[Abbildung]
Ratzeburg 1588.
Nach dem Stich von Gerdt Hane. / Vergl. Text vor S. 17.
1940/1/2 - unpag.
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Der Führer hat in knappen Jahren in zügigem
Tempo nach seiner Einsicht und seiner Planung mit starkem
Willen und erhebendem Mut die Großdeutsche Wehrmacht
geschaffen. Kaum entstanden, hat sie die Probe auf ihre
Bewährung durchkämpfen müssen und unter ihres Schöpfers
Führung zum Erstaunen der Welt glänzend bestanden.
Unwillkürlich fragt man sich, ob es je eine solch straffe
Zusammenfassung der Volkskraft zu einem großen Ziel gegeben
habe. Man erinnert sich der Schicksalsstunden im Leben
unseres Volkes, wo es wie ein Mann für seine Zukunft
einzustehen hatte, und findet dann doch unser heutiges
Erleben ohne ein vollgültiges Beispiel. Noch weniger wird es
in der Geschichte unseres kleinen Herzogtums möglich sein,
von einem derartigen Vorgang zu reden, da das Land niemals
zum Kampf um sein eigenes Dasein aufgerufen wurde. Man
könnte nur von jener Zeit reden, wo das welfische Haus sich
anschickte, das von ihm besetzte Herzogtum Lauenburg zum
Widerstand aufzurüsten. Allerdings handelt es sich um ein
Werk des Fürsten und geschah zunächst in seinem
Hausinteresse. Doch die wohltätige Art des späteren
hannöverschen Regiments im Lande rechtfertigt es, daß wir
uns mit seinen Anfängen befassen. Manches glauben wir heute
auch besser würdigen zu können. Das Fürstenhaus
Lauenburgs war 1689 mit dem Herzog Julius Franz
ausgestorben. Um dem Streit der vielen Bewerber um das Land
zu begegnen, ordnete der Kaiser als Oberlehnsherr
Beschlagnahme und Zwischenverwaltung für Lauenburg an. Mit
schnellem Zugriff kam jedoch der welfische Herzog Georg
Wilhelm von Celle allen seinen Mitbewerbern und selbst
dem Kaiser zuvor und bemächtigte sich des Landes und seines
festen Schlosses Ratzeburg. Darauf teilte er dem
Reichshofrat mit, daß er kraft kreisausschreibenden Amtes
(als Oberster des niedersächsischen Kreises) einige
MANNSCHAFTEN LÜNEBURGISCHER MILIZ IN DIE
SACHSEN-LAUENBURGISCHEN LANDE VERLEGT HABE, UM SELBIGE IN
RUHE UND SICHERHEIT ZU SETZEN. Der Herzog fühlte richtig, er
werde vom Kaiser Leopold niemals ernsten Widerstand zu
befürchten brauchen, aber auch niemals eine kräftige Hilfe
zu erwarten haben. Und in der Tat blieb es am Kaiserhof bei
leeren Worten, mochte der Kaiser nun in der Folge bald
gegen, bald für den Herzog sein. Unter den Mitbewerbern
jedoch 1) verlautete, die Welfen wollten sich nach Heinrichs
des Löwen, ihres Stammvaters, Art 'groß und ihren Nachbarn
formidable' machen und hätten 'in ihrem unmäßigen Appetit
auf eine bei Gott und Menschen rüde Weise OHNE RECHTSTITEL
das Herzogtum Sachsen-Lauenburg SUBJUGIERT', sie verdienten
darob das Schicksal des _______________ 1) Vgl.
die 'Replica auf die Antwort eines Sachsen-Lauenburgischen
Edelmannes an seinen Vetter in Holstein usw.', die begehrte
Demolition betreffend. Plön 1693. Exemplar im Stadtarchiv.
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1940/1/2 - 5 Löwen. Georg
Wilhelm wiederum ließ sich hören: "Wer erkennt, daß wir
in POSSESSIONE sein und bei diesen CONJUCTUREN einen
Degen zu der MANUTENIRUNG in Händen führen, wird uns
SATTSAMES RECHT beilegen." Das Land selbst blieb still.
Die Meinung der Untertanen hört man aus einer Äußerung
des Inhalts, ihnen 'könne es GLEICHVIEL gelten, was für
eine Obrigkeit sie bekämen, und gönnten sie es
demjenigen, dem es von Gottes und Rechts wegen zukäme'.
Die Ritterschaft und die Vertreter der Städte Lauenburg
und Ratzeburg erklärten, den neuen Landesherrn 'VON IHRO
KAISERL. MAJESTÄT und dem Heil. Römischen Reich erwarten
zu wollen. und was die Prätendenten anginge, so 'wäre
solches ein Werk, welches der Ritter- und Landschaft zu
hoch und außerhalb derselben Macht, daß sie also die
Hände daraus und das Werk auf sich beruhen lassen und
KEINEM der höchsten Prätendenten präjudizieren müßten.'
Bald traten auch die Ansprüche des Welfenhauses
deutlicher in Erscheinung. In der Erwägung. daß er das
Land vielleicht nicht gegen eine ihm feindliche
Besetzung schützen könne, beschloß Georg Wilhelm, die
Stadt Ratzeburg als Festung auszubauen, um wenigstens an
EINEM Punkt dem Feinde Trotz bieten und damit eine
restlose Besetzung des Landes verhindern zu können; denn
erst eine gänzliche Besetzung des Landes konnte einem
Gegner nach Waffenrecht Anspruch auf das Land geben
2).
Hier soll nun gezeigt werden. ob und wieweit Land und
Stadt mit in die Festungsaufrüstung hineingezogen
wurden. Es wird eine Betrachtung mehr wirtschaftlicher
Art sein 3), da zu einer Erkundung der
geistig-politischen Haltung wohl die Unterlagen fehlen,
wahrscheinlicher sogar ein Gesamtbewußtsein für die
Bedeutung der Vorgänge in der Bevölkerung überhaupt
fehlte.
*
Im Frühling 1691 war der 'höchst gefährliche Festungsbau
zu Ratzeburg' in vollem Gange und in 'fast ungläubigem
AVANCEMENT', wie die Lübecker, die sich 'blockiert'
fühlten, dem Kaiser in einer Beschwerde geschrieben
hatten. In der Stadt und im Zeltlager beim Neuen Vorwerk
wimmelte es von Soldaten, die zur Arbeit heranbefohlen
waren. Im Lande draußen aber ging die friedliche
Ackerbestellung vor sich. Zum schönen Pfingstfest schlug
man mehr oder minder heimlich die Maien zum Schmuck der
Häuser und der Laubhütten und lieferte wie immer in
vielen Fudern den Maibusch nach Lübeck. Dann aber folgte
ein nasser, kalter Sommer. Mißwachs trat ein und
vielerorts auch Viehsterben. Die Regierung sah sich
genötigt, die Pächter der Vorwerke mit großen
Remissionen bis zu 90 Tlrn. zu entlasten. Die Bauern
lieferten ihr Pachtkorn zwar ab, aber der gesamte
Gersteuvorrat, wie er nur aus den Dörfern von Disnack
bis Grönau kam und gewöhnlich an die kleineren Brauer
verkauft wurde, mußte diesmal an die Bauern wieder
ausgeliehen werden, weil ver- _______________
2) Diesen militärischen Gesichtspunkt hat besonders U.
v. Rundstedt hervorgehoben in seinem Aufsatz: "Der
dänische Einfall ins Herzogtum Lauenburg." Lbg. Heimat
1931, S. 56 ff. 3) Im allgemeinen lege ich das Jahr
1691/92 zugrunde.
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mutlich die Ernte
nicht größer gewesen war als die Aussaat. Den Pachthafer
verbrauchte man im Amt völlig für die Baupferde, die wegen
des Festungsbaus hatten eingestellt werden müssen. Der
besonders aus Breitenfelde und Bälau kommende Roggen und das
Stromkorn aus Mölln gingen als Kommiskorn an die Mühlen, die
hinterher die davon genommenen Matten mit eigenem Gelde
bezahlen mußten: an der Arbeit für das Land sollten die
Amtsmüller sich nicht bereichern. Die Heugewinnung war so
knapp, daß man einen besonderen Beamten ins Mecklenburgische
sandte, um Futter für die Baupferde aufzukaufen. Der Herbst
schloß dann noch glücklich mit einer guten Waldmast. In den
Tangenberg, den Tegelbrook und das Vorwerksholz konnten
340
Schweine eingetrieben werden, und die Feldmarken wurden zu
gleichem Zweck an die Bauern für 593 Tlr. verpachtet.
