Zur dargebotenen Seite der lauenburgischen
Ausgabe des Plattdeutschen Kinderbuchs folgen einige
volkskundliche Erläuterungen.
Der Fastelavend.
Die Fastnacht ist ein altes, oft als 'heidnisch und teuflisch'
gescholtenes Volksfest, ein Fest der Dorfgemeinschaft. Dazu
wurden Gaben cingesammelt zu gemeinsamem Verzehr auf einer
Bauerndiele. Drei Tage lang gab man sich bei Schmaus und Spiel
und Tanz ausgelassenem Frohsinn und Scherz hin. Man fand kaum
Zeit, zu Hause Vieh und Wirtschaft zu besorgen oder gar zu
schlafen. Wo man immer ein Flett betrat, konnte man sich zu
Gaste laden, wenn nur jemand da war. Diese Sorglosigkeit, von
der mir aus der Erinnerung mit Behagen erzählt wurde, tut sich
auch in unserm Fastelabendvers kund. Man deutet ihn am besten,
wenn man eine Fortsetzung in einem Kinderlied (aus
Hohenhorn) hinzunimmt.
Faßlaam.
Faßlaam, Faßlaam, eer di! Steek dien Feut in't Füer nicht!
Steek em in dei Asch, wasch em wedder af, steek em in
dei Emern, föör dormit na Fehmern!
a) Un as ik hen na
Fehmern keum, dunn wöör dor nüms to sein. Dei Hund, dei
wasch dei Schötteln up, dei Katt, der lick dei Botter ut
Un but'n vor dei Schünendöör
Kinderlied.
But'n vor dei Schünendöör, dor döss'n 1) twei
Kapunen 2) vör, sei döss'n sik gaud Hawern af un brugen
sik gaud Beier 3) af; dat Beier füng an tan brusen,
Steeners ut'n Husen. Dei de Wötteln un Bohn'n nicht mag,
dei segg Kramer 4) gauden Dag.
b) "Gaun Dag, Herr Kramer,
lehn hei mi sin Hamer 5), lehn hei mi sin Hamer nicht,
so heit hei Musche Kramer nicht!"
c) Kramer güng na Kamer
rin un treck sin gäl'n Stäweln an. Dor rei hei mit na
Amsterdam, von Amsterdam na'n Spanje, von Spanje na'n
Granje.
d) "Wonäm lieg Hamborg? Hier un dor, alle
lütn Dirns höbt kruse Haar." |
Liest man die Verse so, dann
ergibt sich ein lebendiges Bild:
Es ist noch kalt zur
Fastnacht. Einer der Feiernden geht auf die Flettdiele eines
Hauses. Er kann sich nicht wärmen; denn das Feuer auf dem Herd
ist
_______________
1) waren beim Dreschen.
2)
fette Hähne. 3) Gutbier nannte man das beste Gebräu.
4)
'Kramherr' heißt im Westfälischen der Aufwärter (Schaffer) bei
Tauffesten u. ä. Gelegenheiten. Danach deute ich Wort und Sinn
des Textes. 'Herr Kramer' ist der 'Kramher'. 5) Der HAMMER
ist das Werkzeug, das jedes Kind in den Vierlanden zum Anklopfen
beim Fastnachtslaufen in der Hand führt; der Heischespruch
beginnt dort: "Hamer, Hamer, heda!" Zur Fastnacht führte der
Schaffer wohl auch das Zeichen des Hammers.
1938/1 - 37
1938/1 - 38
Eine Seite aus dem Plattdüütschen Kinnerbauk
(Ausg. Lauenburg).
Martini
Marten, Marten, Kegel, mit sien
vergüldten Flegel! Un alles wat vergülden is, dat mag dor
lose sien un wiß. Dei Appel un dei Beern, dran up dei
Rees tau teern, dei Plummen, dei sünd ok al goot.
Smiet's man in den Strohoot.
Marleen, Marleen, maak up
dei Döör! Dor sünd en paar arme Schäulers dorvör. Geevt
sei wat, un laat sei gaan! Sei mööt noch wiet na Köln gaan.
Köln is dei wietste Weg. Dei Gever is dei best vun all
dei lewen Gäst! Laat uns nich tau lang staan, wi mööt
noch wiet na Köln gaan.
Fastelavend
Faßlaam ,
Fastlaam, eer di! Steek dien Feut in't Füer nich! Steek em
in dei Asch, wasch em wedder af, steek em in dei Emern,
föör dormit na Fehmern!
Un as ik hen na Fehmern keum,
dunn wöör dor nüms to sein. Dei Hund, dei wasch dei
Schötteln up, dei Katt, dei lick dei Botter ut, un but'n
vör dei Schünendöör dor dösch'n twei Kapun'n vör.
Sei
döschen sik gaut Havern af un brugen sik gaut Beier af;
dat Beier füng an tau brusen: Steners ut'n Husen. Dei Kre
up den Tuun verseup in all den Schuum. |
1938/1 - 38
1938/1 - 39
ausgegangen. Anker der Asche glimmen nur noch
einige Kohlen (Eemern). Also ins Nachbarhaus! Doch auch dort ist
niemand zu sehen. Hund, Katze, Hühnervolk, alles ist aus Rand
und Band; sogar das Bier gärt und braust, wie es will, und
drängt die Ständer des Hauses auseinander. Unserm Gast graut vor
den 'Wurzeln und Bohnen', die im Topf warten, aufgewärmt zu
werden. Er begibt sich in das Festhaus, wo auf der Diele alle
feiern, um vom Schaffner, dem Kramer, dessen Hammer zu leihen.
Dann kann er selbst die Wirtschaft führen und sich was erpochen.
