Bilde."
Dieser Bericht des Psychologen Kroh ist oft in
der Literatur wiedergegeben worden. Er zeigt uns einen Knaben,
der imstande ist, einen früher beobachteten Vorgang in seiner
ganzen Bewegung wiederzusehen, obgleich er schon vergangen ist.
Er schildert, was er "sieht" und was dennoch nicht
gegenständlich da ist. Es ist ein "Bildschauer", ein Eidetiker.
Es gibt aber auch Eidetiker, die imstande sind, auch ohne einen
vorherigen äußern Vorgang rein aus der Einbildungskraft heraus
etwas zu sehen, und zwar so deutlich, daß das Bild nicht von der
Wirklichkeit unterscheidbar ist. Kinder können bei
entsprechender Anlage namentlich im Dämmerdunkel Gestalten sehen
in voller Deutlichkeit, obwohl es sich nur um Bilder ihrer
Phantasie handelt. Schmeïng hat sich nun die Frage gestellt, ob
die 'Vorschauer' als Personen mit solch eidetischer Anlage
anzusehen seien. Auf Grund seiner Untersuchungen hat er
folgendes gefunden:
Die Vorschauer sind erwachsene Eidetiker.
Grundsätzlich muß man ihre 'Gesichte' anerkennen. Die
eidetischen Kinder trennen meist ihre Wahrnehmungen und
Vorstellungsbilder nicht deutlich - sie sehen, was sie
denken - sie durchleben eine Einheitsphase. Bei den
"Vorschauern" trennen sich in der Reifezeit die eidetischen
Vorgänge von der Wahrnehmung des Wirklichen. Der Vorschauer
erkennt seine "Gesichte". Daher berichten die Vorschauer zumeist
von einem solchen Erlebnis, in dem ihnen ihre besondere Begabung - oft mit Schrecken - aufgegangen ist. Das Erlebnis
erscheint ihnen dann entweder als eine Erhöhung oder als eine
Bedrückung ihres Daseins. Oft bleiben es aufwühlende Erlebnisse,
so oft sie auch dem Schauenden begegnen; manchmal stehen sie wie
eine fremde Welt dem Gefühl des Schauenden gegenüber.
Auch manche Erwachsenen haben diese Fähigkeit. Frenssen gehört
dazu. Er erzählt in seinen "Grübeleien": Das waren böse Stunden,
als Maria Land - in den 'Drei Getreuen' - am Wehl
kniete.
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Ich erinnere mich, daß ich immer an dem Tisch
vorbei hin und her ging, weil sie da an der Schwelle der Tür lag
und mit der Welt, die zu hart für sie war, den letzten Kampf
kämpfte, in dem sie unterlag. Man möchte dann gern helfen) aber
man ist machtlos. Man ist armseliger Zuschauer. Man darf
nicht einmal ein armselig Wörtlein dazwischenreden; man ist
stumm. Ein stummer Protokollführer. Und man führt das Protokoll
um so besser, je kälter und ruhiger Blut man in solcher Stunde
zu bewahren weiß."
Die eidetische Befähigung eignet zumeist Kindern
und ist bei ihnen nicht als abnorm anzusehen 2). Mit der
Reifezeit klingen die Erscheinungen meistens ab und hören auf;
erwachsene Eidetiker sind selten.
Wenn auch jeder 'Vorschauer' ein Eidetiker
ist, so ist doch nicht jeder Eidetiker ein Vorschauer. In
Niederdeutschland aber gibt es mehr solcher Seher als anderswo,
und "eigenartig bleibt hier auch die einseitige Auswahl
depressiver Motive". Unter allem, was dafür bestimmend sein
könnte, betont Schmeïng besonders die rassische Grundlage. Er
stellt darüber eine Arbeitshypothesc auf, die hier des großen
Interesses wegen
wörtlich wiedergegeben werden soll (S. 117):
"Die eidetische Anlage ist - - - eine nahezu normal auftretende Erscheinung des Kindes- und
Jugendalters. Wenn sie bei Erwachsenen auftritt, so haben sich
diese insofern ein Stück Jugend erhalten. - - - Der
nordische Typus weist nun überhaupt eine Reihe von Merkmalen
auf, die einem bestimmten Jugendtypus entsprechen. Körperlich
die schmale Gestalt mit langen Gliedmaßen, die Helligkeit des
Haares, die feine Hautfarbe; seelisch die unruhige,
abenteuerlustige Stimmung, Stolz, Trotz, Verschlossenheit,
Neigung zur Selbstbehauptung der eigenen Person in Verbindung
mit der Einordnung in übergeordnete Gemeinschaft;
Willensbetonung, Tapferkeit, Idealismus und, in polarer
Gegenstellung dazu, Neigung zu Träumerei, Schwermut, Mystik, zur
seelischen Einsamkeit. Der Nordische wird mit der Welt nicht
immer ganz fertig, selbst dann nicht, wenn er sie durch Leistung
unterwirft; man lernt ihn auch nie ganz durchschauen, es bleiben
immer noch verhaltene Hintergründe. - - - Im allgemeinen
ist daher die nordische Rasse als ein Typus anzusehen,
in dem sich Jugendmerkmale in
verschiedenen charakteristischen Eigentümlichkeiten besonders
zahlreich erhalten haben. - - - Eines dieser
erhalten gebliebenen Jugendmerkmale wäre
denn auch die stärkere und häufigere Erhaltung der eidetischen
Jugendanlage als Basis für die im Norden heimische Erscheinung
des Zweiten Gesichts in der Form der Vorschau."