Als Hirten und Pfänder entlohnt waren, hatte das Amt einen
Reingewinn von 658 Tlrn. Für die Versorgung des Amts und für
den Ankauf zur Verproviantierung der Festung waren die guten
Fehmjahre 91/93 nicht ohne Bedeutung, lagerten doch zuletzt
u. a. allein bis zu 27 000 Pfund Speck in den
Proviantgewölben. Ähnlich verlief hinsichtlich des
Amtsaufkommens das Jahr 1692/93. Es ist ersichtlich, daß das
Amt nicht gedrückt wurde. Nur die Überschüsse verringerten
sich, doch aufgezehrt wurden sie nicht; es blieb ein
Kassenbestand von über 8000 Tlr., den der Herzog sonst für
den Festungsbau mit verwenden konnte. Die Bauern konnte das
nicht kümmern. Ein andres aber tritt in den Rechnungsplänen
nicht in Erscheinung und wog doch schwer. Den grundlegenden Beitrag zur Aufrüstung der Festung
nämlich leistete das Land mit seinem natürlichen Reichtum,
dem Wald. Unendliches Holz mußten die Amtsforsten liefern.
Die höchsten Buchen in der Fredeburger und Mustiner Forst,
die größten und stärksten Eichen in der Kulpiner Waldung
wurden zum Festungsbau gefällt. Insgesamt verbrauchte man
lediglich für die Festung 1691/92 302 Eichen und
1822
Buchen, 1692/93 wieder 705 Eichen und
11 161 Buchen, zusammen
13 990 Bäume. Bedenkt man weiter. daß die Forsten darüber
hinaus fortlaufend für die Bauern das Holz zum Bau und zur
Instandhaltung ihrer Häuser herzugeben hatten, daß die
Amtsgebäude zu erneuern und viele Privatbauten in der Stadt
aufzufiihren waren. so nimmt es nicht mehr Wunder, daß das
Amt nicht ausreichte und auch die Schwarzenbeker Wälder
ihren Zoll liefern mußten. Die starken Eichen aus Havekost
dienten als Bauholz, besonders aber wurden die Schiffskniee
für die kleine Festungsflottille aus diesen Eichen gewonnen.
Dort im Schwarzenbeker Revier standen auch die Meiler, in
denen Buchen zu Kohlen gebrannt wurden, deren die
Artillerieschmiede zu Ratzeburg bedurfte. Das Fällen, das
Ab- und Anfahren der Bäume ward mit den Spann- und
Handdiensten des Amtes besorgt, ward also von den Bauern
innerhalb ihres Pflichtdienstes ausgeführt Das Amt hatte
20
080 Spann- und 18 670 Handdienste jährlich zur Verfügung;
davon waren etwa 1/5 für den eigentlichen Amtsdienst
reserviert, wogegen 4/5 der Dienste den Vorwerken zur
Verfügung standen. Zieht man den
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Durchschnitt aus 1691-93, so kann man feststellen, daß
fast der gesamte reservierte Handdienst und die
Hälfte des Spanndienstes für die Festung in Bewegung
waren. Auf das ganze Amtsgebiet gesehen, handelte es
sich also um einen Arbeitsdienst, bei dem jedes zehnte
Gespann mit seinem Fahrer und jeder fünfte Mann eingezogen
waren. Ein gewisser Arbeitsdruck entstand auf diese Weise
im Amt und wurde auch so empfunden; immerhin bot sich für
den einzelnen neben mancher ungewohnten und schweren
Arbeit doch auch vieles, was das ewig Gleichmäßige der
Feldarbeit unterbrach. Vor allem, das 'Volk' kam auch
einmal weit herum. Es war ja nicht alles Waldarbeit, was
zu leisten war. Schlagen wir einmal in den
Dienstregistern nach, in denen die Arbeitstage der
einzelnen sorgfältig verzeichnet sind, so daß man heute noch
der Arbeit eines jeden folgen kann. Da waren Eichen und
Buchen zu fällen, Pfähle, Pallisaden und Latten
zurechtzuhauen, Busch war zu schlagen und Fadenholz zu
spalten. Mühsam war die Arbeit, wenn es hieß, Kalk
abzuschlagen beim Kalkofen, Erde zu karren und Lehm
abzuschlagen bei der Ziegelei oder Steine zuzureichen beim
Maurer; leichter war es wieder, wenn Heide zu mähen war für
die Artillerie-Pferde oder Reet zu schneiden für die
Lagerzelte beim Neuen Vorwerk. Weit durchs Land führte der
Spanndienst. Leicht gingen die Briefreisen und Beamtenfahrten vonstatten, interessanter mochte noch die
Beförderung von Soldaten und Bagage oder gar der
Soldatenweiber sein; schwer aber war der endlose Transport des Nutz- und Bauholzes auf weiten und beschwerlichen
Wegen - es waren noch alles Sandwege - bis nach der
Festung. Und was wurde nicht alles sonst gefahren! Korn
und Grütze ins Magazin, Latten und Holz von Lübeck,
Ziegelsteine und Brennholz ins Lager, Kalk in die Festung,
und von Hollenbek fuhren tagaus, tagein die Wagen mit den
schweren Feldsteinen, die dort lagerten, nach Berkenthin,
wo sie besonders für die Festung gespalten und behauen
wurden 4). Wer zwei, drei Jahre in solcher Arbeit
verbrachte, der mochte manchmal stöhnen; schließlich war
er doch nicht wenig stolz, wenn er sich rühmen konnte,
mit an der Festung gearbeitet zu haben, die in aller Munde
war. Seine Gefühle mochten denen unserer Volksgenossen von heute entsprechen, die mit Stolz auf ihre
Arbeit am Westwall blicken.
*
War so das ganze
Land wegen der Aufrüstung in Bewegung, so ward Ratzeburg
selbst doch ganz unmittelbar berührt und aufgewühlt. Wie die
Stadt nun eben vorher aussah, wie im besondern die verwöhnten Augen der neuen Lüneburgischen Beamten das Stadtbild
beurteilten, hat uns einer von ihnen in seinen Äußerungen
hinterlassen. Man kann seine Eindrücke nicht
besser zusammenfassen, als U. v. Rundstedt es getan 5).
Er schreibt: "Als der Rat v. Laffert sein neues Reich
prüfend durchwandelte, mußte er mit 'sonderbarer
displicenz wahrnehmen', daß in der Stadt BAUFÄLLIGE
______________ 4) Es
handelt sich um große Feldsteine, die innerhalb eines
Projekts der Stecknitzregulierung zum Schleusenbau dienen
sollten. Die Sache war damals von Lübeck vorgeschlagen
und auch von Julius Franz geplant worden, aber nicht
zustandegekommen. Die Steine lagen bei Hollenbek und wurden
nun von Georg Wilhelm gewaltsam in Anspruch genommen.
Vgl. Kobbe III S. 78 und besonders Raute: Lübeck und der
Festungsbau (Lauenburgische Heimatblätter, Beilage zur
Lauenburgischen Zeitung, Mai 1937). 5) U. v. Rundstedt:
Ratzeburger Siedlungsbestrebungen in alter Zelt.
(Lauenb. Heimatblätter, Jahrgang 1929, Nr.
5.)
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HÄUSER UND WÜSTE - d.
h. unbebaute - Stellen selbst in den 'Hauptgassen' sich
reichlich fanden, daß andere statt 'Steindächern'
STROHDÄCHER hatten und daß solche, die im Konkurs verkauft
waren, von den Erwerbern als SCHEUNEN, KORNBÖDEN ODER
RÄUCHERKATEN gebraucht wurden. Flugs erging eine scharfe
Verfügung an den Rat - 3. März 1691 -, alle ehemaligen
Wohnhäuser wieder hierzu aptieren, ebenso alle Scheunen in
der Stadt zu Wohnungen umbauen zu lassen und dafür Bauplätze
außerhalb der Stadt den Ackerbürgern zuzuweisen. Die
Wohlhabenden hätten ihre Häuser mit Ziegeln decken zu lassen
zum 'Ornament und Zierde der Stadt' und zur Erhöhung der
Feuersicherheit. Der Rat solle melden, wer gehorche und wer
sich widersetze."
Man muß schon einiges zur
Verteidigung der Stadt sagen. Hörten die Bürger von
'Ornament und Zierde' reden, dann dachten sie an ihre großen
Brauhäuser mit den kühlen Kellern, den weiten Dielen, den
mehrfachen niedrigen Korn- und Malzböden. Diese Brauwerke
eben waren in ihren Augen die Zierde der Stadt. Im übrigen
waren sie Ackerbürger, daher Scheunen und Kornböden ihnen
angemessen, und die warmen Strohdächer stimmten durchaus zu
dem niedersächsischen Charakter der Stadt, die in den Namen
der einzelnen Braustätten noch das Andenken der Vorfahren
ehrte.
Daß die Wohnungen vermehrt werden sollten,
weil die Einquartierung nahte, daß Steindächer sein sollten,
weil ja Feuersicherheit für die entstehende Festung nötig
war, war begreiflich; daß die Scheunen aus der Stadt verlegt
werden mußten, wieder wegen des Platz fordernden
Festungsbaus, war ebenso verständlich. Doch die Bürger traf
kein Vorwurf; denn vorher wäre dies unmöglich gewesen. Noch
bis gegen 1600 war die Lange Brücke nicht für den
Wagenverkehr hergerichtet, und erst seit 1620 hatte die
Stadt größere Ländereien im Zitschow. Wie hätte sich da der
Scheunenbetrieb nach draußen verlegen lassen, noch dazu bei
der Elendsperiode des 30jährigen Krieges!