Doch der Kramer verzieht sich - wer weiß, wo der überall
herumreist! Suchen wir also nicht weiter, sondern bleiben wir
hier und wärmen uns im Tanz mit den krausgelockten Mädchen!
Der Fastelabendvers beginnt mit dem FESTGRUSZ: 'Faßlaam, eer
di!' Das 'eer di' ist nicht erklärt. Ich denke, daß es mit
'eeren' zusammenhängt. Dieses Wort kommt in fälischen Grußversen
vor und bedeutet 'Botschaft'. Der Reim geht bei a in das sogen.
'Verwunderungslied' über, das auch in andern Volksreimen
vorkommt. Das Kinderlied beginnt mit dem letzten Teil des
Verwunderungsliedes. Absatz b gibt die Ansprache an den Kramer.
Sie wird auch als ABZÄHLREIM gebraucht. Absatz c schließt ein
Stück aus 'HAWERMANNS BRAUTFAHRT' an, das ebenfalls in andern
Formen selbständig lebt. Absatz d zeigt, daß das Lied auch als
KNIESCHAUKELREIM dient (mit liebkosendem Anticken).
Es ist ein Beweis für das Leben solcher Volksdichtung, daß sie
sich so zu immer neuen Verbindungen gestaltet.
*
Der Martensmann. Der heilige Martin hatte als Offizier im
Winterquartier vor Amiens einem Entblößten die Hälfte seines
Kriegsmantels geschenkt. Das ist eines seiner zahlreichen
Hilfswerke, deretwegen er als Wohltäter der Armen gerühmt und
zum Heiligen erklärt wurde. Das kirchliche MARTINSFEST wurde auf
germanischem Boden zum Volksfest, weil in ihm eine uralte,
heidnische Feier aufging, die Wodan, als dem Erntegott, galt.
Der Volksheilige trat an die Stelle des alten Gottes. Daß
ehemals Priester von jedem Herd Opfergaben für das Fest
einsammelten, wurde in christlicher Zeit zum Spiel der Kinder.
Sie sangen ihre Martinslieder, indem sie mit Kürbislüchten (so
in Lübeck) gabenheischend umzogen: "Marten is en gaude Mann, dei
et woll vergellen kann." 'Unsere Kinderlieder geben dem
heilbringenden MARTENSVÖGELKEN bald roten Rock [Kögel], bald
goldnen Flügel', sagt Grimm. Doch weiß man nicht, ist es der
Specht mit roter Kappe oder das Sonnenkäferchen. Der
MARTINSTRUNK gibt Stärke und Schönheit. Darum schenkte man
untereinander den Martinswein, teilte ihn auch an Arme aus.
"Unselig ist das Hauß, das nit auf deß (- Martins) nacht ein
gans zuo eßen hat. da zepfen sy ere neüwen wein an", sagt das
Weltbuch 6). Die Stadt LAUENBURG gehörte zu den seligen Häusern;
denn der Herzog erhielt, wie auch die Herzöge von Mecklenburg
und Holstein, ein Weingefälle auf St. Martin von der Stadt
Lübeck. "Item dre smale tunnen win up Martini den dreen fürsten:
eine thunne tho Segeberge, de ander thunne tho Lovenborch, de
drudde tho Meckelnborg", sagt das Ratskellerbuch von Lübeck
1504 7). Wann die Sendung bei uns aufgehört hat, weiß man nicht. In
Schwerin, wo der Brauch erst 1817 aufhörte, bildete das
Erscheinen des MARTENSMANNES im roten Rock auf vierspännigem
Ratswagen den Auftakt zu einem großen Volksfest. Alles legte die Arbeit hin und drängte zum Schloßhof; die Jugend balgte sich
um die ausgestreuten Geldstücke, Apfel und Nüsse. Abends gab es
den großen Martinsschmaus mit 36 Gängen - ohne Beteiligung des
Hofes.
Danach kann man sich das Fest in Lauenburg
vorstellen. DORT SINGEN DIE KINDER HEUTE NOCH das
Martinslied. Der Text wurde von Diermissen 8) und jüngst von
Hencke, auch mit der Melodie, aufgezeichnet 9). Er erklärt sich
nach _______________
6) Sebastian Franck,
Weltbuch. 7) Nach Warncke i. d. Heimat. Kiel
1907, S. 222.
8) Diermissen, Jahrbücher f. Landeskunde.
9) Hencke,
Heimat. Kiel 1923.
1938/1 - 39
1938/2 - 40
dem vorstehenden Bericht von selbst und ist
wert, behalten zu werden. Unter den niedersächsischen
Martinsliedern ähnelt das unsere dem lüneburgischen. Noch heute
danken die Kinder mit dem Reime:
"Wir wünschen dem Herrn
einen goldenen Tisch, an allen vier Ecken einen gebratenen
Fisch usw." |
Im vorigen Jahrhundert dankten sie noch mit
plattdeutschem Reim. Der Hausfrau galt folgendes:
Wi
wünschen de Madam en güldene Hähn, in düssen Jahr noch en
jungen Söhn, in tokamen Jahr en Döchterlin, dat sall de
Madam ehre Höge sien. |
Verzögerte sich die Gabe, hieß es
auch wohl:
Marten is keen gauden Mann, wenn hei uns
nicks gäben kann. |
Dem ungastlichen Hause aber leiern sie
einen recht unhöflichen Abgesang vor, der derberen Formen
nicht zu gedenken:
Rull, rull, rull! Dat olle Wief is
dull. Wittn Tweern, swatten Tweern, dal olle Wief, dat
gift nicht gern. |
SCHEELE.
|