Hier liegt wirklich einmal eine alte Chronik vor.
Auf vergilbten Blättern geschrieben; im ältesten Teil - so um 1600 -
von Franz Gabriel v. Berling in lateinischer Sprache aufgezeichnet;
für die Jahre von 1600 bis 1748 in einer Abschrift des von Pastor
Schumacher verfaßten und später verbrannten Originals erhalten; für
die folgenden hundert Jahre von Pastor Cordes in Pötrau und für die
Zeit nach 1835 von Kreissyndikus Dr. Berling
bearbeitet. Eine stattliche Sammlung von Namen und Notizen und
bewegten Schilderungen. Eine Fülle von Erlebnissen und
Menschenschicksalen, die sich immer wieder in die Geschichte unserer
Lauenburgischen Heimat verweben. Es lohnt schon, die alten Papiere
zu durchblättern und bei einzelnen Abschnitten der Chronik länger zu
verweilen. * * *
Wir tauchen zunächst tief in das Dunkel der
Vorzeit ein. Da finden wir in des alten GABRIEL VON BERLING Papieren
mancherlei, worüber wir den Kopf schütteln möchten. Da werden
Beziehungen geknüpft, die uns zunächst abenteuerlich erscheinen. Und
der Zweifel möchte sich immer wieder an uns drängen, wenn wir von
der Verwandtschaft zwischen den Berlings und den edelsten deutschen
Fürstengeschlechtern lesen. Aber immer wieder springen uns dann
seltsame Uebereinstimmuugen in Wappen und Namen in die Augen, und
der Zweifel flüchtet für ein Weilchen in den Winkel. Aber mag es mit
der Wahrheit dieser alten Zusammenhänge stehen, wie es will.
interessant genug ist, was uns der alte GABRIEL VON BERLING, der
Hofmeister am Hofe Franz II. von Lauenburg, von seinen Vorfahren
erzählt. Wir folgen ihm, ohne uns von unsern Zweifeln beirren zu
lassen.
Die Berlings - so berichtet er - sind ein alt-langobardisches
Edelingsgeschlecht, das an der Stätte des heutigen Bardowiek seinen
Sitz hatte. Als ihren Stammvater sehen sie den sagenhaften Bernigatt
oder Hermigatto an, der um 450 lebte und auf den auch das alte
lauenburgische Fürstengeschlecht der Askanier seinen Ursprung
zurückführte. Zwei Urenkel jenes Bernigatt zogen mit König Alboin
nach Ober-Italien und wurden Mitbegründer des mächtigen
Langobarden-Reiches. Und einer von ihnen, Berno, wurde der
Stammvater des nachmals hochberühmten Geschlechts der Ursinier (ursinus
= Bärlein, Bärling), dessen Wappen mit dem der Berlings sich deckt.
Die Askanier - früher Beringer oder Berlinger genannt - und die
Bardowieker Berlings blieben damals im Lande. Als aber der große
Frankenkönig Karl den Bardengau mit Krieg überzog,
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da unterwarfen sich ihm die Askanier bald. Die
Bardowieker jedoch leisteten Widerstand und mußten nach Karls Siege
[sic!] landflüchtig werden. Erst nach des
Frankenherrschers Tode kehrten die Vertriebenen in ihr Land zurück. Nun aber
gewann ihr Geschlecht bald wieder an Macht und Ansehen. Und wenn die
Ueberlieferung Recht hat, so ging aus einer Seitenlinie des Hauses Hermann
Birling oder Billing hervor, der bekannte Begründer des sächsischen
Herzoggeschlechtes der Billunger. Jedenfalls war Stübeckshorn, der Stammsitz der
Billnunger, noch nach 1200 in den Händen der Berlings.
Aber wieder stürzte der Berlingsche Trotz das Geschlecht ins Unglück. Berling
zettelte 1168 mit den Grafen von Dassel und Aldenburg einen Aufstand gegen
Herzog Heinrich den Löwen an. Und wieder mußten die Berlings - Heribert mit
seinen 7 Söhnen - nach der Einnahme Bardowieks - in die Verbannung gehen. Im
Kreuzzug 1190 fanden sie alle den Tod. Auf Cypern sieht man noch heute
Bertholds, des einen Sohnes, Grabmal.