Dennoch
erweckt das Urteil Lafferts als eines verantwortlichen
Mannes mancherlei Fragen. Wer war für das Stadtbild
verantwortlich? Was hatte es mit den wüsten Stellen auf sich
und worin lagen die Gründe für den augenscheinlichen
Verfall? War das 1693 zusammengeschossene Städtchen
wirklich im Abstieg begriffen, oder hatte es nicht vielmehr
die Krise nach dem Elend des 30jährigen Krieges schon
überwunden?
Verantwortlich für das Stadtbild waren
die Feuergrefen. Ihr Name spricht von ihrer nächstliegenden
Tätigkeit. Es lag ihnen ob, die Vorbeugungsmaßnahmen gegen
Brände zu überwachen, die Löschgeräte zu prüfen, die
Feuerbekämpfung zu leiten und die Brandursachen zu
untersuchen. So stand denn auch das Innere der Häuser mit
Feuerstätten und Schornsteinen, die Lagerung der
Erntevorräte hinsichtlich der Feuersgefahr und die gesamte
Wasscrzuführung unter ihrer Obacht. In bestimmt
wiederkehrenden Umgängen wurde das alles untersucht: im
Winter die Schwibbogen, in der 'drögesten und hitzigsten'
Sommerzeit die Wassertonnen vor den Türen und nach der Ernte
die Kornlagerung. Weiter prüften sie die Lage und innere
Einrichtung der Schlächtereien und Bäckereien und stellten
fest, ob in einem Brauerbe überhaupt eine Brauerei eröffnet
bleiben dürfe und ob darin ein volles oder nur ein 'kleines'
Brauwerk zu betreiben sei. Ganz allgemein unterstand ihnen
das Bauwesen. Ob ein Stockwerk vorspringen dürfe, ob eine
Fensterlucht weiter hinaus zur Straße gesetzt werden
könne, ob eine Dachtraufe nicht zuweit vorstand, ob
Scheidepfähle, Plankwerk und Grenzen richtig standen, ob
die 'Gemächer' an ihrem Ort erlaubt waren, ob ein Fenster
fest oder ausschlagbar sein solle, wie breit eine Twiete
sein müsse: alle
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diese tausend kleinen und
doch in nachbarlichen Streitigkeiten oft so wichtigen Fragen
unterlagen der Entscheidung der Feuergrefen. Ja, damit
Fehler unterblieben, waren sie persönlich zugegen, wenn die
Lägen (Schwellen) zu einem Neubau gestreckt wurden. Überall,
wo eine Haus- oder Grundstückstaxe erforderlich war,
erschienen sie, und ihr Urteil war verbindlich. Ihre
Aufsichtspflicht umfaßte auch die Fahndung nach Verbrechern,
wobei ihnen der Praggervogt unterstellt war, weiter die
Beherbergung von Fremden und selbst Gästen, und schließlich
überwachten sie auch die Sonntagsheiligung und straften
nicht bloß den, der am Sonntag vor Sonnenaufgang heimlich
arbeitete, sondern auch den, der Sonntags 'immer zum Tor
hinausritt'.
Liest man dies alles aus den
aufbewahrten Protokollen heraus, so gibt die alte Ordnung
von 1622 noch besonderes Licht. Man sieht die Grefen in
ihren eigenen Kirchenstuhl eingeführt, sieht sie
pflichtmäßig Sonntag um Sonntag an ihrer bestimmten Stelle
im Grefenstuhl sitzen. Abendmahlsgang und Altaropfer sind
zeremoniell geordnet; bei Leichenprozessionen ist ihnen
Platz und Rang zugewiesen und würdige Kleidung
vorgeschrieben, wie sie denn überhaupt im Leben sich solchen
Wandels zu befleißigen hatten, daß kein DESPECT geweckt
wurde.
So bildeten die Feuergrefen eine
AUFSICHTSBEHÖRDE DER STADT VON VORNEHMSTER BEDEUTUNG UND VON
SAKRALER WÜRDE. Kaum ein Ratsherr, der nicht vorher das Amt
eines Feuergrefen bekleidet hätte und sich dessen Schulung
erworben! DIE EINGEHENDEN PROTOKOLLE VERBIETEN UNS,
LÄSSIGKEIT IM BAUWESEN DER STADT ANZUNEHMEN.
Was wir
im einzelnen aus den Monaten vor der Belagerung 1693
erfahren, entspricht nur der Enge und der Zeit überhaupt,
wie der Lage im besondern auf dem durch die Festungswerke
beschränkten Grund und unter den durch die militärischen
Erfordernisse bedrängten Einwohnern. Man denke nur an die
vermehrte Viehhaltung! Das Straßenpflaster soll erhalten und
jede Woche 'abgekehrt' werden; die Twieten sollen sauber
sein, verlangt man März 1693. Vor den Türen soll hinfüro
kein Mist mehr liegen; aller Mist ist binnen 14 Tagen zu
entfernen. Waren wegen der Forderung an die Bürger, sich auf
5 Monate zu versorgen, die Schweineställe vermehrt worden,
so sollten sie nun nicht mehr die Straße verunzieren,
sondern binnen 4 Wochen ihres Gestanks wegen verlegt werden.
Weiter sind noch im März über 30 Bürger zurück in
Beschaffung der Feuergeräte, doch schon im April hängen dann
die 52 Feuereimer der Ämter vorbildlich am Rathaus, die
großen Ämter (Schlachter und Brauer) voran mit je 6
Stück.
Aber nicht diese letzte Ausnahmezeit ist entscheidend,
sondern die gesamte Arbeit der letzten Jahrzehnte, und die
Einsicht darin gibt das Bild einer regelrecht und sorgfältig
verwalteten Stadt.
Was aber hatte es dann mit den
wüsten Plätzen und Stellen auf sich? - Die Stadtbürger
besaßen ihre 'Wort' mit Haus und Hof, deren Raum natürlich
eng bemessen war. Zur Erweiterung erwarben manche vor der
Stadt, auf der Freiheit oder sonst vom Amt ein Grundstück
mit Erbbaurecht gegen einen Wortzins oder ein Rentgeld, um
Haus und Garten anzulegen 6). Für die Bedürfnisse mancher
genügte ein Stück Land als Weide, Hopfenhof, Bleichstätte,
Garten u. ä., wofür dann nur eine Hofhäuer entrichtet wurde.
Eine Vergleichung der Abgaben im Urbarbuch und in den
Geldregistern wie auch die Nachforschung nach den
einzelnen Besitzern solcher Höfe zeigt, daß es sich in den
eingetragenen Fällen meist um Brauerfamilien handelt.
_______________
6) Die verschiedenen Abgaben
werde ich bei der Veröffentlichung des Urbarbuchs
besprechen. Ich führe hier nur den Fall eines Wortzinses an.
Hans Jac. Wittichs, eines Brauers, Erben hatten ein solches
Haus auf der Freiheit, das dann wegen der Festung
abgebrochen werden mußte. Die Frau des Präsidenten
Bunkenburg behielt als Erbin den Rest des Gartens, der ihr
auf Befehl neu gezäunt wurde, was ein Harmsdorfer Bauer
ausführte. Man kannte damals in Ratzeburg nur tote Zäune
oder Planken und noch keine lebenden Hecken. Wittich und
auch Bunkenburg hatten ein jeder ihren Erben eine Brauerei
hinterlassen.
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Für uns ist es nun von
Interesse, daß 1691 von den 'Höfen' allein
11 als 'längst
wüst' bezeichnet und berechnet stehen 7). Bei
7 davon
handelt es sich um Brauer, bei Nr. 16 um einen Tuchmacher.
Diese längst wüsten Höfe sprechen von Leid und Untergang in
den Familien der gewesenen Besitzer, und sie bezeugen eine
Schrumpfung des Vermögens in den Brauerfamilien, sonst
hätten doch die Nachfolger auf den Brauereien ihrerseits die
Höfe in Anspruch genommen. So hatten es jedenfalls die Koch
und Walter getan und besonders der vermögende Henricus
Konow, der noch Ländereien und Gehölz bei Krummesse besaß
8).