Der reiche Inhalt des
Schmeïngschen Werkes kann hier nicht voll angedeutet werden. Wer
die zahlreichen mit dem Thema zu- _______________
2) Ich
habe, angeregt durch experimentelle Vorträge von Prof. Jaensch-Marburg,
auch aus und in unserm Kreise vor einem Jahrzehnt einige Kinder
als eidetische vorgeführt. Lehrer und Eltern sollten in solchem
Fall Bescheid wissen. Falsch wäre es aber, von solcher Begabung
Aufhebens zu machen oder den Unterricht darauf einzustellen. Man
hat anderswo Beispiele einer üblen Entwicklung erfahren müssen.
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sammenhängenden Probleme kennen lernen und
studieren will, muß das Buch selbst in die Hand nehmen; es ist
auf seinem Gebiet unentbehrlich als ein sachkundiger und
sachlicher Führer. Uns sollte die Darstellung einiger
Gedankengänge des Forschers nur eine schlichte Einführung sein
in Zusammenhänge, die uns von der Volkskunde her beschäftigen.
Zum Schluß
berühren wir noch die eigentliche Frage nach dem Wahrheitsgehalt
der Erscheinungen. Das geschaute Bild ist für den Schauenden in
der Tat vorhanden; dennoch entspricht ihm nichts in der
Wirklichkeit. Der Anschein trügt. Es kann also der Schauende zu
einem "EHRLICHEN IRRTUM" kommen. "Ein Kind, das vom Teufel hört,
sieht auch den Teufel, wenn es selber ein Eidetiker ist. Da es
den Teufel sieht, überzeugt es sich wieder von seiner
leibhaftigen Existenz. Das wieder stärkt seinen Glauben und
ergibt seelische Voraussetzungen für neue Gesichte. Der Irrtum
bestätigt sich immer wieder von neuem; der Zirkel, den man als
'EIDETISCHEN ZIRKEL' bezeichnen kann, ist geschlossen." Man kann
sich danach vorstellen, wie in der persönlichen Entwicklung des
Schauenden, aber auch in der Entwicklung der menschlichen
Gemeinschaft um ihn eine ganze Vorstellungswelt von Geistern und
merkwürdigen Vorgängen aufwachsen und fanatisch geglaubt werden
kann.
Was in
solchen geschauten Bildern wirklich gesehen wird, was eine
leibhaftige Wirklichkeit für den Schauenden hat, obwohl ihm
nichts draußen entspricht, das rührt aus dem Innern des
Vorschauers her. Wie dies sich begibt, was sich in seinem Innern
abspielt, braucht ihm nicht bekannt zu sein; denn wir alle haben
keinerlei Einblick in unser unbewußtes Seelenleben. Warum wir
gerade dieses oder jenes denken, schließen, glauben, braucht uns
in seinem Einzelverlauf gar nicht bewußt zu sein. Dennoch rührt
es aus uns her. Aus solchen unbewußten Vorgängen tauchen auch
die Bilder der 'Vorschauer' auf. Wie nun im Innern des
Vorschauers, in seinem Seelenleben Wahrheit und Irrtum sich
mischen können, so kann auch das geschaute Bild Wahrheit und
Irrtum für die Erkenntnis enthalten; ein unterscheidendes
Merkmal ist uns dafür nicht gegeben. Ist der Vorschauer ein
Mensch von seelischer Tiefe und Kraft, so wird auch sein
"Gesicht" eine "sichere Schau", eine "schöpferische Leistung"
sein können. Er ist dann ein echter Seher.