Doch die Zeiten wandelten sich abermals. Die Macht der Welfen sank. Die
Hohenstaufen triumphierten. Da zogen die Enkel Heriberts unter Kaiser Friedrich
II. in den Bardengau zurück. Sie erhielten einen Teil ihrer Besitzungen und -
vom Kaiser aus besonderer Gnade verliehen - ein neues Wappen, das noch heute von
den Berlings geführt wird. Fast gleichzeitig - und das gibt am Ende doch zu
denken - erhielt auch der Askanier Heinrich der Aeltere von Bernburg ein Wappen,
das mit dem Berlingschen ganz merkwürdig übereinstimmt.
Und nun breiteten sich die Berlings aus. Aber sie nahmen vielfach, nach der
Sitte jener Zeit, die Namen der Güter an, die sie erwarben. So gehörten die
Herren von Meinerssen, von Hohenbuchen, Depenau und Balk alle zu den Berlings.
Und damals soll auch ein Berling zuerst ein Schloß im Lauenburgischen besessen
haben, und zwar die berühmte und berüchtigte Raubritterburg Linau. Und
Ehrenfried Scharffenberg - so heißt es - ein Mitglied des bekannten
Raubrittergeschlechts, sei ein Schwiegersohn Marquards von Berling gewesen.
1)
Doch ein drittes Mal lehnte sich Berlingscher Trotz gegen einen Mächtigen auf.
Von den Askaniern im Herzogtum Lauenburg unterstützt, machte Harmen Berling
1279
einen Aufstand gegen Otto von Lüneburg, als dieser die letzten Rechte der
Edelfreien beseitigen und sich zum Lehnsherrn ihrer Güter machen wollte. Otto
gewann nach anfänglichen Niederlagen jedoch schließlich die Oberhand und nahm
blutige Rache an den Empörern. Die Berlings zu Hohenbuchen und Depenau wurden
restlos ausgetilgt. Die zu Meinerssen, die bislang mehr als 100 Lehen zu
vergeben hatten, wurden stark geschwächt. Und die Berlings zu Brelingen
(=Berlingen) behielten neben diesem Stammsitz nur noch den einen Hof zu
Emmingen. Alle Berlings aber wurden gezwungen, ihre Güter als Lehen aus der Hand
der Welfen
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1) Tatsächlich finden sich die Scharffenberg vor Maquard von Berlings Zeit im
Lauenburgischen urkundlich nicht, sondern sind damals nur unter der süddeutschen
Ritterschaft verzeichnet.
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neu zu empfangen. Ein Aufstand der Berlings zu
Berlingerode 2), der offenbar mit dem obigen in Zusammenhang stand, hatte deren
völlige Vernichtung zur Folge. Die einzigen Ueberlebenden entgingen nur dadurch
dem Tode, daß sie in den Deutschen Orden eintraten.
Den Berlings zu Emmingen und Brelingen gehen aber schließlich auch ihre letzten
Güter verloren, als zu Anfang des 16. Jahrhunderts Philip von Berling in der
Hildesheimer Stiftsfehde erschlagen wird und seine Brüder Franz Christopher und
Otto dafür an den Gegnern blutige Rache nehmen. Otto von Braunschweig bestraft
die Brüder furchtbar, indem er ihre beiden Besitzungen von Grund aus zerstören
läßt.
Jetzt verlassen die Berlings dieser Linie ihr Stammland, den Bardengau, um nie
wieder dahin zurückzukehren. Otto v. Berling nimmt seinen Wohnsitz in
Königshofen und den übrigen Besitzungen seiner Gattin und gründet dort die
bayrische und katholische Linie der Berlings, die vorwiegend die Schlösser
Bertholdsheim, Trugenhofen und den Markt Freyung besaß und 1780 ausstarb. Franz
Christopher aber zieht nach vielen Abenteuern nach Lauenburg, wo sein Sohn
Jürgen der Stammvater der Witzeezer, Lauenburger, Siebeneichener, Fitzener und
Büchener Linien und zugleich auch der dänischen und schwedischen Berlings wird.
* * *
Der Berlingsche Stammbaum, der in der nächsten Nummer der
"Lauenburgischen Heimat" veröffentlicht werden wird, zeigt deutlich die
Verzweigung. Die Hauptäste tragen die BAUERNVÖGTE IN WITZEEZE UND BÜCHEN.
Daneben finden wir aber Berlings als Ratsherren in Lauenburg und als
Bürgermeister in Mölln. Ja, es gab Zeiten, wo die Familie mit ihren
Schwägerschaften soviel Einfluß im alten Herzogtum hatten, daß der Fürst, wie z.