Außer den wüsten HÖFEN gab es noch wüste STELLEN
in der Stadt, deren Besitzer zum Leid der Regierung nicht
willens oder nicht fähig waren, ihre Stätten wieder 'an die
Reihe' zu bringen. Eine Liste dieser Stellen liegt noch im
Stadtarchiv vor 9). Sie enthält 21
Namen. Daß unter 120
Häusern und 72 Buden der Stadt eine Reihe von Buden
baufällig war, wird nicht verwundern; es sind nach dem
Taxwert etwa 9. Von den übrigen fallen 9 unter die
Brauhäuser und das wird eher auffallen. Ich erläutere daher
zwei Beispiele 10):
________________
7)
Verzeichnis der Höfe 1691: 1)
Kirchenhaus auf dem Berge wegen des HOFES am Lübschen Wege
unten am See, mit herrschaftlichem Kalk belegt und also
wüst. [Später ist dort auch der Kalkofen. Der Hof blieb
wüst. Das Kirchenhaus selbst, 'so früher Andreas Heußler
zuständig', lag gegen Wortzins.] 2) Franz Walters Erben (Garten beim Festungsbau
verwüstet). 3) Johann Kochs Erben (ebenso),
4) Hinrich Konow
(Koppel hinter dem Sitzkow). 5) und 6) Hofrat Fabricius (2
Gartenplätze, erst durch die Invasion verwüstet. 7)
Benkendorfs Erben (wüst), 8) Claus Vor(t)kamp (längst wüst),
9) Jürgen Renner (desgl.), 10) Tias Tietke (desgl.),
11)
Jürgen Bötticher (desgl.), 12) Jacob Lodtitz (desgl.),
13)
Peter Claus (desgl.), 14) Jochim Claus (desgl.),
15) Marcus
Rademacher (desgl.), 16) Michel Stau [Stauwer] (desgl.),
17)
Andreas Claus (desgl.), 18) Jürgen Bährens [Behrentz]
(desgl.). Bem.: Nr. 2-4, 7-10,
12-14 und 17 sind
Brauereibesitzer. Nr. 7 ist der herzogliche Rat Benkendorf
(um 1660). Nr. 1, 2, 3, 7 gingen später im Festungsbau
gänzlich unter. Nr. 8-18 werden noch im 18. Jahrhundert als
'wüst' geführt. Der Fall Nr. 18 ist sehr alt. Der Name liegt
1545 vor und ist dann nicht mehr zu finden.
8) Der
interessanteste Fall ist Nr. 1. Es handelt sich um den
Seekenhof auf St. Georgsberg. Seine Geschichte zeigt ein
Aufsatz von Dr. Gerhard im 1. Heft unserer Zeitschrift
(1925, Nr. 1). Der letzte Besitzer, Andreas Heuseler, lebte
zuletzt in Lauenburg von einer Armenunterstützung, die ihm
aus allen Ämtern anteilsweise gereicht wurde. Der Besitz
gehörte 1691 der Kirche. Das HAUS, nun Kirchenhaus genannt,
lag gegen 'Wortzins'. Die Pertinenzien am Lübschen Wege
bildeten den HOF. Auf ihm lag der Kalk für den Festungsbau
und später auch der Kalkofen. Vgl. Anm. 18. Hof und Haus
gingen bei dem Däneneinfall unter. Der Hof blieb wüst. An
der Stelle des Kirchenhauses entstand das neue Amtshaus nach
1694. (Heute das Landratsamt.)
9) Übersicht über die
wüsten Stellen vor 1693: 1) Sanders wüste Stelle,
2) Carsten
Schütt, 3) Barthol. Petri, 4) Crassow,
5) Der Nagelschmied,
6) Arend Springer, 7) Rebandel,
8) Die Schierholtzsche 9)
Prüß Wittib, 10) Secr. Helms, 11) Engelhardt,
12) Carl
Schmidts Stätte, 13) Francken Bude, 14) Hooten Erben,
15)
Fricken Scheune und Garten, 16) Enoch Hamer,
17) Jochim
Wilde, 18) Westphalen Haus und Hofstätte,
19) Hinrich
Pagels, 20) Jochen K..., 21) Knoopen Bude. (Die Liste ist
zuerst bekanntgegeben von B. Raute in den Lbg.
Heimatblättern Nov. 1937, Folge 8.)
10) Ich nenne die
Brauereien immer nach der Rolle von 1698. durch die man am
ehesten Klarheit in die Herkunft der einzelnen bringen kann.
II. 15 bedeutet z. B.: Brauerrolle 1698, II. Quartal Nr.
15.
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I. Daniel Rebandel, ein
gelernter Schmied (Nr. 7), wollte 1685 ins Brauamt, doch
dies ward ihm abgelehnt, da sein Haus keine
Braugerechtigkeit hätte. Nachdem er (durch seine Frau) die
wüste Stelle Sanders (Nr. 1) geerbt hatte, wurde er Brauer,
aber ein sogen. kleiner Brauer, der nur für das eigene Haus
braute 11). Er hatte demnach keinen Grund, seine wüste
Stelle auszubauen. Noch als 1692 der Befehl kam, die
Brauereien mit großen Pfannen und Küben ordentlich
einzurichten, konnte er dem nicht nachkommen und blieb ein
kleiner Brauer. Die wüste Stelle Sander aber war die alte
Stelle II, 15 von Joch. Niefeldt und über Wilken Hauerkampf
(durch Heirat?) an Barthol. Sander gekommen. Sie lag vor
dem Tor, wie auch die Stelle von Hans Vollers. Sander war
1638 abgebrannt und hatte vermutlich nicht groß wieder
aufgebaut, da er 2 Brauereien hatte. Die zweite (II, 4) hat
später Phil. von Milow geerbt.
II. Der Stadtschreiber
Barthol. Petri (Nr. 3) besaß 3 Brauerstellen: a) Isernhagen
Stätte (1638 Jac. Lodtitz I, 16), b) die Stätte
IV, 3 und c)
als wüste Stätte IV, 4. Die beiden letzteren hatte er von
Hans Barchmann überkommen [sic!], der wohl nur eine wirklich
betrieben hatte. Es ist begreiflich, daß Petri nicht alle
drei betrieb. Die eine ließ er weiter wüst; die anderen muß
er wenigstens zunächst auch nur klein betrieben haben, da er
noch 1689 zu den kleinen Brauern zählte. Später, nach dem
fürstlichen Befehl von 1692, daß alle sich mit großen
Pfannen ausbauen sollten, ist er vielleicht gefolgt; denn er
erhielt nach dem Brande eine Entschädigung auf Grund des
Taxwertes von 1000 Tlrn.
Die mannigfachen Ursachen
für diese äußere Lage des Brauwesens sollen durch einen
kurzen Rückblick verdeutlicht werden.
Schon 1583 war
auf 'vielfaches Ansuchen' den Brauern zur BEFÖRDERUNG DER
ALLGEMEINEN WOHLFAHRT 'Amt und Gilde' vom Herzog vergönnt
worden. Wegen der 'DURCH EIGENNUTZ' entstandenen Mißbräuche
in der 'Entziehung der Krüge' half der Fürst 1601 durch eine
neue 'Vergleichung und Ordnung'. Mit 70 Brauhäusern wurde
das Amt geschlossen. Das persönliche Braurecht sollte aber
immer nur in EINEM Hause ausgeübt werden können, auch wenn
einer mehrere Brauhäuser hätte, es sei denn, daß jemand ein
weiteres Haus durch 'Ansterbung oder Anerbung' besäße. Dann
müsse er von solchem Hause 'gleich und recht' tun und von
jedem Hause auch einen Mann zur 'Musterung' (Heeresfolge)
stellen. Im übrigen blieb alle Partierung
(Vergesellschaftung) mit 'Kaufen oder Heurung' verboten.
IN DIESER ORDNUNG DEUTET SICH DER KAMPF GEGEN DIE
MONOPOLBILDUNG AN.
Aber die Geschichte der Brauhäuser
und Brauerfamilien beweist, wie in der Folge durch
Versippung und 'Erbschickung' doch immer wieder mehrere
Häuser in eine Hand kamen. In wechselnden Gruppierungen
bildeten sich stets neue Monopolstellungen, durch die die
übrigen Brauer herabgedrückt wurden 12). Wirklich sprach die
neue Ordnung des Jahres 1675 von 'SEHR WÜSTEN BRAUHÄUSERN
UND ÖDEN BRAUSTÄTTEN, in denen die armen Brauer wenig oder
gar nichts von ihrer Braugerechtigkeit' hätten. Daher wollte
diese Ordnung ausdrücklich 'Arme und Reiche in den gleichen
Genuß ihrer Gerechtigkeit setzen und ALLE MONOPOLIEN
ABSCHAFFEN'. Nach einer Jahresabschätzung wurde jedem
sein Quantum in Akzisezetteln zugeschrieben, und nun konnte,
wer _______________
11) Kleine Brauer brauten nur
für den eigenen Haushalt und brauten z. T. nur 'dünne
Trinken'. Sie gaben DER STADT ein 'Leidliches' als Accise (à
Scheffel 3 Schill.). Dahin gehören Nölting (lV, 19), Petri
(IV. 3), Claus Schmidt (IV, 14) u. a. mehr. Bei der
Besichtigung des Brauhauses von Gerdt Riebow z. B. wurde der
Betrieb eines 'kleinen' Brauwerks darin genehmigt (1 Brau =
1 Drömt). Warum ein kleines Brauwerk niemals mit einem
großen konkurrieren konnte, werde ich in einem andern
Aufsatz zeigen, in dem ich die HOHEN ANFORDERUNGEN AN DIE
HERSTELLUNG DES ROMMELDEUSZ zeigen werde, soweit ich sie
ermitteln konnte.