Handelt es sich um die
Zukunftsschau, so mag auch auf Grund unbewußten Urteils über ein
zukünftiges Ereignis, etwa über einen Todesfall, der Schauer
wirklich Eintretendes bildlich voraussehen - die Tausende
von Versagern wird niemand des Erzählens wert halten, sondern
nur jenen zutreffenden Einzelfall.
So etwa zeichnet Schmeïng die Probleme der
Vorschau und der Vorschauer, jenes "gequälten Geschlechts der
Seher der Nacht".
II.
Nach dem Einblick in die Forschung wird mancher
merkwürdige Brauch auf volkskundlichem Gebiet verständlich. Man
begreift, daß junge Leute, die in der Erregung der Neu
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jahrsnacht im Erblaken zum Dachgiebel
hinaufschauen, um in die Zukunft zu blicken, tatsächlich etwas
sehen können, dann nämlich, wenn sie solche "Bildschauer" sind.
Kein Wunder, daß bei der Besonderheit der auserlesenen,
gewissermaßen vorgeschriebenen Motive (Tod, Geburt, Hochzeit,
Feuer) auch wohl tatsächlich das Geschaute eintritt.
Auch
das Liebesorakel wird verständlich. Jenes Mädchen, das in der
Nacht nackt und gebückt zwischen den Beinen hindurch schaut,
sieht schließlich das, was es so sehr fürchtet, zu sehen,
nämlich den Teufel. Weil es ihn sieht, glaubt es um so fester
und stirbt an seinem Glauben. Einmal geschehen, durch den Tod
als wahrhaft erwiesen, wandert die Geschichte glaubenzeugend und
warnend im Volke weiter.
Ebenso wird man die Erzählungen
vom Erscheinen des wilden Jägers auf solche Erlebnisse
zurückführen können. Wer solche Erzählungen hörte, sich in
seiner Einbildungskraft damit beschäftigte, der mochte beim
nächtlichen Sturm in der Einsamkeit draußen, beim Heulen und
Brausen wohl die wilde Jagd ziehen hören und sehen - falls
er eben die besondere Begabung des Bildschauers hatte. Er mochte
in seinem "ehrlichen Irrtum" davon erzählen, und das mochte den
Wodenglauben aufs stärkste nähren. Wir können uns also das
WEITERLEBEN der Waugeschichten wohl klarmachen. Wenn aber
Schmeïng in seinem Buch S. 30 meint, daß diese Verhältnisse auch
bei der "ENTSTEHUNG des Mythos vom Wilden Jäger wohl mitgewirkt"
hätten, so haben wir im vorangehenden Aufsatz über die Julzeit
dargetan, daß wir, was die ENTSTEHUNG anlangt, ganz anderen
Vorstellungen nachgehen müssen.
Am meisten beschäftigt
uns aber die Frage nach einem eigentlichen Vorschauer. Unsere
Landschaft gehört zu den bevorzugten Gebieten. 50-75
% der
Fragen des "Volkskundeatlas" nach diesem Gegenstand wurden in
unserm Kreis bejahend beantwortet 3).
Der GLAUBEN an die
Vorschau besteht also. Gibt es aber, abgesehen von allen kleinen
Erzählungen, heute noch einen Vorschauer unter uns? Trotz
jahrelanger Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand ist mir nur
einer bekannt geworden. Es ist der "alte Johann". Ich habe ihn
nicht selbst kennen lernen können; nur durch einen jüngeren
Mittelsmann, der ihm vertraut war, habe ich von ihm erfahren.
Aus naheliegenden Gründen kann der Name nicht bekanntgegeben
werden. Wir können unsern alten Johann daher nur durch seine
Erzählungen einführen.
Gesichte des alten Johann.
1. In min jung Juadn arbee ick ubm Wullnooer
Hof 4). Wat bei Inspekder dua weur, dei rei jümme 'n
Schimmel. Ins ein'n Abend 5) güng ick Klock
henne teedn bäd elm
von Trenthoß na Wullnoo. Ubm halbm Weg'n käum duad'n Riere her
tau spalken. Ick sprüng flink an dei Sied. Duamit spalk hei ok
all an mi vöbie. Do feig ick dat, dat weur je dei Inspekder ub
sin'n Schimmel, dei rei, as wenn ________________
3)
Vgl. Karte bei Schmeïng S. 13.
4) Hof Wulmenau. 5) Einmal
an einem Abend.