B. in der Stadt Lauenburg, mit energischen Verfügungen gegen die Berlingsche
Uebermacht einschreiten mußte.
Wir finden, wie gesagt, die Berlings auch in Fitzen und Siebeneichen, doch sind
diese im allgemeinen wenig hervorgetreten. Immerhin verdient erwähnt zu werden,
daß die Siebeneichener Berlings, die sich 1617 mit Eggerd Berling von Witzeeze
abzweigten (die Fitzener Berlings sind Mitte vorigen Jahrhunderts aus den
Siebeneichenern hervorgegangen), 10 Generationen von Bauernvögten stellten und
daß Anfang 1700 auch ein Bürgermeister der Stadt Mölln daraus hervorging. Von
Siebeneichen ausgehend hat sich übrigens eine heute ziemlich stark verzweigte
FALSCHE LINIE DER BERLINGS gebildet, die, eigentlich Perthun heißen sollte,
irrtümlich aber Berling genannt wurde und im Laufe der Zeit endgültig diesen
Namen behalten hat. Es gehört also nicht alles zu dem alten Geschlecht, was wir
heute unter diesem Namen finden.
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2) Alle diese Güter wie Berlinghen (heute Berlingen, ehemals offenbar
Berlinghausen), Brelingen (einstmals Brelinghen - Breling - oder
Birlingshausen), Berlingerode usw. sind zweifellos Berlingsche Gründungen.
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Besondere Erwähnung verdienen die SCHWEDISCHEN
und DÄNISCHEN Zweige des Geschlechtes. Schon im Jahre 1410 nach dem
Zusammenbruche des Deutschen Ordens, bei dem sich zu allen Zeiten Berlings
finden, war ein Karl von Berling nach Schweden verschlagen, dessen Nachkommen
dort zu hohem Ansehen kamen. Ein Olaf v. Berling war Hofrat der Konigin
Christine, der Tochter Gustav Adolfs. Und zur Nachkommenschaft Karls v. Berling
gehört das bekannte Adelsgeschlecht der Berenkreutz, das bis vor wenigen
Dezennien den Namen Berling führte. 1732 ging dann abermals ein Berling, Melchior
Christian Berlings aus Witzeeze jüngster Sohn KARL GUSTAV, nach Schweden, der ZU
LUND DIE AKADEMISCHE BUCHDRUCKEREI gründete, Hofkamser wurde, und dessen
Nachkommenschaft blühte und sich weit verzweigte. Wir finden sie in hohen Offiziers- und Beamtenstellen, und ein Urenkel Karl Gustavs war der Pastor und
Kontraktsprobst GÖSTA (Gustav) BERLING, der als Held von Selma Lagerlöfs
berühmtem gleichnamigen Roman gilt.
Gleichzeitig mit Karl Gustav zog dessen Bruder ERNST HINRICH nach Dänemark und
ließ sich in Kopenhagen nieder, wo er der Begründer dieses heute noch in
Dänemark zu den ersten Familien des Landes zählenden Zweiges wurde. Er
gründete dort 1738 die Berlingsche Buchdruckerei und 1749 die Berlingske Tidende,
die, stets in den Händen der Familie verblieben, noch heute die bedeutendste
und angesehenste Zeitung des Landes ist und internationalen Ruf hat. Ernst
Hinrich war Hofkamser. Von seinen vielen bedeutenden Nachkommen war wohl der
bedeutendste der 1872 zu Ismaila verstorbene Kammerherr und Hofmarschall KARL
ERNEST BERLING. Jetzt ist der Zweig im Mannesstamm erloschen, doch wird der
Name Berling von des Kammerherrn Urenkel Knut v. Hegermann-Lindencrone unter dem
Namen Berling-Hegermann-Lindencrone in Dänemark fortgeführt.
So finden wir in der Familie Berling viel geistige Kraft und viel
Unternehmungsgeist. Dabei aber auch, mit außerordentlicher Energie gepaart,
nicht selten Abenteuerlust, Starrköpfigkeit oder Uebermut. Aus dieser Mischung aber formte das Leben so
viele eigenartige Charaktere und Schicksale, wie man
sie wohl nur in wenigen ländlichen Familien unseres Landes wiederfinden wird.
Wir wollen versuchen, die Porträts einiger von ihnen, die in Lauenburg ihre
Heimat hatten, in einem zweiten Artikel nachzuzeichnen.
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