12) Die Frage der Monopolisierung
verschärft sich noch dadurch, daß die wichtigsten Brauer
zugleich Ratsherren wurden. Gegen diese Versippung und ihre
Folgen in der Amtsbesetzung kämpfte Julius Franz, als er
1679 die Bürgermeister von Ratzeburg und Lauenburg
suspendieren ließ. Es war vergeblich; denn die Privilegien
der Städte 'kannten die Schwägerschaft nicht als Grund,
jemand ein Amt zu entziehen'. (Kobbe III, 88.)
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aus Armut oder sonstigen
Gründen nicht zu brauen vermochte, seine Zettel verkaufen,
und zwar 1 Dr. Malz mit 6 Schilling. So wurde das dingliche
Braurecht zu einer dinglichen Rente. Dabei blieben das
persönliche und das dingliche Recht aneinandergeschlossen.
Eins setzte das andere in Kraft. Man mußte nämlich, um
überhaupt Anteil an der Ordnung zu haben, sowohl ein
Brauhaus zur Verfügung haben als auch dem Brauamt
angeschlossen sein. Die Bestimmungen über die
Zusammenfassung von Brauwerken in einer Hand blieben
unverändert. Es sollte aber sorgfältig beobachtet werden, ob
auch ein Aufkäufen der Akzisezettel zu einem Monopol für
einzelne führe, wo alsdann der Präsident des Magistrats
einzuschreiten hätte. Ob das jemals geschehen ist? Kaum
durchgreifend.
1780 kannte der Herzog NUR 10,
DIE DEN 'NAMEN DER WIRKLICH
BRAUENDEN' VERDIENTEN, und er machte zugunsten der
'ohnvermögenden' Brauer einen erneuerten Versuch mit dem
Reihebrauen. Dieses Zwangsinstitut scheiterte abermals wie
1674, und die Wirren gingen soweit, daß die großen Brauer
1684 gewissermaßen streikten. 'Widerspenstig und
eigenwillig' brauten sie so 'langsam', daß niemand Bier in
Ratzeburg kaufen konnte und die Wagen leer von dannen
fuhren. Durch ein 'Dekret vor die sämtl. Bürgerschaft'
erlaubte der Herzog wegen der Not jedermann in Ratzeburg das
eigene Brauen. Das hielten die Brauer 9 Monate durch. Dann
wurde eine neue Vergleichung getroffen und ein Zustand
hergestellt, den ich noch nicht genauer fixieren konnte. Die
Lage war 1689 etwa folgende. Es gab
1) Familien mit mehreren Brauereien 13),
2) Brauer mit einem vollen Brauwerk,
3) Brauer, die nur ein 'kleines' Brauwerk betrieben, und
4) Brauer, die ihren Betrieb nicht geöffnet hielten oder gar
als bloße 'Kesselbrauer' nicht öffnen durften.
Ob die letzteren noch Akzisezettel praktisch als Rente
nützen konnten, ist sehr fraglich. Aus diesem Gesamtbild hat
man die 'wüsten stellen' zu verstehen. SIE SIND NICHT AN
SICH EIN BEWEIS ETWA, DASZ DAS BRAUWESEN EIN RÜCKSCHRITT
WAR, SONDERN SIE SIND EIN ERGEBNIS DER
KAUFMÄNNISCH-WIRTSCHAFTLICHEN ORGANISATION DIESES
ERWERBZWEIGES, DIE ALLERDINGS MEHR, ALS HIER IN DER KÜRZE
GEZEIGT WERDEN KONNTE, ZWANGSLÄUFIG WAR.
*
Es bleibt nun noch die Frage zu untersuchen, wie die
Stadt hinsichtlich ihres Erwerbslebens überhaupt zu
beurteilen ist. Die Wirtschaftsziffern mögen die Lage
erhellen, wobei das Jahr 1691/92 zugrundegelegt wird. Das
Schlüsselgewerbe der Stadt war das erörterte BRAUGEWERBE.
Noch bestanden mit geringen Verschiebungen die
ursprünglichen 70 Braugerechtigkeiten, und die Besitzer
reihe ab 1601 läßt sich bei den meisten wiederherstellen.
Noch trugen die Brauhäuser nach dem Brauch der Vorfahren
ihre alten Namen,
selbst wenn der Besitzer längst gewechselt hatte. So hieß
die Stelle IV, 12 (Ketelhaken) noch immer Dülmenstede nach
Heinrich v. Dülmen (1601), und Stelle IV, 9 (Walters Erben)
kannte man nur als Boßels Haus nach Otto v. Bostenbestell
(1601). Für sein neues Brauhaus in der Burgstraße beantragte
Vehlbeer 1692 die Übertragung der Braugerechtigkeit aus
'seinem sogen. Harders Haus', dessen Name mindestens aus der
Zeit vor 1343 herrühren muß. Noch galt der Ruf des Biers.
Waren die technischen Einrichtungen auch mannigfach
abgestuft, die
_______________
13) Dahin gehört u. a. die Familie des Franz Walter mit
5
Brauereien. Das Vermögen des ehemaligen reichen Ratsherrn
zeigte sich in den Prozessen wegen Schuldforderungen recht
zerrüttet. Die Witwe konnte sich wenigstens nach dem Brande
nicht wieder aufrichten. Der Herzog gab ihr auf ihre Bitten
12 Eichen und 2 Buchen zum Neubau 'wegen ihrer vielen
aufgebrannten Häuser'.
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Güte des Rommeldeuß stand
unzweifelhaft fest; das bezeugt der Umsatz. Die große
Malzakzise brachte 1691/92 von 2770 Drömbt
Malz 2770 Tlr. ein, die kleine noch dazu
112 Tlr. Das
besagt, daß 16 620 Tonnen erzeugt wurden, was einem Geldwert
von über
100 000 M. entspricht (in heutigem Wert mindestens
400 000
M.). Anschaulich ausgedrückt, an jedem Werktag gingen über
50 mit dem
Rautenkranz gezeichnete Tonnen auf Wagen und Booten in die
Welt hinaus, Stück um Stück zu gut 2 Tlrn. Diese Höhe der
Erzeugung
ist dem Idealfall nicht fern und wurde nicht wieder erreicht
14). Auf den Nullpunkt nach der Zerstörung folgte erst das
Jahr 1707 mit
1930 Tlr. Akzise als letzter Hochpunkt. Danach ist die
Erzeugung, wenn auch in Wellengängen ständig gesunken,
während die Branntweinakzise laufend stieg. Die hier noch
einmal gegebene Übersicht läßt deutlich die Energie des
damaligen Braugeschlechts im Wiederaufbau erkennen. (Man
beachte das Jahr 94/95!)
Jahr |
|
Erzeugte Tonnen |
|
Große Akzise in Tlrn. |
|
|
|
|
|
1691-92 |
|
16620 |
|
2770 |
92-93 |
|
16176 |
|
2696 |
93-94 |
|
- |
|
nichts aufgekommen |
94-95 |
|
4896 |
|
816 |
1707-08
(Letzter Hochpunkt) |
|
11580 |
|
(in Gnaden remittiert)
1930 |
Man könnte annehmen, daß 1691/92 das Zeltlager beim Neuen
Vorwerk den Verbrauch wesentlich gesteigert habe.
Selbstverständlich
war das CAMPEMENT nicht ohne Einfluß. Aber im Lager wurde
trotz amtlicher Strafandrohungen viel Akzise hinterzogen,
auch trank man billigeres Bier. So findet man für das Lager
30 Tonnen Behlendorfer Biers in der Akzise angegeben à
12
Schill.). Ähnlich ging es
mit dem Branntwein, dessen Verbrauch auch durch die Akzise
nicht erfaßt ward, da Lorenz Classen, der die
Verproviantierung der Festung hatte, 'viel akzisenfreien
Branntwein an die Soldaten ausschenkte'. Ein Blick in das
gesamte Brauwesen des Landes, in den Wettbewerb der 'aus-
und einheimischen' Biere und in den Kampf um die Akzise und
die Schankprivilegien nötigt zu dem Urteil, daß die
Ratzeburger Brauerschaft damals noch kaufmännisch und
gewerblich voll auf der Höhe stand, trotz und vielleicht
gerade wegen des Verfalls so mancher großer Vermögen.
_______________
14) Die 69 Braustellen brauten seit
1601 nur quartier- und
quartalsweise. Es kamen demnach laufend höchstens 17 in
Frage. Das Brauen geschah durchschnittlich alle 8 Tage, und
ein vollständiger Brau, auf den lange nicht alle
eingerichtet waren, ergab 24 Tonnen Ganzbier. Im besten
Falle konnten demnach 20 000 Tonnen im Jahre erzeugt werden,
was bei dem unveränderten Ansatz der Akzise (1 Dr. -
1 Tlr.)
3333 Tlr. an Akzise ergab. Von diesem Idealfalle ist
1691
die Akzise mit 2770 Tlrn. nicht so sehr weit entfernt. Nach
Hellwig (Archiv d. V. f. d. Gesch. d. Hzgt. Lbg. II, 3 S.