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dei Düwul achder em weur. Ick reit flink noch bei
Klodd 6) von'n Kopp. Dunneja, dach ick, Wat hedd
dei Inspekder
vönabend noch so laat tau rieden! Schull duar Wat pessiert
wäsen! Hei mag nad'n Dokder wülln? Mid so'n Gedank'n güng ick
wiere. As ick ind Dörp keum, feig ick dua in'n Kraug noch Lich
brenn'n. Schaß mal ringaan, dach ick, kann wäsen, dat du dua tau
wäten kriß, wat dua eilich 7) los is.
Un do sä dei Kräuge tau
mi: "Heß all hüat, vüad'n half Stunn is dei Inspekder von'n
Hoff inslaapn."
2. Ick kreig jümmer min Teikens. Einmal
hüar ick nachs dei Klock'n gans dull lüdn, dat weur so Klock henne twölf. Do weck ick Murre un freug ihr, wat sei dei Klock'n
nich lüdn hüan kunn. "Wat heß du all werre," sä sei, "slap man
wiere." "Murre," sä ick, "sei lüd gans hell, schaß sein, dei lüt
Heine läv man veiertedn Daag mia." Veiertedn Daag laater bleiv
dei Jung dod.
3. As uns Paula dod bliebm de, kreig ick ok
werre min Teik'n. Ick dröm, ick weur bid Ketüffelpurren. Ick
harr man'n puar mia nah, öwer ick kunn ihr nich mia in dei Kiep
laten. Ick harr dei Kiep all ubhüp, öwe sei läupen mi jümme
werre rut ut dei Kiep. Do weck ick Murre ub un vetell ihr dat un
sä tau ihr: "Dat is'n gans flinkn Dod'n, Paula läv man drei Daag
mia. Un Paula wür ubm mal krank un bleiv na drei Daag dod.
(Paula war ein früheres Pflegekind des Vorschauers.)
4.
Ick heff ok mal sein, dat sik ein mit'n Düwul sleug. Ick sleug
'n lütn Inn 8) von dat Hus af an dei Straat Stein. Do
seig ick
mit'n mal den Bunt'n 9) an dat Hus langlopen. Hei leup ganz krumm,
dei ein Hand hüll hei babm Kopp, ok'n Arfbuß 10) släp hei achder
sick ran. Un achder em leup dei Düwul, ok'n Arfbuß in 'ne Hand,
un duamit sleug hei ub den Bunt'n los. Dat güng so bät an'n
Tinnsinn 11). Do drehdn sei sik bee
12) üm un nu kreig dei Düwul sin
Drach. So läupen sei mihrmal trüch un vörs, mal kreig dei Buer
sin Släg un denn dei Düwul. Tuletz seig ick ihr nich mihr. Dei
Lüd säd'n je, hei harr sin'n Braurer mit'n Hamer dodslagn.
5. Bi den ol'n Kaths ut Schißraa
13) kreig ick ok min Teik'n.
Do weuk ick nachs ub un seig üner uns Klock 'n liecherloh Füe
brenn'n. Von uns Bedd inne Slaapkame kunn ick gra na dei Klock
henkiek'n. Ick weck Murre ub un freug ihr, wat sei dat Füe nich
brenn'n sein kunn. Sei kunn öwe nix sein. "Murre," sä ick,
"Kaths läw noch veietedn Daag, denn bliv hei dod." Kaths kreig
na veietedn Daag 'n Slag un weu dod.
6.
Uns Hannis miel
sik ok dörch'n Teik'n an. As wi abends in't Bett liegen dedn,
güng uns Hannis achdert Slaapkamerfinster _______________
6) Die Mütze. 7) eigentlich,
8) Ende. 9) Der
'Bunte' war ein Bauer aus einem andern Dorf; er soll hier nicht genannt werden.
10) Erbsenbusch. 11) Ende des Hauses - to Endes Ende.
12) beide. 13) Sierksrade.
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lang un balle dreimal an dei Kökendüa. Do sä ick
gliek tau Murre: "Nu is uns Hannis dod." N ' puar Daag later
kreigen wi von dat Lazarett 'n Breif, dat Hannis denn un denn
Dag in't Lazarett storben weur, un dat abends Klock elm.
*
Die erste Erzählung ist wohl das
Eingangserlebnis, an dem unserm Johann seine besondere Anlage
aufgegangen ist. Die Erscheinung ist ein Augenerlebnis von
solchem Leibhaftigkeitscharakter, daß der Vorschauer zur Seite
springt und die Mütze, der Sitte geziemend, vor dem Inspektor
vom Kopfe reißt. In Gedanken darüber, was den Reiter bewegen
möge, sucht er den Krug auf. Offenbar kannte er vorher seine
Anlage noch nicht, wußte noch nicht, daß es sich um ein Gesicht
handelte. Die Nachricht im Krug wird ihn aufgeklärt haben. Wie
er sich nun verhielt, erzählt er nicht. Nach seinem spätern
Verhalten zu urteilen, wird er das "Gesicht" für sich behalten
haben. Wenn nicht, dann hat er vielleicht an diesem einen
Erlebnis gelernt, daß es nicht immer gut ist, aufzufallen, ein
Speukenkieker zu sein, ein Künder trauriger Gesichte.