46) gab ein DOCUMENTUM NOTARIALE von 1702 an, daß die
fürstliche Akzise aus dem Rommeldeus 8-12 000 Tlr. betragen
habe. Auf jenes nicht mehr vorhandene Dokument bezieht sich
wohl eine noch im Landesarchiv vorhandene ältere Nachricht,
daß gemäß einem Bericht v. Lafferts die Akzise früher 8-10
000 Tlr. eingebracht habe. Laffert mußte das wissen. Doch
weil man seinen Bericht selbst nicht hat, bleibt alles
zweifelhaft. Solange man nichts Bestimmteres weiß, können
nur die obigen Berechnungen über die Malzakzise als
gesicherte Unterlage für ein Urteil dienen.
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Mit dem Brauwesen war das
MÜHLENWESEN eng verbunden. Die Malzmühle war die
bedeutendste; sie gab mit 388 Tlrn. fast
doppelt soviel an Pacht als die Roggen- und Sandmühle
zusammen. Die Seihe der Brauereien unterstützte die
umfangreiche SCHWEINEZUCHT in der Stadt; die Gelegenheit zur
Waldmast gab die städtische Waldung im Bargenbusch. Den
Umfang dieser Schweinehaltung zeigt ein Blick in die
Fehmliste; die herrschaftlichen Haushaltungen der sechs
obern Beamten allein hatten 42 Schweine in der Mast laufen.
Dieser Schweinebestand war nicht nur für die Wirtschaft der
Ackerbürger wichtig, sondern auch als Unterlage der
Verproviantierung für den Ernstfall, zu dem die Bürger sich
mit Lebensmitteln auf 5 Monate einzudecken hatten. Wer es
verabsäumte, sollte die Festung vor der Belagerung
verlassen, wie es später wirklich geschah, wo dann die
'ledigen' Häuser allerdings von den Soldaten der Festung
höchst undiszipliniert nicht geschont wurden. Die Stadt
besaß weiter eine ausgedehnte FISCHEREI. Neben dem
herrschaftlichen Hausfischer, dem Boote, Hudefaß und Geräte
gehalten wurden, lagen die Ratzeburger Fischer diesem Erwerb
ob. Sie bezahlten bis zuletzt ihre Seehäuer von 26 Tlrn. und
gaben dazu jährlich auf Johannis ein Buttergeld von 13 3/4
Tlrn. Tönnies Langhans hatte überdies noch den Salemer See
gepachtet. Trotz allen Holzverbrauchs wurde immer noch eine
umfangreiche Verschiffung von Brennholz durchgeführt; der
Holzzoll belief sich auf 57 Tlr. (Durchschnittszahl). Auch
die sonstigen Ziffern des städtischen Haushalts lassen den
Schluß zu, daß man von einem wirtschaftlichen Verfall der
Stadt nicht reden kann, wenn auch die größern Vermögen wohl
in der Nachwirkung des großen Krieges untergegangen waren.
Es gibt im Grunde nur einen Ausfall zu berichten. Er
betrifft die Tuchmacher und ihre Industriemühle.
Seit 1661 stand im Farchauer Ende an der Stelle der
ehemaligen Kupfermühle eine Papiermühle als einzige im
Herzogtum. Andreas Cordes, der Papiermüller, betrieb
nebenher noch eine kleine Stampfmühle. Beide blühten. Anders
erging es der Walkmühle, die sich dort seit 1382 befand.
Jenerzeit hatte der Herzog den WANT- ODER TUCHMACHERN in
Ratzeburg eine Amtsverschreibung gegeben und ihrer
Gesamtheit vergönnt, diese Walkmühle gegen 10 lübsche M. zu
erbauen. Die Gilde muß recht im Flor gewesen sein. Die
Ratzeburger Laken wurden seit 1585 von beeidigten Wardicrern
mit des Rats Siegel versehen. Die Tuchmachcrrolle von 1621
wurde noch 1702 amtlich vorgewiesen, doch sind Namen und
Inhalt nicht bekannt. Der Zuzug von Tuchmachern ist in der
Bürgerliste zu verfolgen. Er belief sich 1613-17 auf
8 und 1641-47 auf 13 Wantmacher. Dann ebbt alles ab;
1702 gab es
keinen Tuchmacher von Beruf mehr in der Stadt. Das
Ratzeburger Qualitätstuch war vom Markt verschwunden. Die
Tuchmacher hatten 1684 erklärt, nicht mehr zahlen zu können,
und gebeten, verkaufen zu dürfen. Der Herzog ließ durch
Sachverständige prüfen, ob eine Lohmühle an die Stelle
treten könne, welche dann die Ratzeburger und Möllner
Schuster mit 50 Tlrn. pachten wollten. Man fürchtete aber
die Konkurrenz von Oldesloe und Schwartau. Vor allem meinte
ein Sachverständiger, die Mühle werde wegen des schwachen
Wasserstroms nur 3 Std. täglich laufen können. So kaufte
zunächst der Ratsherr Nölting die Walkmühle und baute sie
neu. Noch 1692 bekam er vom Herzog 13 Eichen zur Reparatur
geschenkt; aber 1702 war er doch fertig, weil kein
Tuchgewerbe mehr bestand. Wahrscheinlich lag der Grund für
den Untergang in der Abtretung der Mühlen an der Bäk an die
Strelitzer Regierung. Dort durften unsere Gewerbler nicht
mehr walken lassen, und ihre eigene Mühle mit dem schwachen
Wasserstrom erwies sich nicht wettbewerbsfähig. Das Volk
jedoch schmuggelte sein Tuch zum Walken über die sogen.
Magnus- oder Müggenburg nach der Bäk trotz aller
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herrschaftlichen Verbote.
So zeigen es die Strafvorgänge. Die Geschichte des
Tuchgewerbes zeigt deutlich einen der Schäden aus den Folgen
des 30jährigen Krieges, den die Stadt nicht zu überwinden
vermocht hat. Die weitere Entwicklung der Industriemühlen
fällt nicht mehr in unsern Zeitraum.
Schließlich noch die Frage, ob die Stadt nicht durch den
Zustrom der Bauhandwerker und der Soldaten wie durch den
gesamten Baubetrieb einen weiteren Aufschwung nahm. Für die
umfangreiche VERPROVIANTIERUNG DER FESTUNG und ihrer
Soldaten hatten sich die Ratzeburger nicht bereit gefunden.
Sie konnten sich der Preisbildung nicht genügend anpassen;
daher wurde der Ankauf dem Hamburger Kaufmann Lorenz Classen
übertragen. Hier fehlte nun wohl wirklich der Stadt ein
unternehmungsfreudiger Kaufmann größeren Vermögens; man kann
ihr daraus keinen Vorwurf machen. Sie mußte also der
Marketenderei und der Proviantanhäufung mit einem gewissen
Unmut zuschauen. Es wollte wenig bedeuten, daß in zwei
städtischen Schlächtereien 1691/93 212 Ochsen geschlachtet
wurden und daß zwei neue Hökereien entstanden. Wohl aber
bekamen die Bürger die KEHRSEITE DER MENSCHENANHÄUFUNG zu
spüren. Sie hatten in den Jahren vor der Belagerung durchweg
4 Kompanien als Einquartierung und beklagten das auch genug.
Selbstverständlich wurde auch ihre Spannhaltung mit beim Bau
eingesetzt, wenn Not war. Das geschah noch im letzten Sommer
und sogar während der Erntezeit, als die Schloßinsel
abgegraben wurde, um sie unter Wasser zu setzen.
Wir blicken nun noch einmal zurück. Um 1650 begannen sich
wirtschaftliche Verlagerungen als Folge des 30jährigen
Krieges mächtig auszuwirken. Das Lübecker Brauwesen geriet
in starken Verfall, und der Export ging außerordentlich
zurück. Die Gerstendurchfuhr
blieb verboten, und die Gerstenausfuhr wurde zum Schutz der
städtischen Mülzer untersagt. Ratzeburg konnte nur noch
braufertiges Malz
von dort beziehen. Der Verdienst aus dem Mülzen fiel aus. So
waren denn die hiesigen Brauer 1651 derart bei den Lübecker
Mülzern
verschuldet, daß sie wöchentlich, ja täglich 'zur Zahlung
angestrengt' wurden. Das alles sei dem (Gerichts-)
Präsidenten ja 'bewußt',
schrieben sie dem Herzog. Und der Herzog selbst hat nach den
Kammerregistern für 1651 die Akzise im ganzen Herzogtum auf
nur 197 Tlr. angegeben (siehe Kobbe III, S.