Die
zweite Geschichte ist wieder ein nächtliches Erlebnis, diesmal
hört er: die Glocken läuten hell. Stilles, unbewußtes Sorgen um
'denn lüttn Heine', ein unbewußtes Erahnen seines baldigen Todes
wird dem Vater zum 'Vorhören', das ihm Kunde der Zukunft sein
muß. Die Kunde bestätigt sich: der Vater hat richtig gesorgt,
gefühlt, geahnt, wenn ihm auch der Anlaß zu seinem Erlebnis
nicht einsichtig ist.
Ein drittes Gesicht meldet den Tod
der Pflegetochter. Ein 'Traum', ein Gesicht der Nacht, in einem
Grenzzustand, bei dem er zugleich tätig mitwirkt. Er sammelt
Kartoffeln und müht sich vergeblich, sie in der Kiepe weiter
aufzuhäufen. Das gibt einen 'eiligen Toten'. Welcher Blick des
Vorschauers mag - ihm selbst natürlich unbewußt -
die plötzliche Erkrankung der Tochter vorausgefühlt haben? War
es ein Blick bei dem gemeinsamen Arbeitsleben während der Ernte
auf dem Felde, ein Blick, der sich als Tiefenblick bewährte?
Anders die vierte Geschichte. Der Bauer aus dem Dorfe, der
Bunte genannt - wir nennen ihn selbstverständlich nicht - hat offenbar die Phantasie des Volks und auch unseres Johann
stark beschäftigt. Das Gesicht geht anscheinend am hellen
Tage vor sich, was selten ist. Es nimmt die Jenseitsstrafe
vorweg. Das Bild taucht vor dem Hintergrund des Hauses "dat Hus
lang" auf und ist voller Bewegung. Bemerkenswert ist das
plötzliche Auftauchen und das Vergehen: ick seig ihr nich mihr.
Die fünfte Geschichte ist wieder ein nächtliches Gesicht; im
Halbdunkel sieht der Vorschauer ein Feuer unter der Wanduhr. Er
nimmt das Feuer - was merkwürdig ist - als Kunde von
dem kommenden Tode des alten Bauern, nicht etwa von einem
Brande.
Endlich die sechste Geschichte. Sie ist
ergreifend; der im Feld sterbende Sohn zeigt sich an. Ein
Ferngesicht! Im Vorhören hört der Vater den Sohn kommen. Mit
Sicherheit kündet er der Mutter das Ereignis. Es mag jedem Leser
überlassen sein, hier Zusammenhänge zu ahnen, zu deuten oder
auch im Geheimnis ruhen zu lassen.
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Unser alter Johann ist ein typischer Vorschauer.
Die Gesichte kommen ihm zur Nachtzeit oder in der
Abenddämmerung, als Vorschauen oder als Vorhören; das letztere
ist unter den Schauenden seltener. Ihm kommen die Gesichte nicht
häufig, sie sind sehr deutlich und verändern sich offenbar in
der Erinnerung nicht. Im Grunde handelt es sich immer um den
Tod. Nur ein Gesicht kündet von einem Strafgericht. Auf alle
Fälle sind es niederdrückende Erlebnisse. Unser Johann ist in
seinem Beruf ein kleiner Landmann gewesen. Ruhig von Wesen, hat
er ruhig seine Gesichte hingenommen und nicht leicht davon
gesprochen. Einem Fremden hätte er sich sicherlich nicht
offenbart. Ein ernster Mensch, der aus seinem eigenen Innern
lebt, nicht leicht sein Inneres im Mienenspiel ausdrückt, im
praktischen Leben ein Mensch von sicherer Arbeitsleistung, ganz
ein Niederdeutscher.
Heute ist unser Johann alt. Offenbar
ist seine besondere Anlage im Zerfall, es will nicht mehr, und
nun ist er etwas wunderlich. So wird es ihm erspart bleiben, in
einem Vorgesicht sein eigenes Ende zu erschauen. Uns hat er die
Möglichkeit gegeben, einen typischen niederdeutschen Vorschauer
aus unserer Landschaft näher zu erfassen.
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