28). Vergleicht
man 1651 mit dem gewonnenen Bild von 1691, so darf man
sagen, DIE STADT HATTE NACH SCHWEREN INNERN STÖRUNGEN,
KÄMPFEN UND VERLUSTEN DIE KRISE IM LAUFE EINER GENERATION
ÜBERWUNDEN UND WAR IM AUFSTIEG.Wie hat nun die neue
Regierung auf die Stadt eingewirkt? Sie drängte auf den
Ausbau der Stadt, und der Herzog unterstützte sie, indem er
den Bürgern Bauholz "schenkte und verehrte". So bekam der
Bürgermeister Peter Beneken 42 Eichen zu einem neuen Haus
15). Andere bekamen weniger und kauften z. T. auch Bäume aus
der her-
_______________
15) Es heißt ausdrücklich 'zu Legden, Balken, Ständern,
Sparren'. Man kann daher diesen Bau als Normalfall für das
Gezimmer eines ansehnlichen städtischen Wohnhauses nehmen.
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zoglichen Forst hinzu
16).
Es erhielten zu einem Neubau 1691/93: Peter Beneken
42 E,
Bürgermeister Vehlbier 18 E (+ 7), Barbier Frz.
Erdm. Jonas 4 E (+ 16) für eine Scheune;
zur Reparierung ihrer Häuser:
Franz Mich. Tielken 8 (+ 3) zum baufälligen Haus, August
Syvert 6 E, Hinrich Rebeling 3 E, Sattler Hinr. Oldewich
4
E, Jacob Busekist
2 E, Frz. Meyer-Brunstorf für sein Haus in der Stadt
3 E,
Michael Westphalen 8 E, Hanß Nölting zur Reparatur seiner
neuen Walkmühle 13 E;
Rademacher Jürgen Grave kaufte 4 B.
Weiter bekam die Stadt 24 E, 6 B zu ihrem neuen Wachthaus;
und zur Wiederherstellung der mittleren Klappe in der Langen
Brücke,
deren Erhaltung zu Lasten der Stadt ging, gab der Fürst
27
E. Auch die Kirche wurde mit 10 E nicht vergessen, was
allerdings auch dem
Fürsten selbst oblag. Die Mühlen ließ der Herzog gründlich
reparieren, auch äußerlich. Das größte Gebäude, das die
Stadt neu erhielt, war
das FÜRSTLICHE MAGAZIN. In diesem Kornhaus wurden 239 E
verbaut, darunter die 28 höchsten der Kulpiner Forst. Nach
dem Bild
der sonstigen Kornhäuser haben wir uns darunter ein
niedersächsisches Haus vorzustellen: große Durchfahrtsdiele,
an beiden Enden die große Tür; rechts und links beim Eingang
die Registratur nebst Vorzimmer und die Gästestube;
weiterhin Wagen- und Pferdestallung. Darüber fanden sich
mindestens drei Kornböden, so fest gebaut, daß sie die
vielen Malter des Pachtkorns tragen konnten. Die hohe Winde
über der Einfahrt und das Wappen kündeten Art und Zweck des
Gebäudes an. Bis zur Fertigstellung lagerte das Korn auf
gemieteten Böden, was 26 Tlr. Kosten machte.
Da der Abbruch des Schlosses vor sich gehen sollte, war auch
für die Unterkunft der Verwaltung zu sorgen. An Stelle der
Pfortstube
(Amtsstube) auf dem Schloß wurde vorweg eine neue
'Amtsstube' mit einer Aktenkammer gebaut, die mit 20 neuen
Fenstern und einem
eisernen Ofen 89 Tlr. kostete und vielleicht schon auf dem
'Berge' stand. Ferner wurde ein gemeinsames Haus für den
Burg- und den
Hausvogt hergestellt. Ein Fachwerkhaus in 10 Verbind mit
Reetdach war es und kostete 180 Tlr. ohne das Bauholz, zu
dem für die Amtsstube und Vogtswohnung 42 E und
41 E + 6 B
angewiesen waren. Des weiteren mußte für den Hofrat
Fabricius ein neues Haus an
andrer Stelle aufgebaut werden, der dazu 34 E und
12 B
geschenkt bekam. Es kam wohl von der Freiheit in die
nachmalige Herrenstraße
und sollte eins der wenigen Häuser sein, die zunächst bei
der Zerstörung stehen blieben; ob später, ist die Frage.
*
Der Bau der eigentlichen Festungswerke soll hier nur
soweit dargestellt werden, als dadurch das Bild von der
Anstrengung des Landes vervollständigt wird 17). Der
Magnusturm und die Schloß-
_______________
16) Im folgenden bedeutet E Eichen, B Buchen; eine
eingeklammerte Zahl, etwa (+ 3), bedeutet gekaufte Bäume.
Leider ist es nur ganz einzeln zu ersehen, ob es sich um
'einstämmige' oder um 'Schneidebäume' handelt, welche
letzteren durch einen Kreuzschnitt das vierfache Balkenmaß
hergaben.
17) Die militärische Seite der Dinge hat U. v. Rundstedt
erstmalig eingehend fachmännisch und kritisch dargestellt.
Der Aufsatz ist für diese Frage unentbehrlich. (Vom Werden
und Vergehen der Veste Ratzeburg. Lauenburgische
Heimatblätter 1929, Nr. 9, Beil. zur Lauenburgischen
Zeitung, Ratzeburg.)
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[Abbildung:]
Festung Ratzeburg im Jahre 1756.
Bild-Archiv Freystatzky.
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1940/1/2 - unpag.
Zu den Bildern von
Ratzeburg.
1. Der Stich von Gerdt Karre aus dem Jahre
1588 (S. 2/3) ist ein unschätzbares
Denkmal, das uns das Stadtbild aus der Zeit vor der
Festungsaufrüstung vermittelt. Im Tiefblick erfassen wir auf
der Vorinsel die wehrhafte Landesveste und Schloßburg, aus
der die kantigen Formen des massigen Turmes aufragen. Der
Blick folgt der Kurve der Burgstraße hinauf zum Markt, in
dessen Mitte sich angesichts des Rathauses die Gerichtssäule
mit dem Schandkorb als Symbol des städtischen Regiments
erhebt. Durch Garten und Feld vom weltlichen
Bezirk geschieden, findet sich das Stiftsgebiet, dessen
hoher Dom den alten Kulturmittelpunkt des Landes anzeigt.
Ein schmaler Strich Landes mit lichten Waldgruppen schließt
vor hohem Horizont das Blatt. Symbolisch betonen die drei
Wappen noch einmal die fürstliche, die geistliche und die
bürgerliche Gewalt, unter deren Regiment die
Stadtgemeinschaft steht. So offenbart der Stich nicht nur,
daß die Stadt auf diesem Boden organisch gewachsen ist,
sondern auch, unter welchen Lebensgesetzlichkeiten sie
heraufgekommen ist und
annoch lebt.
Reich ist der Fleiß in allem einzelnen, doch vornehmlich
betont das Blatt das Überpersönliche der Gemeinschaft. Mit
viel Entsagung daher, selbst auf perspektivische Rüstigkeit,
vor allem auf jede persönliche Note, mit Verzicht auf die
Stimmung der Stunde hat der Künstler gearbeitet. Sein Blatt
will und kann epochale Bedeutsamkeit beanspruchen. Daß es,
mit der Lupe gesehen, nur gewinnt, erhöht seine Kostbarkeit.
Es gehört zu den besten Leistungen jener Zeit.
2. Die Stadt und Festung Ratzeburg 1756
(von Cap.-Lieutn. Schilling-Hannover).
Die beigegebene Tafel hat folgende Angaben:
In der Stadt und Vestung.
a. Die Königl. Cantzeley.
b. Die Herrschaftl. Regierungshäuser.
c. Die Baraquen.
d. Vier Pulver-Gewölber.
e. Proviant-Gewölber.
f. Das Stock Hauß.
g. Der neue Wall vor dem Langenbrücker Thor.
h. Die Lübeckische Contregarde.
i. Die Möllnsche Contregarde.
k. Das Ravelin am Lüneburger Tor.
l. Der Schacksche Platz, unbebaut.
Nota: Die gelbe und blaue Gräntzfarbe unterscheidet
das Königl. Gebiete von dem Mecklenburg-Strelitzschen.
A. Das Mecklenburg. Fürsten Hauß.
Nota: Dieses nebst noch 10 Häusern auff
dem Thum sind in der Bombardierung 1693 stehen
geblieben.
Vor die Thore.
m. Das Königl. Ambt-Hauß auff dem St. Jürgens Berge.
n. Die Bergkirche.
o. Der Garnisons-Kirch-Hoff.
p. Die Herrschaftl. Korn-Mühle.
q. Der Zollen.
Vor dem Langenbrücker Thore.
r. Die Herrschaftl. Maltz-Mühle.
Um der Stadt in der See befinden sich in allen 4934
Pfähle.
Cop.: Hannover, d. 16. April 1756.
Die Festung war nach 1700 bis auf die
Bastionen wieder instandgesetzt worden. M an kann also im
Plan die ehemalige Anlage durchaus wiedererkennen. Der Weg
führte vom St. Georgsberg her bei g am Zoll vorüber,
dann über eine Brücke zur Lerchenwacht, weiter am alten
Schloßplatz vorüber durchs Lüneburger Tor auf die ÄUSZERE
BRÜCKE, die in der Mitte durch eine doppelte Zugbrücke
unterbrochen werden konnte. Durch ein Torgewölbe kam man
dann in das Ravelin k und weiter auf die 2.
FESTUNGSBRÜCKE
(mit Klappbrücke) und auf die Courtine zwischen den
Bastionen i und h. Schließlich
führte die 1. FESTUNGSBRÜCKE über den Neuen
Graben unter das Lüneburger Torgewölbe, zu dessen Seiten man
noch die Reste der ehemaligen Bastionen sah, die nicht
wiederhergestellt worden waren. Das Lüneburger Torgewölbe
stand also am damaligen Rande der Stadtinsel.
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bauten wurden niedergelegt.
Am Westrand der Insel wurde durch Abtragung der Häuser auf
der Freiheit ein breites Feld für die Neubefestigung
gewonnen. Den Kern bildeten zwei niedrige, gemauerte
Rundtürme (Bastionen) mit vorgelegten Bollwerken
(Kontregarden) und ein vorgelegtes Werk (Ravelin) zum Schutz
des Tores. Das Wesentliche zeigt am besten noch der
anliegende Plan der Festung von 1736 mit den
Erläuterungen. In den Grundzügen deckt sich das Bild mit dem
Zustand von 1693.
Als Vorbereitung zum Festungsbau wurde zunächst ein großer
Ziegelofen mit den nötigen Ziegelhütten und Scheunen
angelegt. 91/92
wurden diese mit 170 E, 695 B
und 45 Schock Latten beim Neuen Vorwerk
aufgerichtet und unter Dach gebracht; 150
Faden Holz verschlang die Brennerei. Im folgenden Jahr, wo
auch ein neuer italienischer Brennofen im Gange war, wurden
Scheunen und Bedachung mit 22 E und 147
B aufgeführt; es wurden 1015
Faden verfeuert. Die Öfen waren auf eine Jahresleistung von
jährlich 1 Mill. Steinen
berechnet. Das Kalklager befand sich auf der Koppel am
Abhang des Lübschen Weges, die zu dem erwähnten Kirchenhaus
in St. Georgsberg gehörte. In der Nähe befand sich der
Brennofen, der 91/92 an 75 Faden
Buchholz verzehrte 18).
Von den militärischen Gebäuden stand zuerst das Werkhaus für
die Artillerie unweit westlich der Kirche fertig da. Man
hatte dazu
das Abbruchsmaterial des 'neuen Brauhauses' vom Schloß
genommen. Der Bau eines neuen Stalls für die
Artilleriepferde folgte 91 mit
28 E und 14 B. Große Fürsorge
galt den beiden Wohnbaracken (nahe dem heutigen
Stadtkasernengrundstück). Sie sollten 3
Kompanien
aufnehmen, wo dann immer noch überreiche Einquartierungslast
für die Bürger blieb. Zu Mauerplaten, Ständern, Kaminen und
Treppen
wurden 67 E und 14 B für diese
Häuser gehauen und ab 92 noch wieder 90
B als Wellerholz zum Einzug der Decken angefahren. Erst
im Herbst 92 waren die hübschen Bauten mit den
Eckpavillons und dem Mansardendach fertig. Die von auswärts
heranbefohlenen Sol
daten bezogen in jedem Sommer draußen beim Neuen Vorwerk ein
großes Zeltlager; das nötige Brennholz wurde ebenfalls von
den
Forsten geliefert.
Von den eigentlichen Festungswerken wurden die Bastionen als
niedrige Türme an der Westseite der Insel am ehesten
gemauert. Die
neuen 'CORPS DE GARDES in den detachierten Bollwerken'
kosteten zunächst nur 14 E, mußten aber später
verstärkt werden. Schon 91 hatte sich
herausgestellt, daß die Ingenieure den Baugrund und die
ganze Anlage wohl nicht richtig beurteilt hatten. Das
Fundament der
Kontregarden vor den Bastionen hatte sich gesenkt. Für die
Gegenmaßnahmen wurden 17 der 'allerhöchsten
Buchen' aus der Frede-
_______________
18) Die Stellen sind heute noch auszumachen.
Ein geborener Ratzeburger erzählte mir aus seiner Jugend,
sie hätten als Knaben am Abhang, wo eins Quelle gewesen
wäre, in einem Wassertümpel gebadet, der einen
weiß-schlammigen Grund gehabt habe. Mit der weißen Erde
beschmiert, hätten sie sich dann in der Sonne braten lassen.
Dicht dabei sei im Grund noch ein festes Gefüge aus
Eichenholz gewesen; man wisse nicht, welchen Zweck das
gehabt haben könne. Die Saisonfreude dieser Jungen dankte
man also noch dem Kalkofen und dem Kalklager aus der
Festungszeit.
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1940/1/2 - 18
burger Forst gehauen und
quer über in den 'neuen Graben' gegen das Fundament der
Bastionen gelegt. 92 wurden abermals 29 'sehr große' Buchen
quer in den Graben gegen die gemauerten Bastionen gelegt und
außerdem 36 E und 16 B für die 'CORPS DE GARDES' zur
Verstärkung verwandt.
Der Aufbau der Batterien begann früh und verschlang 242 E,
und die Deckung der verschiedenen Gewölbe über den
Pulverlagern
erforderte 211 E und 164 B.
1691 war auch der Neubau des
Lüneburger Tores im Werke. 300 B wurden als Fundament in den
Grund gerammt und weitere 182 B als Schlingholz verwandt. Im
folgenden Jahr wurde mit 8 E ein Gebäude über diesem neuen
Tor
erbaut behufs einer geschützten Wohnung für den
Kommandanten. Noch werden eine Eisgrube (16 E) und eine
Roßmühle (11 E, 10 B)
für den Fall einer Belagerung südlich der nachmaligen
Herrenstraße benannt. Für die hygienischen Verhältnisse der
Brauerstadt ist die
Erbauung eines 'Secredt' auf den Ratzeburger See hinaus (20
E, 22 B) auffällig. In immer wiederkehrenden Absätzen werden
die
Lieferung für die 'Neue Brücke' angeführt. In den beiden
Jahren 91/93 wurden dazu für Ständer und Bohlen
127 E
geliefert. Wo lag sie nun? Es kann sich nur um die Brücke
zwischen dem Torgewölbe und dem Ravelin handeln. Die
Stellagen zu den verschiedenen
Bauwerken sind mit 185 E und 71 B angegeben; Pfähle und
Rammpfähle sind auf 998 E und 435 B in der Lieferung
berechnet. Die
gewaltigste Zahl der Bäume ging mit den Pallisaden darauf.
300 E und 10 060 B wurden zum Schutz der Festung vor den
Stirnen der
Kontregarden und rund um die Insel im tiefen Wasser
verrammt.*
Im Sommer 1693 stand die Festung notdürftig fertig und
bestückt da. Sie ward als IMPRENABLE gerühmt. Als im Oktober
der Dänenkönig angriff, wurde zwar die Stadt in einem Tage
völlig zerstört; die Festung hielt sich aber und brauchte
sich nicht zu ergeben. Ehe es dazu kam, führten die
diplomatischen Verhandlungen zum Frieden: Georg Wilhelm
blieb im Besitz des Landes. Seiner Entschlossenheit
verdankte er den Sieg. Was das Land ihm dazu hatte beitragen
müssen, war ebenso nicht vergeblich gewesen; Lauenburg ward
ein Jahrhundert geordneter Zustände und ruhigen Aufstiegs
beschert. Kräfte, die es nicht aus sich selbst gewinnen
konnte, strömten ihm aus einem größeren Gebiet des
Volksdeutschen Raumes zu. Und die Erinnerung daran wirkte
lange nach. Wäre es nach dem Volksempfinden gegangen, so
wäre Lauenburg unter der Krone Preußens ein hannöverscher
Kreis geworden. Wie fern liegen heute solche Empfindungen!
Das Großdeutsche Reich hat das Gemeinschaftsbewußtsein des
Volkes so geweckt, daß jede Landschaft ihr Sonderdasein
vergißt und sich würdig und stolz dem Dienst am Ganzen
einfügt. In solcher Haltung findet auch Lauenburg sich dem
großdeutschen Schicksalsgang eingefügt.
NACHBEMERKUNG:
Der vorliegende Aufsatz ist aus den verschiedenen
Materialien des Landes- und des Stadtarchivs erarbeitet. Die
sonstige Literatur ist in den Anmerkungen genannt. Gute
Dienste leistete die von B. Raute herausgegebene
'Neubürgerliste der Stadt Ratzeburg' (Lauenburgischer
Heimatverlag).
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